TE AsylGH Bescheid 2008/10/16 C6 228032-0/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.10.2008
beobachten
merken
Spruch

GZ: C6 228.032-0/2008/9E

 

M.N. ; geb. 00.00.1956

 

StA: Türkei

 

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG

 

DES VOM UNABHÄNGIGEN BUNDESASYLSENAT IN DER MÜNDLICHEN VERHANDLUNG

AM 18.6.2007 VERKÜNDETEN BESCHEIDS

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Judith PUTZER gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm § 38 Abs 1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idgF entschieden.

 

Der Berufung von M.N. vom 23.4.2002 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 5.4.2002, Zahl 01 26.414-BAW, wird stattgegeben und M.N. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg cit wird festgestellt, dass M.N. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Bisheriger Verfahrensgang:

 

Der Berufungswerber, seinen Angaben zu Folge türkischer Staatsbürger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte erstmals am 16.10.1991 in Österreich einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 20.4.1992, Zahl FRA 3682/1991, gemäß § 3 AsylG 1991, BGBl. Nr. 8/1992, abgewiesen. Mangels Erhebung eines Rechtsmittels erwuchs dieser Bescheid in Rechtskraft.

 

Mit Schreiben vom 13.11.2001 stellte der Berufungswerber erneut einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5.4.2002, Zahl: 01 26.414-BAW, wurde der Antrag gemäß § 7 AsylG 1997 idgF abgewiesen. Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers in die Türkei zulässig ist. Das Bundesasylamt beurteilte das Vorbringen des Berufungswerbers nicht als glaubwürdig und begründete dies näher. Weiters verneinte das Bundesasylamt, dass der Berufungswerber iSd § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz 1997 BGBl. I 75 (in der Folge: FrG) bedroht oder gefährdet sei.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Berufung.

 

Am 9.5.2007 und am 18.6.2007 führte der unabhängige Bundesasylsenat eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung gemäß § 67d AVG unter Beiziehung eines Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in der Türkei durch, an der das Bundesasylamt nicht teilgenommen hat.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zur Person und den Fluchtgründen des Berufungswerbers:

 

Der Berufungswerber ist türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er stammt aus B., Provinz U., wo er Eigentümer eines Zinshaus und Inhaber eines Eisgeschäftes war. Vor der ersten Asylantragstellung wurde dem Berufungswerber von Seiten der Bezirksvorstehung unterstellt, die PKK finanziell zu unterstützen und er floh daraufhin aus Angst vor Repressalien.

 

1992 kehrte der Berufungswerber zu dem Zweck, Reisepässe für seine Familie zu beantragen, damit diese mit ihm nach Österreich reisen könnten, in die Türkei zurück. Als der Berufungswerber seine Eltern nahe dem Dorf Z. besuchen wollte, wurde er von Leuten des Geheimdienstes (MIT) aufgehalten. Sämtliche Gegenstände, die der Berufungswerber seinen Eltern bringen wollte, wurden von den Leuten konfisziert; dies mit der Begründung, dass die Sachen für die PKK wären. Auch wurde der Berufungswerber nach diversen Verwandten gefragt. Im Speziellen wurde er nach seinem Schwager N.Y. gefragt, der politisch sehr engagiert war und nunmehr als anerkannter Flüchtling in der Schweiz lebt. Gegen den Schwager liegt auch ein Haftbefehl wegen § 316 türk. StGB vor, ihm wird vorgeworfen für die PKK Geld gesammelt zu haben und als Terrorist tätig gewesen zu sein. Der Geheimdienst warf dem Berufungswerber vor, dass seine Verwandten, die politisch tätig waren und nunmehr im Ausland leben - ebenso wie er selbst - gegen den türkischen Staat wären. Der Berufungswerber wurde in weiterer Folge ca. 15 Tage angehalten, misshandelt und gefoltert. Nach seiner Freilassung wollte der Berufungswerber, flüchten. Da aber Seiten im Reisepass fehlten - diese waren vom Geheimdienst entfernt worden -, war dies nicht möglich. Nach einiger Zeit sind die Mitarbeiter des Geheimdienstes, die den Berufungswerber bereits zuvor mitgenommen hatten, wiedergekommen und verlangten von ihm Informationen betreffend Sympathisanten der PKK. Da der Berufungswerber keine Informationen weitergab, wurde er für zwei Tage festgehalten. Diese Vorgehensweise wiederholte sich immer wieder. Der Berufungswerber wurde derart unter Druck gesetzt, dass er sich letztlich zur Flucht entschlossen hat; zuvor ließ er sich aus Angst vor Repressalien gegenüber seiner Familie von seiner Ehefrau Emine scheiden.

 

1.2. Zur Lage in der Türkei:

 

1.2.1. Mit dem Wiedererstarken des PKK-Terrorismus wurde seit Mitte 2005 der Ruf nach einschneidenderen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung lauter. Am 29.06.2006 hat das Parlament zahlreiche Verschärfungen im Anti-Terror-Gesetz verabschiedet (das Gesetz ist am 18.7.2006 in Kraft getreten). Die von Menschenrechts-Organisationen und den Medien stark kritisierten Änderungen sehen u.a. eine Wiedereinführung des abgeschafften Art. 8 Anti-Terror-Gesetz ("separatistische Propaganda"), eine wenig konkret gefasste Terror-Definition, eine Ausweitung von Straftatbeständen, die Schwächung der Rechte von Verhafteten und eine Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitskräfte vor. Das Anti-Terror-Gesetz in seiner veränderten Form droht die Meinungsfreiheit weiter zu beschneiden und ermöglicht für viele Handlungen, die nicht in Zusammenhang mit Gewaltakten stehen, die Verurteilung als Beteiligung an Terrordelikten. Das verschärfte Anti-Terrorgesetz, wird allgemein als Konzession an die türkischen Sicherheitskräfte angesehen. ...

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: Dezember 2006, S.

16)

 

Man geht davon aus, dass ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei von 72 Millionen - also ca. 14 Millionen Menschen - (zumindest teilweise) kurdischstämmig ist. Im Westen der Türkei und an der Südküste leben die Hälfte bis annähernd zwei Drittel von ihnen: ca. 3 Mio. im Großraum Istanbul, 2-3 Mio. an der Südküste, 1 Mio. an der Ägäis-Küste und 1 Mio. in Zentralanatolien. Ca. 6 Mio. kurdischstämmige Kurden leben in der Ost- und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Kurden leben auch im Nord-Irak, Iran, in Syrien und Georgien. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig.

 

Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit nie staatlichen Repressionen unterworfen. Auch über erhöhte Strafzumessung in Strafverfahren ist nichts bekannt. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden). Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus. Innenminister Aksu z.B. ist kurdischer Abstammung. Er hat Reden auf kurdisch gehalten, allerdings nicht bei offiziellen Anlässen.

 

Die Tatsache, dass "Separatismus" und "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande" kurdischstämmigen Türken weit öfter als anderen Türken vorgeworfen wurden, liegt daran, dass Verbindungen mit und Unterstützung der Terrororganisation PKK sich nahezu ausschließlich aus kurdischstämmigen Kreisen rekrutierte. ...

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: Dezember 2006, S.

18)

 

1.2.2. PKK

 

Die Kurdenfrage ist eng verflochten mit dem jahrzehntelangen Kampf der türkischen Staatsgewalt gegen die von Abdullah Öcalan gegründete sog. "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK) und ihre terroristischen Aktionen. Das in Deutschland und der EU bestehende Verbot der Terrororganisation PKK erstreckte sich auch auf die Nachfolgeorganisationen unter anderem Namen (s.u.). Die türkische Regierung hatte lange Zeit die Kurdenfrage nur einseitig als Kampf gegen Terrorismus und Separatismus der PKK betrachtet, ohne daneben die kulturelle Dimension zu sehen. Die 1984 von der PKK begonnenen und bis 1999 andauernden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den türkischen Sicherheitskräften im Südosten der Türkei haben fast 35.000 Menschenleben unter PKK-Kämpfern, türkischen Sicherheitskräften und der Zivilbevölkerung gefordert. Seitdem hat sich die Lage beruhigt. Die Stärke der PKK wird aktuell auf noch 5.000-5.500 Kämpfer geschätzt, davon ca. zwei Drittel im Nordirak. Türkische Erwartungen, die USA würden im Nordirak gegen die PKK vorgehen, haben sich bisher nicht erfüllt.

 

Die PKK verkündete jedoch zum 01.06.2004 die Beendigung des von ihr ausgerufenen "Waffenstillstands". Seitdem kam es im Südosten nach offiziellen Angaben wieder vermehrt zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen türkischem Militär und PKK-Terroristen, die seit Mai 2005 weiter eskaliert sind. ...

 

Ein vorläufiger Höhepunkt der jüngsten Spannungen wurde nach den - wie schon in den vergangenen Jahren - friedlich verlaufenen Newroz-Feierlichkeiten erreicht, als es zwischen dem 28. und 31.03.2006 in Diyarbakir im Südosten zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen oft mehreren Tausend meist jugendlichen Demonstranten aus dem Umfeld der PKK sowie türkischen Sicherheitskräften kam. Auslöser der Unruhen war die Beerdigung von vier in einem Gefecht mit türkischen Sicherheitskräften getöteten PKK-Terroristen. Die Ausschreitungen haben in der gesamten Türkei mindestens 15 Todesopfer, darunter mindestens drei Kinder unter 10 Jahren, sowie mehr als 350 Verletzte - hierunter knapp 200 Sicherheitskräfte - gefordert. Erstmals seit langer Zeit hat die PKK 2005 und 2006 auch wieder Bombenattentate gegen touristische Ziele verübt, so z.B. am 16.07.2005 in Kusadasi (bei Izmir) mit fünf Todesopfern, zuletzt am 02.04.2006 in Istanbul. Von 2002 bis 2004 hatte sich die Terrororganisation PKK mehrfach umbenannt (KADEK/KHK/KONGRA-GEL), ohne dass dies an ihrem Charakter als Terrororganisation etwas änderte.

 

Mittlerweile ist sie zu ihrer alten Bezeichnung PKK zurückgekehrt. (Für die von ihr selbst als politisch bezeichnete Betätigung im Ausland hat sie jedoch die Bezeichnung KONGRA-GEL beibehalten). Ihr Anführer, der zu lebenslanger Haft verurteilte Abdullah Öcalan, befindet sich seit 1999 im Gefängnis auf der Insel Imrali im Marmara-Meer. ...

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: Dezember 2006, S. 20, 21)

 

1.2.3. Behandlung Abgeschobener nach ihrer Rückkehr in die Türkei:

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat.

 

Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte. (so die vom BT-Petitionsausschuss übermittelte Falldarstellung nach freiwilliger Ausreise einer kurdischstämmigen Familie, die kurz vor Abschiebung stand und wiederholt über mehrere Tage befragt wurde).

 

Besteht der Verdacht einer Straftat (z.B. Passvergehen, illegale Ausreise), werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet.

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: Dezember 2006, S. 46, 47)

 

1.2.4. Gutachten des SV M.Ö. im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 18.6.2007 zum gegenständlichen Fall zur Frage der Gefährdung des Berufungswerbers, dessen Inhalt als Sachverhalt festgestellt wird (vgl. Verhandlungsprotokoll):

 

"MIT bedeutet Milli Istihbarat Teskilati, dass ist die Abkürzung davon. MIT ist der größte türkische Geheimdienst. Außerdem gibt es auch einen Militärgeheimdienst, der sich Jitem nennt. Und diese beiden Geheimdienste arbeiten sehr eng zusammen. Wenn jemand vom MIT ins Visier genommen wird, bedeutet das Verfolgung für die ganzen Familienangehörigen, Folterungen, Festnahmen, Erniedrigungen bis zum sexuellen Missbrauch der weiblichen Familienangehörigen. Da die Leute die von MIT gesucht oder auf diese Art und Weise schikaniert werden, zeitmäßig keine Verjährung haben, kann sich über viele Jahre ausdehnen, sogar Jahrzehnte. Es hat auch dafür viele Beispiele gegeben. Kurdische Familien die politisch Tätig waren, Jahrzehnte Lang von MIT verfolgt, gefoltert und eingesperrt. Sogar der ehemalige türkische Parlamentspräsident, namens Kinyaz Kartal, wurde Jahrzehnte lang vom MIT verfolgt, auf eine Art und Weise abgestempelt, dass er und seine Familie, Familienangehörigen immer wieder eingesperrt waren, gefoltert und auch erniedrigt wurden. Durch die Immunität die er als Parlamentspräsident genossen hat, ist er zwar abgestempelt worden, aber man konnte ihm nicht festnehmen, er wurde aber immer wieder als Abgeordneter von Kurden gewählt, damit er die Immunität nicht verliert. Bis zur Machtübernahme des türkischen Militärs, ist er auf mysteriöse Art und Weise ums Leben gekommen. Die Familienangehörigen der Verfolgten werden auch teilweise wenn sie am Land leben von Jitem abgeholt und den MIT-Angehörigen überstellt, weil Jitem in diesem Fall viel effizienter und mobiler ist (Gendarmerie) und nicht sehr auffällig ist. MIT ist auch berühmt und berüchtigt, wegen Foltermethoden und der Art der Verfolgung und sexueller Belästigung der Familienangehörigen. Es gibt tausende Beispiele dafür, das Personen die eigentlich "harmlos" waren, so behandelt wurde, als wären sie gefährliche Gegner des türkischen Staates. Es gibt sogar Prämien für Mitarbeiter des Geheimdienstes die möglichst viele Leute quälen uns so zu Geständnissen bringen."

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Person und zu den Fluchtgründen des Berufungswerbers ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt des Berufungswerbers, den von ihm vorgelegten Beweismitteln sowie aus dem im Rahmen der Verhandlung erstatteten Gutachten des Sachverständigen für die politische und menschenrechtliche Lage in der Türkei. Vor diesem Hintergrund und angesichts der stimmigen, plausiblen und glaubwürdigen Aussagen des Berufungswerbers in Übereinstimmung mit dem erstatteten Gutachten geht der Unabhängige Bundesasylsenat davon aus, dass die Angaben des Berufungswerbers den Tatsachen entsprechen.

 

Vor dem Hintergrund der Länderberichte und des Sachverständigengutachtens besteht daher im Falle des Berufungswerbers im Fall seiner Rückkehr in die Türkei ein maßgebliches Misshandlungsrisiko, da ihm vom türkischen Staat terroristische Aktivitäten - vor allem seine angebliche Sympathisierung mit der PKK - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (weiterhin) vorgehalten würden. Im vorliegenden Fall besteht daher für den Berufungswerber eine erhebliche Gefährdung im Fall seiner Übernahme durch die türkischen Behörden Misshandlung oder Folter ausgesetzt zu sein.

 

Im Übrigen erscheinen die vom Berufungswerber geschilderten Diskriminierungsmaßnahmen bzw. Übergriffe auch vor dem Hintergrund der zu Punkt 1.2. getroffenen Feststellungen als plausibel.

 

2.2. Die Feststellungen zur Lage in der Türkei stützen sich auf die angeführten Berichte und das Sachverständigengutachten, welche auch in der Verhandlung unwidersprochen geblieben sind. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen nicht entgegengetreten wurde, besteht für den Unabhängigen Bundesasylsenat kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.

 

3. Rechtlich folgt:

 

3.1.1. Mit 1.7.2008 wurde der Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art 129c ff B-VG.

 

Gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG wird mit 1.7.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Gemäß Z 4 leg cit sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da die ausfertigende Richterin des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit oa Spruch am 18.6.2007 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

3.1.2. Gem § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...

 

3.2. Die Furcht des Berufungswerbers vor Verfolgung ist begründet:

 

Der Berufungswerber hat im Verfahren Furcht vor Verfolgung durch die türkischen Behörden - insbes. wegen der ihm unterstellten Mitgliedschaft zu einer vom türkischen Staat bekämpften illegalen Organisation - geltend gemacht. Die Furcht des Berufungswerbers erweist sich nicht nur als begründet, sondern auch als asylrelevant.

 

Im Fall seiner Rückkehr in die Türkei ist davon auszugehen, dass über den Berufungswerber gesammelte Informationen auf Grund der routinemäßig durchgeführten Recherchen bei der Grenzkontrolle bereits der Grenzpolizei bekannt würden. Der Berufungswerber hat bereits bei der Einreise in die Türkei mit seiner Anhaltung, Festnahme und Befragung bzw. Überstellung an der für die Staatssicherheit zuständigen Polizeieinheit zu rechnen. Im Rahmen einer daran anknüpfenden Überstellung an die Anti-Terroreinheit ist das Risiko einer Misshandlung gegeben; Eingriffe in die psychische oder physische Integrität sind nicht auszuschließen, was sich aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt, der davon spricht, dass es nicht auszuschließen ist, dass es zu Folterungen und erzwungenen Aussagen kommen wird.

 

3.3. Der hier in seiner Intensität zweifellos erhebliche Eingriff - Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit - in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen ist dann asylrelevant, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Unter politischer Gesinnung als Ursache eines drohenden Eingriffes ist alles zu verstehen, was auf die staatliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Ordnung und ihre konkrete sachliche und personelle Ausgestaltung bezogen ist, alles, was der Staat gegen sich, seine Ordnung, seinen Bestand, eventuell gegen seine Legitimität gerichtet erachtet. Im Fall des Berufungswerbers knüpft die Verfolgungsgefahr an seine politische Gesinnung an. Es ist davon auszugehen, dass seine Gesinnung vom türkischen Staat jedenfalls als eine gegen den Bestand des Staates gerichtete qualifiziert wird. Die oben dargestellten spezifischen Gefährdungsrisiken stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Annahme einer bestimmten (staatsfeindlichen) politischen Gesinnung von Seiten des türkischen Staates. Die vom Berufungswerber zu befürchtende Verfolgungsgefährdung knüpft somit eindeutig an den Tatbestand der "politischen Gesinnung" an.

 

3.4. Eine inländische Fluchtalternative steht dem Berufungswerber aus folgenden Gründen nicht offen: Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes trägt der Begriff "inländische Fluchtalternative" dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss. Steht dem Asylwerber die gefahrlose Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503; 25.11.19999, 98/20/0523). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614). Im konkreten Fall kann nicht angenommen werden, dass sich der Berufungswerber der dargestellten Bedrohung durch Ausweichen in einen anderen Teil seines Herkunftsstaates entziehen kann; dies schon deshalb, weil sich die Gebiets- und Hoheitsgewalt der türkischen Regierung auf das gesamte Gebiet erstreckt und Informationen über die im Ausland stattgefundenen politischen Tätigkeiten des Berufungswerbers den türkischen Behörden zur Verfügung stehen, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass es dem Berufungswerber möglich wäre, sich über einen längeren Zeitraum hindurch erfolgreich versteckt zu halten (vgl dazu auch Home Office, Operational Guidance Note Turkey, p. 3.10).

 

3.5. Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Berufungswerber aus wohlbegründeter Furcht, wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb der Türkei befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt.

 

Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Dieser Beschied wurde in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.6.2007 verkündet.

Schlagworte
gesamte Staatsgebiet, politische Gesinnung, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten