TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/21 E10 313850-2/2008

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Veröffentlicht am 21.10.2008
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Spruch

E10 313.850-2/2008-20E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Vorsitzenden und den Richter Mag. R. ENGEL als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau S. DUTZLER über die Beschwerde des A.Z.S., geb. am 00.00.1977 auch 00.00.1979, StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.07.2007, FZ. 05 20.596-BAW, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.10.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF, BGBl. I Nr. 129/2004 iVm § 75 (1) AsylG 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2008/4 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

I. Der Asylgerichtshof nimmt den nachfolgenden Sachverhalt als erwiesen an:

 

1. Bisheriger Verfahrenshergang

 

1.1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger vom Irak, reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 26.11.2005 einen Asylantrag ein. Dazu wurde er an den im bekämpften Bescheid ersichtlichen Daten von einem Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenem Bescheid vollständig wiedergegeben.

 

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.07.2007 FZ. 05 20.596-BAW wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I). Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in dessen Herkunftsstaat wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 3 iVm 15 (2) leg. cit. wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.7.2008 erteilt (Spruchpunkt III).

 

1.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit formularmäßig abgefassten, nicht auf die individuelle Sache eingehenden Schriftsatz vom 30.07.2007 innerhalb offener Frist "Berufung" [nunmehr:

"Beschwerde"] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

1.4. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.7.2007, Zahl 313.850-1/2E-XVIII/58/07 wurde die Berufung gem. § 66 (4) AVG zurückgewiesen, weil diese laut Ansicht des entscheidenden Senatsmitgliedes keinen begründeten Berufungsantrag enthielt.

 

1.5. Aufgrund einer rechtzeitig eingebrachten Beschwerde hob der VwGH mit Erkenntnis vom 29.2.2008, Zahl2007/20/1425-7 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

 

1.6. Am 08.10.2008 führte der AsylGH eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Deren wesentlicher Verlauf wird wie folgt wieder gegeben:

 

"...

 

VR: Haben Sie beim Bundesasylamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtigstellen?

 

BF: Ich habe immer die Wahrheit gesagt und möchte nichts richtigstellen.

 

VR: Hat sich seit der Einbringung der Berufung [Beschwerde] an den Gründen, warum Sie den Irak verlassen haben, etwas geändert?

 

BF: Es hat sich nichts geändert, ich kann heute einen Personalausweis vorlegen.

 

BF legt Personalausweis vor. Dieser wird als Beilage A zum Akt gegeben.

 

VR: Wie sind sie den in den Besitz dieses Personalausweises gekommen?

 

BF: Ich bin gemeinsam mit meiner Schwester im Jahr 2005 hergekommen. Meine Schwester hat eine Freundin in Deutschland. Diese in Deutschland lebende Freundin besuchte den Irak und meine Familie und diese brachte den Ausweis mit.

 

VR: Möchten Sie Ihre Angaben, warum sie den Irak verlassen haben bzw. nicht mehr dorthin zurückkehren wollen, ergänzen?

 

BF: Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.

 

VR: Warum sind sie mit dem erstinstanzlichen Bescheid nicht einverstanden?

 

BF: Mit der Aufenthaltsbewilligung war ich schon einverstanden.

 

VR: Warum haben sie dann gegen den erstinstanzlichen Bescheid berufen?

 

BF: Meine Schwester ist seit 3 Jahren in Deutschland und ich habe sie seit damals nicht gesehen. (Nach Erörterung der Frage durch den VR) Weil mein Lebens im Irak bedroht ist.

 

VR: Sie gaben beim BAA an bedroht worden zu sein. Wer bedrohte Sie und weswegen?

 

BF: Von der Al-Kaida. Und wir wurden oft mit Drohbriefen bedroht.

 

VR: Wann und wo wurden Sie bedroht?

 

BF: Die Briefe kamen an die Adresse von meiner Schwester. Das hat sich im Jahre 2005 abgespielt.

 

VR: Über welchen Zeitraum kamen die Briefe?

 

BF: Es war im März. Mit Abstand von 1-2 Wochen kamen diese Briefe. Es waren zwei.

 

VR: Was stand in diesen Briefen?

 

BF: Da steht: Solltest du deinen Dienst bei der Nationalgarde nicht beenden, dann wirst du umgebracht.

 

VR: Und woher wissen sie, dass diese Briefe von der Al-Kaida waren

 

BF: Sie kam von Mosul und das spricht sich herum. Es wurden viele Leute auf diese Weise umgebracht.

 

VR: Gab es außer diesen Drohbriefen noch andere Übergriffe?

 

BF: Meine Schwester hat eine Tochter die 14 Jahre alt war und sie bekam auch eine Drohung mit Entführung der Tochter.

 

VR: Gab es noch andere Übergriffe auf andere Familienmitglieder?

 

BF: Nein

 

VR: Haben solche Drohungen auch andere Mitglieder der Nationalgarde bekommen?

 

BF: Ja. Haben auch viele andere bekommen.

 

VR: War dass dem Kommando der Nationalgarde bekannt, dass die Soldaten bedroht wurden?

 

BF: Ja, die wissen das.

 

VR: Welche Maßnahmen wurden seitens des Kommandos gesetzt?

 

BF: Die haben Leute geschickt durch die Straßen und es wurden Informationen gesammelt, wer dahinter steht. Ich bin ein einfacher Soldat und habe das nur so mitbekommen.

 

VR: Wurden die bedrohten Mitglieder irgendwie besonders geschützt?

 

BF: Für die Offiziere gab es Personenschutz. Wenn man als einfacher Soldat einen Brief bekommt, dann schauen sie die Briefe an, aber es gibt keinen Personenschutz.

 

VR: Geben Sie an, welche Berufe Sie bisher in Ihrem Leben von wann bis wann ausübten und wer Ihr Dienstgeber war.

 

BF: Ich war März 2005 bis Juni 2005, insgesamt habe ich ungefähr dreieinhalb Monate gedient.

 

VR: Was war denn ihre Aufgabe bei der Nationalgarde?

 

BF: Ich war zugeteilt bei den Straßenkontrollen und wurde fallweise zugezogen um den Gefahrenkreis rund um ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug abzusichern.

 

VR: Beim Bundesasylamt haben sie am 23.03.2007 angegeben, dass sie von 1991 bis 2005 in Mosul als Chauffeur bzw. von Jänner 2004 bis Februar 2005 bei der Nationalgarde gearbeitet zu haben? (AS 111-115)

 

BF: Ich bleibe bei meiner heutigen Aussage. Ich habe nicht als Chauffeur gearbeitet. Ich habe weder einen Führerschein noch kann ich fahren.

 

VR: Können sie ihre Mitgliedschaft bei der Nationalgarde durch einen Dokument bestätigen?

 

BF: Ich habe das schon gehabt, allerdings durch den Hausbrand wurden alle Dokumente vernichtet, selbst der vorgelegte Personalausweis ist ein Duplikat:

 

VR: Dann hätte die Freundin der Schwester auch bei der Nationalgarde ein Duplikat oder eine sonstige Bestätigung verlangen können?

 

BF: Das wäre zu gefährlich gewesen.

 

VR: Warum?

 

BF: Sie hätte umgebracht werden können. Sie hatte Angst.

 

VR: Wie wird man Mitglied der irakischen Armee bzw. Nationalgarde?

 

BF: Jeder normale Bürger kann sich dort bewerben, dass dauert nicht lange bis man aufgenommen wird, weil das Land erheblich Bedarf an Soldaten hat.

 

VR: Welche Ausbildung durchläuft man?

 

BF: Grundausbildung dauert nur 15 Tage, man lernt den Umgang mit Waffen und Schützengräben auszuheben. Und dann Kampfübungen mit Waffen für 40 Tage. Ich besuchte diese 40-tägige Waffenausbildung.

 

VR: Beschreiben Sie den Aufbau der irakischen Armee bzw. Nationalgarde?

 

BF: 15 - 20 Personen bilden die untere Organisationsstufe (Saria). Dann kommt die Einheit Fautsch 100-120 Personen. Die nächst höhere Einheit ist die Liwa, umfasst im Schnitt 1.500 Personen.

 

VR: Bei welcher Einheit dienten Sie?

 

BF: Unsere Saria hieß XY.

 

VR: Beschreiben Sie den Aufbau und die Kommandostruktur Ihrer Einheit.

 

BF: In unserer Einheit gab es einen Korporal und einen Hauptfeldwebel. Dann hatten wir einen Vizeleutnant und einen Leutnant (

 

VR: Ihre Angaben werden mit den Unterlagen gem.

http://en.wikipedia.org/wiki/Iraqi_Army verglichen, wobei festzustellen ist, dass Ihre Angaben dazu abweichen (dort ist etwa von einer achtwöchigen Grundausbildung die Rede) bzw. ihre Angaben augenfällig unvollständig sind.

 

BF: Die achtwöchige Grundausbildung ist richtig, allerdings war es nicht bei der Armee, sondern bei der Nationalgarde. Die Nationalgarde ist so aufgebaut, sie ist sehr flexibel.

 

VR: Gehört die Nationalgarde nicht zur Armee?

 

BF: Nein, dass gehört nicht dazu, aber wir werden von der Armee bezahlt. Es kann unser Vertrag jederzeit aufgelöst werden.

 

VR: Sie gaben beim BAA an, mit beim Militär bzw. Nationalgarde mit einer Kalaschnikov ausgerüstet gewesen zu sein.

 

BF: Ich hatte eine russische Kalaschnikov.

 

VR: Nennen Sie Details, wie Kaliber, Magazinfüllmenge, Einsatzschussweite, Anzahl der Züge, Drall, Visier, Verschluss, Ladeprinzip.

 

BF: Kaliber weiß ich nicht, das Magazin hatte 30 Schuss, es gibt auch 40 und 75 Schuss. Einsatzschussweite: ich weiß es nicht, einen Kilometer vielleicht.

 

Anzahl der Züge, links oder rechts Drall: die Drehung ist nach rechts. Die Züge habe ich nicht in Erinnerung, das habe ich vergessen. Visiereinrichtung: (Der BF beschreit die Visiereinrichtung und meint damit offensichtlich Kimme und Korn).

Verschluss und Ladeprinzip: Man kann die Waffe sperren, man kann Einzelschüsse und Serienschüsse abfeuern.

 

VR: Was ist denn das für ein Lader, Vorderlader, Rückstoßlader, Gasdrucklader, sonstige mechanische Lader?

 

BF: Ich weis, dass die Ladung automatisch erfolgt, wenn ich abdrücke.

 

VR: Welche Arbeitsgänge sind der Reihe nach beim Auseinandernehmen der Waffe zu tätigen?

 

BF: Zunächst wird das Magazin entfernt. Dann gibt es "Sabatan", man entriegelt bei einem Knopf und dann kann man es herausnehmen (VR verzichtet auf weitere Beschreibung).

 

VR: Welche Stellungen kann der Sicherungshebel einnehmen und wie sehen die möglichen Feuerarten bei den verschieden Stellungen des Sicherungshebels aus?

 

BF: Es gibt 3 Stufen. Wenn sich der Hebel ganz oben befindet, kommt kein Schuss raus. In der Mitte ist Einzelfeuer, ist der Hebel unten, gibt es Dauerfeuer.

 

VR: In welcher Stellung muss sich der Sicherungsheben befinden um die Waffe laden zu können?

 

BF: Die Munition kommt an anderer Stelle hinein.

 

VR: Kann man die Waffe im gesicherten Zustand laden?

 

BF: Nein. Dass kenn ich nicht.

 

VR: Warum nicht?

 

BF: Ob man sie laden kann oder nicht, ist davon unabhängig, ob sie gesichert ist oder nicht. Man kann das Magazin auch im gesicherten Zustand herunternehmen.

 

VR: Kann man im gesicherten Zustand auch repetieren?

 

BF: Nein, das kann man nicht.

 

VR: Ihre Angaben werden mit den Ausführungen auf http://de.wikipedia.org/wiki/AK-47, sowie dem Auszug des Manuals für die AK 47 gem. der Homepage der russischen Erzeugerfirma (http://kalashnikov.guns.ru), Zugriff jeweils am 30.9.2008, verglichen und festgestellt, dass sie geringe Kenntnisse über die Kalaschnikov besitzen.

 

BF: Wir wurden nicht im Detail geschult, wir sind nicht die Armee.

 

Dem BF werden vom VR die in der Beweiswürdigung des BAA im erstinstanzlichen Bescheid angeführten Überlegungen vorgehalten.

Dieser äußert sich hierzu wie folgt:

 

BF: Ich habe nur meine Aussagen getätigt. Ich kann nur sie Aussagen tätigen, die ich heute gemacht habe. Vielleicht habe ich auch in den letzten drei Jahren was vergessen.

 

Dem BF werden vom VR die in Beilage 1 genannten Erkenntnisquellen und daraus ableitbaren Kernaussagen zur Lage im Irak zur Kenntnis gebracht. Ergänzend hierzu trifft der BF die Feststellung, dass Personen, die mit dem irakischen Regime bzw. den Besatzungstruppen in einem Naheverhältnis stehen, primäres Ziel von Anschlägen sein können (AA Berlin vom 19.10.2007). Dieser nimmt hierzu wie folgt

Stellung:

 

BF: Meine Lage ist schlimmer, weil wir Probleme mit der X-Gruppe haben. Es besteht eine bereits 50 bis 60-jährige Feindschaft zwischen unserem Clan und dem X-Clan.

 

VR: Diese Feindschaft besteht schon so lange?

 

BF: Es wurde bereits 20 bis 30 von unserem Stamm ermordet, dies deshalb, weil der X-Clan an Einfluss gewinnt.

 

VR: Auf was geht diese Feindschaft zurück?

 

BF: Vor 50 bis 60 Jahren war unser Stamm loyal zu zur Zentralregierung, die einen Krieg gegen den X-Clan führte. Unser Stamm wurde von der Zentralregierung mit Geld versorgt.

 

VR: Wieso haben Sie das in dieser Form nicht beim Bundesasylamt erzählt?

 

BF: Ich habe das schon erwähnt bei der Einvernahme. Ich habe einen palästinensischen Dolmetscher bekommen, denn ich nur schwer verstehen konnte. Danach gefragt gebe ich an, dass ich diesen in Traiskirchen hatte.

 

VR: Sie haben in Traiskirchen angegeben, dass sie Chauffeur eines Milizenführers waren, der Probleme mit dem X-Clan hatte. Das haben sie auch in Wien wiederholt, wo sie keinen palästinensischen Dolmetscher hatten.

 

BF: Ich war kein Fahrer. Ich bin loyal zu unserem Stammesführer, da ich auch Stammesmitglied bin und habe daher Angst vor den X.

 

VR fragt den BF um seine Stellungnahme zu dieser Beurteilung.

 

BF:

 

VR fragt den BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.

 

VR fragt den BF, ob er den Dolmetscher gut verstanden habe; dies wird bejaht.

 

Weitere Beweisanträge: Nein

 

..."

 

1.7. Hinsichtlich des Verfahrensherganges und Parteienvorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

2. Der Beschwerdeführer

 

Beim Beschwerdeführer handelt es sich im einen angehörigen kurdischen Volksgruppe, welcher sich zur Religion des Islam, sunnitischer Ausrichtung bekennt.

 

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

 

3. Die Lage im Herkunftsstaat Irak

 

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak werden unter Heranziehung des zitierten Quellenmaterials die nachfolgenden Feststellungen getroffen:

 

Auswärtiges Amt Berlin vom 19.10.2007, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak;

 

US-Department of State, Country Report on Human Rights Practice Iraq, vom März 2008

 

UNHCR-Stellungnahme zum Bestehen einer internen Fluchtalternative in den kurdisch kontrollierten Gebieten für Iraker aus dem zentral und Südirak, Oktober 2005

 

US-Department of State, International Religious Freedom Report Sep. 2007;

 

UNHCR Hintergrundinformation zur Gefährdung von Angehörigen religiöser Minderheiten im Irak, Oktober 2005;

 

Aktualisierte UNHCR-Stellungnahme zur medizinischen Versorgungslage im Irak (Oktober 2005)

 

UNHCR-Position zu Möglichkeiten der Rückkehr irakischer Flüchtlinge, September 2005, Übersetzung UNHCR Berlin

 

UNHCR-Erwägungen zum Beginn von Abschiebungen irakischer Staatsbürger, 16. November 2006

 

UNHCR-Return advisory and position on international protection needs of Iraqis outside Iraq, 18.12.2006

 

www.auswaertiges-amt.de: Irak: Allgemeine Informationen, Reisewarnung und Hinweise, Beziehung zur EU, politische Entwicklung, Wirtschaftpolitik; Stand: August 2007 bzw. Jänner 2008, Zugriff am 1.10.2008

 

BFF: Focus: Stämme im Nordirak Übersicht, 22. März 2002

 

Deutsches Orient-Institut: "Die Neukonstruktion des Irak und die kurdische Frage im Mittleren Osten" März 2005

 

IWPR - Ethnic Tensions rising in Kirkuk, 1.2.2006

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, 27.01.2006, Irak: Gefährdung von ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei

 

ACCORD: Auskunft über die Lage in Arbil vom 2.5.2006, Zahl a-4859

 

BAA-Staatendokumentation zur allgemeinen Lage im Nordirak/Arbil vom 12.04.2006,

 

UK Home Office; Country of Origin Information Report, 8.1.2008

 

Ausgewählte Presse:

 

www.tagesschau.de vom 7.2.2007 (Zugriff am 7.2.2007: "34.000 tot Zivilisten in einem Jahr"; dieselbe Quelle vom 7.2.2007: "Jeder kann Opfer werden" Interview mit dem UN Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak; dieselbe Quelle vom 17.7.2006: "Mehr als 70 Tote bei Anschlägen";www.thelancet.com: "Mortality after the 2003 invasion of Iraq: a corss-sectional cluster sampel survey" vom 11.10.2006; www.orf.at vom 7.2.2007: "Blutige Anschläge";

www.focus.de vom 7.10.2006, Zugriff am 7.2.2007: "14 Tote bei Selbstmordanschlag";www.diepresse.com vom 5.2.2007, Zugriff am 7.2.2007: "135 Tote: Schwerster Anschlag im Irak seit 2003";

www.tagesanzeiger.ch vom 7.2.2007, Zugriff am 7.2.2007: "USA vor Großoffensive in Bagdad 24 Tote bei Anschlägen"; www.zdf.de. vom 30.1.2007, Zugriff am 7.2.2007: "Dutzende Tote nach Anschlägen";

www.baz.c vom 26.2.2007, Zugriff am 27.2.2007: "Iranische Waffen im Irak entdeckt - Anschlag auf Ministerium; de.today.reuters.com vom 27.2.2007, Zugriff am 27.2.2007: "Attentäter sprengt Krankenwagen in die Luft"; Rheinische Post (www.rp.online.de) vom 26.3.2007, Zugriff am 26.3.2007: Krise im Irak, Amtsenthebungsverfahren gegen Bush?;

Stuttgarter Zeitung (www.stuttgarter-Zeitung.de) vom 6.8.2007:

"Nordirak - Anschlag fordert Tote und Verletzte; Spiegel Online (www.spiegel.de): "Viele Tote bei Anschlag im Nordirak" vom 6. 8. 2007 (Zugriff am 13.8.2007); nwes.orf.at vom 10.9.2007: Petraeus bestätigt Bushs Kurs im Irak (Zugriff am 18.9.2007)

 

Gutachten des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien zum Verfahren des Unabhängigen Bundesasylsenates GZ: 300.396 vom 12.6.2008

 

welche während der gesamten Verhandlung zur Einsicht (entweder physisch oder elektronisch und jederzeit ausdruckbar) aufliegen, werden folgende Kernaussagen getroffen:

 

1. Entwicklung seit April 2003

 

Vom 21.04.2003 bis 28.06.2004 wurde Irak von einer Übergangsbehörde ("Coalition Provisional Authority" - CPA) der von den USA geführten Koalition in Bagdad verwaltet, die während der Besatzungszeit die zivilen Regierungsaufgaben übernahm.

 

Am 13.07.2003 setzte die Übergangsverwaltung einen irakischen Übergangs-Regierungsrat ("Interim Governing Council") ein. Ihm gehörten 25 Mitglieder an, die wichtige politische, ethnische und religiöse Gruppierungen vertraten. Der Rat sollte schrittweise eigene Aufgaben und Kompetenzen übernehmen und dazu beitragen, dass das irakische Volk nach Ende der Besatzung selbst über seine politische Zukunft entscheiden konnte. Am 01.09.2003 benannte der Regierungsrat ein Kabinett von 25 Ministern nach demselben ethnischen Proporz, der auch für den Regierungsrat galt. Die Minister sollten die Routineangelegenheiten ihrer jeweiligen Ministerien leiten. Die CPA hatte jedoch ein umfassendes Vetorecht. Vertreter von Regierungsrat und Kabinett nahmen an Tagungen der Arabischen Liga, des internationalen Währungsfonds (IWF), der Vereinten Nationen und der OPEC unter Begleitung von CPA Mitarbeitern teil.

 

Am 15.11.2003 wurden in einem Abkommen zwischen dem Regierungsrat und der CPA die nächsten Schritte zur Souveränität und zu Wahlen im Irak vereinbart. Gemäß diesem Abkommen wurde vom Regierungsrat am 08.03.2004 ein Übergangsgesetz ("Transitional Administrative Law" - TAL) verabschiedet, das den politischen Rahmen für die Übergangszeit zwischen dem Ende der Besatzung und der Bildung endgültiger politischer Strukturen regelt. Das Übergangsgesetz enthält folgende Hauptaussagen: ausführlicher Grundrechtskatalog, Frauenrechte, unabhängige Justiz, Islam als eine (nicht die) Hauptquelle für die Gesetzgebung, föderale Struktur, kurdische Autonomie, Amtsprachen Arabisch und Kurdisch. Das TAL stellte den Zeitplan für die Übergangsperiode auf, der weitgehend eingehalten wurde. Obwohl der rechtliche Status des Übergangsgesetzes nicht geklärt wurde, erkannten die irakischen Entscheidungsträger das Gesetz als verbindlich an. Am 28.06.2004 wurde die amerikanisch-britische Besatzung formal beendet und die Souveränität Iraks wieder hergestellt. Am 01.09.2004 wurde ein aus 100 Mitgliedern bestehender Übergangs-Nationalrat durch eine nationale Konferenz mit rund 1.300 Teilnehmern, die ca. 70 politische und gesellschaftliche Gruppen Iraks repräsentierten, gewählt. Der Nationalrat wählte die Interimsregierung, hatte darüber hinaus aber nur beratende Funktion. Das Kabinett der Interimsregierung (bis 28.04.2005) konnte Rechtsakte mit einmütiger Zustimmung des Präsidenten und seiner beiden Vertreter erlassen. Langfristig bindende Entscheidungen durften nicht getroffen werden. Die Außenkompetenzen der Interimsregierung waren beschränkt auf diplomatische Beziehungen, internationale Kredite und Hilfen sowie die Regelung

 

der Auslandsschulden. 2005 war Irak weiterhin von einem hohen Gewaltniveau und gleichzeitiger weiterer Umsetzung des von den ehemaligen Besatzungsmächten konzipierten und durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in Resolution 1546 vom 08.06.2004 sanktionierten politischen Prozesses geprägt. Am 30.01.2005 fanden die ersten demokratischen Wahlen statt. Trotz Nichtteilnahme großer Teile der sunnitischen Bevölkerung und einiger Unregelmäßigkeiten, vor allem im Norden des Landes, führten die Wahlen zu einer demokratischen Legitimation der irakischen Übergangsregierung.

 

Als Sieger mit absoluter Mehrheit ging die Schiitenallianz aus der Wahl hervor. Für einige wichtige politische Entscheidungen bedurfte es einer Zwei-Drittel-Mehrheit in der Übergangs-Nationalversammlung. Daher ging die Schiitenallianz am 28.04.2005 mit der bei den Wahlen zur zweitstärksten Liste aufgestiegenen Kurdenallianz eine Koalition ein. Die Sunniten, welche die Wahlen weitgehend boykottiert hatten oder aufgrund der Bedrohung durch die militante Opposition nicht teilnehmen wollten oder konnten, wurden mit einzelnen Posten ebenfalls an der Übergangsregierung beteiligt. Die Ressortaufteilung folgte weitgehend dem ethnischen und religiösen Proporz. Die Schiiten stellten den Ministerpräsidenten Al- Dschaafari und 16 Minister, die Kurden 8 Minister, die Sunniten 6, Christen und Turkmenen je einen Minister. Zum Staatspräsidenten wurde am 06.04.2005 der Kurde Dschalal Talabani

 

gewählt. Seine Stellvertreter waren der ehemalige Finanzminister Dr. Adil Abd Al-Mahdi (Schiit) und der vorherige Staatspräsident Scheich Ghasi Al-Yawer (sunnitischer Araber). Die Übergangsregierung war in ihren Entscheidungsbefugnissen inhaltlich nicht beschränkt.

 

Die irakische Bevölkerung nahm am 15.10.2005 in einem Referendum die neue irakische Verfassung an. Die Wahlbeteiligung belief sich auf 63 %. Mit Ausnahme der beiden sunnitisch geprägten Provinzen sprach sich eine deutliche Mehrheit für die neue Verfassung aus, landesweit votierten 79 % für den Verfassungstext. Das größte innenpolitische Ziel, die Einbindung der sunnitischen Gemeinschaft, konnte im Verfassungsprozess nicht erreicht werden. Die Aussichten für eine Eindämmung der Gewalt haben sich damit nicht verbessert. Zumindest beschlossen irakische Politiker kurz vor dem Referendum, eine Kommission mit der Überarbeitung des Verfassungstextes zu beauftragen. So sollte sunnitischen Interessen mehr Geltung verschafft werden. Am 25.09.2006 setzte das irakische Parlament eine Kommission zur Revision des Verfassungstextes ein. Ihre 27 Mitglieder haben ein Jahr Zeit, um dem Parlament Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Die Kommission hat ihre Beratungen noch nicht begonnen.

 

Die Verfassung bestimmt, dass Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarischrepublikanischer Staat ist. Der Islam ist Staatsreligion und eine (nicht die) Hauptquelle der Gesetzgebung. Die Verfassung enthält einen umfassenden Menschenrechtskatalog und garantiert eine Frauenquote von 25 % im Parlament. Die Öleinkünfte werden gemeinsam von Zentral- und Regionalregierungen verwaltet. Die konkrete Ausgestaltung des Föderalismus bleibt dem Parlament vorbehalten. Die Volksvertretung hat außerdem am 11.10.2006 ein Gesetz über die Einrichtung von Regionen verabschiedet. Danach können sich ab 2008 mehrere Provinzen zu Regionen zusammenschließen.

 

2. Lage nach den Parlamentswahlen vom 15.12.2005

 

In Erfüllung der Vorgaben des Übergangsgesetzes TAL fanden am 15.12.2005 Parlamentswahlen im Irak statt. Sie verliefen dank massiver Sicherheitsvorkehrungen (mehrtägiges Fahrverbot, Schließung der Flughäfen und Grenzen, nächtliche Ausgangssperre) insgesamt friedlich. Die Wahlbeteiligung betrug 75 % unter den 15,6 Mio. wahlberechtigten Irakerinnen und Irakern. Eine hohe Wahlbeteiligung war auch in den sunnitischen Provinzen zu verzeichnen.

 

Die Irakische Wahlkommission gab am 10.02.2006 das amtliche Endergebnis bekannt: Vereinigte Irakische Allianz (Schiiten) ca. 47 %; Kurdisches Bündnis ca. 19 %; Irakische Front der Eintracht (Sunniten) ca. 16 %; Nationale Irakische Liste (Säkulare) ca. 9 %; Irakische Dialogfront (Sunniten) ca. 4 %; sonstige Gruppen ca. 5 %. Die Stimmabgabe erfolgte entlang ethnisch-konfessioneller Linien. Das Parlament kam am 16.03.2006 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Dort sind die Schiiten mit 128 (von 275) Sitzen stärkste Fraktion. Sie sind auf Koalitionspartner angewiesen, weil sie die absolute Mehrheit um 10 Sitze verfehlten. Die anstehende Verfassungsrevision erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament, die die bisherige Koalition der Schiiten (128 Sitze) und Kurden (53 Sitze) um drei Sitze verfehlte. Damit wurde eine Regierung der nationalen Einheit unter Einbeziehung der Sunniten (44 bzw. 11 Sitze) und der säkularen Kräfte (25 Sitze) als Koalitionspartner realistisch.

 

Nach Abschluss der langwierigen Koalitionsgespräche wählte das irakische Parlament am 20.05.2006 Nuri Al-Maliki von der Schiitenallianz zum Ministerpräsidenten. Mit Antritt seiner Regierung ist der politische Übergangsprozess formal abgeschlossen. Fünf Monate nach den Parlamentswahlen vom 15.12.2005 gelang die Bildung einer breiten Koalitionsregierung unter Beteiligung beinahe aller politischen Gruppen. Am 08.06.2006 wurden der Innen- und der Verteidigungsminister sowie der Minister für nationale Sicherheit vom Parlament bestätigt. Das vollständige Kabinett von Ministerpräsident Nuri Al-Maliki (Schiit) besteht aus 40 Amtsträgern (Ministerpräsident, zwei Stellvertreter, 37 Minister und Staatsminister). 20 Schiiten, 8 Kurden, 8 Sunniten, 4 Säkulare (darunter eine Christin) spiegeln den ethnisch-konfessionellen Proporz wider, auf den sich die Parteien bei der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit einigen konnten. Der Regierung gehören 4 (vorher: 7) Frauen an.

 

Zwei Parteien beteiligen sich nicht an der Regierung: Der Auszug der Dialogfront, der kleineren der beiden sunnitischen Parteien, birgt die Gefahr erneuter Marginalisierung der Sunniten.

 

Die schiitische Fadhila Partei erhielt kein Ministeramt, nachdem sie aus Protest gegen die Art und Weise der Postenvergabe aus den Gesprächen ausgeschieden war. Die mächtigen Parteichefs wie Abd Al-Aziz Al-Hakim (SCIRI), Muqtada As-Sadr (Sadr-Bewegung), Adnan Dulaimi (Eintrachtfront) und Iyad Allawi (Irakische Liste) ließen sich nicht in das Kabinett einbinden. Viele der neuen Regierungsmitglieder sind bislang kaum politisch in Erscheinung getreten. Dies reflektiert den Anspruch von Al-Maliki, die Ressorts mit qualifizierten "Technokraten" zu besetzen; es zeigt aber auch, dass die politischen Schwergewichte ihren Einfluss nicht der Koalitionsdisziplin unterzuordnen bereit sind.

 

Das Parlament wählte am 22.04.2006 den amtierenden Staatspräsidenten Dschalal Talabani erneut zum Staatsoberhaupt. Seine Vertreter sind der Schiit Adil Abd Al-Mahdi und der Sunnit Tareq Al-Hashimi.

 

Während der schwierigen Verhandlungen zur Koalitionsbildung und Ämterverteilung kam es am 22.02.2006 zu einem schweren Anschlag auf den Askariya-Schrein, ein schiitisches Heiligtum in Samarra. In den Tagen und Wochen nach diesem verheerenden Bombenangriff kam es zu Hunderten ethnisch-konfessionell motivierter Tötungen und Übergriffe. Diese Entwicklung hält unvermindert an. Seit dem Antritt der Regierung Maliki herrscht weitgehend politischer Stillstand im Irak. Die von der Regierung am 25.07.2006 lancierte nationale Versöhnungsinitiative führte zu Konferenzen der Clanchefs, der Zivilgesellschaft und der religiösen Führer. Substantielle Ergebnisse zur Lösung der drängenden Probleme Iraks wurden nicht erzielt. Die politischen Entscheidungsträger haben bislang keine tragfähigen Vereinbarungen zur Verbesserung der Sicherheitslage getroffen.

 

Seit 19.10.2005 führte das irakische Sondergericht zur Aufarbeitung der Verbrechen des ehemaligen Regimes ein Verfahren gegen Saddam Hussein sowie sieben weitere Repräsentanten der Diktatur durch. Gegenstand des Verfahrens ist die Tötung von 143 schiitischen Moslems 1982 in Dschulail. Nach zahlreichen Unterbrechungen, Hungerstreiks und Tumulten im Gerichtssaal hat das Gericht am 05.11.2006 gegen Saddam Hussein, seinen Halbbruder Barzan At-Tikriti und den ehemaligen Präsidenten des Revolutionsgerichts Dschawad Al-Bandar die Todesstrafe durch Erhängen ausgesprochen. Vier Mitangeklagte wurden zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, einer freigesprochen. Das Urteil wurde am 26. Dezember 2006 in zweiter Instanz bestätigt. Saddam Hussein ist am 30. Dezember 2006 hingerichtet worden. Am 12.09.2006 war ein zweites Verfahren gegen Saddam Hussein und sechs weitere Vertreter seines Regimes wegen Völkermordes im Zusammenhang mit der sog. Anfal Operation eröffnet worden. In ihrem Verlauf starben ab 1988 mehrere Tausend Kurden. Allein in der kurdischen Stadt Halabdscha fielen damals etwa 5.000 Menschen dem Einsatz von Giftgas zum Opfer.

 

Am 07.05.2006 formierte sich erstmals eine einheitliche Regierung der Region Kurdistan-Irak unter Führung von Ministerpräsident Nechirvan Barzani. Regierungssitz ist Arbil. Seit 31.08.2006 hat eine von kurdischen Sicherheitskräften ("Peshmerga") dominierte Division die militärische Kontrolle über die Region Kirkuk erhalten. 2007 soll ein Referendum über den künftigen Status dieser ölreichen Provinz durchgeführt werden. Die kurdischen Parteien treten für die Eingliederung Kirkuks in die Region Kurdistan-Irak ein.

 

3. Gegenwärtige Lage

 

Seit der Regierungsbildung am 20.05.2006, die den formellen Abschluss des politischen Übergangsprozesses markierte, hat sich die Lage im Irak weiter verschlechtert. Politischer Stillstand kennzeichnete die ersten sechs Monate der neuen Regierung. Gleichzeitig intensivierten sich Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten. Die Gesamtzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle erhöht sich kontinuierlich seit dem Kriegsende 2003. Schwerpunkte der Anschläge der militanten Opposition bleiben Bagdad und der Zentralirak. Aber auch in Nord- und Südirak kam es vereinzelt zu Anschlägen mit verheerenden Folgen.

 

Die interkonfessionellen Auseinandersetzungen haben ein bisher nicht gekanntes Ausmaß an Gewalt erreicht. Täglich werden in Bagdad Tote zu Dutzenden gefunden. Zahlreiche Leichen weisen Folterspuren auf. Konfessionell motivierte Vertreibungen werden konsequent Straßenzug um Straßenzug fortgesetzt. Anschläge richteten sich vor allem gegen Personen, die mit dem politischen oder wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes assoziiert werden, insbesondere gegen Offizielle und Sicherheitskräfte. Aber auch Personen, die nicht in Wiederaufbauaktivitäten involviert sind, z.B. Passanten, werden zunehmend regelmäßig Opfer von staatlicher oder nichtstaatlicher Gewalt. Außerdem fordern Operationen der multinationalen Streitkräfte immer wieder zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung. Gegenwärtig kommt es im Zentralirak beinahe täglich zu verheerenden Attentaten.

 

Während die Wahlen am 15.12.2005 dank massiver Sicherheitsvorkehrungen noch weitgehend friedlich verliefen, stieg die durchschnittliche Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle auf 100 pro Tag, etwa ein Drittel bis zu einer Hälfte davon regelmäßig im Großraum Bagdad. Seit dem Sommer 2006 stieg sie auf 120 bis 150, gegen Ende 2006 auf bis zu 200.

 

Die Sicherheitslage ist auf ihrem bisherigen Tiefpunkt angelangt. Allein im Oktober 2006 starben über 4.000 Menschen im Irak infolge der gewaltsamen Auseinandersetzungen - mehr als je zuvor seit dem Einmarsch der Koalition im März 2003.

 

Die Menschenrechtslage im Irak ist prekär. Im öffentlichen Leben genießen zumindest männliche Iraker mehr Freiheiten - vor allem Meinungsfreiheit und Bewegungsfreiheit - als unter dem Regime Saddam Husseins. Diese Freiheiten sind allerdings durch das hohe Gewaltniveau eingeschränkt. Der Ausnahmezustand schränkt die Bewegungsfreiheit ein, ermöglicht die Verhängung von Ausgangssperren, die Schließung der Flughäfen und Grenzen und erweitert die Befugnisse der Sicherheitskräfte bei Verhaftungen und Razzien.

 

Die staatlichen und multinationalen Sicherheitskräfte waren bzw. sind nicht in der Lage, Regierungsmitarbeiter und Zivilpersonen vor täglichen Anschlägen (Bomben, Minen, Raketen), Hinrichtungen, Ermordungen, Entführungen, Schießereien und Einschüchterungen in allen zentral- und südirakischen Regionen und Gesellschaftsschichten zu schützen. Zeitweise wurden ganze Städte sowie Grossteile von Provinzen von Aufständischen kontrolliert oder von der US Koalition für eigene Soldaten als "No-Go-Zonen" klassifiziert. Die Angriffe auf Bagdads Versorgungsnachschub mit Rohöl, Heizöl, Treibstoff, Wasser und Strom haben seit Anfang 2005 ein bisher ungekanntes Ausmaß erreicht. In den letzten Monaten wurden terroristische Angriffe von wirtschaftlichen Zielen auf den Kampf um die Hauptstadt umgelenkt.

 

Im Zentralirak gehören Anschläge, Angriffe und Hinterhalte mit Kleinfeuerwaffen, Entführungen und Bombenattentaten sowie militärische Operationen und Razzien zum Alltag.

 

Kriminalität, darunter willkürliche Tötungen und organisierte Entführungen mit Lösegeldforderungen, stellt vor allem in Bagdad aber auch in anderen zentralirakischen (vor allem Latifiya) Städten ein ernsthaftes Problem dar. Vom Kind bis zum Greis können Personen aller Gesellschaftsschichten, vor allem aber Mitglieder reicher Familien Opfer von Entführungen werden. Lösegeldforderungen betragen 1000 bis 100'000 US-Dollar. Prominente und wohlhabende Iraker tragen gefälschte Papiere bei sich, um zu verhindern, dass korrupte Polizisten an Kontrollpunkten Entführerbanden Hinweise geben.

 

Die von den amerikanischen und irakischen Kräften in Angriff genommene Sicherheitsoffensive konnte bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Lage nicht nachhaltig beruhigen.

 

Frauen leiden oft unter dem zunehmenden Druck islamistischer Gruppen, die z.T. gewaltsam ihre Vorstellungen von einer islamischen Gesellschaft auch gegenüber Nicht- Musliminnen durchsetzen. Der Staat kann den Schutz seiner Bürger nicht ausreichend gewährleisten. Es werden nach wie vor Fälle von Folter in den irakischen Gefängnissen bekannt. Die irakische Regierung räumte die Existenz sog. Todesschwadronen in den Reihen des Innenministeriums ein. Die Todesstrafe wird auf bei schweren Verbrechen wieder angewandt.

 

In den Städten sind alle gängigen westlichen Konsumgüter erhältlich. Hohe Arbeitslosigkeit und mangelhafte Infrastruktur führen jedoch insgesamt zu einer äußerst angespannten Versorgungslage. Knapp zwei Drittel der Iraker sind immer noch auf staatliche Lebensmittelrationen angewiesen. Darüber hinaus werden die Hilfeleistungen des PDS von einer Vielzahl von Personen benötigt, um durch den Verkauf von Teilen der Lebensmittelhilfen Geld zur Beschaffung von Nahrungsmitteln, die in den Paketen nicht enthalten sind, sowie anderer lebenswichtiger Güter wie Medikamente oder Kleidung zu erhalten.

 

In Bagdad sind Erziehungs- und Gesundheitswesen zusammengebrochen.

 

Auch wirken sich insbesondere Mängel bei der Ernährung und bei der Verfügbarkeit sauberen Trinkwassers, ebenso aber auch die anhaltend prekäre Sicherheitslage auf die Gesundheitslage der irakischen Bevölkerung und damit auf die vom irakischen Gesundheitssystem zu tragenden Lasten aus vgl. beispielsweise: de.today.reuters.com vom 27.2.2007, Zugriff am 27.2.2007: "Attentäter sprengt Krankenwagen in die Luft").

 

Die Entstehung und Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Cholera und Typhus wird neben der schlechten Ernährungssituation durch die vielerorts mangelhafte Trinkwasserversorgung und die fehlende Abwasseraufbereitung begünstigt. Unmittelbar nach dem Ende des Krieges hatten nur ca. 55 Prozent der irakischen Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser; 36 Prozent der Bevölkerung hatten keine oder vollkommen unzureichende Sanitäreinrichtungen. (UNHCR, Aktualisiert Stellungnahme zur medizinischen Versorgungslage im Irak, Oktober 2005).

 

Insgesamt stagniert der wirtschaftliche Aufbau trotz umfangreicher internationaler Hilfen. Insbesondere die Ölförderung, Ölverarbeitung sowie der Öltransport verharren aufgrund zahlreicher Anschläge und Sabotageakte auf niedrigem Niveau.

 

Der US-Oberkommandierende im Irak, General David Petraeus hat dem US-Kongress am 10.9.2007 vorgeschlagen, bis Mitte Juli kommenden Jahres die 30.000 zusätzlich in den Irak abkommandierten US-Soldaten wieder zurückzuholen.

 

4. Die Lage im Nordirak

 

4.1. Allgemein

 

Die Sicherheitslage ist in den kurdisch kontrollierten Gebieten mit Ausnahme von wenigen Anschlägen in Erbil und Dohuk stabil, aber aufgrund des offenen politischen Prozesses weiterhin unvorhersehbar. Ein engmaschiges Sicherheitsnetz von etwa 80'000 kurdischen Milizionären gewährleistet die Sicherheit. Trotzdem gibt es Berichte über Explosionen, bewaffnete Angriffe sowie Selbstmordanschläge, Tötungen und/oder Tötungsversuche sowie Verhaftungen von "Terroristen".

 

Im Nordirak gibt es Kassations-, Appellations- und Berufsgerichte, der Court of Personal Status, Straf-, Arbeits-, Untersuchungs- und Jugendgerichte.

 

Obwohl die Kurdenprovinzen vom Ausnahmezustand ausgenommen sind, wurden auch dort seit Herbst 2004 die Sicherheitsmassnahmen verschärft.

 

Aufgrund der Gewaltzunahme im sunnitischen Kernland und einer befürchteten Ausweitung des Konflikts werden Araber an kurdischen Checkpoints genauestens überprüft und befragt.

 

Die Freizügigkeit im Personenverkehr zwischen den kurdisch kontrollierten Gebieten und dem Zentralirak ist verschwunden. Kurden fahren aus Angst vor Entführungen oder Mordanschlägen nicht mehr nach Bagdad oder Mosul.

 

4.2. Weitere Ausführungen

 

Die politische Situation in den unter Verwaltung der Kurdistan Democratic Party (KDP) stehenden Provinzen Erbil und Dohuk sowie der von der Patriotic Union Kurdistan (PUK) verwalteten Provinz Sulaimaniya hat sich durch den Sturz der Regierung Saddam Husseins nicht gravierend verändert. Die Lebensumstände in den drei kurdischen Provinzen sind nach wie vor in erheblichem Maße von der Unsicherheit über den künftigen Status der Region geprägt. Die offenen Fragen bezüglich der Rechte zur Verwertung der Ölressourcen, die geografischen Grenzen der unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebiete sowie den Umfang einer eventuellen Autonomieregelung stellen neben der Frage nach dem Stellenwert des Islam im künftigen irakischen Rechtssystem einen der Hauptstreitpunkte bei den Diskussionen um eine künftige irakische Verfassung dar; sie könnten überdies ein Nährboden für zukünftige ethnische und politische Konflikte in der gesamten Region sein.

 

Die Bestrebungen der kurdischen Behörden, ihr Einfluss- und Autonomiegebiet auf Teile der Provinzen Kirkuk und Ninive (Mosul) auszudehnen, hat zu einer spürbaren Zunahme ethnisch motivierter Spannungen in den betroffenen Gebieten geführt und birgt für die betroffene Region das unkalkulierbare Risiko eines bewaffneten Konflikts oder eines Bürgerkrieges in sich.

 

Der mutmaßliche Aufenthalt von mehreren tausend PKK-Kämpfern im Nordirak belastet überdies die Beziehungen zwischen den kurdischen Autonomiebehörden und der türkischen Regierung.

 

Wenngleich die Führungen der beiden bedeutendsten kurdischen Parteien PUK und KDP offiziell ein Ende ihrer konkurrierenden Alleinvertretungsansprüche und eine gemeinschaftliche Verwaltung der kurdischen Gebiete proklamiert haben, ist das Verhältnis der Mitglieder beider Parteien bis in mittlere Funktionärsebenen hinein nach wie vor von zahlreichen Ressentiments und Intoleranz geprägt und es kommt vereinzelt zu Übergriffen.

 

(UNHCR-Stellungnahme zum Bestehen einer internen Fluchtalternative in den kurdisch kontrollierten Gebieten für Iraker aus dem Zentral- und Südirak, Oktober 2005, S. 3)

 

Im Nordirak ist die Sicherheitslage im Allgemeinen besser als in Bagdad oder in den Hochburgen der Aufständischen wie Falludscha, Ramadi, Samarra oder Baquba. Die Wahrscheinlichkeit durch einen gegen Dritte gerichteten Anschlag getötet zu werden ist statistisch geringer. Anschläge auf besonders gefährdete Personengruppen finden jedoch auchin Nordirak statt. In Mossul kommt es seit März 2005 vermehrt zu Anschlägen. Der für humanitäre Angelegenheiten zuständige Sondergesandte der VN, Ross Mountain, erklärte Mitte September 2004, Kirkuk stehe vor dem Ausbruch eines ethnischen Konflikts zwischen Arabern und Kurden. Dieser ist zwar bis heute nicht offen ausgebrochen, doch erschüttern immer wieder Anschläge die Stadt. (Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand Jänner 2007, vom 11.1.2007, S. 17)

 

Die Sicherheitslage in den drei unter kurdischer Verwaltung stehenden Provinzen Erbil, Dohuk und Sulaimaniya erscheint im Vergleich zum übrigen irakischen Staatsgebiet zwar als etwas stabiler, insbesondere da die kurdischen Behörden strikte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen haben und vielerorts Kontrollposten eingerichtet wurden. Ungeachtet dessen kommt es aber auch in den kurdisch kontrollierten Gebieten immer wieder zu schwerwiegenden Gewaltakten, vor denen die kurdischen Sicherheitskräfte keinen hinreichend effektiven Schutz bieten können. Zudem bestehen erhebliche Sorgen, dass die anhaltenden Spannungen und Sicherheitsprobleme aus den anderen Landesteilen, vor allem aus dem Zentralirak und den nicht unter kurdischer Verwaltung stehenden nordirakischen Provinzen Ninive (Mosul) und Kirkuk, auf die kurdisch kontrollierten Gebiete übergreifen und die dortigen Sicherheitsprobleme deutlich verschärfen könnten.

 

Nach wie vor operieren auch in den kurdischen Autonomiegebieten verschiedene aufständische Gruppierungen wie beispielsweise Ansar Al-Sunna, deren Aktivitäten sich vor allem gegen die kurdischen Autonomiebehörden und deren Vertreter richten und die ein beachtliches Sicherheitsrisiko darstellen. So kam es am 4. Mai 2005 zu einem Selbstmordattentat auf das Büro der KDP in Erbil, bei dem vermutlich bis zu 60 Menschen getötet und weitere 70 verletzt wurden. Die anhaltenden Sicherheitsbedenken führen auch in den drei unter kurdischer Verwaltung stehenden Provinzen im Nordirak zu teils gravierenden Einschränkungen grundlegender Menschenrechte, wie beispielsweise des Rechts auf Freizügigkeit, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie wichtiger Justiz-grundrechte. Zwar haben sich die kurdischen Behörden formell zur Einhaltung und zum Schutz der Menschenrechte verpflichtet. Die politischen Betätigungsmöglichkeiten oppositioneller Gruppierungen sind jedoch stark eingeschränkt und Berichten zufolge kommt es immer wieder zu Misshandlungen von Gefangenen, unverhältnismäßig langer Isolations- und Untersuchungshaft sowie willkürlichen Verzögerungen bereits laufender Strafverfahren. Überdies kam es bis in die jüngste Vergangenheit auch in den drei unter kurdischer Verwaltung stehenden Provinzen wiederholt zu politisch motivierten Morden, Mordversuchen und Entführungen politischer Aktivisten, Akademiker oder Richter.

 

Keine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung finden im Nordirak auch Personen, die familiären oder Stammeskonflikten zu entfliehen suchen, sowie Frauen, die wegen so genannter "Ehrverbrechen" von Familienmitgliedern gesucht werden.

 

(UNHCR-Stellungnahme zum Bestehen einer internen Fluchtalternative in den kurdisch kontrollierten Gebieten für Iraker aus dem Zentral- und Südirak, Oktober 2005, S. 5, vgl. auch ACCORD: Auskunft über die Lage in Arbil vom 2.5.2006, Zahl a-4859, BAA-Staatendokumentation zur allgemeinen Lage im Nordirak/Arbil vom 12.04.2006)

 

Laut eines Berichts des Institute for War and Peace Reporting (IWPR - Ethnic Tensions rising in Kirkuk, 1.2.2006) haben nach Ablöse des Baath Partei Regimes die ethnischen Spannungen in Kirkuk zugenommen. Die Provinz Kirkuk ist Heimat von ungefähr einer Million Kurden, Turkmenen, Araber, Assyrer, Chaldaer und Armenier, wobei davon ausgegangen wird, dass die kurdische Volksgruppe die Mehrheit der Bevölkerung stellt. Zuverlässige statistische Daten existieren allerdings nicht für die Region. (IWPR - Ethnic Tensions rising in Kirkuk, 1.2.2006)

 

Personen mit (tatsächlichen oder vermeintlichen) Verbindungen zur ehemaligen irakischen Regierung oder zur Baath-Partei wird die Aufenthaltserlaubnis regelmäßig verweigert. (UNHCR-Stellungnahme zum Bestehen einer internen Fluchtalternative in den kurdisch kontrollierten Gebieten für Iraker aus dem Zentral- und Südirak, Oktober 2005, S. 4). Andererseits spielt eine seinerzeitige Nähe Einwohner der kurdischen Autonomiegebiete zur Baath-Partei heute eine untergeordnete Rolle ( Gutachten des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien zum Verfahren des Unabhängigen Bundesasylsenates GZ: 300.396 vom 12.6.2008)

 

Insgesamt heben sich die Lebensbedingungen in den unter kurdischer Autonomie stehenden Teilen des Nordirak positiv vom übrigen Staatsgebiet ab. Doch ist die Sicherheitslage auch dort nicht zuletzt wegen fortwährender, offener Meinungsverschiedenheiten in den politischen Programmen der Kurdenparteien PUK und KDP, aber auch zwischen der kurdischen Regionalregierung und der irakischen Zentralregierung angespannt. In den kurdisch kontrollierten Gebieten sind extremistische Vereinigungen wie Ansar as-Sunna terroristisch aktiv. Konkurrierende Sicherheitsorgane (MNF, kurdische Peschmerga und irakische Sicherheitskräfte) arbeiten nicht immer reibungslos zusammen. Ein ausreichender Schutz für gefährdete Minderheiten ist somit nicht immer möglich. Die Regionalregierung führt die Verwaltung und die rein kurdischen Sicherheitskräfte mit straffer Hand. Die Menschenrechtslage in der von patriarchalischen Traditionen geprägten Region ist nicht befriedigend: es gibt willkürliche Verhaftungen, ungenügend kontrollierte Sicherheitskräfte und Gewalt gegen Frauen. Im September 2006 wurde die Todesstrafe eingeführt (Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, S 23)

 

Auch wenn durch ein engmaschiges Sicherheitsnetz von etwa 80'000 kurdischen Milizionären die Sicherheit grundsätzlich gewährleistet, ist der Schutzwille in den kurdischen Gebieten umstritten. Gewisse Elemente sind durchaus fähig, ihre Zielpersonen in allen Teilen des Landes zu verfolgen. Zu diesen gehören insbesondere ehemalige Baath-Mitglieder, da die kurdische Regionalregierung (Kurdistan Regional Government KRG) oft nicht gewillt ist, Personen zu schützen, welche die frühere Regierung unterstützt haben (Irak:

Gefährdung von ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei - Auskunft der SFH-Länderanalyse, Bern 27.01.2006, S. 8).

 

5.) Position von UNHCR zu aufenthaltsbeedenden Maßnahmen

 

5.1. Allgemein

 

UNHCR bittet die Aufnahmestaaten eindringlich, von zwangsweisen Rückführungen von Irakern in Gebiete im Zentralirak und dem Südirak so lange abzusehen, bis die Sicherheitsbedingungen und die Aufnahmekapazitäten vor Ort eine nachhaltige Rückkehr zulassen. (UNHCR Genf, September 2005 (Deutsche Fassung: UNHCR Berlin), UNHCR-Position zu Möglichkeiten der Rückkehr irakischer Flüchtlinge - September 2005, Seite 2, ebenso: UNHCR-Erwägungen zum Beginn von Abschiebungen irakischer Staatsbürger, 16. November 2006, UNHCR-Return advisory and position on international protection needs of Iraqis outside Iraq, 18.12.2006).

 

5.2. Spezifische Überlegungen bezüglich der drei nordirakischen Provinzen Sulaima-niya, Erbil und Dohuk

 

Bezüglich der Möglichkeiten einer Rückkehr irakischer Staatsangehöriger in den Nordirak hält UNHCR grundsätzlich an seiner Position vom September 2005 fest, wonach die Rückkehr von Personen, für die kein Schutzbedürfnis im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention oder anderer internationaler Abkommen wie beispielsweise der Europäischen Menschenrechtskonvention 3 besteht, unter bestimmten Voraussetzungen eine Alternative zum Verbleib im Zufluchtsstaat mit unsicherem Aufenthaltsstatus darstellen kann.

 

In diesem Zusammenhang bekräftigt UNHCR allerdings nochmals seine Auffassung, wonach derzeit im gesamten Irak die Voraussetzungen für die Anwendung der in Art. 1 C (5) des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge niedergelegten "Wegfall der Umstände" - Klausel nicht erfüllt sind. Diese Einschätzung wird durch die oben dargestellten Entwicklungen im Irak bestätigt, die darauf hindeuten, dass die mit dem Sturz Saddam Husseins im April 2003 eingeleiteten Veränderungen bislang nicht zu einem vollständigen und dauerhaften Wegfall aller relevanten Verfolgungsgefahren und insbesondere nicht zur Wiederherstellung effektiven Schutzes geführt haben. Dies gilt auch für die unter kurdischer Verwaltung stehenden Provinzen im Nordirak, da auch die dortige Situation noch immer fragil und nicht hinreichend konsolidiert ist.

 

Nach Auffassung von UNHCR besteht deshalb für irakische Flüchtlinge die auf früherer Verfolgung oder Furcht vor Verfolgung beruhende Flüchtlingseigenschaft regelmäßig fort; diese Personen genießen weiterhin vollumfänglich die in der GFK umschriebene Rechtsstellung einschließlich des Schutzes vor Aus- oder Zurückweisung gemäß Art. 33 (1) GFK. Vor diesem Hintergrund dürfen irakische Staatsangehörige, deren Flüchtlingsstatus mit Blick auf die durch den Sturz der ehemaligen irakischen Regierung im März 2003 eingeleiteten Veränderungen widerrufen wurde, derzeit keinesfalls auf die Möglichkeit der Rückkehr in den Nordirak verwiesen oder zwangsweise dorthin zurückgeführt werden, es sei denn, im Einzelfall rechtfertigt das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 33 (2) GFK eine Ausnahme von dem in Art. 33 (1) GFK geregelten Verbot der Aus- oder Zurückweisung. Der menschenrechtliche Schutz der EMRK bleibt allerdings auch in diesen Fällen zu beachten.

 

Personen, in Bezug auf die auch unter Berücksichtigung der jüngsten Entwicklungen unter keinem Gesichtspunkt ein Bedürfnis für die Gewährung internationalen Flüchtlingsschutzes oder ergänzenden humanitären Schutzes besteht, können nach Auffassung von UNHCR hingegen in die drei unter kurdischer Verwaltung stehenden Provinzen im Nordirak zurückkehren, wenn sie

 

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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