TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/21 S13 400840-1/2008

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Veröffentlicht am 21.10.2008
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Spruch

S13 400.840-1/2008/5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde des T. auch T.K., geb. 00.00.1973, StA. Russische Föderation, vertreten durch: RA Mag. Susanne Singer, Maria-Theresia-Straße 9, 4600 Wels, gegen den Bescheid des Bundesasylamts vom 19.07.2008, FZ. 08 01.152-EAST-WEST, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verwaltungsverfahren und Sachverhalt

 

Verfahren vor dem Bundesasylamt

 

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation inguschetischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste mit seiner Frau und drei minderjährigen Kindern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 30.01.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Am selben Tag wurde die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Linz Hauptbahnhof in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch durchgeführt.

 

Am 31.01.2008 erfolgte eine Eurodac-Abfrage, die ergab, dass er bereits am 25.01.2008 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte.

 

Am 01.02.2008 richtete das Bundesasylamt aufgrund des Ergebnisses der Eurodac-Abfrage ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) an die zuständige polnische Behörde.

 

Am 06.02.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG zurückzuweisen und dass zu diesem Zwecke Konsultationen mit Polen gemäß der Dublin II-VO geführt werden.

 

Mit Schreiben vom 11.02.2008, erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers bereit.

 

Am 15.02.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch einvernommen.

 

Am 26.02.2008 erfolgte die Untersuchung des Beschwerdeführers zur gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren durch Dr. A.A., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie.

 

Am 00.00.2008 wurde das fünfte Kind des Beschwerdeführers in Österreich geboren.

 

Am 15.07.2008 wurde der Beschwerdeführer erneut vom Bundesasylamt nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters und eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme wurde ein Schreiben von Dr. Josef Leitner betreffend einen Befund von Dr. E.D., Facharzt für Psychiatrie, vom 11.07.2008 vorgelegt.

 

Mit Bescheid vom 19.07.2008, FZ. 08 01.152-EAST-WEST, wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück (in der Folge: angefochtener Bescheid).

 

Im angefochtenen Bescheid weist das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (I.). Der Beschwerdeführer wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und demzufolge festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig ist (II.).

 

Beschwerde

 

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertreterin am 30.07.2008 Beschwerde beim Bundesasylamt erhoben. Die Beschwerde langte am 04.08.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

In der Beschwerdeschrift bringt der Beschwerdeführer bezogen auf seine Person im Wesentlichen vor, dass eine zwangsweise Überstellung nach Polen zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen würde, da er aufgrund der Ereignisse in Tschetschenien schwer traumatisiert sei. Er leide an Schlafstörungen, ständiger Angst und chronischer Müdigkeit und sei eine längere depressive Reaktion in psychologischer Hinsicht diagnostiziert worden. Weitere Behandlungen in Österreich seien vorgesehen. Ferner widerspreche das Gutachten von Dr. A. dem von Dr. D.. Wenn ihm von der erstinstanzlichen Behörde vorgeworfen werde, er habe in Polen keine medizinische Behandlung in Anspruch genommen, gebe er dazu an, er sei nur drei Tage in Polen gewesen und habe nicht vorgehabt, dort länger zu bleiben. Ferner habe er sich in Polen nicht sicher gefühlt, da er einen Anruf erhalten habe, dass man ihn in Polen gesehen habe und nach ihm gesucht werde. Weiters lebe seine Schwester seit vier Jahren in Österreich und habe den Status eines anerkannten Konventionsflüchtlings. Seine Schwester unterstütze ihn, bringe regelmäßig Lebensmittel und leiste auch finanzielle Hilfe. Er habe während seiner gesamten Kindheit gemeinsam mit seiner Schwester im gleichen Haushalt gelebt und es bestehe ein besonders intensives Verhältnis. Dass er den Familiennamen und das Geburtsdatum seiner Schwester nicht wisse, komme daher, dass in seinem Kulturkreis Geburtsdaten nicht wichtig seien. Wenn ihm die Behörde vorwerfe, dass er angegeben habe, seine Schwester lebe in Linz; diese jedoch tatsächlich in Leonding wohne, sei dieser Vorwurf unrealistisch, da Leonding zu Linz gehöre. Es könne ihm auch nicht vorgeworfen werden, dass er angegeben habe, seine Schwester habe vier Kinder, obwohl diese tatsächlich fünf Kinder habe, da die letzte Geburt erst sehr kurz zurückliege.

 

Beweismittel

 

Als Beweismittel hat der Asylgerichtshof das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung am 30.01.2008 und in den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 15.02.2008 und am 15.07.2008 und weitere Beweismittel verwendet.

 

Parteivorbringen des Beschwerdeführers

 

1. In der Erstbefragung am 30.01.2008 hat der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes angegeben (AS. 25):

 

Er habe sein Heimatland am 12.01.2008 legal mit seinem eigenen Reisepass verlassen und sei über Polen in die EU eingereist. Dort habe er einen Asylantrag gestellt und sei für drei Tage in einem Flüchtlingslager aufhältig gewesen. Danach sei er schlepperunterstützt weiter nach Österreich gefahren.

 

Sein Heimatland habe er verlassen, da er dort nicht in Frieden leben könne. Es werde bombardiert und Panzer würden durch die Straßen fahren. Anfang 2007 sei sein jüngerer Bruder verprügelt, festgenommen und einen Monat angehalten worden.

 

Über seinen Aufenthalt in Polen könne er keine Angaben machen. Er wolle einfach nicht nach Polen.

 

2. In der ersten Einvernahme am 15.02.2008 hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS. 81):

 

Sein Heimatland habe er verlassen, da er bei Meetings in N. gegen den Präsidenten teilgenommen habe und daher von den Behörden gesucht werde.

 

Polen habe er gemeinsam mit seiner Familie verlassen, da die Personen, die ihn zu Hause gesucht hätten, wissen würden, dass er in Polen sei. Dies sei ihm von zu Hause per SMS mitgeteilt worden. Er sei in Polen nicht verfolgt oder bedroht worden, jedoch habe ihm sein Vater zwei oder drei SMS geschickt, dass sie wissen würden, dass er in Polen sei. Woher diese Leute das wüssten, könne er nicht sagen. Er wisse auch nicht, woher sein Vater dies erfahren hätte. Ob er diese SMS noch habe, wisse er nicht. Sein Vater habe ihm gesagt, er solle wegfahren. Eine Anzeige bei der Polizei habe er nicht erstattet. Polen sei offen für Russland. Er habe Angst, dass er in Polen festgenommen und nach Russland zurückgeschickt werde.

 

Auf Nachfrage des Bundesasylamtes zum Gesundheitszustand, hat der Beschwerdeführer angegeben, er fühle sich normal, leide nur an Kopfschmerzen und sein Nervensystem sei seit 2007 nicht in Ordnung. Dies habe ein Arzt im Krankenhaus festgestellt. Weiters sei seine mittlere Tochter krank und schlafe in der Nacht nicht und seine Frau sei schwanger.

 

Seine Schwester namens M.F. lebe seit vier Jahren als Flüchtling in Österreich. Sie habe geheiratet und daher wisse er ihren neuen Familiennamen nicht. Seine Schwester lebe in Linz mit ihrem Ehemann und vier Kindern. Im Herkunftsstaat habe er mit seiner Schwester im gemeinsamen Haushalt gelebt. Seine Schwester sei entweder 1968 oder 1969 geboren; den Tag und das Monat wisse er nicht. Er kenne weder den Familiennamen des Ehemannes seiner Schwester noch deren Handynummer. Ob seine Schwester noch woanders als in Linz gewohnt habe, wisse er nicht. Seine Schwester habe vor ca. 16 Jahren im Heimatland geheiratet, dann sei sie weggezogen. Nachdem Tod ihres Mannes habe sie wieder mit dem Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt gewohnt; er wisse jedoch nicht, wie lange. Seine Schwester habe ihm nie Geld geschickt.

 

3. In der zweiten Einvernahme am 15.07.2008 hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS. 163):

 

Sein Vater habe ihn über SMS gewarnt, dass er gesucht werde. Sein Vater könne nicht selbst SMS schreiben; dies habe jemand für ihn erledigt.

 

Auf Vorhalt der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. A. gab er an, er könne nicht nach Polen zurück.

 

Zur beabsichtigten Vorgehensweise des Bundesasylamtes, ihn nach Polen zu überstellen, gab er an, Polen stehe für alle Russen offen und sei deshalb gefährlich für ihn. Er habe sich soweit wie möglich von Polen entfernen wollen, jedoch habe das Geld nur für Österreich gereicht. Seine Schwester sei auch hier.

 

Weitere Beweismittel

 

1. Laut Eurodac-Abfrage vom 31.01.2008 hat der Beschwerdeführer bereits am 25.01.2008 in Lublin (Polen) einen Asylantrag gestellt (vgl. AS. 5).

 

2. Die polnischen Behörden haben sich mit Schreiben vom 11.02.2008 gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers für zuständig erklärt (vgl. AS. 71).

 

3. Die gutachterlichen Stellungnahme vom 26.02.2008 von Dr. A., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, kommt zu dem Ergebnis, dass der Überstellung nach Polen keine schweren psychischen Störungen entgehen stehen würden, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden. Der Beschwerdeführer leide an einer Anpassungsstörung mittleren Grades, Spannungskopfschmerz und einer vegetativen Dystomie (vgl. AS 137).

 

Sachverhalt nach Beweiswürdigung

 

Nach Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers und der sonstigen Beweismittel stellt sich dem Asylgerichtshof folgender Sachverhalt dar:

 

1. Der Beschwerdeführer ist gemeinsam mit seiner schwangeren Ehefrau und seinen drei minderjährigen Kindern in Polen eingereist und stellte dort am 25.01.2008 einen Asylantrag. Nach ca. drei Tagen hat der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie Polen verlassen, ohne den Ausgang des Asylverfahrens abzuwarten und ist in der Folge illegal nach Österreich eingereist.

 

Diese Feststellungen ergeben sich sowohl aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers als auch aus der Eurocac-Abfrage, wonach der Asylantrag in Polen am 25.01.2008 gestellte wurde und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer am 30.01.2008 bereits in Österreich eingetroffen war.

 

2. Die Ehefrau des Beschwerdeführers brachte am 00.00.2008 in Österreich nach komplikationsloser Geburt ihr fünfts Kind zur Welt. Drei gesunde Kinder begleiteten den Beschwerdeführer und seine Ehefrau bei der Flucht nach Österreich. In ihrer Heimat hatten der Beschwerdeführer und seine Frau ein Kind elf Tage nach der Geburt verloren.

 

Diese Feststellungen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau in deren eigenem Verfahren (GZ: S13 400.841).

 

3. Es besteht keine Gefahr, dass der Beschwerdeführer der Bedrohung oder Verfolgung durch russische Sicherheitsdienste in Polen ungeschützt ausgesetzt ist.

 

Der Asylgerichshof stellt fest, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers sich in diesem Punkt im Wesentlichen zunächst darauf beschränkt, dass er einfach nicht nach Polen zurückwolle. Die erst in der weiteren Folge getätigte Aussage, die Personen, die ihn zu Hause gesucht hätten, wüssten, dass er in Polen sei. Dies habe er von seinem Vater in zwei oder drei SMS erfahren, ist für den Asylgerichtshof nicht glaubwürdig. Die Angaben sind nämlich wenig substantiiert, und es kommt hinzu, dass es allgemein wenig wahrscheinlich ist, dass etwaige Verfolger den Aufenthalt des Beschwerdeführers und seiner Familie in Polen in den drei bis fünf Tagen, die er sich in Polen aufgehalten hat, ermittelt und diese Meldung in die Heimat weitergeleiten haben, wo es der Vater des Beschwerdeführers erfährt und diesen per SMS warnt. Hinzu kommt, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers in ihrem eigenen Verfahren immer nur von Anrufen und nicht von SMS gesprochen hat. Auch in der Beschwerde selbst wurde auf Anrufe verwiesen.

 

4. Der Beschwerdeführer leidet nicht an einer belastungsabhängigen, krankheitswertigen psychischen Störung oder einer sonstigen physischen Erkrankung, welche einer Überstellung nach Polen entgegenstehen könnte.

 

Dies ergibt sich aus der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren von Dr. A.. Das Vorbringen in der Beschwerde, dieses Gutachten widerspreche dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Befund von Dr. D. geht ins Leere, da der Befund von Dr. D. zu einer Überstellung nach Polen gar nicht Stellung genommen hat. Im Übrigen bestehen in Polen gemäß den erstinstanzlichen Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, denen die Beschwerde im Übrigen nicht entgegengetreten ist, ausreichende Möglichkeiten zur Behandlung von psychischen Erkrankungen.

 

5. Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt verheiratet in Österreich. Zu dieser Schwester bestehen weder eine finanzielle noch eine sonstige Abhängigkeit und auch kein intensives Verhältnis.

 

Dies ergibt sich daraus, dass nach dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach die gegebene Unterstützung über die innerhalb einer Familie üblichen kleinen finanziellen Zuwendungen (wie z.B. einkaufen), gelegentliche Besuche in der Unterkunft und Gespräche mit dem Beschwerdeführer nicht hinausgehe. Ferner wird auch darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer wichtige Daten (Familienname, Wohnort Geburtsdatum und Anzahl der Kinder) seiner Schwester nicht wusste bzw. falsch angab. Den diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde ist entgegenzuhalten, dass - wenn auch Geburtsdaten in seinem Kulturkreis nicht wichtig sind - es nicht erklärbar ist, warum der Beschwerdeführer die Anzahl der Kinder seiner Schwester nicht wusste, obwohl er bei den regelmäßigen Besuchen zumindest hätte sehen müssen, dass seine Schwester schwanger ist.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Rechtlicher Rahmen

 

Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Asylverfahren das AsylG 2005 anzuwenden ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG, ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Mitgliedstaat der Dublin II-VO Schutz vor Verfolgung findet.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO) zuständig ist, wobei die dort geregelten Zuständigkeitskriterien nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

Gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrages unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, wieder aufzunehmen.

 

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den Kriterien der Art. 6 bis 13 Dublin II-VO nicht zuständig ist. Nach der Judikatur ist dieses Selbsteintrittsrecht zwingend anzuwenden, wenn ein Asylbewerber mit dem Vollzug der Ausweisung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat der Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung (Art. 3 EMRK) oder der Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) ausgesetzt wäre (VfGH 08.03.2001, G 117/00 u.a.; VfGH 11.06.2001, B 1541/00; VfGH 15.10.2004, G 237/03 u. a.; VfGH 17.06.2005, B 336/05)

 

Gemäß § 10 AsylG ist ein Bescheid über einen Asylantrag mit einer Ausweisung in einen bestimmten Staat zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen (Absatz 1 Ziffer 1) wird und keiner der in § 10 Absatz 2 und Absatz 3 AsylG festgelegten Gründe für die Unzulässigkeit der Ausweisung des vorliegt.

 

Gemäß § 10 Absatz 4 AsylG gilt eine Ausweisung wegen Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers.

 

Zulässigkeit der Beschwerde und Verfahren vor dem Asylgerichtshof

 

Die Beschwerde ist fristgerecht beim Asylgerichtshof eingebracht worden und es bestehen keine Bedenken gegen ihre Zulässigkeit.

 

Mit Beschluss vom 08.08.2008 hat der Asylgerichtshof der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte im Verfahren vor dem Asylgerichtshof von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung

 

Die angefochtene Entscheidung ist rechtmäßig, da das Bundesasylamt keine Verfahrensfehler begangen hat sowie zu Recht festgestellt hat, dass Österreich für die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers nicht zuständig ist und zu Recht die Ausweisung nach Polen verfügt hat.

 

Ordnungsgemäßes Verfahren vor dem Bundesasylamt

 

Der Asylgerichtshof stellt zunächst fest, dass das Verwaltungsverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde.

 

Dem Beschwerdeführer wurde insbesondere durch die Erstbefragung, die Einvernahme mit vorhergehender Rechtsberatung und schließlich durch das erneute Parteigehör unmittelbar vor Erlass des angefochtenen Bescheides - alle jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt. Ihm wurde weiters vor der ersten Einvernahme und innerhalb von 20 Tagen ab Einbringen seines Antrags schriftlich mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen Zuständigkeit Polens zurückzuweisen (§§ 28, 29 AsylG).

 

Unzuständigkeit Österreichs

 

Der Asylgerichtshof stellt fest, dass das Bundesasylamt keine Beurteilungsfehler begangen hat als es feststellte, dass für die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers ausschließlich Polen zuständig ist.

 

Zur Zuständigkeit Polens

 

Was zunächst die Feststellung der Zuständigkeit Polens betrifft, so hat das Bundesasylamt diese Zuständigkeit im angefochtenen Bescheid richtigerweise auf Art. 16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO gestützt, da der Beschwerdeführer bereits in Polen am 25.01.2008 einen Asylantrag gestellt hat und sich während der Prüfung dieses Asylantrages unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates, nämlich in Österreich, aufgehalten hat.

 

Zur Zuständigkeit Österreichs durch Selbsteintritt

 

Schließlich besteht auch keine Pflicht Österreichs, vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Im vorliegenden Fall besteht nämlich kein Grund anzunehmen, dass die Nichtzulassung zum Asylverfahren in Österreich wegen der damit verbunden Ausweisung nach Polen im konkreten Fall einen Verstoß der österreichischen Behörde gegen die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 oder Art. 8 EMRK darstellt.

 

Was eine Verletzung von Art. 3 EMRK betrifft, so ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt (I.4. unter 3. und 4.), dass der Beschwerdeführer nicht konkret Gefahr läuft, durch die Überstellung nach Polen einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden. Er wäre nämlich dort weder der ernsten Gefahr einer Verfolgung durch russische Sicherheitstruppen ausgesetzt noch würde sich sein physischer oder psychischer Gesundheitsszustand derart verschlechtern, dass eine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung in Polen keine Hilfe versprechen würde.

 

Es liegt auch kein Eingriff auf das Recht auf Schutz des Privatlebens vor, da in der Person des Beschwerdeführers nicht von einer verfestigten Integration in Österreich gesprochen werden kann.

 

Was eine Verletzung von Art. 8 EMRK betrifft, so stellt der Asylgerichtshof fest, dass sich das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid mit der familiären Situation des Beschwerdeführers in Österreich befasst hat und zu Recht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass - wie sich aus dem festgestellten Sachverhalt (I.4. unter 5.) ergibt - kein über das übliche Maß hinausgehende familiäre Beziehungen zu seiner Schwester in Österreich besteht, insbesondere liegt weder ein gemeinsamer Haushalt noch eine finanzielle oder sonstige Abhängigkeit vor, und daher kein Eingriff in das Rechts auf Familienleben vorliegt, wenn der Beschwerdeführer nicht zum Verfahren in Österreich zugelassen würde.

 

Rechtmäßigkeit der Ausweisung

 

Was die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach Polen betrifft, so ergibt sich diese zunächst unmittelbar aus § 10 Absatz 1 Z. 1 AsylG, da der Antrag auf internationalen Schutz - wie oben unter 3.2. dargelegt - vom Bundesasylamt zu Recht zurückgewiesen wurde.

 

Es ergeben sich auch weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aus sonstigen Anhaltspunkten Gründe dafür anzunehmen, dass die sofortige Ausweisung wegen Verstoßes gegen § 10 Abs. 2 AsylG oder gegen § 10 Abs. 3 AsylG unzulässig wäre. Insoweit verweist der Asylgerichtshof auf die oben unter 3.2.2. gemachten Ausführungen.

 

Da die Ausweisung nach Polen rechtmäßig ist, hat das Bundesasylamt auch zu Recht festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig ist. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 10 Abs 4 AsylG.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, Glaubwürdigkeit, Intensität, real risk
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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