C1 253314-0/2008/1E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Fischer-Szilagyi als Vorsitzende und den Richter Mag. Marth als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Geiger über die Beschwerde des L.A., geb. 00.00.1975, StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Doczekal, Wickenburggasse 3, 1080 Wien, vom 20.09.2004 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.09.2004, FZ. 98 04.622-BAT, zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idgF, zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 25.06.1998 illegal in Österreich ein und stellte am 02.07.1998 einen Asylantrag.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.07.1998, FZ. 98 04.622-BAT, wurde dem Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl I 1997/76 (AsylG), stattgegeben und gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 00.00.2002, wurde der Beschwerdeführer wegen § 278a Abs. 1 StGB sowie § 104 Abs. 1, 3 und 5 FrG, § 15 StGB zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Das Bundesasylamt forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 02.06.2004 auf, zur beabsichtigten Aberkennung des gewährten Asyls aufgrund des Urteils des Landesgerichtes Korneuburg vom 00.00.2002, schriftlich Stellung zu beziehen.
Am 16.06.2004 langte beim Bundesasylamt ein Schreiben des rechtsfreundlichen Vertreters des Beschwerdeführers ein, indem ausgeführt wurde, dass es den Tatsachen entspreche, dass der Beschwerdeführer am 00.00.2002 mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre. Zu berücksichtigen sei allerdings, dass er dieses Delikt nur in Bezug auf seine Landsleute verwirklicht habe, die er in der schlimmsten Zeit unterstützt habe, das durch diverse Krisen geschüttelte Heimatland zu verlassen und eine neue Zukunft aufzubauen. Er habe nunmehr eine dreijährige Freiheitsstrafe erhalten, die er aller Voraussicht nach zu Gänze verbüßen müsse. In der Zwischenzeit habe sich die Lage dermaßen beruhigt, dass der Flüchtlingsstrom der Afghanen verebbt sei, wobei sich die Situation im Land selbst nicht wesentlich geändert habe. Die Gefahr, dass er nach seiner Enthaftung rückfällig werde, sei daher aufgrund der abschreckenden Wirkung der verhängten Freiheitsstrafe und der Tatsache, dass es keine afghanischen Flüchtlinge mehr gebe, nicht gegeben. Er habe in Österreich bis zu seiner Verhaftung ständig gearbeitet und sei nie beschäftigungslos gewesen. Dadurch sei sein Lebensunterhalt gewährleistet gewesen. Während der Haft habe er auch einen Deutschkurs absolviert. Die Zukunftsprognose sei daher positiv einzuschätzen. Aus diesem Grund erscheine es daher nicht erforderlich, ihm das Asyl abzuerkennen, da er keine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuten werde. Mit diesem Schreiben wurde ein Zeugnis über die "Grundstufe Deutsch", ausgestellt am 24.07.2003, in Kopie vorgelegt.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.09.2004, FZ. 98 04.622-BAT, wurde das dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 03.07.1998 gewährte Asyl gemäß § 14 Abs. 1 Ziffer 4 Asylgesetz 1997, BGBl I 76/1997 (AsylG) idgF, aberkannt und festgestellt, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 14 Abs. 2 AsylG die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan wurde gemäß § 14 Abs. 3 AsylG für zulässig erklärt und wurde er gemäß § 14 Abs. 3 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.
In der Begründung wurde Folgendes festgehalten:
"Die zitierte Verurteilung rechtfertigt die Feststellung, dass L. A. im Sinne des § 14 Abs. 1 Ziffer 4 AsylG 1997, eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Die Verbrechen der kriminellen Organisation und der teils versuchten, teils vollendeten Schlepperei, denen L. A. rechtskräftig schuldig erkannt worden ist, sind in der von ihm verwirklichten Form mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, bzw. bis zu zehn Jahren, Jahren bedroht, und im Sinne des im § 14 Absatz 1 Ziffer 4 AsylG 1997 enthaltenen Begriffes des besonders schweren Verbrechens zu qualifizieren.
L. A. wurde schuldig gesprochen, in krimineller Organisation wiederkehrend und mittels geplanter Begehung afghanische Staatsangehörige über Österreich nach Deutschland und andere Mitgliedstaaten der EU durch Verwendung verschiedener Falsch- und Aliasnamen, der Mitglieder der Organisation, häufigen Wechsel der Mobiltelefone und SIM Karten, Einsatz einer die Erfassung von Rufdaten der Anrufer verhindernden Technologie, Nutzung des als H. Netzwerk bekannten Untergrundbankensystems und durch Instruktion der zu schleppenden Personen über die im Falle eines Aufgriffes durch die Sicherheitsbehörden zu machenden Angaben gegen Strafverfolgungsmaßnahmen, geschleppt zu haben.
Die wiederkehrende und mittels geplanter Begehung ausgeführte Tatverübung rechtfertigt die Feststellung, das L. A. wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet.
Das Bundesasylamt gelangt nach eingehender rechtlicher Würdigung zur Ansicht, dass § 14 Abs. 1 Z 4 AsylG vollinhaltlich erfüllt ist und ist daher Asyl von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen."
In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde der Bescheid seinem gesamten Inhalte nach wegen Verletzung von Verfahrenvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes angefochten und insbesondere Folgendes ausgeführt:
"[...]
Die Zukunftsprognose des Berufungswerbers ist durchwegs positiv, zumal er während der Haft einen Deutschkurs absolviert hat, sein Lebensunterhalt stets gewährleistet ist und allein die Tatsache, das Haftübel erstmals zu verspüren, für ihn abschreckend genug ist, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Die bescheiderlassende Behörde ist auf das Parteienvorbringen des Berufungswerbers nicht eingegangen, weshalb nicht nur der Sachverhalt mangelhaft begründet wurde, sondern auch das Parteiengehör verletzt wurde.
Die bescheiderlassende Behörde begründet die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft lediglich damit, dass die wiederkehrende Begehung ausgeführten Tat die Feststellung rechtfertigt, dass der Berufungswerber eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Die bescheiderlassende Behörde hat die ihr obliegende Begründungspflicht verletzt, da sie es unterlassen hat, in ihrer Begründung auf alle vorgebrachten Tatsachen einzugehen und nicht begründet hat, warum sie das Vorbringen des Berufungswerbers für nicht glaubwürdig hält. Insbesondere wurde nicht begründet, warum die Behörde im konkreten Fall der Ansicht ist, dass die Zukunftsprognose des Berufungswerbers nicht positiv ist und warum auf das Element der sozialen Verfestigung des Berufungswerbers nicht Rücksicht genommen wurde.
[...]"
Rechtlich ist auszuführen:
Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann der Asylgerichtshof, wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann der Asylgerichtshof die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet; dabei kommt dem Asylgerichtshof die Rolle einer "obersten Instanz" zu (Artikel 129 B-VG).
In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Diese Anordnungen würden aber unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor den Asylgerichtshof verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es der Asylgerichtshof ist, des erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass er seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst beim Asylgerichtshof beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens dafür, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen (vgl. VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; VwGH 30.09.2004, 2001/20/0135; alle Erkenntnisse zum Unabhängigen Bundesasylsenat als Vorgängerbehörde)
Die Asylbehörde ist als Spezialbehörde für das Asylwesen von sich aus verpflichtet, ihren Feststellungen des maßgeblichen Sachverhaltes jeweils aktuelle Beweismittel zu Grunde zu legen (vgl. VwGH vom 04.04.2001, Zl. 2000/01/0348 sowie VwGH vom 14.01.2003, Zl. 2001/01/0604, mwN).
Im Falle der Aberkennung eines gewährten Asyls aufgrund rechtskräftiger Verurteilung durch ein inländisches Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens müssen vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf (vgl. VwGH vom 03.02.2002, Zl. 99/01/0449). Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden sein und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.
Im gegenständlichen Fall hat die Erstbehörde - jedoch ohne genaue Überprüfung und Konkretisierung - nur das Vorliegen eines besonders schweren Verbrechens festgestellt und ist dementsprechend in der Beweiswürdigung auch nur auf diesen Aspekt eingegangen. Doch selbst bei Feststellung des Vorliegens eines besonders schweren Verbrechens durch die Erstbehörde anhand der Parameter, welche auch im Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 Flüchtlingskonvention erstellt wurden (siehe hiezu auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wie z.B. Erkenntnis vom 03.12.2002, Zl. 99/01/0499-9), hat es die Erstbehörde unterlassen zu prüfen, ob sich die Tat im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv - unter besonderer Berücksichtigung von Milderungsgründen und Zukunftsprognose - besonders schwerwiegend erweist (vgl. VwGH vom 03.02.2002, Zl. 99/01/0449). Um das in Asylverfahren eingerichtete zweiinstanzliche Verfahren nicht auszuschalten, hat die Erstbehörde aber brauchbare Ermittlungsergebnisse in Hinblick auf alle vier kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen für eine Aberkennung eines gewährten Asyls aufgrund rechtskräftiger Verurteilung durch ein inländisches Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens zu liefern und diese Ergebnisse mit dem Asylwerber zu erörtern.
Hinzu kommt, dass die Feststellungen zur Lage in Afghanistan im angefochtenen Bescheid zwar Ausführungen (weniger als eine Seite!) zur politischen Lage, aber keine, die eine Entscheidung über den subsidiären Schutz im gegenständlichen Fall ermöglichen, enthalten. Die belangte Behörde hat im Rahmen ihrer rechtlichen Beurteilung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz im Fall des Beschwerdeführers nicht vorliegen, hat allerdings keine Feststellungen hierzu getroffen. So finden sich im angefochtenen Bescheid weder Feststellungen zum Gesundheitszustand, zur Ausbildung, zur Arbeitsfähigkeit, zu Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit für den Beschwerdeführer in Afghanistan, zu einer etwaigen Wohnmöglichkeit für ihn in seinem Herkunftsland, zu seinen dortigen familiären Verhältnissen oder der Schutzfähigkeit der Behörden bzw. der Situation von Mitgliedern der soz. demokr. Partei "Afghan Mellat". Aus welchen Gründen die belangte Behörde ohne die oben angeführten erforderlichen Feststellungen zu dem Schluss kommen kann, dass die Voraussetzungen für die Gewährung des subsidiären Schutzes nicht vorliegen, sohin eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan keine Verletzung von Artikel 3 EMRK bedeuten würde, ist für die erkennende Behörde nicht nachvollziehbar.
Um die erforderlichen Feststellungen treffen zu können, hat die belangte Behörde jedenfalls im fortgesetzten Verfahren den Beschwerdeführer einzuvernehmen und seine Angaben unter Heranziehung aktueller bezughabender Länderberichte, insbesondere hinsichtlich Wohnmöglichkeiten, medizinischer und sozialer Versorgung, Erwerbsmöglichkeiten für rückkehrende Asylwerber in Afghanistan, entsprechend zu würdigen und das Ergebnis der neuerlichen Entscheidung zugrunde zu legen. Im Rahmen einer solchen Verhandlung bzw. Einvernahme wäre zur vollständigen Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes auch die Erörterung der Ermittlungsergebnisse mit dem Beschwerdeführer notwendig - insbesondere Vorhalt der Länderberichte -, um diesem auch das Recht zur Stellungnahme zu gewährleisten.
Das erstinstanzliche Verfahren erweist sich daher insgesamt als so mangelhaft, dass die Durchführung einer neuerlichen mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, wobei es für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG unerheblich ist, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine bloße Einvernahme erfolgt (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084 mwN; 21.11.2002, 2002/20/0315; VwGH 11.12.2003, 2003/07/0079).
Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Asylgerichtshof gemäß § 66 Abs. 2 und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben. Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Beschwerdeführers gegen eine Kassation des erstinstanzlichen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Das Verfahren war gemäß der Bestimmung des § 75 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005, des § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 und der Bestimmung des § 23 Asylgerichtshofgesetz, BGBl I Nr. 4/2008, zu führen.