TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/17 S12 401907-1/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.10.2008
beobachten
merken
Spruch

S12 401.907-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde der V.I., geb. 00.00.1983, StA. Russische Föderation, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gerhard Mory p. A.: Wolf-Dietrich-Straße 19, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.09.2008, FZ. 08 04.219 -EAST West, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1 Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, hat sein Heimatland am 09.05.2008 gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Ehefrau und seinem Bruder mit dem Zug verlassen, ist am 13.05.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

1.2. Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Grenzpolizeiinspektion Großkrut in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei von Tschetschenien mit dem Zug über Moskau, Belarus bis nach Polen gereist. Er könne keine Angaben über seinen Aufenthalt in Polen machen. Er habe sich dort einen Tag aufgehalten. Dann sei er mit dem PKW von einem Bekannten von Polen über Tschechien nach Österreich gefahren. Er habe mit seiner Familie zu seiner Schwester nach Hall in Tirol wollen. Gegen eine Rückkehr nach Polen spreche, dass er nicht zurück nach Polen wolle.

 

Eine Eurodac-Abfrage vom selben Tag ergab, dass der Beschwerdeführer bereits am 12.05.2008 in Polen einen Asylantrag gestellt hatte.

 

1.3. Am 20.05.2008 richtete das Bundesasylamt ein Wiederaufnahmeersuchen an die zuständige polnische Behörde.

 

1.4. Am 23.05.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5, 68 Abs. 1 AVG, §29 Abs.3 Z 4 AsylG), da Dublin Konsultationen mit Polen seit dem 20.05.2008 geführt werden (vgl. AS 69f).

 

1.5. Mit Schreiben vom 21.05.2008 (eingelangt am 23.05.2008) erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrag zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO), für die Wiederaufnahme des Asylwerbers für zuständig.

 

1.6. Am 02.06.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, in Anwesenheit eines Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass er körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Befragt zu allfälligen Krankheiten erklärte der Beschwerdeführer, dass er viele Krankheiten habe. Medikamente nehme er derzeit keine, da er erst eine Überweisung zum Arzt brauche. Er sei letztes Jahr am Magen operiert worden. Er habe auch Plattfüße und Schmerzen im Brustkorb und an der Wirbelsäule. Manchmal steige sein Blutdruck sehr hoch. Er habe in Tschetschenien Ärzte aufgesucht, aber keine Behandlung bekommen. In Österreich sei er zwar im Krankenhaus gewesen, aber man habe ihm gesagt, dass er von einem Arzt ohne Überweisung nicht empfangen werde. In der Erstaufnahmestelle sei er noch nicht beim Arzt gewesen. Auf Vorhalt, warum er dies nicht getan habe, erklärte er, nicht gewusst zu haben, wohin er gehen solle. Er habe abgesehen von seiner Schwester, weder in Österreich noch im Bereich der EU, Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehe. Die Schwester sei 1994 im Alter von 17 Jahren zu Hause ausgezogen. Sie hätten in dieser Zeit telefonischen und persönlichen Kontakt gehabt. Als seine Schwester nach Österreich gekommen sei, hätten sie telefoniert und habe die Schwester Päckchen mit Kleidung geschickt. Die Schwester habe der Familie auch einmal Geld geschickt. Hier habe sie ihnen Kleidung, Schuhe und Geschirr gegeben. Er habe niemals ein Visum für ein EU-Land beantragt. Es sei auch unmöglich in Russland ein Visum zu bekommen. Er stelle den Antrag auf internationalen Schutz, da hier seine Schwester sei. Er habe sie schon 4 Jahre nicht mehr gesehen und wolle in ihrer Nähe leben. In der Heimat habe er Schwierigkeiten mit den Behörden gehabt. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass beabsichtigt sei, seine Ausweisung nach Polen zu veranlassen, brachte er vor, dass Polen einen Vertrag mit Russland habe. Die Polen würden Informationen weitergeben und ihn bestimmt zurück an die Russen übergeben. Er habe solche Informationen bereits in Tschetschenien bekommen, konkrete Beweise habe er jedoch keine. Die polnischen Behörden würden dies nie zugeben. Konkrete Vorfälle während seines Aufenthaltes in Polen verneinte der Beschwerdeführer jedoch und gab an, auch nur 6 oder 7 Stunden in Polen gewesen zu sein.

 

1.7. Mit Schriftsatz vom 26.08.2008 wurde vom rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers die erteilte Vollmacht bekannt gegeben.

 

1.8. Mit Schreiben vom 29.08.2008 brachte der Vertreter des Beschwerdeführers nochmals eine Bevollmächtigungsanzeige hinsichtlich der Familienangehörigen des Beschwerdeführers und einen Gesamtschriftsatz ein, in welchem er ausführt, alle antragstellenden Parteien würden geltend machen, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Lebensgeschichte, ihrer gesundheitlichen Lage, insbesondere psychischen Vulnerabilität und dem kriegsbedingten Leiden dringend darauf angewiesen seien familiäre Lebensbeziehungen zu ihrer in Österreich lebenden Verwandten Frau D.V. verheiratet mit E.M. aufzunehmen und leben zu dürfen. Eine Ausweisung nach Polen würde Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzen. Insbesondere treffe dies auf die Mutter des Beschwerdeführers V.Z., aufgrund ihrer mannigfachen Erkrankungen zu. Insbesondere der Beschwerdeführer und dessen Bruder S.V. würden in Polen fürchten müssen, durch Agenten, verdeckte Ermittler, Spione oder Mitarbeiter oder Anhänger der tschetschenischen Regierung ausgeforscht und verfolgt zu werden. Zum Beweis dafür, dass zwischen den Betroffenen und ihrer Verwandten D.V. eine besonders enge familiäre Beziehung bestehe, werde eine Beweisaufnahme durch Einvernahme von Frau D.V. und deren Ehegatten sowie durch ergänzende Einvernahme der Antragsteller beantragt.

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.05.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutzes gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

 

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter fristgerecht Beschwerde und führte im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass der bekämpfte Bescheid rechtswidrig sei, wegen mangelnder Bedachtnahme auf das Vorbringen im "Gesamtschriftsatz" vom 29.08.2008, sowie unterbliebener Beweisaufnahmen zur Frage der Intensität der familiären Beziehungen zur Schwester des Beschwerdeführers. Darüber hinaus enthält die Beschwerde insbesondere Ausführungen, die im Verfahren der Mutter des Beschwerdeführers zu beachten sind (behauptete mangelnde Ermittlung des tatsächlichen, insbesondere psychischen Gesundheitszustandes der Mutter des Beschwerdeführers, unterlassen einer Gesamtschau auf alle für eine Beurteilung nach Art. 3 und Art. 8 EMRK relevanten Tatsachen betreffend der Zulässigkeit einer Ausweisung der Mutter des Beschwerdeführers nach Polen). Des weiteren wird ausgeführt, dass die medizinische Betreuung von Asylwerbern in Polen Defizite aufweise und die Anerkennungsquote in Polen für tschetschenische Flüchtling viel zu niedrig sei, und in den meisten Fällen nur subsidiärer Schutz gewährt werde.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, hat sein Heimatland verlassen und ist am 13.05.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

Der Beschwerdeführer hat bereits am 12.05.2008 in Polen einen Asylantrag gestellt.

 

Der Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen stehen keine schweren psychischen Störungen entgegen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.

 

Der Beschwerdeführer ist gemeinsam mit seiner Mutter V.Z., seiner Ehefrau A.M. und seinem Bruder S.V. nach Österreich gereist und haben diese jeweils auch Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 00.00.2008 Vater eines Sohnes (V.Sa., GZ. 401.909).

 

Der Beschwerdeführer hat eine Schwester, die mit ihrer Familie in Österreich als anerkannter Konventionsflüchtling lebt. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Schwester und deren Familie in Österreich nicht im gemeinsamen Haushalt. Es besteht auch keine finanzielle Abhängigkeit von seinen Angehörigen. Es besteht lediglich Kontakt im Sinne von Telefonaten und gelegentlichen Besuchen. Darüber hinaus gehende familiäre Beziehungen in Österreich oder im Bereich der Europäischen Union hat der Beschwerdeführer nicht.

 

Polen hat sich mit Schreiben vom 21.05.2008 (eingelangt am 23.05.2008) gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO ausdrücklich für die Wiederaufnahme des Asylwerbers für zuständig erklärt.

 

1.2. Die in § 28 Abs. 2 AsylG festgelegte zwanzigtägige Frist zur Erlassung eines zurückweisenden Bescheides nach § 5 AsylG gilt nicht, weil dem Beschwerdeführer das Führen von Konsultationen gemäß der Dublin II-VO binnen Frist mitgeteilt wurde, weshalb kein Übergang der Zuständigkeit an Österreich wegen Fristüberschreitung eingetreten ist.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt, insbesondere aus den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.05.2008, aus der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vom 02.06.2008 und aus der Zuständigkeitserklärung Polens vom 21.05.2008.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde tritt.

 

3.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin II-VO ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Staates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Dublin II-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

3.3. Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrages unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 wieder aufzunehmen.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ist der Antrag zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin II-VO oder einem entsprechenden Vertrag geführt. Dass solche Verhandlungen geführt werden, ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen.

 

3.4. Im gegenständlichen Fall ist das Bundesasylamt ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer bereits in Polen einen Asylantrag gestellt hat und, dass Polen einer Übernahme des Beschwerdeführers auf Grundlage des Art. 16 (1) c Dublin II-VO am 21.05.2008 zustimmte, zu Recht von einer Zuständigkeit Polens zur Prüfung des Asylantrages ausgegangen.

 

3.5. Zu prüfen bleibt daher, ob Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, im Hinblick auf Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen.

 

3.5.1. Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 08.03.2001, G 117/00 u.a. VfSlg 16.122, aus, dass § 5 AsylG nicht isoliert zu sehen sei; das im Dubliner Übereinkommen festgelegte Selbsteintrittsrecht Österreichs verpflichte - als Teil der österreichischen Rechtsordnung - die Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung im Sinne des § 5 vorzunehmen. Eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 AsylG sei durch die Heranziehung des Selbsteintrittsrechtes zu vermeiden. Dieser Rechtsansicht schloss sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498, an.

 

Hatte der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 15.10.2005, G 237/03 u.a. ausgesprochen, dass jene zum Dubliner Übereinkommen angestellten Überlegungen auch für das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin-VO zutreffen, ergänzte er in seinem Erkenntnis vom 17.06.2005, B 336/05-11, dies dahingehend, dass die Mitgliedstaaten nicht nachzuprüfen haben, ob ein bestimmter Mitgliedstaat generell sicher sei, da die entsprechende Vergewisserung durch den Rat erfolgt sei; eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall sei jedoch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte diese Überprüfung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht sind, sei aus verfassungsrechtlichen Gründen das Eintrittsrecht zwingend auszuüben.

 

In seinem Erkenntnis vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582 (dem ein - die Zuständigkeit Italiens nach dem Dubliner Übereinkommen betreffender - Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates zugrunde lag) sowie in dem (bereits die Dublin-VO betreffenden) Erkenntnis vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095-9, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass in Verfahren wie dem gegenständlichen eine Gefahrenprognose zu treffen ist, ob ein - über die bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substantiiertes "real risk" besteht, dass ein aufgrund der Dublin-VO in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesener Asylwerber trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes, im Zielstaat der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt ist, wobei insbesondere zu prüfen sei, ob der Zielstaat rechtliche Sonderpositionen vertritt, nach denen auch bei der Zugrundelegung der Behauptungen des Asylwerbers eine Schutzverweigerung zu erwarten wäre. Weiters wird ausgesprochen, dass geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat für sich allein genommen keine ausreichende Grundlage dafür sind, um vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

 

3.5.2. Im gegenständlichen Fall kann nun nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihm durch eine Rückverbringung nach Polen die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Ein konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf tschetschenische Asylwerber unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. In diesem Zusammenhang ist lediglich der Vollständigkeit halber noch anzuführen, dass von Seiten Polens keine systemwidrigen Verletzungen der Verpflichtungen aus der Dublin II-VO bekannt sind. Auch geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat sind für sich genommen keine ausreichende Grundlage dafür, dass die österreichischen Asylbehörden vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssten (vgl. u. a. VwGH vom 31.05.2008, Zl. 2005/20/0095). Im Übrigen erhalten Antragsteller aus Tschetschenien in Polen zumindest tolerierten Aufenthalt.

 

Aus der Rechtsprechung des EGMR lässt sich ein systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Polen keinesfalls erkennen und gelten im Übrigen die Mitgliedstaaten der EU als sichere Staaten für Drittstaatsangehörige. Zudem war festzustellen, dass ein im besonderen Maße substantiiertes Vorbringen bzw. das Vorliegen besonderer vom Beschwerdeführer bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen ließen, im Verfahren nicht hervorgekommen sind. Konkret besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass etwa der Beschwerdeführer im Zuge einer so genannten "ungeprüften Kettenabschiebung" in sein Heimatland, also nach Russland zurückgeschoben werden könnte.

 

Soweit aus dem Vorbringen bzw. aus der Beschwerde herauszulesen ist, dass der Beschwerdeführer in Polen möglicherweise kein Asyl erhalten werde und in die russische Föderation abgeschoben werden könnte, ist ihr entgegenzuhalten, dass es nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörden sein kann "hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang" eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen (vgl. u.a. VwGH vom 31.05.2008, Zl. 2005/20/0095).

 

Das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerdeschrift, wonach er in Polen bei Gewährung der "Duldung" - offenbar geht der Beschwerdeführer selbst davon aus, in Polen den subsidiären Schutz bzw. einen "Duldungsstatus" zu erlangen - zwar von Gesetzes wegen auf Sozialleistungen ein Anrecht habe, jedoch aufgrund des äußerst schwierigen polnischen Wohnungsmarktes mangels gemeldeten Wohnsitzes keine Unterstützung erhalten würde, kann in Ermangelung konkreter Untermauerungen nicht als ausreichend substantiiert und daher nicht als relevant im Hinblick auf eine maßgeblich wahrscheinliche Verletzung des Art 3 EMRK gewertet werden. Der Beschwerdeführer hat lediglich ein allgemeines Vorbringen erstattet, jedoch ohne dieses auf sich persönlich konkret zu beziehen.

 

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers in Polen von Geheimagenten und Mitarbeitern der tschetschenischen Behörden verfolgt zu werden und generell aufgrund der Zusammenarbeit zwischen den polnischen und russischen Behörden gefährdet zu sein:

 

Das entsprechende vage Vorbringen des Beschwerdeführers kann in Ermangelung irgendwelcher Informationen, wonach die polnischen Sicherheitsorgane entgegen ihren asylrechtlichen Verpflichtungen systematisch mit russischen Organen kooperierten (entsprechende Belege wurden auch nicht erbracht), - bereits unbeschadet der Frage der Glaubwürdigkeit - nicht als relevant im Hinblick auf eine allfällige erheblich wahrscheinliche Verletzung des Art 3 EMRK gewertet werden.

 

Darüber hinaus ist grundsätzlich von Amts wegen nicht bekannt, dass der polnische Staat die Menschenrechte nicht achte oder an sich nicht in der Lage sei Menschenrechte sowie Leib und Leben von Menschen zu schützen, und dem Beschwerdeführer bei allfälligen gegen ihn gerichteten kriminellen Handlungen in Polen nicht die Möglichkeit offen stände, diese zur Anzeige zu bringen und staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Somit kann im konkreten Fall bei einer Rückkehr kein reales Risiko für den Beschwerdeführer erblickt werden.

 

Der Beschwerdeführer hat sohin kein Vorbringen erstattet, welches die Annahme rechtfertigen könnte, dass ihm in Polen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

Abschiebungen trotz Krankheitszuständen können sowohl in den Schutzbereich des Artikel 3 EMRK als auch jenen des Artikel 8 EMRK (psychiatrische Integrität als Teil des Rechts auf Persönlichkeitsentfaltung) fallen. Nach dem EGMR (vgl. auch VwGH 28.06.2005, Zl. 2005/01/0080) hat sich die Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung auf die allgemeine Situation im Zielland als auch auf die persönlichen Umstände des Antragstellers zu erstrecken. Für die Prüfung der allgemeinen Situation wurden Berichte anerkannter Organisationen (z.B. der WHO), aus denen jedenfalls eine medizinische erreichbare Grundversorgung, wenn auch nicht kostenfrei, hervorgeht, als ausreichend angesehen. Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland, und eventuell "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend; Selbstmordgefahr kann ausschlaggebend sein, wenn eine Person in psychiatrischer Spitalsbehandlung ist; vgl. KALDIK v Deutschland, 22.09.2005, Rs 28526/05; Einzelfallprüfung erforderlich), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen; bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. Auch Selbstmordabsichten hindern eine Abschiebung für sich genommen nicht. In der Beschwerdesache OVDIENKO v Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und selbstmordgefährdet war, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes ¿real risk'. Im psychiatrischen Bereich kann als Leitentscheidung weiterhin BENSAID v. the United Kingdom, Nr. 44599/98, § 38, ECHR 2001-I, angesehen werden, in der die Abschiebung einer an Schizophrenie leidenden Person nach Algerien für zulässig erklärt wurde.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise auf eine unzumutbare Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Polen sind der Aktenlage nicht zu entnehmen und ist von der Überstellungsfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen.

 

Soweit der Beschwerdeführer eine mangelhafte medizinische Versorgung in Polen ins Treffen führt, ist anzuführen, dass nach den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid sich in den polnischen Aufnahmezentren während der Woche ein Arzt und eine Krankenschwester befinden. Psychologische Betreuung ist einmal wöchentlich sichergestellt. Ferner werden in den Aufnahmezentren alle, auch weniger schwerwiegende Krankheiten von Asylsuchenden behandelt. Jedem Asylwerber, der nicht in der Lage ist, für seinen Aufenthalt in Polen selbst aufzukommen, wird umfassende Versorgung gewährt. Abgesehen von Unterkunft und ausreichender Verpflegung gehört hierzu auch eine medizinische Versorgung, die für Asylwerber kostenlos ist.

 

Somit ist festzuhalten, dass die gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers nicht jene besondere Schwere aufweist, um eine Überstellung nach Polen als im Widerspruch zu Art. 3 EMRK stehend zu werten. Durch eine Abschiebung des Beschwerdeführers wird Artikel 3 EMRK daher nicht verletzt und reicht es jedenfalls aus, wenn medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Land der Abschiebung verfügbar sind, was in Polen jedenfalls der Fall ist.

 

3.5.3. Ferner ist eine Überprüfung gemäß Art. 8 EMRK dahingehend vorzunehmen, ob der Beschwerdeführer über im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK relevante Verbindungen in Österreich verfügt.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Im gegenständlichen Fall gab der Beschwerdeführers an, dass seine Schwester mit ihrem Ehemann und ihren Kindern, als anerkannte Konventionsflüchtlinge in Österreich leben würden.

 

Vorweg ist auszuführen, dass das gemeinsame Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner Schwester bereits endete, als die Schwester 1994 nach ihrer Heirat nach Dagestan zog. Darüber hinaus verließ die Schwester des Beschwerdeführers gemeinsam mit ihrem Ehemann bereits im Jahr 2004 ihr Heimatland und stellte in Österreich einen Asylantrag. Ein Wiedersehen mit der Schwester fand erst nach der Asylantragstellung des Beschwerdeführers in Österreich (13.05.2008) statt. Zu diesem Zeitpunkt führte die Schwester des Beschwerdeführers bereits jahrelang ein eigenes Familienleben (zunächst bereits in Dagestan, dann in Österreich).

 

Zwar ist den Ausführungen in der Beschwerde, wonach in einem Dublin-Zuständigkeitsverfahren auch familiäre Beziehungen außerhalb der eigentlichen "Kernfamilie" von Bedeutung sein können, zuzustimmen, jedoch ist aufgrund des dargestellten langen Zeitraumes in welchem die Schwester des Beschwerdeführers bereits ein eigenständiges Familienleben mit ihrem Ehemann geführt hat, nicht mehr von einer intensiven Beziehung zwischen den Geschwistern auszugehen.

 

Im konkreten Fall liegt auch - im Übrigen unstrittig - kein gemeinsamer Haushalt vor, auch für eine wechselseitige finanzielle Abhängigkeit gibt es weder ein Vorbringen noch sonst ein Indiz.

 

Es wurde auch nicht dargetan, dass ohne Unterstützung durch die Schwester für den Beschwerdeführer ein existenzbedrohender Zustand einträte. Demnach wurde keine derart außergewöhnliche Situation behauptet, dass eine Familienzusammenführung menschenrechtlich zwingend erforderlich wäre. Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass eine Zusammenführung für die Beteiligten vorteilhaft und aus humanitären Gesichtspunkten nicht zu beanstanden wäre, ein rechtlicher Zwang, den der Asylgerichtshof rechtlich sanktionieren müsste, liegt aber nicht vor. Dass die Erstbehörde diesfalls aus freiem Ermessen vom Selbsteintrittsrecht nicht Gebrauch gemacht hat, fällt in ihren alleinigen Entscheidungsbereich, den der Asylgerichtshof nicht zu bewerten hat (vgl zu Art 8 EMRK und VO 343/2003 des Rates, VwGH 29.03.2007, Zl. 2005/20/0040 bis 0042).

 

Die Ausweisung des Beschwerdeführers stellt daher im gegenständlichen Fall im Verhältnis zu seiner in Österreich lebenden Schwester keine Verletzung des Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK dar.

 

Da auch die mit dem Beschwerdeführer gemeinsam eingereisten Familienmitglieder, welche ebenfalls Asylanträge gestellt haben, eine negative Ausweisungsentscheidung erhalten haben und somit die gesamte Familie nach Polen überstellt wird, ist auch in diesem Zusammenhang kein Eingriff in Art. 8 EMRK gegeben.

 

Insofern man die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Polen im Verhältnis zu seiner Schwester als Eingriff in ihr Recht auf Privatleben ansehen könnte, ist schon angesichts der kurzen Dauer des Inlandsaufenthaltes davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers das Interesse an der Achtung des Privatlebens überwiegt.

 

Den Beschwerdeausführungen zur Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK, wonach in Dublin-Fällen die von Art. 8 EMRK geschützten öffentlichen Interessen ja nur die Umsetzung der Dublin II-VO beinhalten würden, ist entgegen zu halten:

 

Das öffentliche Interesse an einer Zurückweisung des Asylantrages nach § 5 AsylG liegt zwar in der Umsetzung der Zuständigkeitsordnung und der Ziele (Harmonisierung der Asylpolitik, Gewährleistung eines Asylverfahrens in einem Mitgliedsstaat) der Dublin II-VO und nicht in einem geordneten Fremdenwesen (siehe auch VwGH vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498 zum Dubliner Übereinkommen), jedoch ergibt sich aus dem Umstand, dass eine "Dublin-Ausweisung" der Umsetzung eines anderen öffentlichen Interesses dient nicht, dass dieses öffentliche Interesse per se als geschmälert angesehen werden kann, sodass bei jedem Eingriff in Art. 8 EMRK bereits ein Überwiegen der Interessen des Asylwerbers angenommen werden muss (eine solche Rechtsansicht ist auch nicht dem zitierten Erkenntnis des VwGH vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498 zu entnehmen).

 

Im gegenständlichen Fall liegen auch keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration des Beschwerdeführers in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07, VfGH vom 01.10.2007, Zl. G 179, 180/07).

 

Entgegen der Ausführung in der Beschwerde kann auch - im Hinblick auf die Begründung des Bundesasylamtes - in dem Umstand, dass das Bundesasylamt von einer Befragung der Schwester des Beschwerdeführers abgesehen hat (siehe Seite 28 des Bescheides) kein wesentlicher Verfahrensfehler erkannt werden, zumal alle Familienmitglieder im Verfahren übereinstimmende Angaben gemacht haben.

 

3.5.4. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass kein Anlass für einen Selbsteintritt Österreichs gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO aufgrund einer drohenden Verletzung von Art. 3, 8 EMRK besteht.

 

3.5.5. Festzuhalten ist auch, dass die in § 28 Abs. 2 AsylG normierte 20-tägige Frist im gegenständlichen Fall eingehalten worden ist.

 

3.5.6. Hinsichtlich Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides ist noch auszuführen, dass keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich sind, da weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch die Ausweisung eine Verletzung des Art. 8 EMRK darstellen würde. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ersichtlich. Was schließlich den seitens des Bundesasylamtes im Bescheidspruch aufgenommenen Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass die getroffene Ausweisung, da diese mit einer Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG verbunden ist, gemäß § 10 Abs. 4 erster Satz AsylG schon von Gesetzes wegen als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gilt.

 

3.5.7. Die Beschwerde erwies sich somit als nicht berechtigt und war daher spruchgemäß abzuweisen.

 

3.5.8. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG abgesehen werden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, medizinische Versorgung, real risk, staatlicher Schutz, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008), Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
29.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten