S12 401.906-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde der A. M., geb. 00.00.1987, StA. Russische Föderation, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gerhard Mory p. A.: Wolf-Dietrich-Straße 19, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.09.2008, FZ. 08 04.217 EAST-WEST, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1 Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, hat am 09.05.2008 ihr Heimatland gemeinsam mit ihrem Ehemann und dessen Bruder und Mutter, mit dem Zug verlassen, ist am 13.05.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
1.2. Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Grenzpolizeiinspektion Großkrut in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie sei mit dem Zug über Moskau, Belarus bis nach Polen gereist. Sie habe sich einen Tag in Polen aufgehalten. Dann sei sie mit dem PKW von einem Bekannten von Polen nach Österreich. Sie habe nicht in Polen bleiben, sondern zu ihrer Verwandtschaft nach Österreich wollen. Sie habe eine Schwägerin in Österreich.
Eine Eurodac-Abfrage vom selben Tag ergab, dass die Beschwerdeführerin bereits am 12.05.2008 in Polen einen Asylantrag gestellt hatte.
1.3. Am 20.05.2008 richtete das Bundesasylamt ein Wiederaufnahmeersuchen an die zuständige polnische Behörde.
1.4. Am 23.05.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5, 68 Abs. 1 AVG, §29 Abs.3 Z 4 AsylG), da Dublin Konsultationen mit Polen seit dem 20.05.2008 geführt werden (vgl. AS 61f).
1.5. Mit Schreiben vom 21.05.2008 (eingelangt am 23.05.2008) erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrag zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO), für die Wiederaufnahme der Asylwerberin für zuständig.
1.6. Am 02.06.2008 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, in Anwesenheit eines Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch niederschriftlich einvernommen und gab sie dabei im Wesentlichen an, dass sie körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Befragt zu allfälligen Krankheiten erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie keine Krankheiten habe. Sie habe aber Probleme mit den Schilddrüsen und habe sie eine Magenerosion gehabt. Sie sei behandelt worden und nehme derzeit auch keine Medikamente. Sie habe es aufgrund der Verlegungen auch nicht geschafft sich untersuchen zu lassen. Am 00.00.2008 sei der voraussichtliche Geburtstermin. Man habe ihr gesagt, dass mit dem Kind alles in Ordnung sei.
Sie seien in Polen nicht einmal in einem Lager gewesen. Sie hätten auch gleich zur Schwester ihres Mannes fahren wollen, jedoch seien sie dann angehalten worden. Die Schwester ihres Mannes unterstütze sie mit Allem. Die Schwägerin würde auch für ihren Mann eine Arbeit finden. Sie wisse nur, dass die Schwägerin vor vier Jahren von zu Hause weggefahren sei. Die Brüder würden ihre Schwester sehr lieben. Sie stelle den Antrag auf internationalen Schutz, weil sie hier in Österreich in der Nähe der Schwester ihres Mannes leben wolle. Sie wisse, dass Polen einen Vertrag mit Russland habe, dass Polen die russischen Staatsangehörigen zurückschicken werde. Die Schwester ihres Mannes helfe ihr mit ihrem Kind.
1.7. Mit Schreiben vom 29.08.2008 gab der Vertreter der Beschwerdeführerin die erteilte Vollmacht bekannt und führte in einem "Gesamtschriftsatz" hinsichtlich der Beschwerdeführerin und ihren Familienangehörigen (Schwiegermutter, Ehemann, Schwager) auch, alle antragstellenden Parteien würden geltend machen, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Lebensgeschichte, ihrer gesundheitlichen Lage, insbesondere psychischen Vulnerabilität und dem kriegsbedingten Leiden dringend darauf angewiesen seien familiäre Lebensbeziehungen zu ihrer in Österreich lebenden Verwandten Frau D. V. verheiratet mit E. M. aufzunehmen und leben zu dürfen. Eine Ausweisung nach Polen würde Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzen.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 13.05.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutzes gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.
3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Vertreter fristgerecht Beschwerde.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, hat ihr Heimatland verlassen und ist am 13.05.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Die Beschwerdeführerin hat bereits am 12.05.2008 in Polen einen Asylantrag gestellt.
Der Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen stehen keine schweren psychischen Störungen entgegen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.
Die Beschwerdeführerin brachte am 00.00.2008 ihren Sohn V. S. zur Welt.
Die Beschwerdeführerin ist gemeinsam mit ihrem Ehemann, dessen Bruder und der Schwiegermutter nach Österreich gereist und haben diese jeweils auch Anträge auf internationalen Schutz gestellt.
Die Beschwerdeführerin hat eine Schwägerin die mit ihrer Familie in Österreich als anerkannter Konventionsflüchtling lebt. Die Beschwerdeführerin lebt mit dieser Schwägerin nicht im gemeinsamen Haushalt. Es besteht auch keine finanzielle Abhängigkeit. Darüber hinaus gehende familiäre Beziehungen in Österreich oder im Bereich der Europäischen Union hat die Beschwerdeführerin nicht.
Polen hat sich mit Schreiben vom 21.05.2008 (eingelangt am 23.05.2008) gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO ausdrücklich für die Wiederaufnahme der Asylwerberin für zuständig erklärt.
1.2. Die in § 28 Abs. 2 AsylG festgelegte zwanzigtägige Frist zur Erlassung eines zurückweisenden Bescheides nach § 5 AsylG gilt nicht, weil der Beschwerdeführerin das Führen von Konsultationen gemäß der Dublin II-VO binnen Frist mitgeteilt wurde, weshalb kein Übergang der Zuständigkeit an Österreich wegen Fristüberschreitung eingetreten ist.
2. Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf folgende Beweiswürdigung:
Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt, insbesondere aus den Angaben der Beschwerdeführerin bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.05.2008, aus der niederschriftlichen Einvernahme der Beschwerdeführerin vom 02.06.2008 sowie aus der Zuständigkeitserklärung Polens vom 21.05.2008.
3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:
3.1. Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde tritt.
3.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin II-VO ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Staates.
Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Dublin II-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.
3.3. Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrages unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 wieder aufzunehmen.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.
Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ist der Antrag zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin II-VO oder einem entsprechenden Vertrag geführt. Dass solche Verhandlungen geführt werden, ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen.
3.4. Im gegenständlichen Fall ist das Bundesasylamt ausgehend davon, dass die Beschwerdeführerin bereits in Polen einen Asylantrag gestellt hat und, dass Polen einer Übernahme der Beschwerdeführerin auf Grundlage des Art. 16 (1) c Dublin II-VO am 26.05.2008 zustimmte, zu Recht von einer Zuständigkeit Polens zur Prüfung des Asylantrages ausgegangen.
3.5. Zu prüfen bleibt daher, ob Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, im Hinblick auf Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen.
3.5.1. Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 08.03.2001, G 117/00 u.a. VfSlg 16.122, aus, dass § 5 AsylG nicht isoliert zu sehen sei; das im Dubliner Übereinkommen festgelegte Selbsteintrittsrecht Österreichs verpflichte - als Teil der österreichischen Rechtsordnung - die Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung im Sinne des § 5 vorzunehmen. Eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 AsylG sei durch die Heranziehung des Selbsteintrittsrechtes zu vermeiden. Dieser Rechtsansicht schloss sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498, an.
Hatte der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 15.10.2005, G 237/03 u.a. ausgesprochen, dass jene zum Dubliner Übereinkommen angestellten Überlegungen auch für das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin-VO zutreffen, ergänzte er in seinem Erkenntnis vom 17.06.2005, B 336/05-11, dies dahingehend, dass die Mitgliedstaaten nicht nachzuprüfen haben, ob ein bestimmter Mitgliedstaat generell sicher sei, da die entsprechende Vergewisserung durch den Rat erfolgt sei; eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall sei jedoch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte diese Überprüfung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht sind, sei aus verfassungsrechtlichen Gründen das Eintrittsrecht zwingend auszuüben.
In seinem Erkenntnis vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582 (dem ein - die Zuständigkeit Italiens nach dem Dubliner Übereinkommen betreffender - Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates zugrunde lag) sowie in dem (bereits die Dublin-VO betreffenden) Erkenntnis vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095-9, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass in Verfahren wie dem gegenständlichen eine Gefahrenprognose zu treffen ist, ob ein - über die bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substantiiertes "real risk" besteht, dass ein aufgrund der Dublin-VO in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesener Asylwerber trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes, im Zielstaat der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt ist, wobei insbesondere zu prüfen sei, ob der Zielstaat rechtliche Sonderpositionen vertritt, nach denen auch bei der Zugrundelegung der Behauptungen des Asylwerbers eine Schutzverweigerung zu erwarten wäre. Weiters wird ausgesprochen, dass geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat für sich allein genommen keine ausreichende Grundlage dafür sind, um vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
3.5.2. Im gegenständlichen Fall kann nun nicht gesagt werden, dass die Beschwerdeführerin ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihr durch eine Rückverbringung nach Polen die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.
Ein konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf tschetschenische Asylwerber unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. In diesem Zusammenhang ist lediglich der Vollständigkeit halber noch anzuführen, dass von Seiten Polens keine systemwidrigen Verletzungen der Verpflichtungen aus der Dublin II-VO bekannt sind. Auch geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat sind für sich genommen keine ausreichende Grundlage dafür, dass die österreichischen Asylbehörden vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssten (vgl. u. a. VwGH vom 31.05.2008, Zl. 2005/20/0095). Im Übrigen erhalten Antragsteller aus Tschetschenien in Polen zumindest tolerierten Aufenthalt.
Aus der Rechtsprechung des EGMR lässt sich ein systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Polen keinesfalls erkennen und gelten im Übrigen die Mitgliedstaaten der EU als sichere Staaten für Drittstaatsangehörige. Zudem war festzustellen, dass ein im besonderen Maße substantiiertes Vorbringen bzw. das Vorliegen besonderer von der Beschwerdeführerin bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen ließen, im Verfahren nicht hervorgekommen sind. Konkret besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass etwa die Beschwerdeführerin im Zuge einer so genannten "ungeprüften Kettenabschiebung" in ihr Heimatland, also nach Russland zurückgeschoben werden könnte.
Soweit aus dem Vorbringen bzw. aus der Beschwerde herauszulesen ist, dass die Beschwerdeführerin in Polen möglicherweise kein Asyl erhalten werde und in die russische Föderation abgeschoben werden könnte, ist ihr entgegenzuhalten, dass es nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörden sein kann "hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang" eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen (vgl. u.a. VwGH vom 31.05.2008, Zl. 2005/20/0095).
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach sie in Polen bei Gewährung der "Duldung" - offenbar geht die Beschwerdeführerin selbst davon aus, in Polen den subsidiären Schutz bzw. einen "Duldungsstatus" zu erlangen - zwar von Gesetzes wegen auf Sozialleistungen ein Anrecht habe, jedoch aufgrund des äußerst schwierigen polnischen Wohnungsmarktes mangels gemeldeten Wohnsitzes keine Unterstützung erhalten würde, kann in Ermangelung konkreter Untermauerungen nicht als ausreichend substantiiert und daher nicht als relevant im Hinblick auf eine maßgeblich wahrscheinliche Verletzung des Art 3 EMRK gewertet werden. Die Beschwerdeführerin hat lediglich ein allgemeines Vorbringen erstattet, jedoch ohne dieses auf sich persönlich konkret zu beziehen.
Es besteht auch für die Beschwerdeführerin in Polen jederzeit die Möglichkeit, bei allfälligen, gegen sie gerichteten, kriminellen Handlungen diese zur Anzeige zu bringen und staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen.
Die Beschwerdeführerin hat sohin kein Vorbringen erstattet, welches die Annahme rechtfertigen könnte, dass ihr in Polen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.
Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.
Abschiebungen trotz Krankheitszuständen können sowohl in den Schutzbereich des Artikel 3 EMRK als auch jenen des Artikel 8 EMRK (psychiatrische Integrität als Teil des Rechts auf Persönlichkeitsentfaltung) fallen. Nach dem EGMR (vgl. auch VwGH 28.06.2005, Zl. 2005/01/0080) hat sich die Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung auf die allgemeine Situation im Zielland als auch auf die persönlichen Umstände des Antragstellers zu erstrecken. Für die Prüfung der allgemeinen Situation wurden Berichte anerkannter Organisationen (z.B. der WHO), aus denen jedenfalls eine medizinische erreichbare Grundversorgung, wenn auch nicht kostenfrei, hervorgeht, als ausreichend angesehen. Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland, und eventuell "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend; Selbstmordgefahr kann ausschlaggebend sein, wenn eine Person in psychiatrischer Spitalsbehandlung ist; vgl. KALDIK v Deutschland, 22.09.2005, Rs 28526/05; Einzelfallprüfung erforderlich), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen; bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. Auch Selbstmordabsichten hindern eine Abschiebung für sich genommen nicht. In der Beschwerdesache OVDIENKO v Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und selbstmordgefährdet war, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes ¿real risk'. Im psychiatrischen Bereich kann als Leitentscheidung weiterhin BENSAID v. the United Kingdom, Nr. 44599/98, § 38, ECHR 2001-I, angesehen werden, in der die Abschiebung einer an Schizophrenie leidenden Person nach Algerien für zulässig erklärt wurde.
Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Polen sind der Aktenlage nicht zu entnehmen und ist von der Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführerin auszugehen.
Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde eine mangelhafte medizinische Versorgung in Polen ins Treffen führt, ist anzuführen, dass nach den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid sich in den polnischen Aufnahmezentren während der Woche ein Arzt und eine Krankenschwester befinden. Psychologische Betreuung ist einmal wöchentlich sichergestellt. Ferner werden in den Aufnahmezentren alle, auch weniger schwerwiegende Krankheiten von Asylsuchenden behandelt. Jedem Asylwerber, der nicht in der Lage ist, für seinen Aufenthalt in Polen selbst aufzukommen, wird umfassende Versorgung gewährt. Abgesehen von Unterkunft und ausreichender Verpflegung gehört hierzu auch eine medizinische Versorgung, die für Asylwerber kostenlos ist.
Somit ist festzuhalten, dass die gesundheitliche Situation der Beschwerdeführerin nicht jene besondere Schwere aufweist, um eine Überstellung nach Polen als im Widerspruch zu Art. 3 EMRK stehend zu werten. Durch eine Abschiebung der Beschwerdeführerin wird Artikel 3 EMRK daher nicht verletzt und reicht es jedenfalls aus, wenn medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Land der Abschiebung verfügbar sind, was in Polen jedenfalls der Fall ist.
3.5.3. Ferner ist eine Überprüfung gemäß Art. 8 EMRK dahingehend vorzunehmen, ob die Beschwerdeführerin über im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK relevante Verbindungen in Österreich verfügt.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).
Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Im gegenständlichen Fall gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Schwägerin mit ihrem Ehemann und ihren Kindern, als anerkannte Konventionsflüchtlinge in Österreich leben würden.
Ein gemeinsames Familieleben mit der Schwester ihres Ehemannes im Heimatland wurde von der Beschwerdeführerin jedoch nicht behauptet. Die Beschwerdeführerin gab an, erst seit etwa ein Jahr mit ihrem Ehemann verheirat zu sein. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich ihre Schwägerin bereits in Österreich auf. Es liegt auch - im Übrigen unstrittig - kein gemeinsamer Haushalt in Österreich vor, auch für eine wechselseitige finanzielle Abhängigkeit gibt es weder ein Vorbringen noch sonst ein Indiz.
Die Ausweisung der Beschwerdeführerin stellt daher im gegenständlichen Fall im Verhältnis zu ihrer in Österreich lebenden Schwägerin keine Verletzung des Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK dar.
Da auch die mit der Beschwerdeführerin gemeinsam eingereisten Familienmitglieder, welche ebenfalls Asylanträge gestellt haben, eine negative Ausweisungsentscheidung erhalten haben und somit die gesamte Familie nach Polen überstellt wird, ist auch in diesem Zusammenhang kein Eingriff in Art. 8 EMRK gegeben.
Im gegenständlichen Fall liegen auch keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration der Beschwerdeführerin in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07, VfGH vom 01.10.2007, Zl. G 179, 180/07).
Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde kann auch - im Hinblick auf die Begründung des Bundesasylamtes - in dem Umstand, dass das Bundesasylamt von einer Befragung der Schwägerin der Beschwerdeführerin abgesehen hat (siehe Seite 26 des Bescheides) kein wesentlicher Verfahrensfehler erkannt werden, zumal alle Familienmitglieder im Verfahren einstimmende Angaben gemacht haben.
3.5.4. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass kein Anlass für einen Selbsteintritt Österreichs gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO aufgrund einer drohenden Verletzung von Art. 3, 8 EMRK besteht.
3.5.5. Festzuhalten ist auch, dass die in § 28 Abs. 2 AsylG normierte 20-tägige Frist im gegenständlichen Fall eingehalten worden ist.
3.5.6. Hinsichtlich Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides ist noch auszuführen, dass keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich sind, da weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch die Ausweisung eine Verletzung des Art. 8 EMRK darstellen würde. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ersichtlich. Was schließlich den seitens des Bundesasylamtes im Bescheidspruch aufgenommenen Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass die getroffene Ausweisung, da diese mit einer Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG verbunden ist, gemäß § 10 Abs. 4 erster Satz AsylG schon von Gesetzes wegen als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gilt.
3.5.7. Die Beschwerde erwies sich somit als nicht berechtigt und war daher spruchgemäß abzuweisen.
3.5.8. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG abgesehen werden.