C6 243.748-0/2008/8E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Judith PUTZER über die Beschwerde der G.Y., geb. 00.00.1977, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.10.2003, Zahl: 02 32 926-BAE, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.10.2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und G.Y. gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idF BG BGBl. I Nr. 126/2002, Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass G.Y. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang:
Am 11.11.2002 stellte die Beschwerdeführerin, ihren Angaben zu Folge türkische Staatsbürgerin und Angehörige der kurdischen Volksgruppe, in Österreich einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.10.2003, Zahl 02 32.926-BAE, gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Türkei zulässig ist. Die Abweisung des Asylantrages wird vom Bundesasylamt im Wesentlichen damit begründet, dass nicht glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführerin in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung drohe. Die Behörde sei der Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in der Türkei einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Asylgerichtshof erhob Beweis durch Einsicht in die folgenden Dokumente:
Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei (Stand September 2007);
Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei (Stand: Dezember 2006);
Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei (Stand: Juni 2006);
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei. Zur aktuellen Situation - Oktober 2007;
Home Office, Operational Guidance Note Turkey, 11 July 2006;
Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur aktuellen Situation in der Türkei, Stand: Mai 2006;
Schweizerisches Bundesamt für Migration, Focus Türkei - Folter und Misshandlung, 8. März 2007;
Helmut Oberdiek, Türkei Zur aktuellen Situation - Oktober 2007;
und führte am 15.5.2008 und am 14.10.2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß § 67d AVG unter Beiziehung eines Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in der Türkei durch, an der das Bundesasylamt nicht teilgenommen hat.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Folgender Sachverhalt steht fest:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
1.1.1. Die Beschwerdeführerin ist türkische Staatsangehörige und Angehörige der kurdischen Volksgruppe und stammt aus dem Dorf G.; von 1999 bis zu ihrer Ausreise lebte sie in Istanbul. Der Großteil ihrer Familie lebt in Österreich. Sie ist seit 1999 mit Herrn G.D. verheiratet; der gleichzeitig ihr Cousin väterlicherseits ist. Der Ehe entstammt ein Sohn, G.A., geboren am 00.00.2003. Die Beschwerdeführerin ist die Schwester von G.S., dem mit mündlich verkündetem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15.5.2008 Asyl gewährt wurde. Das Asylverfahren den Ehegatten der Beschwerdeführerin betreffend befindet sich im Stadium der Beschwerde. Sowohl der Ehegatte als auch der Bruder der Beschwerdeführerin waren in der Heimat politisch tätig. Gegen beide besteht ein Haftbefehl wegen des Vorwurfes der Unterstützung und Hilfeleistung einer illegalen terroristischen Organisation. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin konnte im Gegensatz zu ihrem Bruder einer Verhaftung entgehen, indem er sich vor den Sicherheitskräften versteckte. Der Bruder der Beschwerdeführerin wurde im Rahmen der Inhaftierungen misshandelt und gefoltert. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin lebte von 1995 bis zu seiner Ausreise in Istanbul, wo er an prokurdischen Demonstrationen, Kundgebungen usw. teilnahmen. Nach dem Untertauchen ihres Ehegatten wurde die Beschwerdeführerin in regelmäßigen Abständen von Polizisten aufgesucht und unter Druck gesetzt, den Aufenthaltsort ihres Ehegatten bekanntzugeben. Im Zuge der Unterdrucksetzung kam es auch zu sexuellen Übergriffen gegen die Beschwerdeführerin. Auch wurde die Beschwerdeführerin in polizeilichen Gewahrsam genommen und misshandelt.
1.2. Zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin:
1.2.1. Zur hier relevanten Minderheitensituation:
Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der "türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur "Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung" zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der in Art. 37 bis 44 des Lausanner Vertrages niedergelegte, aber nicht auf bestimmte Gruppen festgeschriebene Schutz allerdings nur auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe und die armenisch-apostolische Kirche sowie die jüdische Gemeinschaft.
Ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei (72 Millionen) - also ca. 14 Millionen Menschen - ist zumindest teilweise kurdischstämmig. Im Westen der Türkei und an der Südküste lebt die Hälfte bis annähernd zwei Drittel dieser Kurden: ca. drei Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Rund sechs Millionen kurdischstämmige Türken leben in der Ost- und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig.
Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus.
(Quelle: Deutsches Auswärtiges Amt, Stand 2007, S 15)
1.2.2. Mit dem Wiedererstarken des PKK-Terrorismus wurde seit Mitte 2005 der Ruf nach einschneidenden Maßnahmen zur Terrorbekämpfung lauter. Am 29.06.2006 hat das Parlament zahlreiche Verschärfungen im Anti-Terror-Gesetz verabschiedet (das Gesetz ist am 18.7.2006 in Kraft getreten). Die von Menschenrechts-Organisationen und den Medien stark kritisierten Änderungen sehen ua eine Rückkehr des abgeschafften Art. 8 Anti-Terror-Gesetz ("separatistische Propaganda"), eine sehr offen formulierte Terror-Definition, eine Ausweitung von Straftatbeständen, die Schwächung der Rechte von Verhafteten und eine Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitskräfte vor. Das Anti-Terror-Gesetz in seiner veränderten Form droht die Meinungsfreiheit weiter zu beschneiden und ermöglicht für viele Handlungen, die nicht in Zusammenhang mit Gewaltakten stehen, die Verurteilung als Beteiligung an Terrordelikten. Das veränderte Anti-Terrorgesetz, wird allgemein als Konzession an die türkischen Sicherheitskräfte angesehen
(Quelle: Deutsches Auswärtiges Amt, Stand Juni 2006, S. 14, 15)
1.2.3. Geschlechtsspezifische Menschenrechtslage:
Im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Geschlechter haben zahlreiche Reformen den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau gestärkt. Artikel 10 der Verfassung enthält nunmehr eine Bestimmung, wonach Männer und Frauen gleiche Rechte haben und der Staat die Pflicht hat, diese Gleichheit in der Praxis umzusetzen. Eine Verpflichtung zur positiven Diskriminierung ist in der Verfassung jedoch nicht enthalten. Das neue Strafgesetzbuch berücksichtigt verstärkt den Schutz von Frauen und regelt Straftaten wie "Ehrenmorde", Vergewaltigung (auch in der Ehe) und die Zulässigkeit von Jungfräulichkeitstests. Trotz rechtlicher und praktischer Initiativen zur Lösung des Problems der Diskriminierung und der häuslichen Gewalt bleibt beides in der Praxis weiterhin ein großes Problem.
Türkische Frauen treffen auf dem Arbeitsmarkt, bei der Entlohnung, in Bildungsfragen und hinsichtlich ihrer Repräsentanz in der Politik auf deutlich schlechtere Bedingungen als Männer. Nur 25 von 550 Parlamentsabgeordneten sind Frauen. Nur 24,7 % aller Beschäftigten insgesamt sind Frauen, mit seit Jahren fallender Tendenz.
Die gesellschaftliche Wirklichkeit hinkt in weiten Teilen der Türkei noch weit hinter den letzten gesetzlichen Entwicklungen her. In den besser gebildeten und wohlhabenderen Schichten in Ankara, Istanbul und Izmir spielen Frauen eine gleichberechtigte oder nahezu gleichberechtigte Rolle. In den ländlich-konservativen Gebieten vor allem der Zentral- und Osttürkei ist dies nicht der Fall. Dort ist die Gesellschaft oft immer noch traditionell und streng patriarchalisch strukturiert. Frauen werden oft Opfer familiärer Gewalt. Religiöse Ehen (auch Mehrehen) sind, obwohl verboten, noch weit verbreitet. Die Analphabetenrate von Frauen ist immer noch weit höher als bei Männern. Die Rolle der Frau wird nach wie vor traditionell gesehen: als Hausfrau und Mutter, deren Ehre gleichbedeutend mit der Familienehre ist. Nach einer Studie der Istanbuler Bilgi Universität werden immer noch zwei
von fünf türkischen Ehen "arrangiert", nahezu ein Drittel der verheirateten Frauen gibt an, von ihren Ehemännern geschlagen zu werden. Auch Zwangsverheiratungen existieren.
Hauptsächlich im Südosten - aber auch in den westlich orientierten Großstädten - kommt es immer noch zu sog. "Ehrenmorden", d.h. der Ermordung von Frauen oder Mädchen, die "schamlosen Verhaltens" verdächtigt werden, was nach Berichten über solche Fälle u.a. auch gegenüber vergewaltigten Frauen geschieht. Nach Polizeiangaben handelt es sich seit dem Jahr 2000 um 91 Fälle, wobei die Opfer zwischen 19 und 25 Jahre alt gewesen seien. Oft sind die Täter minderjährige Angehörige der eigenen Familie. Für strafmündige Täter ist im neuen tStGB keine Privilegierung für solche Morde mehr enthalten. Im Gegenteil: es enthält die Möglichkeit zur Strafverschärfung. Presseberichten zufolge wurden im November 2006 fünf junge Frauen aus der Umgebung von Van auf Beschluss der Staatsanwaltschaft unter staatlichen Schutz gestellt, um Ehrenmorden durch ihre Angehörigen vorzubeugen. Die Frauen sollen sich Zwangsheiraten widersetzt und voreheliche sexuelle Kontakte gehabt haben.
(Quelle: Deutsches Auswärtiges Amt, Stand: Dezember 2006, S. 32, 33)
Frauen. Insbesondere im Osten und Südosten konnte keine Abnahme privater Gewalt an Frauen, vor allem bei den so genannten Ehrenmorden, verzeichnet werden. Die Kapazitäten der existierenden Frauenhäuser sind gering. Es soll auch vorkommen, dass Frauenhäuser eine Frau, die von der ganzen Verwandtschaft verfolgt wird, nicht aufnehmen. Dies aus Angst vor der Gefahr, in die das Opfer die gesamte Einrichtung bringen kann. Polizei und Gendarmerie gehen Anzeigen bedrohter Frauen häufig nicht in genügendem Mass nach.22 Frauen werden aber auch Opfer staatlicher frauenspezifischer Gewalt. So soll es bei Entführungen von Frauen durch zivil gekleidete Polizeibeamte in mehreren Fällen zu Vergewaltigungen gekommen sein.
(Quelle: Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur aktuellen Situation in der Türkei, Stand: Mai 2006, S. 11)
1.2.4. Sippenhaft:
Auch in den letzten Monaten wurden Familienangehörige von staatskritischen AktivistInnen (Reflexverfolgung, Sippenhaft) bedroht. In einem Fall wurden Verwandte von Führungskräften eines kurdischen Vereins festgenommen, in einem anderen Fall wurden die Söhne eines Klägers im Semdinli-Fall festgenommen und gefoltert. Ebenso wurde der Vater eines führenden PKK-Mitglieds vermutlich Opfer einer extra-legalen Hinrichtung; in einem weiteren Fall wurden die Eltern eines in Belgien lebenden kurdischen Aktivisten nach monatelangen Drohungen durch türkische Behörden von Dorfschützern umgebracht. Auch die Angehörigen eines Militärdienstverweigerers wurden Opfer von Drohungen und Demütigungen durch die Gendarmerie.
(siehe hierzu ua Türkei Zur aktuellen Situation - Oktober 2007, 23)
1.2.5. Gutachten des Sachverständigen (= SV), Herrn M.O., im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2008, dessen Inhalt als Sachverhalt festgestellt wird:
"Durch die Aussage der BF habe ich festgestellt, dass das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte mit den kurdischen Frauen mit dem täglichen Geschehen übereinstimmt. Diesbezüglich hat sich in der Türkei überhaupt nichts geändert. Die Frauen werden immer noch sexuell belästigt und auch teilweise vergewaltigt, damit die Verwandten oder Männer von diesen Frauen sich den Sicherheitskräften ergeben. Die Sippenhaft gilt nach wie vor. Das Gebiet, wo die BF herkommt ist immer noch ein Kriegsgebiet. Es ist jetzt viel schlimmer als je zuvor. Die türkischen Flugzeuge bombardieren überall die kurdischen Bergdörfer. Die Menschen werden immer noch vertrieben und beschuldigt, der PKK Hilfe zu leisten oder sie zu unterstützen. Daher schließe ich Fluchtalternative in dieses Gebiet aus. Im westlichen Teil der Türkei für eine Frau, die Analphabetin ist und sehr schlecht türkisch spricht, wird es nicht leicht sein, unterzutauchen und sie wird auch keine Möglichkeit haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Es gibt viele kurdische Frauen und Jugendliche, die irgendwo eine Arbeit finden, bis festgestellt wird, von welchem Teil des Landes sie stammen. Es muss dann vom Arbeitgeber recherchiert werden, ob sie von der Polizei gesucht werden und sie werden zeitweise nicht bezahlt wegen ihrer Herkunft. Wenn jemand Schwierigkeiten hat und durch seinen Arbeitgeber bei der Polizei angezeigt wird, ist es unmöglich, auch in der Metropole zu leben. Die BF stammt ja aus einer Familie, die politisch bekannt ist. Die Mitglieder dieser Familie werden registriert, wie man auf Türkisch sagt: FIS. Diejenigen, die auf diese Weise registriert sind, können sich nicht verborgen halten. Im Falle der Rückkehr der BF wird sie sicherlich von der Polizei bereits am Flughafen oder am Grenzübergang festgenommen und über ihre Herkunft recherchiert, ob sie politisch tätig war, ob sie bei den Sicherheitskräften registriert ist. Da ihre Familie politisch bekannt ist wird man sie der politischen Polizei übergeben, sie dann nach genauer Recherche der Antiterroreinheit überstellen. Das bedeutet Folterungen, erpresste Aussage, die immer noch vor Strafgerichten als Beweismittel gewertet wird. Vergewaltigungen sind auch nicht auszuschließen. Eine alleinstehende Frau würde auch in der Metropole nicht alleine überleben können, weil dort wie in der gesamten Türkei noch immer eine Männerdomäne herrscht, alleinstehende Frauen werden ständig belästigt und zu sexuellen Handlugen gezwungen.
Da der Schwiegervater bereits verstorben ist und auch von ihrer Schwiegermutter, die nach der Aussage der BF ziemlich alt ist, wird sie keine Unterstützung vorfinden.
...
Es handelt sich dabei um eine Registrierung (das Wort kommt von Französisch: fiche), die in den jeweiligen Polizeistationen bzw. bei der politischen Polizei aufliegt. Man kann dann jederzeit durch Anruf feststellen, ob eine bestimmte Person registriert ist. Ich gehe davon aus, dass die BF durch die politische Tätigkeit ihrer Familie in dieser Form registriert ist."
1.2.6. Behandlung Abgeschobener nach ihrer Rückkehr in die Türkei:
Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat.
Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte (so die vom BT-Petitionsausschuss übermittelte Falldarstellung nach freiwilliger Ausreise einer kurdischstämmigen Familie, die kurz vor Abschiebung stand und wiederholt über mehrere Tage befragt wurde).
Besteht der Verdacht einer Straftat (z.B. Passvergehen, illegale Ausreise), werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet.
(Quelle: Deutsches Auswärtigen Amt, Stand Juni 2006, S. 42, 43)
2.1. Die zur Person der Beschwerdeführerin getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Vorfälle in der Türkei basieren auf ihrem Vorbringen im Asylverfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung sowie den Angaben ihres Bruders G.S., der als Vertrauensperson der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2008 beigezogen wurde. Es gab für das erkennende Gericht keine Anhaltspunkte, an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu zweifeln.
Die zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin getroffenen Feststellungen basieren auf den unter 1.2. jeweils genannte Quellen. Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegengetreten ist, besteht für das erkennende Gericht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.
3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:
3.1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
3.1.2. Die Beschwerdeführerin hat ihren Asylantrag vor dem 1. Mai 2004 gestellt; das Verfahren war am 31. Dezember 2005 anhängig; das Verfahren ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
3.2.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
3.2.2. Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1.7.2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.
3.3.1. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 23 AsylG (bzw. § 23 Abs. 1 AsylG idF der AsylGNov. 2003) ist auf Verfahren nach dem AsylG, soweit nicht anderes bestimmt ist, das AVG anzuwenden (vgl. auch Art. II Abs. 2 lit. D Z 43 a EGVG). Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Rechtsmittelinstanz, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
3.1.2. Gem § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH E vom 19.10.2000, Zl 98/20/0233).
Im gegenständlichen Fall ist bei der Beurteilung der Frage einer gegebenen begründeten Furcht vor Verfolgung darauf abzustellen, dass der Ehemann und der Bruder der Beschwerdeführerin wegen ihrer politischen Gesinnung, insbesondere durch anhängige Gerichtsverfahren und aufrechter Haftbefehle aufgrund des Vorwurfes der Unterstützung und Hilfeleistung einer illegalen terroristischen Organisation sowie wegen Logistik, Rückendeckung und Beschaffung von Material für eine terroristische Organisation in das Blickfeld der türkischen Behörden geraten sind.
Dem Ehegatten und dem Bruder der Beschwerdeführerin wird - wie ausgeführt - vorgeworfen illegale terroristische Organisation zu unterstützen weswegen sie deshalb bei einer Rückkehr in die Türkei eine Anklage nach dem Anti-Terror-Gesetz zu erwarten hätte.
Aus den oben getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sind auch Familienangehörige von politischen Aktivisten gefährdet, Repressalien erleiden zu müssen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Dezember 2001, Zl. 98/20/0312, zur Gefahr einer "Sippenhaftung" ausführte, entspräche diese Form der "stellvertretenden" (oder - in anderen Fällen - zusätzlichen) Inanspruchnahme eines Familienmitgliedes dem Modell des - oft als "Sippenhaftung" bezeichneten - "Durchschlagens" der Verfolgung eines Angehörigen auf den Asylwerber, wobei in den hier in der Praxis im Vordergrund stehenden Fällen eine Verfolgung des Angehörigen wegen politische Aktivitäten für die Asylrelevanz dieses "Durchschlagens" nicht gefordert wird, dass der potentielle Verfolger auch dem Asylwerber eine entsprechende politische Gesinnung unterstellt. Die Rechtsgrundlage für das Absehen vom Erfordernis einer dem Asylwerber selbst zumindest unterstellten politischen Gesinnung in den Fällen der "Sippenhaftung" ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in der Anerkennung des Familienverbandes als "soziale Gruppe" gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK in Verbindung mit § 7 AsylG zu sehen.
Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin wegen den dem Ehegatten und dem Bruders unterstellten Aktivitäten ebenso in das Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte geraten wird, sodass bei der Beschwerdeführerin eine als asylrelevant zu qualifizierende Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Familienverband als soziale Gruppe) vorliegt.
Gemäß § 12 AsylG ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen, auf Grund eines Asylantrages oder auf Grund eines Asylerstreckungsantrages Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.