TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/17 S12 401905-1/2008

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Veröffentlicht am 17.10.2008
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Spruch

S12 401.905-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde der V.Z., geb. 00.00.1953, StA. Russische Föderation, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gerhard Mory p. A.: Wolf-Dietrich-Straße 19, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.09.2008, FZ. 08 04.218 -EAST West, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1 Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, hat am 09.05.2008 ihr Heimatland gemeinsam mit zwei iher Söhne und ihrer Schwiegertochter mit dem Zug verlassen, ist am 13.05.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

1.2. Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Grenzpolizeiinspektion Großkrut in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie sei mit dem Zug über Moskau, Belarus bis nach Polen, Terespol gereist. Sie habe sich einen Tag in Polen aufgehalten. Dann sei sie mit dem PKW von einem Bekannten von Polen nach Österreich gefahren. Sie habe schon lange von Tschetschenien weg wollen, ihre Tochter lebe in H., Tirol. Ihr Mann sei im Krieg getötet worden. Zwei ihrer Söhne würden vermisst werden. Gegen eine Rückkehr nach Polen spreche, dass sie nicht zurück nach Polen wolle.

 

Eine Eurodac-Abfrage vom selben Tag ergab, dass die Beschwerdeführerin bereits am 12.05.2008 in Polen einen Asylantrag gestellt hatte.

 

1.3. Am 20.05.2008 richtete das Bundesasylamt ein Wiederaufnahmeersuchen an die zuständige polnische Behörde.

 

1.4. Am 23.05.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5, 68 Abs. 1 AVG, §29 Abs.3 Z 4 AsylG), da Dublin Konsultationen mit Polen seit dem20.05.2008 geführt werden (vgl. AS 61f).

 

1.5. Mit Schreiben vom 26.05.2008 (eingelangt am 30.05.2008) erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrag zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO), für die Wiederaufnahme der Asylwerberin für zuständig.

 

1.6. Am 02.06.2008 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, in Anwesenheit eines Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass sie körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Befragt zu allfälligen Krankheiten erklärte die Beschwerdeführerin, dass ihre Gelenke schmerzen würden und sie chronische Rückenschmerzen habe. Zuletzt habe sie "Teroflex" und "Balsamdikula", beides Medikamente gegen Gelenkschmerzen, genommen. Sie habe wegen ihrer Beschwerden schon den Arzt aufgesucht. Hier beim Arzt sei sie nur geimpft worden, wegen ihrer Beschwerden sei aber nichts gemacht worden. Sie habe ein Formular ausgefüllt und angegeben, dass sie Schmerzen habe. Sie habe keine Einwände dagegen, dass von Seiten des Bundesasylamtes Einsicht in ihren Krankenakt genommen werde. Sie habe weder in Österreich noch im Bereich der EU Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehe. Es gebe auch keine anderen Personen in Österreich, von denen sie abhängig sei. Ihre Tochter habe 1993 oder 1994 geheiratet. Nach ihrer Heirat sei diese von zu Hause aus und nach Dagestan gezogen. Ca. einmal in der Woche habe es in dieser Zeit wechselseitige Besuche gegeben. Seit 2004 lebe die Tochter in Österreich. Die ersten beiden Jahre habe sie sehr selten mit ihrer Tochter telefoniert, alle zwei oder drei Monate ein Mal. Im letzten Jahr habe sie ca. ein Mal in der Woche mit ihr telefoniert. Ihr sei gesagt worden, dass ihrer Tochter ein "Positiv" habe. Der Mann ihrer Tochter arbeite; ihre Tochter dagegen könne nicht arbeiten, da sie vier Kinder habe. Ihre Tochter habe zur Heirat ihres Sohnes 200 US$, zur Operation ihres Sohnes 200 US$ und einmal so 100 US$ geschickt. Ihre Tochter habe sie einmal hier besucht. Sie hätten eigentlich zuerst zu ihr fahren und dort einen Antrag stellen wollen, sie seien aber unterwegs angehalten worden. Ihre Tochter sei ihre letzte Hoffnung, sie habe sonst niemanden. Am 10.05.2008 seien sie mit dem Zug von Gudermes nach Moskau gefahren. Anschließend mit der Bahn von Moskau nach Terespol. Begleitet hätten sie auf dieser Reise ihre Söhne S. und I. und ihre Schwiegertochter. Gleich nach der Einreise in Polen seien sie angehalten worden. Es seien ihnen die Reisepässe abgenommen worden uns seien sie in ein Gebäude gebracht worden. Ihnen seien die Fingerabdrücke genommen und sie seien kurz einvernommen worden. Abends hätte sie ihnen gesagt, dass sie in ein Lager fahren müssten. Dort hätten sie einen Bekannten getroffen, welcher nach Österreich gefahren sei. Sie habe Angst um ihre Söhne, da sie schon einige Familienangehörige verloren habe. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass beabsichtigt sei, ihre Ausweisung nach Polen zu veranlassen, brachte sie vor, ihre Tochter sei hier in Österreich. Es würde für sie sehr schwer sein, ohne sie zu leben. Ihre Söhne würden sagen, wenn sie in Polen bleiben müssen, dann würden sie wieder lieber nach Hause fahren und dort, wenn es sein müsse, kämpfen. Sie wolle nicht, dass die Söhne getötet würden. Befragt zu konkreten Vorfällen während ihres Aufenthaltes in Polen, erklärte sie, dass sie als sie von der Grenzbehörde in Polen kontrolliert worden sei, einen Nervenzusammenbruch gehabt habe. Sie habe keine Luft bekommen und habe nichts trinken können. Es liege vermutlich daran, dass sie dort Hunde gesehen habe.

 

1.7. Am 10.06.2008 erfolgte eine medizinische Untersuchung der Beschwerdeführerin zur gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren durch Dr. A.A., der zu dem Ergebnis kommt, dass bei der Beschwerdeführerin aus aktueller Sicht keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege. Ihrer Überstellung nach Polen würde keine schwere psychische Störung entgegenstehen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken. Seit Jahren bestehe ein reaktiv depressives Syndrom, dieses könne behandelt werden mit Fluanxol 0,5 mg 1x1, Paroxat 40 mg 1/2 und Trittico ret. 75 mg 1/3-2/3. Diese Behandlung könne hier begonnen werden. Unter begonnener Therapie sei eine Verschlechterung nicht zu erwarten, da diese bereits in Grosny gegeben gewesen sei und nicht behandelt worden sei. Aus derzeitiger Sicht sei eine Überstellungsmöglichkeit mit 10.06.2008 möglich.

 

1.8 Am 17.06.2008 wurde die Beschwerdeführerin in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetschers nach erfolgter Rechtsberatung und in Anwesenheit des Rechtsberaters vom Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass sie keine körperlichen oder psychischen Beschwerden habe. Auf Vorhalt der gutachterlichen Stellungnahme führte die Beschwerdeführerin aus, sie wolle noch eine Untersuchung haben, damit sie nochmals alles sagen könne, was sie habe. Sie wolle dem Psychologen alles erzählen. Bei dieser Untersuchung sei sie nur nach Krankheiten gefragt worden. Zur geplanten Vorgehensweise des Bundesasylamtes, sie nach Polen zu überstellen, gab sie an, in Polen sei es schlecht. Von Polen aus würden die Leute nach Russland zurückgeschickt werden. Sie sei auf einem Markt in Polen gewesen und ein Mann habe ihr ihre Tasche stehlen wollen. Der Mann habe ihr ins Gesicht geschlagen. Zwei Polizeibeamte hätten dies auch gesehen und gar nichts gesagt. In Polen würden die Leute ihre Taschen an sich binden. Der Polizist habe gesagt, dass es gut sei, dass die Tasche nicht gestohlen worden sei. Wenn ihr die Tasche gestohlen worden wäre, dann hätte sie eine Anzeige machen können. Bei der Untersuchung sei sie in Polen schlecht behandelt worden. Sie hätten sogar in ihre Haare hineingesehen. Sie habe seit einem Vorfall mit russischen Soldaten Angst vor Hunden. In Polen würden die Beamten auch mit Hunden herumspazieren.

 

1.9. Mit Schriftsatz vom 29.07.2008 wurde vom rechtsfreundlichen Vertreter der Beschwerdeführerin die erteilte Vollmacht bekannt gegeben und der Antrag gestellt, eine eingehende Untersuchung des Gesundheitszustandes der Antragstellerin durchzuführen.

 

1.10. Am 12.08.2008 erfolgte nochmals eine Untersuchung der Beschwerdeführerin zur gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren durch Dr. A.A., der wiederum zu dem Ergebnis kommt, dass bei der Beschwerdeführerin aus aktueller Sicht keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege. Der Überstellung nach Polen würden keine schwere psychische Störung entgegenstehen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden. Die Beschwerdeführerin habe sich nach eigenen Angaben unter der Einnahme der Medikamente (Fluanxol 0,5 mg 1x1, Paroxat 40 mg 1/2 , Trittico ret. 75 mg 1/3-2/3) sehr wohl gefühlt; diese jedoch in weitere Folge nicht mehr eingenommen. Derzeit stehe noch ein fraglich abgeheiltes Ulcus ventriculi bei bestehender Gastritisbeschwerden mit Sodbrennen und Aufstoßen im Raum. Sie habe eine Überweisung zur Gastroskopie für das KH Vöcklabruck erhalten. Bei geregelter Medikamenteinnahme sei mit einer deutlichen Verbesserung der körperlichen Beschwerden zu rechnen. Es seien keine weiteren Untersuchungen erforderlich. Die Überstellung nach Polen sei nach Abklärung durch das Krankenhaus Vöcklabruck-Gastroskopie jederzeit möglich. Eine Kopie der gutachterlichen Stellungnahme vom 13.08.2008 wurde der Beschwerdeführerin am 21.08.2008 ausgehändigt (As. 193).

 

1.11. Am 22.08.2008 wurde die Beschwerdeführerin in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetschers und des Rechtsberaters vom Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass sie keine körperlichen oder psychischen Beschwerden habe. Sie sei von der anwesenden Rechtsberaterin beraten worden. Auf Vorhalt der gutachterlichen Stellungnahme führte die Beschwerdeführerin aus, sie habe dazu überhaupt nichts mehr zu sagen. Auf Vorhalt, warum sie die Medikamente nicht mehr eingenommen habe, erklärte sie, dass sie den Zettel weggeworfen habe, auf welchem ihr der Arzt aufgeschrieben habe, wie sie die Medikamente einnehmen müsse. Die ersten Medikamente habe sie auch eingenommen. Nunmehr nehme sie diese Tabletten wieder und fühle sich auch besser.

 

1.12. Mit Schreiben vom 29.08.2008 brachte der Vertreter der Beschwerdeführerin eine Bevollmächtigungsanzeige hinsichtlich der Familienangehörigen der Beschwerdeführerin und einen Gesamtschriftsatz ein, in welchem er ausführt, alle antragstellenden Parteien würden geltend machen, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Lebensgeschichte, ihrer gesundheitlichen Lage, insbesondere psychischen Vulnerabilität und dem kriegsbedingten Leiden dringend darauf angewiesen seien familiäre Lebensbeziehungen zu ihrer in Österreich lebenden Verwandten Frau DD.V. verheiratet mit E.M. aufzunehmen und leben zu dürfen. Eine Ausweisung nach Polen würde Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzen. Insbesondere treffe dies auf die Beschwerdeführerin V.Z., aufgrund ihrer mannigfachen Erkrankungen zu. Insbesondere S.V. und I.V. würden in Polen fürchten müssen, durch ihre Verfolger ausgeforscht und verfolgt zu werden. Zum Beweis dafür, dass zwischen den Betroffenen und ihrer Verwandten D.V. eine besonders enge familiäre Beziehung bestehe, werde eine Beweisaufnahme durch die Einvernahme von Frau D.V. und deren Ehegatten sowie durch ergänzende Einvernahme der Antragsteller beantragt. Weiters werde die Einholung eines Gutachtens eines Arztes für Allgemeinmedizin und eines Arztes für Psychiatrie zum Beweis dafür, dass die Beschwerdeführerin an mannigfaltigen physischen und psychischen Krankheiten leide und sie deshalb dringend im Lebensalltag Unterstützung durch ihre in Österreich lebende Tochter und ihren Schwiegersohn brauche, um sich gesundheitlich stabilisieren zu können.

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 13.05.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutzes gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

 

3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Vertreter fristgerecht Beschwerde und führte im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass der bekämpfte Bescheid rechtswidrig sei, wegen mangelnder Bedachtnahme auf das Vorbringen im "Gesamtschriftsatz" vom 29.08.2008, wegen unterbliebener Beweisaufnahmen zur Frage der Intensität der familiären Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrer einzigen Tochter, wegen mangelnder Ermittlung des tatsächlichen, insbesondere psychischen Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin, wegen unterbliebener, alle relevanten Aspekte miteinbeziehender Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK und wegen unterbliebener Gesamtschau auf alle für eine Beurteilung nach Art. 3 und Art. 8 EMRK relevanten Tatsachen betreffend der Zulässigkeit einer Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Polen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, hat ihr Heimatland verlassen und ist am 13.05.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

Die Beschwerdeführerin hat bereits am 12.05.2008 in Polen einen Asylantrag gestellt.

 

Die Beschwerdeführerin leidet an einem reaktiv depressiven Syndrom und einer Gastritis, welche jedoch einer Überstellung nach Polen nicht entgegenstehen.

 

Die Beschwerdeführerin ist gemeinsam mit ihren volljährigen Söhnen S.V. und I.V. und ihrer Schwiegertochter A.M. nach Österreich gereist und haben diese jeweils auch Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

 

Die Beschwerdeführerin hat eine volljährige Tochter, die mit deren Familie in Österreich als anerkannter Konventionsflüchtling lebt. Die Beschwerdeführerin lebt mit ihrer Tochter und deren Familie in Österreich nicht im gemeinsamen Haushalt. Es besteht auch keine finanzielle Abhängigkeit von ihren Angehörigen. Es besteht lediglich ein Kontakt im Sinne von Telefonaten und gelegentlichen Besuchen. Darüber hinaus gehende familiäre Beziehungen in Österreich oder im Bereich der Europäischen Union hat die Beschwerdeführerin nicht.

 

Polen hat sich mit Schreiben vom 26.05.2008 (eingelangt am 30.05.2008) gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO ausdrücklich für die Wiederaufnahme der Asylwerberin für zuständig erklärt.

 

1.2. Die in § 28 Abs. 2 AsylG festgelegte zwanzigtägige Frist zur Erlassung eines zurückweisenden Bescheides nach § 5 AsylG gilt nicht, weil der Beschwerdeführerin das Führen von Konsultationen gemäß der Dublin II-VO binnen Frist mitgeteilt wurde, weshalb kein Übergang der Zuständigkeit an Österreich wegen Fristüberschreitung eingetreten ist.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt, insbesondere aus den Angaben der Beschwerdeführerin bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.05.2008, aus der niederschriftlichen Einvernahme der Beschwerdeführerin vom 02.06.2008, 17.06.2008 und 22.08.2008, sowie aus der Zuständigkeitserklärung Polens vom 26.05.2008.

 

Die Feststellung betreffend Zulässigkeit der Überstellung nach Polen ergibt sich darüber hinaus aus den gutachterlichen Stellungnahmen im Zulassungsverfahren von Dr. A.A. vom 10.06.2008 und vom 12.08.2008.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde tritt.

 

3.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin II-VO ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Staates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Dublin II-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

3.3. Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrages unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 wieder aufzunehmen.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ist der Antrag zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin II-VO oder einem entsprechenden Vertrag geführt. Dass solche Verhandlungen geführt werden, ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen.

 

3.4. Im gegenständlichen Fall ist das Bundesasylamt ausgehend davon, dass die Beschwerdeführerin bereits in Polen einen Asylantrag gestellt hat und, dass Polen einer Übernahme der Beschwerdeführerin auf Grundlage des Art. 16 (1) c Dublin II-VO am 26.05.2008 zustimmte, zu Recht von einer Zuständigkeit Polens zur Prüfung des Asylantrages ausgegangen.

 

3.5. Zu prüfen bleibt daher, ob Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, im Hinblick auf Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen.

 

3.5.1. Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 08.03.2001, G 117/00 u.a. VfSlg 16.122, aus, dass § 5 AsylG nicht isoliert zu sehen sei; das im Dubliner Übereinkommen festgelegte Selbsteintrittsrecht Österreichs verpflichte - als Teil der österreichischen Rechtsordnung - die Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung im Sinne des § 5 vorzunehmen. Eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 AsylG sei durch die Heranziehung des Selbsteintrittsrechtes zu vermeiden. Dieser Rechtsansicht schloss sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498, an.

 

Hatte der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 15.10.2005, G 237/03 u.a. ausgesprochen, dass jene zum Dubliner Übereinkommen angestellten Überlegungen auch für das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin-VO zutreffen, ergänzte er in seinem Erkenntnis vom 17.06.2005, B 336/05-11, dies dahingehend, dass die Mitgliedstaaten nicht nachzuprüfen haben, ob ein bestimmter Mitgliedstaat generell sicher sei, da die entsprechende Vergewisserung durch den Rat erfolgt sei; eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall sei jedoch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte diese Überprüfung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht sind, sei aus verfassungsrechtlichen Gründen das Eintrittsrecht zwingend auszuüben.

 

In seinem Erkenntnis vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582 (dem ein - die Zuständigkeit Italiens nach dem Dubliner Übereinkommen betreffender - Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates zugrunde lag) sowie in dem (bereits die Dublin-VO betreffenden) Erkenntnis vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095-9, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass in Verfahren wie dem gegenständlichen eine Gefahrenprognose zu treffen ist, ob ein - über die bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substantiiertes "real risk" besteht, dass ein aufgrund der Dublin-VO in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesener Asylwerber trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes, im Zielstaat der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt ist, wobei insbesondere zu prüfen sei, ob der Zielstaat rechtliche Sonderpositionen vertritt, nach denen auch bei der Zugrundelegung der Behauptungen des Asylwerbers eine Schutzverweigerung zu erwarten wäre. Weiters wird ausgesprochen, dass geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat für sich allein genommen keine ausreichende Grundlage dafür sind, um vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

 

3.5.2. Im gegenständlichen Fall kann nun nicht gesagt werden, dass die Beschwerdeführerin ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihr durch eine Rückverbringung nach Polen die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Ein konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf tschetschenische Asylwerber unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. In diesem Zusammenhang ist lediglich der Vollständigkeit halber noch anzuführen, dass von Seiten Polens keine systemwidrigen Verletzungen der Verpflichtungen aus der Dublin II-VO bekannt sind. Auch geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat sind für sich genommen keine ausreichende Grundlage dafür, dass die österreichischen Asylbehörden vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssten (vgl. u. a. VwGH vom 31.05.2008, Zl. 2005/20/0095). Im Übrigen erhalten Antragsteller aus Tschetschenien in Polen zumindest tolerierten Aufenthalt.

 

Aus der Rechtsprechung des EGMR lässt sich ein systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Polen keinesfalls erkennen und gelten im Übrigen die Mitgliedstaaten der EU als sichere Staaten für Drittstaatsangehörige. Zudem war festzustellen, dass ein im besonderen Maße substantiiertes Vorbringen bzw. das Vorliegen besonderer von der Beschwerdeführerin bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen ließen, im Verfahren nicht hervorgekommen sind. Konkret besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass etwa die Beschwerdeführerin im Zuge einer so genannten "ungeprüften Kettenabschiebung" in ihr Heimatland, also nach Russland zurückgeschoben werden könnte.

 

Soweit aus dem Vorbringen bzw. aus der Beschwerde herauszulesen ist, dass die Beschwerdeführerin in Polen möglicherweise kein Asyl erhalten werde und in die russische Föderation abgeschoben werden könnte, ist ihr entgegenzuhalten, dass es nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörden sein kann "hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang" eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen (vgl. u.a. VwGH vom 31.05.2008, Zl. 2005/20/0095).

 

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde, wonach sie in Polen bei Gewährung der "Duldung" - offenbar geht die Beschwerdeführerin selbst davon aus, in Polen den subsidiären Schutz bzw. einen "Duldungsstatus" zu erlangen - zwar von Gesetzes wegen auf Sozialleistungen ein Anrecht habe, jedoch aufgrund des äußerst schwierigen polnischen Wohnungsmarktes mangels gemeldeten Wohnsitzes keine Unterstützung erhalten würde, kann in Ermangelung konkreter Untermauerungen nicht als ausreichend substantiiert und daher nicht als relevant im Hinblick auf eine maßgeblich wahrscheinliche Verletzung des Art 3 EMRK gewertet werden. Die Beschwerdeführerin hat lediglich ein allgemeines Vorbringen erstattet, jedoch ohne dieses auf sich persönlich konkret zu beziehen.

 

Es besteht auch für die Beschwerdeführerin in Polen jederzeit die Möglichkeit, bei allfälligen, gegen sie gerichteten kriminellen Handlungen diese zur Anzeige zu bringen und staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen.

 

Die Beschwerdeführerin hat sohin kein Vorbringen erstattet, welches die Annahme rechtfertigen könnte, dass ihr in Polen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK im Bezug auf Krankheiten eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte, und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

Abschiebungen trotz Krankheitszuständen können sowohl in den Schutzbereich des Artikel 3 EMRK als auch jenen des Artikel 8 EMRK (psychiatrische Integrität als Teil des Rechts auf Persönlichkeitsentfaltung) fallen. Nach dem EGMR (vgl. auch VwGH 28.06.2005, Zl. 2005/01/0080) hat sich die Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung auf die allgemeine Situation im Zielland als auch auf die persönlichen Umstände des Antragstellers zu erstrecken. Für die Prüfung der allgemeinen Situation wurden Berichte anerkannter Organisationen (z.B. der WHO), aus denen jedenfalls eine medizinische erreichbare Grundversorgung, wenn auch nicht kostenfrei, hervorgeht, als ausreichend angesehen. Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland, und eventuell "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend; Selbstmordgefahr kann ausschlaggebend sein, wenn eine Person in psychiatrischer Spitalsbehandlung ist; vgl. KALDIK v Deutschland, 22.09.2005, Rs 28526/05; Einzelfallprüfung erforderlich), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen; bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. Auch Selbstmordabsichten hindern eine Abschiebung für sich genommen nicht. In der Beschwerdesache OVDIENKO v Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und selbstmordgefährdet war, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes ¿real risk'. Im psychiatrischen Bereich kann als Leitentscheidung weiterhin BENSAID v. the United Kingdom, Nr. 44599/98, § 38, ECHR 2001-I, angesehen werden, in der die Abschiebung einer an Schizophrenie leidenden Person nach Algerien für zulässig erklärt wurde.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise auf eine unzumutbare Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Polen sind der Aktenlage nicht zu entnehmen und ist von der Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführerin auszugehen. Im gegenständlichen Fall wurde entgegen den Ausführungen in der Beschwerde die Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführerin nach Polen nämlich aufgrund der gutachterlichen Stellungnahmen im Zulassungsverfahren bereits im erstinstanzlichen Verfahren medizinisch in schlüssiger Form bejaht. Insoweit in der Beschwerde ausgeführt wird, dass ein medizinisches Kurzgutachten "einer praktischen Ärztin" nicht zur Beurteilung geeignet wäre, ob die Beschwerdeführerin an psychischen Krankheiten leide, die es notwendig machen würden, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer in Österreich lebenden Tochter vereinigt werde, ist dem entgegen zu halten, dass die gutachterlichen Stellungnahmen beide Male jeweils durch einen Facharzt für Psychiatrie und Neurologie erfolgte. Dieser stellte wiederholt fest, dass der Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen keine schwere psychischen Störungen entgegenstehe, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würde. Es ist nochmals zu betonen, dass im gegenständlichen Zusammenhang nicht relevant ist, ob eine psychische Krankheit bei der Beschwerdeführerin vorliegt, sondern ob die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der EU unzumutbare, Art. 3 EMRK verletzende Auswirkungen hat. Substantiierte Hinweise auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinne der aufgezeigten Judikatur des EGMR bei einer Überstellung nach Polen haben sich jedoch, wie dargestellt, nicht ergeben. Darüber hinaus ist auszuführen, dass aufgrund des Antrages im "Gesamtschriftsatz" des Vertreters der Beschwerdeführerin vom 29.08.2008 entgegen den Ausführungen in der Beschwerde kein Umstand eingetreten ist, welcher das Bundesasylamt zur neuerlichen Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin veranlassen hätte müssen. Der Vertreter der Beschwerdeführerin beantragte nämlich bereits mit Schriftsatz vom 29.07.2008 die Untersuchung der Beschwerdeführerin im Hinblick auf eine massive Traumatisierung. Diesem Antrag wurde durch das Bundesasylamt Folge geleistet, indem es eine neuerliche gutachterliche Stellungnahme am 12.08.2008 veranlasste. Dieses Gutachten wurde dem Vertreter der Beschwerdeführerin am 21.08.2008 ausgehändigt und erfolgte darauf am 22.08.2008 die neuerliche Einvernahme der Beschwerdeführerin zur Wahrung des Parteiengehörs (an welcher der Vertreter nicht teilnahm). Insofern im Schriftsatz vom 29.08.2008 die nochmalige Untersuchung der Beschwerdeführerin zum Beweis "mannigfacher" physischer und psychischer Krankheiten beantragt wird, ist festzuhalten, dass diesem Beweisantrag allenfalls dann nachzukommen gewesen wäre, wäre der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. A.A. konkret und substantiiert, insbesondere unter Vorlage von weiteren Gutachten und ärztlichen Belegen, entgegen getreten worden, was jedoch nicht der Fall war. Nach Ansicht des Asylgerichtshofes hat daher das Bundesasylamt zu Recht von einer im Gesamtschriftsatz beantragten neuerlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin abgesehen (siehe Seite 27 und 28 des Bescheides).

 

Soweit die Beschwerdeführerin eine mangelhafte medizinische Versorgung in Polen ins Treffen führt, ist anzuführen, dass nach den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid sich in den polnischen Aufnahmezentren während der Woche ein Arzt und eine Krankenschwester befinden. Psychologische Betreuung ist einmal wöchentlich sichergestellt. Ferner werden in den Aufnahmezentren alle, auch weniger schwerwiegende Krankheiten von Asylsuchenden behandelt. Jedem Asylwerber, der nicht in der Lage ist, für seinen Aufenthalt in Polen selbst aufzukommen, wird umfassende Versorgung gewährt. Abgesehen von Unterkunft und ausreichender Verpflegung gehört hierzu auch eine medizinische Versorgung, die für Asylwerber kostenlos ist. Insofern die Beschwerdeführerin einer weitergehenden medikamentösen Behandlung ihres reaktiven depressiven Syndroms und ihrer Gastritis bedarf ist sohin davon auszugehen, dass der entsprechende Standard in Polen im Lichte des Art 3 EMRK und der dazu erfolgten Rechtsprechung ausreichend ist.

 

Somit ist festzuhalten, dass die gesundheitliche Situation der Beschwerdeführerin nicht jene besondere Schwere aufweist, um eine Überstellung nach Polen als im Widerspruch zu Art. 3 EMRK stehend zu werten. Durch eine Abschiebung der Beschwerdeführerin wird Artikel 3 EMRK daher nicht verletzt und reicht es jedenfalls aus, wenn medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Land der Abschiebung verfügbar sind, was in Polen jedenfalls der Fall ist.

 

3.5.3. Ferner ist eine Überprüfung gemäß Art. 8 EMRK dahingehend vorzunehmen, ob die Beschwerdeführerin über im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK relevante Verbindungen in Österreich verfügt.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Im gegenständlichen Fall gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre volljährige Tochter mit ihrem Ehemann und ihren Kindern, als anerkannte Konventionsflüchtlinge in Österreich leben.

 

Vorweg ist auszuführen, dass das gemeinsame Familienleben der Beschwerdeführerin mit ihrer Tochter bereits endete, als die Tochter 1994 nach ihrer Heirat nach Dagestan zog. Darüber hinaus verließ die Tochter der Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Ehemann bereits im Jahr 2004 ihr Heimatland und stellte in Österreich einen Asylantrag. Ein ernsthafter Versuch der Beschwerdeführerin, das gemeinsame Familienleben mit der Tochter in Österreich vor der illegalen Einreise mit legalen Mitteln wieder aufzunehmen, ist aus der Aktenlage nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet. Ebenso wenig brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie gemeinsam mit der Tochter bereits habe fliehen wollen, jedoch ihre gemeinsame Flucht aufgrund bestimmter Umstände faktisch nicht möglich gewesen sei (dies erscheint bereits auch im Hinblick auf den langen zeitlichen Abstand zwischen der Flucht der Tochter und der Flucht der Beschwerdeführerin als nicht wahrscheinlich). Ein Wiedersehen mit der Tochter fand somit erst nach der Asylantragstellung der Beschwerdeführerin in Österreich (13.05.2008) statt. Zu diesem Zeitpunkt führte die Tochter der Beschwerdeführerin bereits jahrelang ein eigenes Familienleben (zunächst bereits in Dagestan, dann in Österreich).

 

Zwar ist den Ausführungen in der Beschwerde, wonach in einem Dublin-Zuständigkeitsverfahren auch familiäre Beziehungen außerhalb der eigentlichen "Kernfamilie" von Bedeutung sein können, zuzustimmen, jedoch ist aufgrund des dargestellten langen Zeitraumes, in welchem die Tochter der Beschwerdeführerin bereits ein eigenständiges Familienleben mit ihrem Ehemann geführt hat, nicht mehr von einer intensiven Beziehung zwischen Beschwerdeführerin und volljährigen Tochter auszugehen.

 

Der Beschwerdeführerin hat in ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 02.06.2008 angegeben, dass die Tochter sie einmal besucht habe. Im konkreten Fall liegt damit - im Übrigen unstrittig - kein gemeinsamer Haushalt vor. Angesichts der Besuchsfrequenz muss auch ein für diese Prüfung relevantes (intensives) Pflege- oder Betreuungsverhältnis ausgeschlossen werden. Es konnte nicht glaubhaft gemacht werden, dass die Beschwerdeführerin von täglicher, intensiver Hilfe und Betreuung gerade durch die Tochter angewiesen wären. Auch eine finanzielle Abhängigkeit zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter ist aus der Aktenlage nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet.

 

Es wurde somit insbesondere nicht dargetan, dass ohne Unterstützung durch die Tochter für die Beschwerdeführerin ein existenzbedrohender Zustand einträte. Demnach wurde keine derart außergewöhnliche Situation behauptet, dass eine Familienzusammenführung menschenrechtlich zwingend erforderlich wäre. Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass eine Zusammenführung für die Beteiligten vorteilhaft und aus humanitären Gesichtspunkten nicht zu beanstanden wäre, ein rechtlicher Zwang oder eine rechtlich gebotene Verpflichtung liegt aber nicht vor. Dass die Erstbehörde im konkreten Fall diesfalls aus freiem Ermessen vom Selbsteintrittsrecht nicht Gebrauch gemacht hat, fällt in ihren alleinigen Entscheidungsbereich, den der Asylgerichtshof nicht zu bewerten hat (vgl zu Art 8 EMRK und VO 343/2003 des Rates der EU, VwGH 29.03.2007, Zl. 2005/20/0040 bis 0042).

 

Die Ausweisung der Beschwerdeführerin stellt daher im gegenständlichen Fall im Verhältnis zu ihrer in Österreich lebenden Tochter im Verhältnis zu ihrer in Österreich lebenden Tochter keine Verletzung des Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK dar.

 

Da auch die mit dem Beschwerdeführer gemeinsam eingereisten Familienmitglieder, welche ebenfalls Asylanträge gestellt haben, eine negative Ausweisungsentscheidung erhalten haben und somit die gesamte Familie nach Polen überstellt wird, ist auch in diesem Zusammenhang kein Eingriff in Art. 8 EMRK gegeben.

 

Insofern man die Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Polen im Verhältnis zu ihrer volljährigen Tochter als Eingriff in ihr Recht auf Privatleben ansehen könnte, ist schon angesichts der kurzen Dauer des Inlandsaufenthaltes davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts der Beschwerdeführerin das Interesse an der Achtung des Privatlebens überwiegt.

 

Den Beschwerdeausführungen zur Interessensabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK, wonach in Dublin-Fällen die von Art. 8 EMRK geschützten öffentlichen Interessen ja nur die Umsetzung der Dublin II-VO beinhalten würden. ist entgegen zu halten:

 

Das öffentliche Interesse an einer Zurückweisung des Asylantrages nach § 5 AsylG liegt zwar in der Umsetzung der Zuständigkeitsordnung und der Ziele (Harmonisierung der Asylpolitik, Gewährleistung eines Asylverfahrens in einem Mitgliedsstaat) der Dublin II-VO und nicht in einem geordneten Fremdenwesen (siehe auch VwGH vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498 zum Dubliner Übereinkommen), jedoch ergibt sich aus dem Umstand, dass eine "Dublin-Ausweisung" der Umsetzung eines anderen öffentlichen Interesses dient nicht, dass dieses öffentliche Interesse per se als geschmälert angesehen werden kann, sodass bei jedem Eingriff in Art. 8 EMRK bereits ein Überwiegen der Interessen des Asylwerbers angenommen werden muss (eine solche Rechtsansicht ist auch nicht dem zitierten Erkenntnis des VwGH vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498 zu entnehmen).

 

Im gegenständlichen Fall liegen auch keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration der Beschwerdeführerin in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07, VfGH vom 01.10.2007, Zl. G 179, 180/07).

 

Entgegen den Ausführung in der Beschwerde kann auch - im Hinblick auf die Begründung des Bundesasylamtes - in dem Umstand, dass das Bundesasylamt von einer Befragung der Tochter der Beschwerdeführerin abgesehen hat (siehe Seite 31 des Bescheides) kein wesentlicher Verfahrensfehler erkannt werden. Zumal alle Familienmitglieder übereinstimmende Angaben gemacht haben und sich auch nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Einvernahmen keine offenen Punkte ergaben, die einer weiteren Klärung bedurft hätten.

 

3.5.4. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass kein Anlass für einen Selbsteintritt Österreichs gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO aufgrund einer drohenden Verletzung von Art. 3 oder 8 EMRK besteht.

 

3.5.5. Festzuhalten ist auch, dass die in § 28 Abs. 2 AsylG normierte 20-tägige Frist im gegenständlichen Fall eingehalten worden ist.

 

3.5.6. Hinsichtlich Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides ist noch auszuführen, dass keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich sind, da weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch die Ausweisung eine Verletzung des Art. 8 EMRK darstellen würde. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ersichtlich. Was schließlich den seitens des Bundesasylamtes im Bescheidspruch aufgenommenen Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass die getroffene Ausweisung, da diese mit einer Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG verbunden ist, gemäß § 10 Abs. 4 erster Satz AsylG schon von Gesetzes wegen als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gilt.

 

3.5.7. Die Beschwerde erwies sich somit als nicht berechtigt und war daher spruchgemäß abzuweisen.

 

3.5.8. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG abgesehen werden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, medizinische Versorgung, real risk, staatlicher Schutz, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008), Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
29.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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