TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/16 B9 257679-4/2008

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Veröffentlicht am 16.10.2008
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Spruch

B9 257.679-4/2008/10E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde der S.A., geb. 00.00.1964, StA. Russische Förderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.01.2005, FZ. 04 25.799-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.05.2008 zu Recht erkannt:

 

Der Berufung von S.A. vom 16.05.2006 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.05.2006, Zahl: 04 25.799-BAI, wird stattgegeben und S.A. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg.cit. wird festgestellt, dass S.A. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

Entscheidungsgründe:

 

Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin der Russischen Föderation aus der Teilrepublik Dagestan, gelangte am 24.12.2004 nach Österreich und stellte am 25.12.2004 einen Asylantrag.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.01.2005, Zl. 04 25.799, wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs 1 Asylgesetz 1997 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 13 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO Ungarn zuständig sei. Gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG wurde die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen.

 

Gegen diesen Bescheid, der Beschwerdeführerin am 26.01.2005 zugestellt, erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Berufung und brachte u.a. vor, dass sie traumatisiert sei.

 

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 02.02.2006, GZ: 257.679/0-XI/34/05, wurde der Berufung gemäß § 32a Abs. 1 AsylG Folge gegeben, der Asylantrag zugelassen, der bekämpfte Bescheid behoben und der Antrag zur Durchführung des materiellen Asylverfahrens an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

Am 04.01.2005 sowie am 05.05.2006 wurde die Beschwerdeführerin zunächst zum Fluchtweg und anschließend wie folgt zu ihren

Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen:

 

Sie gab dabei auszugsweise Folgendes zu ihren Fluchtgründen an:

 

Einvernahme 04.01.2005:

 

.......

 

Frage: Reisten Sie alleine?

 

Antwort: Mit meinen Kindern. ( Anmerkung: S.I., geb.: 00.00.1986, AIS 04 25.800 und M.K., geb.: 00.00.1991, AIS 04 25.803)

 

Frage: Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen?

 

Antwort: Mein Mann war anfangs selbstständig. Er hat in seinem Betrieb am Hafen Fische geräuchert. Am 18.05.2004 ist die Polizei in die Firma gekommen. Die Polizei hat dort die Waffen gefunden, Wahhabitische Literatur und Drogen. Das haben alle seine Arbeiter gehabt. Die Arbeiter haben in der Firma gewohnt. Mein Mann hat mit mir zusammen gewohnt und hat davon nichts gewusst. Er konnte nicht wissen was dort passiert. Er hat diesen Leuten einen gewissen Raum zum Leben gegeben. Er hat die ganze Firma mit Fisch versorgt. Der Fisch wurde von den Arbeitern geräuchert und später hat er die ganzen Geschäfte mit dem geräucherten Fisch beliefert, an die Geschäfte verkauft. In unserem Haus, das Haus der Mutter, wurde eine Durchsuchung gemacht und die Polizei hat nichts gefunden. In der Früh ist die Polizei gekommen, das Haus durchsucht und nichts gefunden. Mein Mann wurde aufgehalten. Mein Mann hat die Namen genannt von den Besuchern, die zu den Arbeitern gekommen sind. Es wurden viele Leute verhaftet. Am nächsten Tag wurde mein Sohn I. stark zusammengeschlagen. I. ist Ringkämpfer. Er ist zusammen mit seinem Freund gegangen. Ihm kamen zwei, drei Leute entgegen. Sie haben die beiden zusammengeschlagen. I. hatte eine Augenverletzung und eine Gehirnerschütterung. Ein Monat war er im Krankenhaus. Sein linkes Auge wurde operiert. Sein linkes Auge ist blind. Seine Nase wurde gebrochen. Die Leute wollten K. kidnappen.

 

Frage: Was war das fluchtauslösende Ereignis?

 

Antwort: Mein Sohn wurde zusammengeschlagen. Auch als meine Tochter einmal neben mir stand versuchten sie meine Tochter wegzuziehen. Ich und mein Sohn haben die Tochter zurückgezogen.

 

Frage: Wann wurde Ihr Sohn zusammengeschlagen?

 

Antwort: Am 19.05.2004. Am 20.05.2004 wurde mein Mann umgebracht. Mein Mann nach moslemischem Brauch. Er ist der Vater von I. und K. hat anderen Vater. Von K.s Vater ließ ich mich scheiden und bin wieder mit dem Vater von I. zusammengekommen.

 

Frage: Wann wollte man Ihre Tochter kidnappen?

 

Antwort: Anfang Juli 2004, am 05. Juli. Diese Arbeiter haben wahrscheinlich gute Beziehungen gehabt und haben sich freigekauft. Sie haben versucht mit meiner Familie abzurechnen.

 

Frage: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat Probleme mit Privatpersonen?

 

Antwort: Ich habe diese Arbeiter nie gekannt. Aber sie haben sich freigekauft. Weil mein Mann alle Namen angegeben hat, wollten sie mit uns abrechnen. Es war eine Rache. Wenn ich zur Polizei gekommen bin und erzählt habe, was mit I. passiert ist und ich alle Bestätigungen vorgelegt habe und das erzählte was mit K. passiert wäre, haben sie alles protokolliert und geantwortet, dass sie keinen Schutz gewährleisten könnten. Bei uns gibt es eine russische Gesellschaft. Ich habe über meine Probleme erzählt und sie haben mir empfohlen mein Heimatland zu verlassen und haben gesagt, dass sie sich um mich kümmern würden und die Bestätigungen vorbereiten würden.

 

Frage: Konnten Sie in Ihrem Herkunftsstaat Ihre Religion frei ausüben?

 

Antwort: Ja.

 

Frage: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat je Probleme mit der Polizei, dem Militär oder den staatlichen Organen?

 

Antwort: Nein.

 

Frage: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat wegen Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Probleme?

 

Antwort: Nein. Mein Mann hat Probleme gehabt. Er ist wie ein Wahhabit behandelt worden.

 

Frage: Sind oder waren Sie jemals politisch tätig?

 

Antwort: Nein.

 

Frage: Haben oder hatten Sie sonstige Probleme auf Grund eines Naheverhältnisses zu einer Organisation?

 

Antwort: Nein.

 

Frage: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat auf Grund Verfolgung durch Dritte Probleme?

 

Antwort: Ja. Die Kinder wurden verfolgt.

 

Frage: Gibt es noch andere Gründe als die bereits erzählten?

 

Antwort: Nein. Es gibt nur das, was ich bereits erzählt habe.

 

Frage: Bestehen gegen Sie aktuelle Fahndungsmaßnahmen wie Aufenthaltsermittlung, Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbriefe oder ähnliches?

 

Antwort: Nein.

 

Frage: Was würde mit Ihnen passieren, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

 

Antwort: Es besteht Gefahr für meine Kinder.

 

Frage: Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei der Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen? Hätten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen?

 

Antwort: Ja, es ist möglich.

 

Frage: Gibt es Beweismittel für Ihr Vorbringen, können Sie uns jemanden nennen, der uns Ihre Angaben bestätigen kann?

 

Antwort: Ich kann ihnen aus dem Krankenhaus eine Bestätigung zuschicken lassen betreffend die Verletzungen von I.. Ich kann auch Protokolle von der Feuerwehr vorlegen.

 

Frage: Wäre es für Sie möglich gewesen, in einem anderen Teil Ihres Herkunftsstaates Schutz vor Verfolgung zu erlangen?

 

Antwort: In Dagestan nein.

 

Frage: Wäre es in der Russischen Föderation möglich gewesen, Schutz vor Verfolgung zu erlangen?

 

Antwort: Ich kenne Russland nicht.

 

Frage: Haben Ihre Kinder eigene Asylgründe?

 

Antwort: Das was ich schon erzählt habe. Wir wollten nach Österreich kommen, weil K. Deutsch gelernt hat. I. möchte hier auch lernen.

 

Vorhalt: Auf Grund der von Ihnen abgenommenen Fingerabdrücke wurde festgestellt, dass Sie am 15.09.2004 in BMBAH S., Ungarn, unter der Zahl 0000, einen Asylantrag gestellt haben.

 

Frage: Wie erklären Sie sich dazu?

 

Antwort: Ja, aber ich habe nicht gewusst, dass wir in Ungarn sind. Am gleichen Tag habe ich verstanden, dass wir in Ungarn sind. Ich habe beim ersten Interview gesagt, dass ich in Österreich Asyl haben möchte. Aber ich hatte keine andere Möglichkeit. Ich hatte kein Geld und wusste nicht, was ich machen kann. Ich kannte die Sprache nicht und den Weg nicht.

 

Frage: Wurde Ihre Schwester auch bedroht?

 

Antwort: Nein, meine Schwester wurde nicht bedroht. Die Schwester ist sehr krank. Sie hat Zucker.

 

Vorhalt: Warum wollte man Ihre Tochter kidnappen, einen Tag nachdem Ihr Mann getötet wurde. Somit hätte das Kidnappen nichts mehr gebracht, da Sie ja keine Ahnung betreffend der Vorfälle in der Firma hatten und nichts verraten hätten können.

 

Frage: Wie erklären Sie sich dazu?

 

Antwort: Am 05.07.2004 wollten Sie die Tochter kidnappen.

 

Frage: Warum wollte man Ihre Tochter nach der Ermordung Ihres Mannes kidnappen?

 

Antwort: Es war einfach eine Rache an der ganzen Familie, damit andere schauen und Angst haben. Damit sie zeigen können, wozu Wahhabiten fähig sind.

 

..........

 

Bei der weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt - Außenstelle Innsbruck am 05.05.2006 gab die Beschwerdeführerin auszugsweise Folgendes an:

 

...

 

Frage: Unter welchen Lebensumständen haben Sie gelebt?

 

Antwort: Ich wurde am 00.00.1964 in B. in Russland geboren. Ich bin bei meinen Eltern in M. in unserem eigenen Haus aufgewachsen. Ich habe 10 Jahre die Grundschule und danach habe ich zwei Jahre die Schule für Krankenschwester besucht. Ich habe bis zu meiner Ausreise als OP-Schwester gearbeitet. Ich habe 1985 meinen ersten Mann C.M. standesamtlich geheiratet. Von diesem habe ich mich ein Jahr später scheiden lassen. Gemeinsam haben wir unseren Sohn I.. 1990 habe ich M.C. geheiratet und gemeinsam haben wir unsere Tochter K.. 1996 habe ich mich dann von M. scheiden lassen. 2002 habe ich dann meinen ersten Mann nach moslemischen Brauch wieder geheiratet. Am 20.05.2004 wurde mein erster Mann C. umgebracht. Nach dem Tod meiner Eltern habe ich immer im Haus meiner Eltern gelebt. Wir hatten keiner finanziellen Probleme, da ich immer als Krankenschwester gearbeitet habe und mein Mann eine kleine Firma, welche Räucherfisch herstellte, führte.

 

Frage: Wann, wo und von wem wurde Ihr Sohn geschlagen?

 

Antwort: Mein Sohn wurde am 19.05.2004 zusammengeschlagen. Mein Sohn und einer seiner Freunde sind vom Training nach Hause gegangen und auf dem Weg nach Hause wurde er zusammengeschlagen. Mein Sohn hat mir nur erzählt, dass es drei unbekannte Männer waren. Ich weiß nicht ob sie maskiert waren oder welche Kleidung sie getragen haben. Die Männer sagten zu ihm, dass sie gekommen sind, weil mein Mann in der Haft ihre Namen genannt hätte und sie gekommen wären um ihn zu bestrafen. Mein Sohn wurde dabei sehr schwer verletzt. Er hatte einen Nasenbeinbruch, eine Gehirnerschütterung und seither ist er auf dem linken Auge blind. Nachdem sie meinen Sohn zusammengeschlagen haben ist er sofort nach Hause gekommen und ich habe die Rettung gerufen. Im Krankenhaus wurde er dann gleich am Auge operiert.

 

Frage: Haben Sie diesen Vorfall bei der Polizei gemeldet?

 

Antwort: Ja ich habe den Vorfall zur Anzeige bei der Miliz in M. gebracht. Meine Aussage wurde zu Protokoll genommen. Ich habe jedoch danach nichts mehr gehört.

 

Frage: Haben Sie sich jemals bei der Polizei erkundigt?

 

Antwort: Ja aber sie haben zu mir gesagt, dass sie noch auf der Suche nach den Tätern sind.

 

Frage: Was ist anschließend passiert?

 

Antwort: Am 20.05.2004 wurde mein Mann ermordet. Er hat mich noch aus der Haft angerufen und mir gesagt, dass er entlassen wird und dann sofort mit dem Bus nach Hause fährt. Man hat ihn jedoch an der Haltestelle dann ermordet. Mein Mann wurde erschossen. Das Zentralkrankenhaus von M. hat mich am Nachmittag angerufen und mir gesagt, dass mein Mann erschossen wurde und ich ihn identifizieren muss. Ich bin sofort zum Krankenhaus gefahren und habe ihn identifiziert.

 

Frage: Von wem wurde Ihr Mann umgebracht und gab es Zeugen für den Vorfall?

 

Antwort: Ich weiß nicht wer die Täter waren. Es gab auch keine Zeugen. Ich habe auch keine Ahnung wer meinen Mann gefunden hat und wer die Rettung gerufen hat. Die Miliz hat diesen Vorfall untersucht, aber sie konnten auch keine Zeugen finden.

 

Frage: Wurde der Mord an Ihrem Mann bis dato aufgeklärt?

 

Antwort: Bis heute wurde der Mord an meinem Mann nicht aufgeklärt. Die Miliz hat mir zwar versprochen den Mord aufzuklären aber sie haben mir auch gesagt, dass sie uns keinen Schutz zur Verfügung stellen können. Das alles hängt mit den Problemen meines Mannes zusammen. Alles hat mit seinen Problemen auf der Arbeit begonnen.

 

Frage: Haben Sie Beweise für den Mord Ihres Mannes bzw. für das was Ihrem Sohn zugestoßen ist?

 

Antwort: Ich bin einfach von zu Hause geflohen ich habe nichts mitgenommen. Ich muss auch noch dazu sagen, dass es bei mir zu Hause gebrannt hat und viele Dokumente vernichtet wurden. Ich habe auch meine Schwester gebeten, dass sie das Einvernahmeprotokoll meines Mannes und das Krankenhausprotokoll besorgt, aber die Polizei hat gesagt, dass sie ohne meine Unterschrift das Einvernahmeprotokoll nicht aushändigen könnten. Ich habe auch keinen Totenschein von meinem Mann bekommen. Ich glaube, dass den Totenschein seine Mutter bekommen hat, weil wir nicht mehr offiziell verheiratet waren.

 

Frage: Wann und wo wurde Ihr Mann beerdigt?

 

Antwort: Am 21.05.2004 wurde mein Mann auf einem Friedhof von M. beerdigt.

 

Frage: Wann haben Sie sich entschlossen die Heimat zu verlassen?

 

Antwort: Nachdem am 05.07.2004 versucht wurde meine Tochter zu entführen habe ich mich entschlossen meine Heimat zu verlassen. Alle meine Verwandten und auch meine Freunde haben mir dazu geraten meine Heimat zu verlassen.

 

Aufforderung: Schildern Sie konkret den Vorfall als man Ihre Tochter entführen wollte!

 

Antwort: Es war am Morgen des 05.07.2004 ich war mit meinem Sohn und meiner Tochter unterwegs. Wir wollten gerade Lebensmittel einkaufen gehen und standen an der Straße. Da kam plötzlich ein weißer Schiguli auf uns zu und zwei Männer in Zivilkleidung stiegen aus. Sie gingen direkt auf meine Tochter zu und wollten sie mitnehmen. Die Männer waren nicht maskiert. Ich kannte sie aber auch nicht. Vorbeigehende Passanten halfen uns meine Tochter den Männern zu entreißen. Daraufhin stiegen die Männer wieder in das Auto und fuhren weg. Die Männer sprachen kein Wort. Dann sind wir gleich zur Miliz gegangen und haben Anzeige erstattet. Aber auch da gab es keine Ergebnisse. Nach diesem Vorfall stand für mich fest, dass wir die Heimat verlassen mussten. Ich habe nach einem Schlepper gesucht und am 15.08.2004 sind wir dann ausgereist.

 

Frage: Gab es zwischen 05.07.2004 und Ihrer Ausreise noch irgendwelche Vorfälle?

 

Antwort: Es gab noch Drohanrufe. Ungefähr einmal pro Woche. Es war immer dieselbe mir unbekannte Männerstimme. Dieser sagte, dass sie unsere Familie vernichten würden.

 

Frage: Ist es richtig, dass Sie und Ihre Kinder nur aufgrund der Probleme Ihres Mannes bedroht wurden?

 

Antwort: Ja das stimmt.

 

Vorhalt: Es ist nicht nachvollziehbar, dass Sie nach dem Tod Ihres Mannes noch weiter bedroht wurden und Ihre Tochter entführt werden sollte. Was sagen Sie dazu?

 

Antwort: Das hätte ein abschreckendes Beispiel sein sollen, damit niemand mit den Behörden zusammenarbeitet und Informationen weiter gibt, so wie es mein Mann bei seinen Einvernahmen getan hat. Außerdem gibt es bei uns die Sippenhaftung und deswegen wird bei uns die gesamte Familie bestraft.

 

Frage: Haben Sie - außer dem bisher vorgebrachten Sachverhalt - weitere Gründe Ihrer Flucht vorzubringen?

 

Antwort: Nein ich habe bereits alles gesagt. Ich habe Angst um meine Kinder.

 

Frage: Haben Sie für Ihre minderjährige Tochter eigene Fluchtgründe vorzubringen oder gelten die gleichen Gründe wie für Sie?

 

Antwort: Es gelten für meine Tochter die gleichen Gründe wie für mich. Eigene Gründe habe ich für meine Tochter nicht vorzubringen.

 

........

 

Frage: Was konkret befürchten Sie für den Fall Ihrer Rückkehr in Ihr Heimatland?

 

Antwort: Ich habe Angst umgebracht zu werden. Ich werde sicher nicht mehr nach Hause zurückkehren.

 

Frage: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?

 

Antwort: Ich hätte Probleme mit dem FSB, weil ich meine Heimat verlassen habe und man meinem Mann vorgeworfen hat, dass er ein Wahabit sei. Man würde mir nicht glauben, dass wir mit den Wahabiten nichts zu tun haben.

 

Frage: Wurden Sie jemals konkret beschuldigt mit den Wahabiten zusammengearbeitet zu haben?

 

Antwort: Nein wurde ich nie, aber meinen Mann hat man beschuldigt. Bei uns verschwinden immer wieder Menschen spurlos.

 

Antwort: Ich bitte sehr darum, dass man uns hier in Österreich bleiben lässt. Es wäre mein größter Wunsch, dass meine Kinder hier die Schule abschließen können und in Frieden leben können."

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.05.2006, Zahl:04 25.799-BAI, wurde unter Spruchpunkt I. der Asylantrag S.A. vom 25.12.2004 gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen, unter Spruchteil II. die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 8 Absatz 1 Asylgesetz ausgesprochen und unter Spruchteil III. gemäß § 8 Absatz 2 Asylgesetz die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

 

In der Begründung des Bescheides wurde zunächst die Einvernahme zum Fluchtweg und anschließend die oben bereits wiedergegebene Einvernahme zu den Fluchtgründen dargestellt. Anschließend wurden (allgemeine) Feststellungen zur Russischen Föderation getroffen und auch die Quellen hiefür angeführt, sowie auch Feststellungen zur organisierten Kriminalität und zur Bedrohung durch die russische Mafia. Mit den von ihr behaupteten Gründen der Ausreise habe die Antragstellerin keine Verfolgungsgefahr in ihrer Heimat darlegen können. Sie haben über konkrete Nachfrage nicht angeben können, welche Personen ihren Sohn misshandelt hatten, und wer versucht habe ihre Tochter zu entführen.

 

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Berufung (in der Folge Beschwerde genannt).

 

Der Unabhängige Bundesasylsenat beraumte daraufhin für den 09.05.2008 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung an, zu der sich die Behörde erster Instanz entschuldigen ließ. Diese gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:

 

"Geboren bin ich am 00.00.1964 in B., Russland, gelebt habe ich bis zur meiner Flucht in M.. (Beilage IV)

 

VL: Warum sind Sie geflüchtet?

 

BW: Ich wurde ständig bedroht auch für meine Kinder bestand Gefahr. Mein Sohn wurde stark verprügelt.

 

Mein Mann H.M., ich war mit ihm schon einmal verheiratet und habe ihn dann nach dem moslemischen Ritus noch einmal geheiratet. Er hat eine kleine Räucherwerkstätte gehabt, wo er Fische geräuchert hat. Die Werkstätte befand sich am Meeresufer, es war eine kleine Werkstätte. Er hatte auch Mitarbeiter, die er aufgenommen hat. Eines Tages kam die Polizei zu mir. Zuerst wurde bei ihm eine Durchsuchung durchgeführt, in der Werkstätte. Bei den Mitarbeiter wurden Drogen und Waffen gefunden. Alle wurden mitgenommen, zur Polizei. Am nächsten Tag kamen sie zu mir und teilten mir das mit, auch bei mir zuhause wurde das Haus durchsucht, aber sie habe nichts gefunden. Mein Mann sagte, dass er damit nichts zu tun hat, es waren seine Arbeiter. Es war auch so, dass seine Arbeiter in der Werkstätte gelebt haben, mein Mann hat ihnen einen Raum zur Verfügung gestellt. Mein Mann arbeitete mit der Polizei zusammen, und zwar auf dieser Weise, dass er ihnen die Namen bekannt gab. Er sagte auch, von wem sie besucht wurden, wer zu seinen Arbeitern kam. Er hat mich dann angerufen und gesagt, dass er freigelassen wird und dass er nachhause kommen wird,. Er kam aber nicht nachhause. Mich rief das Krankenhaus an, dort war auch die Polizei, dass ich ihn identifizieren soll, weil man ihn erschossen hatte. Wer ihn erschossen hat, weiß ich bis jetzt noch nicht. Allerdings wurden alle Leute, deren Familiennamen er genannt hat überprüft und freigelassen. Ich glaube, dass sie freigekauft wurden. Danach begann man uns zu verfolgen, ich galube dass die Verfolgungen von den ehemaligen Mitarbeitern meines Mannes ausgingen, aber ich weiß das nicht genau. Sie haben meinen Sohn stark verprügelt. Er ging damals mit seinem Freund von einem Training zurück. Er wurde von Männern überfallen, die ihm zusammenschlugen. Er kam nachhause, er war voller Blut und ich rief die Rettung. Er war dann im Spital. Er musste am Auge operiert werden, seine Nase war gebrochen und leichte Gehirnerschütterungen erlitten. Ich weiß nicht ganz sicher, wer das war, aber es handelt sich um Rache.

 

VL: Was waren das für Leute?

 

BW: Sie haben sich mir nicht gezeigt, aber sie bedrohten mich. Als ich mich zur Polizei wandte, sagte man mir, dass man mich nicht beschützen kann.

 

BWV: Sie haben vorher gesagt, dass Drogen und Waffen gefunden wurden. Vor dem BAA haben Sie ausgesagt, dass auch wahabitische Literatur gefunden wurde?

 

BW: Wissen tue ich es nicht, aber ich glaube sehr wohl dass sie mit Wahabiten zu tun hatten. Das was ich sicher weiß, dass die Leute Beziehungen zur Polizei hatten, weil sie gleich entlassen wurden. Mein Mann sagte alle Familiennamen und die Anschriften von diesen Leuten. So etwas wird bei uns nicht verziehen.

 

BWV: Warum hat Ihnen die Polizei gesagt, dass sie Sie nicht beschützen kann?

 

BW: Es ging darum, dass die Polizei mir gegenüber gemeint hat, dass sie mir quasi keine Bewachung zu Verfügung stellen können, dies deswegen nicht, weil ich die Namen der Leute nicht wusste. Sie wollten haben, dass ich ihnen einen Namen nennen kann.

 

Die Polizei sagte mir, dass es für mich besser wäre, von dort, also von Dagestan, zu verschwinden. Eines Tages in der Früh wurde uns eine brennende Flüssigkeit ins Haus geschossen, aber wir schafften es zu flüchten.

 

BW zeigt eine Brandwunde an der Hand.

 

Zuerst war die Hausdurchsuchung bei meinem Mann, dann die Hausdurchsuchung bei mir. Danach wurde mein Sohn zusammengeschlagen, danach rief mich mein Mann an, dass er nachhause kommen wird, dieser kam aber nicht. Kurze Zeit später, ca. nach einem Monat gab es den Brand. Meine Tochter wollte man entführen. Es gab auch Drohanrufe, man sagte uns, dass man uns nicht am Leben lassen wird. Sie haben gesagt, dass meine Tochter entführt wird und man sagte, dass man aus ihr eine Selbstmordattentäterin machen wird. Man sagte auch, dass mein Sohn auch jedenfalls umgebracht wird, weil man nicht will, dass es in unserer Familie noch Männer gibt. Nachdem man meine Tochter entführen wollte, danach entschied ich mich endgültig, das Land zu verlassen. Ich habe einen Schlepper gefunden, dieser half mir.

 

Aufgrund der Tatsache, dass man aus meiner Tochter eine Selbstmordattentäterin machen wollte, nehme ich an, dass es sich um Wahabiten gehandelt hat.

 

BWV: Konnten Sie das aus den Drohanrufen auch schließen?

 

BW: Ein normaler Islam verbietet so etwas.

 

Aufgrund der Drohungen, die sich gegen mich und meine Familie gerichtet haben und aufgrund des Verlaufes des Gespräches, bin ich mir sicher, dass es sich dabei um Wahabiten gehandelt hat. Die Polizei schützt einen nicht vor den Wahabiten.

 

BW: in Tschetschenien gibt es auch Probleme, es gibt dort auch Wahabiten die mit den dagestanischen Wahabiten zusammenarbeiten. Sie werden auch von dort finanziert. Was Russland anbelangt, will man uns "Kaukasier" nicht haben. Wir werden dort stark unterdrückt, es besteht dort eine große Gefahr seitens der Skinheads, es gibt tagtäglich Überfälle von Skinheads auf Personen mit kaukasischem Aussehen. Viele Dagestaner wurden Opfer dieser Überfälle. Es gibt darüber auch Internetauszüge. Die Vertreter dieser Gruppe können sich frei in Moskau bewegen und werden von der Polizei in Ruhe gelassen.

 

Vorgelegt wird Beilage II (Aktuelle Situation in der Russischen Föderation), Amnesty International "Russian Federation Human Rights Coucerus" vom 19.09.2007

 

Jahresbericht, UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung vom 20.05.2007

 

International Religious Freedom Report, U.S. State Dep. 2007 aktuell

 

Amnesty International, Anfragebeantwortung an den VGH-Hessen vom 27.04.2007"

 

Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter wie folgt festgestellt und erwogen:

 

Zur Person der Beschwerdeführerin wird folgendes festgestellt:

 

Die Beschwerdeführerin ist Staatsbürgerin der Russischen Föderation (aus der Teilrepublik Dagestan). In der Firma ihres Ehemannes wurden bei einer Razzia durch die Polizei Waffen, Drogen und auch wahabistische Literatur gefunden. Nach dem Verhör durch die Polizei wurde der Ehemann von unbekannten Personen erschossen. Der Sohn der Beschwerdeführerin wurde auf offener Straße zusammengeschlagen und die Tochter der Beschwerdeführerin entging nur knapp einer Entführung. Auf das Haus der Beschwerdeführerin wurde ein Brandanschlag verübt.

 

Die Beschwerdeführerin hat versucht die Polizei um Hilfe zu ersuchen, doch wurde ihr dies verweigert mit der Begründung, dass die Familie den Wahabiten angehöre und sie das Land besser verlassen solle.

 

Zu Dagestan wird ergänzend über die bereits im erstinstanzlichen Akt enthaltenen allgemeinen Feststellungen zur Russischen Föderation, sowie zu den Kumyken und den Wahabiten folgendes festgestellt:

 

Bis zum Jahre 1999 hatte die Tätigkeit wahabistischer Gruppen in Dagestan systematisch zugenommen und sich die Sicherheitslage derart verschärft, dass die föderalen und lokalen Sicherheitskräfte bewaffnete anti-terroristische Operationen begannen, wobei zahlreiche Personen, die im Verdacht standen mit den Wahabisten zusammenzuarbeiten, verhaftet wurden. Am 16.09.1999 erließ die dagestanische Regierung ein Gesetz über das Verbot wahabistischer und anderer extremistischer Tätigkeit auf dem Gebiet der Republik Dagestan.

 

Im Sommer 1999 sind tschetschenische Rebellen unter dem Kommando von Jamil Bassajev in Dagestan einmarschiert, wodurch sich der Tschetschenienkonflikt auch nach Dagestan ausweitete.

 

Nach verlustreichen Großoperationen unter tschetschenischer Leitung, Ende der 90er Jahre, die eine sofortige Machtübernahme der Islamisten und die Loslösung von Russland anstrebten, hat sich der islamistische Widerstand auf klassische Guerilla-Aktivitäten verlegt, um mit geringen Mitteln und beschränktem Risiko, größtmögliche Resonanz zu erzeugen. Attentate ereignen sich in Dagestan mittlerweile häufiger als in Tschetschenien, wenn auch die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung geringer sind. Es erfolgen sowohl (Sprengstoff)anschläge auf Infrastruktureinrichtungen, wie die Energieversorgung und Verkehrsverbindungen, sowie auch bedeutende Funktionsträger. Angriffe auf Sicherheitskräfte ereignen sich fast täglich. Die russischen Behörden reagieren darauf, dass sie selbst massivste Mittel zur Vernichtung der Gegner zum Einsatz bringen, wobei sich allgemein dien Kampfhandlungen vermehrt von Tschetschenien nach Dagestan verlegen und manchen Autoren die Situation in Dagestan die Bevölkerung als noch problematischer ansehen, als in Tschetschenien. Leidtragende der Auseinandersetzungen ist - wie meistens - die Zivilbevölkerung, auf die immer weniger Rücksicht genommen wird Die russischen Sicherheitskräfte gehen auch vehement gegen Verwandte von Mitgliedern bewaffneter illegaler Vereinigungen vor, wobei auch Verwandte von Terrorverdächtigen als Geiseln genommen werden.

 

Dagestan Wahabismus

 

...

 

Wir haben daher einerseits zu Meldungen recherchiert, die sich allgemein auf Verwandte von Terrorverdächtigen ("Wahhabiten", siehe unten) beziehen, sowie andererseits auch zu Berichten zum Übergreifen des Tschetschenienkonfliktes auf Dagestan.

 

Zum Begriff des Wahhabismus

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial schreibt in ihrem im August 2005 erschienen Bericht über die Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation folgendes über die Bezeichnung als Wahhabit:

 

"Die Beschuldigung Wahabit zu sein (häufig, wenn nicht sogar in den meisten Fällen entbehrt sie jeglicher Grundlage) ist ein beliebtes Mittel in den Auseinandersetzungen der einen oder anderen Richtungen der moslemischen Gläubigen. []

 

Wer einmal als Wahabit verdächtigt ist, kann leicht terroristischer Absichten beschuldigt und bei der nächsten bietenden Gelegenheit verhaftet werden. []

 

Die Kampagne, Moslems Extremismus und Terrorismus vorzuwerden, hat inzwischen in allen Regionen Russlands, in denen die moslemische Bevölkerung einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ausmacht, um sich gegriffen. [] Besonders im Nordkaukasus werden Menschen häufig beschuldigt Wahabiten zu sein." (Memorial, August 2005, S. 11 u. 12).

 

Das US Department of State (USDOS) schreibt in seinem im September 2006 erschienen Bericht zur Religionsfreiheit in Russland, dass die Regierung, Journalisten und die Öffentlichkeit muslimische Organisationen sehr schnell als "Wahhabiten" bezeichnen würden. Diese Bezeichnung würde zunehmend als Synonym für "Extremisten" gebraucht, daher sei der Wahhabismus in Dagestan offiziell verboten:

 

"Government officials, journalists, and the puplic have been quick to label Muslim organizations "Wahhabi," a term that has become equivalent with "extremist." Such sentiment has led to a formal ban on Wahhabism in Dagestan and Kabardino-Balkariya." (USDOS, 15. September 2006, Sek. III).

 

Vorgehen der Sicherheitskräfte gegenüber Verwandten von Terrorverdächtigen

 

Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial schreibt in ihrem Bericht zur Lage der Bevölkerung Tschetscheniens vom Augusst 2006 über die Gefährdung von Verwandten von Rebellen-Verdächtigen. Aus Platzgründen haben wir hier die im Originaldokument angeführten Fallbeispiele nicht abgedruckt:

 

"Nach der Rede des russischen Generalstaatsanwalts Wladimir Ustinow in der Staatsduma am 20. Oktober 2004, bei der er angeregt hatte, bei terroristischen Verbrechen im Gegenzug ebenfalls Geiselnahme und eine "vereinfachte Rechtssprechung" bei Terroristen zu ermöglichen, ging man vor Ort sogar noch weiter. Mit der Drohung einer Geiselnahme oder einer außergerichtlichen Abrechnung sollten all die rechnen müssen, deren Verwandte - und seien es entfernte Verwandte - Mitglieder von illegalen bewaffneten Vereinigungen sind oder waren.

 

Ganze Familien wurden so vernichtet. In der einheimischen Bevölkerung gehen viele davon aus, dass es eine vertrauliche Anordnung von oben gibt, Verwandte von Mitgliedern bewaffneter illegaler Vereinigungen zu vernichten. []

 

Haben sich Mitglieder von Militär, Miliz und Geheimdienst verdächtig gemacht, sind auch ihre Angehörigen in Gefahr []" (Memorial, 3. August 2006, S. 49f.)

 

...

 

(Anfragebeantwortung von ACCORC an das Bundesasylamt vom November 2006)

 

Beweis wurde erhoben durch Einvernahme der Beschwerdeführerin durch die Behörde erster Instanz am, sowie im Rahmen der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung durch den Unabhängigen Bundesasylsenat vom 09.05.2008, durch Vorhalt der oben näher bezeichneten Dokumente, sowie durch Vorlage von Befunden über den (psychischen) Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin durch diese selbst.

 

Die Beweise werden wie folgt gewürdigt:

 

Die verfahrensbezogenen länderkundlichen Feststellungen ergeben sich aus den zum Parteiengehör vorgehaltenen und den vom Beschwerdeführervertreter selbst vorgelegten Dokumenten, denen von der Behörde erster Instanz in keiner Weise entgegengetreten wurde. Diese Dokumente wurden durch jüngere Dokumente des eidgenössischen Bundesamtes für Migration, sowie einer Anfragebeantwortung von ACCORD betreffend Dagestan und Wahabiten aktualisiert.

 

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin wird wie folgt gewürdigt:

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtssprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit der Behauptungen, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zahl: 2003/20/0389).

 

Im Großen und Ganzen ist eine relativ gute Konsistenz zwischen den erst- und zweitinstanzlichen Angaben der Berufungswerberin feststellbar.

 

Angesichts des persönlichen Eindrucks, den die Verhandlungsleiterin von der Beschwerdeführerin gewonnen hat, obwalten keine Bedenken gegen die persönliche Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin, mag diese auch keine Personaldokumente vorgelegt haben. Auf Grund der Ortskenntnisse erscheint auch die Herkunft aus Dagestan glaubwürdig. Die von der Beschwerdeführerin, sehr detailliert und geradezu plastisch geschilderten Verfolgungshandlungen stimmen durchaus mit den obigen Sachverhaltsfeststellungen und den diesen zugrunde liegenden Dokumenten überein. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Berufungsbehörde von der Glaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin ausgeht.

 

Rechtlich ergibt sich daraus Folgendes:

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.

 

Gemäß § 23 AsylGH (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz-B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetzt 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetztes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 23 AsylG (bzw. § 23 Abs. 1 AsylG idF der ASylGNov. 2003) ist auf Verfahren nach dem AsylG, soweit nicht anderes bestimmt ist, das AVG anzuwenden (vgl. auch Art. II Abs. 2 lit. D Z 43 a EGVG). Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Rechtsmittelinstanz, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 75 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetz 1997 zu Ende zu führen. § 44 Absatz 1 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 i.d.F. BGBl. I Nr. 101/2003 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Da der gegenständliche Asylantrag bereits zum obgenannten Zeitpunkt gestellt worden war, ist das AsylG 1997 i.d.F. BGBl. I Nr. 126/2002 anzuwenden.

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht) und keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling i.S.d. AsylG 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die " begründete Furcht vor Verfolgung".

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht, (zB VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262).

 

Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Eingriffe in ihre vom Staat zu schützende Sphäre müssen in einem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise aus seinem Heimatland liegen. Die fluchtauslösende Verfolgungsgefahr bzw. Verfolgung muss daher aktuell sein (VwGH 26.06.1996, Zl. 96/20/0414). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

 

Wenngleich die Beschwerdeführerin auch Drohungen und Verfolgung seitens der Wahabiten gegen ihre Familie vorbrachte, steht im Zentrum des Fluchtvorbringens auch eine Verfolgung durch russische Organe. Diese Verfolgungshandlungen hatten ihre Ursache darin, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin intensive Kontakte zu den Wahabiten unterstellt würden.

 

Angesichts der sich verschärfenden Situation in Dagestan, die einerseits durch verstärkte Anschläge extremistischer Gruppierungen und andererseits durch ein immer weitere Kreise der Zivilbevölkerung umfassendes brutales Vorgehen russischer Sicherheitskräfte gekennzeichnet ist, reicht es offenbar aus, dass jemand - auch nur sehr vage - in Verdacht stand, "terroristische Gruppierungen" zu unterstützen bzw. ein (naher) Angehöriger von Personen zu sein, die wegen Terrorismusverdachts von den Behörden gesucht wurden und verschwunden sind, damit seitens der Behörden schwerwiegende Eingriffe in die zu schützende persönliche Sphäre von Zivilpersonen vorgenommen werden.

 

Wenn auch dem Bundesasylamt insofern zuzustimmen ist, dass kurzfristige Anhaltungen und Befragungen (zum Beispiel um Namen von aktiven Widerstandskämpfern zu erfahren), nicht für sich allein als asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen angesehen werden können, so ist doch festzuhalten, dass diese in Tschetschenien und Dagestan häufig von intensiven Misshandlungen, die von der Intensität her die Schwelle einer asylrelevanten Verfolgungshandlung ohne weiteres erreichen, begleitet werden und diese Eingriffe auch aus in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründen, nämlich einer zumindest unterstellten "russlandfeindlichen politischen Gesinnung", erfolgen (vgl. UBAS vom 24. Januar 2007, Zahl: 254.119/0-VIII/22/04).

 

Der Zusammenhang zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründen besteht im Fall der Beschwerdeführerin in einer unterstellten politischen, nämlich russlandfeindlichen, islamistischen und sezessionistischen Gesinnung der Familie.

 

Nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 19.12.2001, ZI. 98/20/0312, VwGH vom 26.02.2002, ZI. 2000/20/0517, VwGH vom 12.03.2002, ZI. 2001/01/0399) stellt die Familie eine soziale Gruppe dar und substituiert diese "soziale Gruppe" das Fehlen eines eigenen Verfolgungsgrundes nach der GFK, wenn Familienmitglieder etwa wegen (unterstellter) politischer Gesinnung oder ihrer ethnischen Herkunft oder Religion verfolgt werden.

 

Schließlich ist nochmals daraufhin zu weisen, dass es bei der Beschwerdeführerin keinesfalls an einer aktuellen Verfolgungsgefahr mangelt, sondern vielmehr sich die Situation in Dagestan geradezu dramatisch zugespitzt hat und die im Zeitpunkt der Ausreise bestandene Verfolgungsgefahr für die Beschwerdeführerin und deren Kinder keinesfalls weggefallen ist.

 

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in seine Heimat (Dagestan) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Eingriffe von hoher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre aus den oben genannten, mit der Genfer Flüchtlingskonvention in Einklang stehenden Gründen drohen.

 

Weiters ist festzuhalten, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Verfolgungsgefahr nur auf Dagestan beschränkt ist, zumal die russischen Sicherheitskräfte, insbesondere der Inlandsgeheimdienst FSB, auf dem gesamten Gebiet der Russischen Föderation tätig sind und auch vehement gegen Personen vorgehen, die im Verdacht stehen, an terroristischen Aktivitäten beteiligt zu sein.

 

Im Sinne der sich in den letzten Jahren immer mehr verstrengernden Judikatur, die sich von der inländischen Fluchtalternative zur innerstaatlichen Schutzalternative gewandelt hat, steht der Berufungsbehörde somit nach Überzeugung des Asylgerichtshofes keine solche innerhalb der Russischen Föderation realistischerweise offen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Anhaltung, Befragung, Familienverband, Familienverfahren, gesamte Staatsgebiet, Intensität, Misshandlung, politische Gesinnung, soziale Gruppe
Zuletzt aktualisiert am
31.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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