TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/20 D6 260999-2/2008

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Veröffentlicht am 20.10.2008
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Spruch

D6 260999-2/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Christine AMANN als Beisitzerin über die Beschwerde der Z.H., geb. 00.00.1974, StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.9.2008, Zahl: 04 15.914-BAL, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Die Beschwerdeführerin, eine georgische Staatsangehörige, reiste mit ihrem Sohn, dem Beschwerdeführer zu D6 261000-2/2008, am 7.8.2004 in das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf Asylgewährung.

 

1. Nach ihrer Einvernahme am 7.8.2004, 11.8.2004 und 21.2.2005 wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 4.5.2005 den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Georgien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 zulässig sei; ferner wurde die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach § 8 Abs. 2 leg. cit. ausgewiesen.

 

Mit Schriftsatz vom 23.5.2005 erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid Berufung.

 

2. Am 7.11.2006 führte der Unabhängige Bundesasylsenat eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Mit dem am Ende der Verhandlung verkündeten und am 9.4.2008 schriftlich ausgefertigten Bescheid wies der Unabhängige Bundesasylsenat die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997 ab, stellte jedoch "gemäß § 8 AsylG" fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Georgien nicht zulässig sei. Weiters wurde der Beschwerdeführerin "gemäß § 15 AsylG" eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 6.11.2007 erteilt. Neben Länderfeststellungen zur Situation in Georgien stellt der Unabhängige Bundesasylsenat in seiner Begründung zur Person der Beschwerdeführerin fest, dass die Beschwerdeführerin eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert und danach in der Anästhesie-Abteilung eines Krankenhauses gearbeitet habe. Im Jahr 2000 habe die Beschwerdeführerin geheiratet; im Jahr darauf sei ihr Sohn zur Welt gekommen. Die Beschwerdeführerin habe mit ihrer aus Ossetien stammenden Schwiegermutter, die ihre georgische Schwiegertochter abgelehnt habe, Probleme gehabt, aus denen Eheprobleme erwachsen seien, da die Schwiegermutter der Beschwerdeführerin ihren Ehemann gegen sie aufgehetzt und dieser sie daraufhin bedroht und misshandelt habe. Darüber hinaus würden Angehörige eines im Spital verstorbenen Patienten die Beschwerdeführerin für dessen Tod verantwortlich machen. Sowohl ihr Sohn als auch ihre in Österreich geborene Tochter, die in Österreich geborene Beschwerdeführerin zu D6 267279-2/2008, seien krank. Ihr Sohn leide an Anfällen, und ihre Tochter habe ein Hämatom im Genitalbereich, das operiert werden müsse.

 

Rechtlich folgerte der Unabhängige Bundesasylsenat daraus, dass die Beschwerdeführerin keinen Fluchtgrund iSd GFK glaubhaft gemacht habe. Zum Spruchpunkt II. führte der Unabhängige Bundesasylsenat aus, dass die Beschwerdeführerin gemäß dem durchgeführten Ermittlungsverfahren im Wesentlichen als alleinstehende Mutter zu behandeln sei und im Heimatstaat über kein tragfähiges soziales Netz verfüge. Solange die Beschwerdeführerin für ihre Kinder sorgen müsse, sei ihr eine nachhaltige Arbeitsaufnahme und die Finanzierung ihres Lebensunterhaltes nicht möglich. Die Kinder würden an Krankheiten leiden, die regelmäßiger medizinischer Behandlung bedürften, welche wiederum nur mit Hilfe finanzieller Mittel gewährleistet werden könne.

 

3. Mit Schriftsatz vom 19.9.2007 beantragte die Beschwerdeführerin beim Bundesasylamt die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung im Hinblick auf den (mündlich verkündeten, in diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht ausgefertigten) Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates. Am 3.3.2008 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Am 14.8.2008 stellte die Beschwerdeführerin erneut einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

 

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.9.2008 erkannte das Bundesasylamt den - mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 7.11.2006 zuerkannten - Status der subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 (im Folgenden: AsylG), ab und entzog der Beschwerdeführerin gemäß § 9 Abs. 2 leg. cit. die (ebenfalls mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 7.11.2006) erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte; ferner wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen. In seiner Begründung traf das Bundesasylamt Länderfeststellungen zur Situation in Georgien und stellte die georgische Staatsangehörigkeit sowie Zugehörigkeit zur georgischen Volksgruppe und orthodoxen Religion, nicht jedoch die Identität der Beschwerdeführerin fest. Die Beschwerdeführerin sei "nach eigenen Angaben gesund" und in Österreich in keiner ärztlichen Behandlung. Es könne nicht festgestellt werden, dass die beiden Kinder der Beschwerdeführerin krank wären. In Georgien würden die Eltern und der Bruder der Beschwerdeführerin leben, sodass sie bei einer Rückkehr über ein tragfähiges familiäres Netz verfüge. Die Beschwerdeführerin sei auch keiner ethnisch bzw. religiös motivierten Verfolgung ausgesetzt. Sie befinde sich seit ihrer illegalen Einreise in Österreich und lebe mit ihren beiden minderjährigen Kindern zusammen, besuche keine Schule und arbeite als Zimmermädchen.

 

In ihrer Beweiswürdigung stützte das Bundesasylamt seine personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin auf ihre eigenen Aussagen; dass ihre Kinder krank seien, habe die Beschwerdeführerin nicht vorgebracht. Auch habe die Beschwerdeführerin keine Atteste oder Bestätigungen vorgelegt, die ihre Erkrankung oder eine solche ihrer Kinder nachgewiesen hätte. Auch die Direktorin der Volksschule des Sohnes der Beschwerdeführerin habe bestätigt, dass dieser keine gesundheitlichen Probleme habe. Der "Sachvortrag" der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Verfolgung durch ihren Ex-Lebensgefährten sei äußerst vage und allgemein gehalten gewesen. Es bleibe ihr unbenommen, die Hilfe der georgischen Behörden in Anspruch zu nehmen, was die Beschwerdeführerin selbst im Falle ihrer Rückkehr eingeräumt habe. Ihr Sachvortrag würde "in der Gesamtheit betrachtet" dazu führen, dass "bei der ho. Behörde der Eindruck erweckt" werde, die Beschwerdeführerin würde ihre tatsächliche Situation in Georgien "wahrheitswidrig so [...] gestalten, dass [s]ie im Falle [i]hrer Rückkehr einer Gefährdungssituation [...] ausgesetzt wäre". Abschließend wies die belangte Behörde darauf hin, dass die Rückkehr der Beschwerdeführerin von ihrem Ex-Lebensgefährten nicht bemerkt würde, da - entsprechend ihren Angaben - eine derart massive Einflussnahme durch den Ex-Lebensgefährten auf diverse Grenzkontrollstellen nicht angenommen werden könne. Es bestehe in Georgien auch keine Meldepflicht gegenüber Privatpersonen. Besondere humanitäre Umstände, die einer Rückführung nach Georgien entgegenstünden, würden angesichts der möglichen Unterstützung durch die Familie der Beschwerdeführerin nicht vorliegen. Dass der Beschwerdeführerin in ihrer Heimat eine Arbeitsaufnahme aufgrund der Obsorgepflichten für ihre Kinder unmöglich sei, sei nicht vorstellbar, weil sie auch in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachgehe, zumal ihre Kinder in Georgien durch die Familienangehörigen der Beschwerdeführerin "wahrscheinlich sogar besser beaufsichtigt werden, als in Österreich".

 

Ihre Ausweisungsentscheidung begründete die belangte Behörde unter Anführung zahlreicher Entscheidungen des EGMR und mit dem Hinweis, dass eine Reintegration der Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland angesichts dortiger familiärer Anknüpfungspunkte - ebenso wie der Wechsel ihres Sohnes in das georgische Schulsystem - durchaus möglich sei.

 

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in der die Verletzung von Verfahrenvorschriften sowie die Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes gerügt wird. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass sie sich nach Erhalt des angefochtenen Bescheides in psychiatrischer Behandlung mit "eventueller stationärer Aufnahme" begeben habe müssen und auch "ernstlich mit dem Gedanken" spiele, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Ferner brachte die Beschwerdeführerin erneut vor, Flüchtling iSd GFK zu sein. Abschließend beantragt die Beschwerdeführerin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, ihr nach dem AsylG 1997 Asyl zu gewähren oder in eventu die Unzulässigkeit ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien festzustellen und eine befristetete Aufenthaltsberechtigung nach § 15 AsylG 1997 zu erteilen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiterzuführen.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren. Dies ist im vorliegenden Verfahren der Fall, da die Beschwerdeführerin den bescheidauslösenden Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung nach dem 31.12.2005 gestellt hat.

 

2. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist nicht der rechtskräftig abgewiesene Antrag auf Asylgewährung vom 7.8.2004, sondern die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene amtswegige Aberkennung des mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates zuerkannten Status der subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 AsylG sowie die Entziehung der erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung und Ausweisung nach Georgien durch die belangte Behörde.

 

Die belangte Behörde stützte die angefochtene Entscheidung offensichtlich auf § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, dem zu Folge einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen ist, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung nicht oder nicht mehr vorliegen. Die Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 ist vor dem Hintergrund des Art. 16 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder staatenlosen als Flüchtlinge, ABl. 2004 L 304 S 12 (im Folgenden: StatusRL), zu sehen: Gemäß Art. 16 Abs. 1 ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr subsidiär Schutzberechtigter, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz auch nicht mehr erforderlich ist (vgl. dazu ausführlich Putzer/Rohrböck, Asylrecht [2007] Rz 224).

 

Im vorliegenden Fall hat der Unabhängige Bundesasylsenat seine Zuerkennung des subsidiären Schutzes - kurz zusammengefasst - mit der Situation der Beschwerdeführerin als alleinstehende Mutter ohne tragfähiges soziales Netz begründet, in ihrer Heimat für die Heilung der festgestellten Krankheiten der Kinder - ohne Vernachlässigung der Obsorgepflichten - nicht die erforderlichen finanziellen Mittel durch Arbeitsaufnahme aufbringen zu können. Die belangte Behörde begründete die Aberkennung des subsidiären Schutzes - ebenfalls kurz zusammengefasst - damit, dass die Beschwerdeführerin - ebenso wie ihre Kinder - gesund sei und bei einer Rückkehr über ein tragfähiges familiäres Netz verfüge, da ihre Eltern und ihr Bruder in Georgien leben. Sie hat damit ihre Entscheidung, soweit sich dies aus der Begründung ableiten lässt, nicht mit neu entstandenen Tatsachen, sondern mit Umständen begründet, die bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung durch den Unabhängigen Bundesasylsenat bestanden haben. Dabei handelt es sich um nova reperta.

 

Gemäß § 69 Abs. 1 AVG ist eine Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens dann zulässig, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist (Z 1) oder neue Tatsachen oder Beweismittel, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Verfahrensergebnis voraussichtlich einem im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheidinhalt herbei geführt hätten (Z 2).

 

Nach § 69 Abs. 4 AVG steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme jener Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat. Der erkennende Senat geht davon aus, dass diese Zuständigkeitsregelung gemäß § 23 AsylGHG auch für den Asylgerichtshof gilt.

 

Soweit also die belangte Behörde die Aberkennung des subsidiären Schutzes aufgrund von Umständen iSd § 69 Abs. 1 Z 2 AVG begründet, hat sie eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nicht zukommt. Auch § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ermöglicht eine Aberkennung des verliehenen Schutzes nur bei Wegfall der entscheidungsrelevanten Umstände, nicht aber dann, wenn diese Umstände nicht bestanden haben oder gar die erstinstanzliche Behörde diese Umstände anders als die übergeordnete Instanz einschätzt. Auch die erste Variante des § 9 Abs. 1 Z 1 ("... die Voraussetzungen ... nicht ... vorliegen") vermag keinen Eingriff in die materielle Rechtskraft der Zuerkennungsentscheidung dahingehend zu bewirken, dass das Bundesasylamt die Entscheidung der Rechtsmittelinstanz nachprüfend kontrolliert und allenfalls im Wege eines Aberkennungsbescheides korrigiert. Sollte sich nachträglich herausstellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Vornherein nicht gegeben waren, so wäre mit amtswegiger Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG vorzugehen (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005 [2006] 327).

 

3. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nicht erkennbar dargelegt, welche (für die Entscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenates relevanten) Umstände nunmehr weggefallen sind: Die in der Beweiswürdigung enthaltene Bemerkung der belangten Behörde, es entstehe der Eindruck einer wahrheitswidrigen Gestaltung des Vorbringens der Beschwerdeführerin zugunsten einer Gefährdungssituation im Falle ihrer Rückkehr nach Georgien, gemahnt an den Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 1. Die Feststellung der belangten Behörde hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Kinder der Beschwerdeführerin stützt sich darauf, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Einvernahme vom 3.3.2008 nichts hinsichtlich einer Erkrankung der Kinder (mehr) vorgebracht habe. Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführerin in dieser Einvernahme, in der andere Aspekte im Vordergrund standen, überhaupt nicht nach dem Zustand ihrer Kinder gefragt wurde, lässt die belangte Behörde außer acht, dass der unabhängige Bundesasylsenat in seinem Bescheid - auf den Aussagen der Beschwerdeführerin in der Verhandlung gründend - festgestellt hat, dass ihr Sohn unter Ohnmachtsanfällen leide und bei ihrer Tochter aufgrund eines Hämatoms eine Operation erforderlich sei. Es wäre Aufgabe der belangten Behörde gewesen, die Beschwerdeführerin in dieser Hinsicht zu befragen, bevor sie aus der bloßen Nichterwähnung derartiger Umstände durch die Beschwerdeführerin bereits entscheidungswesentliche Schlussfolgerungen zieht.

 

Auch ist nicht ersichtlich, dass die belangte Behörde die Beschwerdeführerin mit der im angefochtenen Bescheid beweiswürdigend herangezogenen Aussage der Volksschuldirektorin, wonach das Kind der Beschwerdeführerin gesund sei, konfrontiert hat. Damit hat die belangte Behörde in einem entscheidenden Punkt das Parteiengehör verletzt. Im Übrigen ist die Aussage auch nicht im Verwaltungsakt der Beschwerdeführerin festgehalten. Im Akt zu D6 261000-2/2008 findet sich ein Aktenvermerk vom 12.9.2008, demzufolge die Direktorin Volksschule des Sohnes der Beschwerdeführerin telefonisch auf Anfrage mitteilte, dass dieser nach "ihren Informationen keine gesundheitlichen Probleme" habe. Es bedarf keiner Erörterung, dass die Aussage der Volksschuldirektorin, die den Sohn der Beschwerdeführerin als "frisch und fröhlich" bezeichnete, im vorliegenden Fall keinen (entscheidenden) Ausschlag geben kann.

 

Der Unabhängige Bundesasylsenat hat das Fehlen eines sozialen Netzes für die Beschwerdeführerin in ihrer Heimat nicht unter der Annahme getroffen, dass ihre Eltern und ihre Brüder nicht in Georgien leben. Es wäre daher zu prüfen gewesen, inwieweit die Verwandtschaftsverhältnisse das vom Unabhängigen Bundesasylsenat angenommene fehlende soziale Netz für die Beschwerdeführerin in Georgien, das letztlich aus der Situation der Beschwerdeführerin als Alleinerzieherin abgeleitet wurde, geeignet sind, dieses "soziale Netz" nunmehr ersetzen können. Eine diesbezügliche Frage an die Beschwerdeführerin, ob ihre Eltern bzw. ihr Bruder überhaupt die in Rede stehende Unterstützung leisten können, wurde in der Einvernahme vom 3.3.2008 nicht gestellt.

 

4. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG iVm § 23 AsylGHG kann der Asylgerichtshof - wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint - den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverweisen. Gemäß § 66 Abs. 3 AVG iVm § 23 AsylGHG kann der Asylgerichtshof jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof betonte in seiner langjährigen Rechtsprechung zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG in Asylsachen (vor Inkrafttreten des AsylGHG), dass dem Unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderen Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" im Rahmen eines zweiinstanzlichen Verfahrens (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) zukomme (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135). In diesem Verfahren habe bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es sei gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liege nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages solle nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sehe man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Dies spreche auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens dafür, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.

 

Der erkennende Senat des Asylgerichtshofes sieht keinen Grund anzunehmen, dass sich die dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die (mit Inkrafttreten der B-VG-Novelle BGBl I Nr. 2/2008 sowie des AsylGHG geänderte) neue Rechtslage übertragen ließe. Es liegt weiterhin nicht im Sinne des Gesetzes, wenn der Asylgerichtshof erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass er seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst - sieht man von der auf Verfassungsfragen beschränkten Kontrollbefugnis durch den Verfassungsgerichtshof ab - beim Asylgerichtshof beginnen und zugleich enden.

 

Im hier zu beurteilenden Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren - wie oben unter Punkt 3. erläutert - mangelhaft geblieben. Die zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungsschritte würden jedenfalls die Ergänzung der Einvernahme der Beschwerdeführerin nach sich ziehen, sodass eine der Voraussetzungen für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG normiert ist, nämlich, dass infolge des mangelhaften Sachverhaltes die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint; ob es sich um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt, macht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Unterschied (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; 11.12.2003, 2003/07/0079).

 

Der Umfang des noch durchzuführenden Ermittlungsverfahrens lässt den erkennenden Senat zum Ergebnis gelangen, dass dessen Nachholung durch den Asylgerichtshof ein Unterlaufen des zweiinstanzlichen Instanzenzuges bedeuten würde und daher im vorliegenden Fall nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen ist. Dass eine unmittelbare Beweisaufnahme und Durchführung der mündlichen Verhandlung durch den erkennenden Senat des Asylgerichtshofes eine "Ersparnis an Zeit und Kosten" iSd § 66 Abs. 3 AVG erzielen würde, ist - angesichts des mit dem asylgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten administrativ-manipulativen Aufwandes - nicht ersichtlich.

 

5. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde - ohne Eingriff in die Rechtskraft des Zuerkennungsbescheides durch rechtliche Umwürdigung des dort festgestellten Sachverhaltes - zu prüfen haben, ob die entscheidungsrelevanten Tatsachen, sohin die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 AsylG weggefallen sind. Nur in diesem Fall wird eine Aberkennung des subsidiären Schutzes in Erwägung zu ziehen, andernfalls die beantragte Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung zu erteilen sein. Die belangte Behörde wird insbesondere die Beschwerdeführerin hinsichtlich des Gesundheitszustandes ihrer Kinder ausführlich und eingehend vor dem Hintergrund der vom Unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 7.11.2006 festgestellten Erkrankungen bzw. gesundheitlichen Probleme zu befragen haben und allenfalls weitere Beweismittel in Betracht zu ziehen haben. Auch werden für die allfällige Annahme eines "tragfähigen sozialen Netzes" im Falle der Rückführung der Beschwerdeführerin - unter Bedachtnahme auf die Ausführungen des Unabhängigen Bundesasylsenates zur Grundversorgung - die entsprechenden Ermittlungen zu führen und unter Wahrung des Parteiengehörs mit der Beschwerdeführerin zu erörtern sein.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
04.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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