S13 400.841-1/2008/5E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde der T.T., geb. 00.00.1975, StA.
Russische Föderation, vertreten durch: RA Mag. Susanne Singer, Maria-Theresia-Straße 9, 4600 Wels, gegen den Bescheid des Bundesasylamts vom 19.07.2008, FZ. 08 01.153-EAST-WEST, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Verwaltungsverfahren und Sachverhalt
Verfahren vor dem Bundesasylamt
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation inguschetischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste mit ihrem Mann und drei minderjährigen Kindern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 30.01.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am selben Tag wurde die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Linz Hauptbahnhof in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch durchgeführt.
Am 31.01.2008 erfolgte eine Eurodac-Abfrage, die ergab, dass sie bereits am 25.01.2008 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte.
Am 01.02.2008 richtete das Bundesasylamt aufgrund des Ergebnisses der Eurodac-Abfrage ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) an die zuständige polnische Behörde.
Am 06.02.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutzgemäß § 5 AsylG zurückzuweisen und dass zu diesem Zwecke Konsultationen mit Polen gemäß der Dublin II-VO geführt werden.
Mit Schreiben vom 11.02.2008, erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin bereit.
Am 15.02.2008 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch einvernommen.
Am 26.02.2008 erfolgte die Untersuchung der Beschwerdeführerin zur gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren durch Dr. A.A., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie.
Am 00.00.2008 wurde das fünfte Kind der Beschwerdeführerin in Österreich komplikationslos geboren.
Am 26.06.2008 wurde die Beschwerdeführerin zur gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren von Dr. G.M. untersucht.
Am 15.07.2008 wurde die Beschwerdeführerin erneut vom Bundesasylamt nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters und eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch einvernommen.
Mit Bescheid vom 19.07.2008, FZ. 08 01.153-EAST-WEST, wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück (in der Folge: angefochtener Bescheid).
Im angefochtenen Bescheid weist das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (I.). Die Beschwerdeführerin wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und demzufolge festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig ist (II.).
Beschwerde
Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin durch ihre rechtsfreundliche Vertreterin am 30.07.2008 Beschwerde beim Bundesasylamt erhoben. Die Beschwerde langte am 04.08.2008 beim Asylgerichtshof ein.
In der Beschwerdeschrift bringt die Beschwerdeführerin bezogen auf ihre Person im Wesentlichen vor, dass die am 26.02.2008 von Dr. A.A. diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung nicht auf die Schwangerschaft, sondern auf die traumatischen Ereignisse im Heimatland zurückgehe. Ferner werde die Tatsache nicht berücksichtigt, dass sie bereits im Jahr 2003 einen Sohn geboren habe, der elf Tage nach der Geburt verstorben sei, da in ihrem Heimatland die notwendige medizinische Betreuung nicht vorhanden gewesen sei. Dieser Sohn habe an demselben Nierenleiden gelitten wie ihr jüngster, in Österreich geborener Sohn. Daher habe sie Angst, dass in Polen die notwendige medizinische Betreuung für ihren jüngsten Sohn ebenfalls nicht gegeben sei.
Beweismittel
Als Beweismittel hat der Asylgerichtshof das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Erstbefragung am 30.01.2008 und in den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 15.02.2008 und am 15.07.2008 und weitere Beweismittel verwendet.
Parteivorbringen der Beschwerdeführerin
1. In der Erstbefragung am 30.01.2008 hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes angegeben (AS. 21):
Sie habe ihr Heimatland am 12.01.2008 legal mit ihrem eigenen Reisepass verlassen und sei über Polen in die EU eingereist. Dort habe sie einen Asylantrag gestellt und sei für drei Tage in einem Flüchtlingslager aufhältig gewesen. Danach sei sie schlepperunterstützt weiter nach Österreich gefahren.
Ihr Heimatland habe sie verlassen, da sie wegen ihrer Kinder Angst gehabt habe.
Über ihren Aufenthalt in Polen könne sie keine Angaben machen. Sie wolle jedoch nicht nach Polen zurück, da es dort so sei wie in Russland.
2. In der ersten Einvernahme am 15.02.2008 hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS. 97):
Ihr Heimatland habe sie gemeinsam mit ihrer Familie verlassen, da sie alle zu Hause in Gefahr gewesen seien.
Die Familie habe Polen verlassen, da sie am Handy angerufen worden seien. Man habe sie gewarnt, man wisse, dass sie sich in Polen aufhalten würden. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, ihr Ehemann habe ausgesagt, dass er eine SMS erhalten habe und keinen Anruf, gab die Beschwerdeführerin an, ihr Mann habe ihr gesagt, dass sie aus Polen wegfahren müssten. Er habe von zu Hause eine Mitteilung von seinem Vater erhalten. Was der Vater ihres Mannes genau gesagt habe, wisse sie nicht. In Polen sei sie niemals bedroht oder verfolgt worden. Auf Nachfrage durch das Bundesasylamt, wer laut Telefonat wisse, dass sie in Polen seien, brachte die Beschwerdeführerin vor, es seien Leute vom russischen FSB zu ihr nach Hause gekommen und hätten gedroht, die Kinder wegzunehmen, wenn sie nicht sage, wo ihr Mann sei. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, aus welchen Gründen sie bei derartigen Bedrohungen durch den FSB mehrere neu ausgestellte Dokumente erhalten habe, gab sie an, sie habe viel Geld dafür bezahlt.
Auf Nachfrage des Bundesasylamts zum Gesundheitszustand, hat die Beschwerdeführerin angegeben, ihre zweite Tochter sei verschrocken und schlafe kaum und sie selbst sei im achten Monat schwanger.
Sie selbst habe keine Verwandten in Österreich, aber eine Schwester ihres Mannes sei hier verheiratet. Sie lebe seit ca. vier Jahren in Österreich und habe die Familie hier bereits einmal besucht. In Tscheschenien habe die Schwägerin sie nicht unterstützt, da dies nicht notwendig gewesen sei.
3. In der zweiten Einvernahme am 15.07.2008 hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS. 161):
Sie sei mit der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. M. vom 26.06.2008 (siehe 3.2.) nicht einverstanden.
Zur beabsichtigten Vorgehensweise des Bundesasylamtes, sie nach Polen zu überstellen, gab sie an, sie wolle nicht nach Polen, da ihr Mann in Polen genauso in Gefahr sei wie in Russland.
Hier gehe es ihrem Mann auch psychisch besser, da seine Schwester in der Nähe sei.
Weitere Beweismittel
1. Laut Eurodac-Abfrage vom 31.01.2008 hat die Beschwerdeführerin bereits am 25.01.2008 in Lublin (Polen) einen Asylantrag gestellt (vgl. AS. 7).
2. Die polnischen Behörden haben sich mit Schreiben vom 11.02.2008 gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin (und ihrer minderjährigen Kinder) für zuständig erklärt (vgl. AS. 83).
3. Die gutachterlichen Stellungnahme vom 26.02.2008 von Dr. A., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, kommt zu dem Ergebnis, dass der Überstellung nach Polen derzeit schwere psychische Störungen (posttraumatische Belastungssörung, Psyche sehr depressiv, Affect sehr labil) entgegenstehen, da diese bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung der Symptome der Beschwerdeführerin aus ärztlicher Sicht bewirken würden. Die Beschwerdeführerin habe weder die traumatischen Erlebnisse in ihrer Heimat noch eine Fehl-/Totgeburt verarbeit und leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, sei depressiv und labil. Nach entsprechender Therapie würde eine Besserungsfähigkeit vorliegen, die eine Überstellung möglich machen würde. Eine Überstellung wäre frühestens in vier Monaten möglich (vgl. AS. 121).
4. Nach Ablauf der im Gutachten von Dr. A. empfohlenen Frist von vier Monaten wurde die Beschwerdeführerin am 26.06.2008 erneut zur gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren von Dr. M. untersucht. Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin an einer belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung leide und dass es sich um eine mäßige Depression handle. Bei einer Überstellung nach Polen sei aus ärztlicher Sicht keine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten (vgl. AS 145).
Sachverhalt nach Beweiswürdigung
Nach Würdigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin und der sonstigen Beweismittel stellt sich dem Asylgerichtshof folgender Sachverhalt dar:
1. Die Beschwerdeführerin ist gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren drei minderjährigen Kindern in Polen eingereist und stellte dort am 25.01.2008 einen Asylantrag. Nach ca. drei Tagen hat die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Familie Polen verlassen, ohne den Ausgang des Asylverfahrens abzuwarten und ist in der Folge illegal nach Österreich eingereist.
Diese Feststellungen ergeben sich sowohl aus dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin als auch aus der Eurocac-Abfrage, wonach der Asylantrag in Polen am 25.01.2008 gestellte wurde und der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin am 30.01.2008 bereits in Österreich eingetroffen war.
2. Die Beschwerdeführein brachte am 00.00.2008 in Österreich nach komplikationsloser Geburt ihr fünftes Kind zur Welt. Drei gesunde Kinder begleiteten sie bei der Flucht nach Österreich. In ihrer Heimat hatte die Beschwerdeführerin ein Kind elf Tage nach der Geburt verloren.
Diese Feststellungen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin.
3. Es besteht keine Gefahr, dass die Beschwerdeführerin der Bedrohung oder Verfolgung durch russische Sicherheitsdienste in Polen ungeschützt ausgesetzt ist.
Der Asylgerichshof stellt fest, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin sich in diesem Punkt im Wesentlichen zunächst darauf beschränkt, dass sie nicht nach Polen zurückwolle. Die erst in der weiteren Folge getätigte Aussage, "man" (und später "ihr Mann") sei von seiner Familie aus der Heimat angerufen worden, dass die Verfolger wissen würden, dass sie und ihre Familie in Polen seien, ist für den Asylgerichtshof nicht glaubwürdig. Die Angaben sind nämlich wenig substantiiert und hinzu kommt, dass es allgemein wenig wahrscheinlich ist, dass etwaige Verfolger den Aufenthalt der Familie in Polen in den drei bis fünf Tagen, die sie sich in Polen aufgehalten hat, ermittelt und diese Meldung in die Heimat weitergeliefert haben.
4. Die Beschwerdeführerin leidet nicht an einer belastungsabhängigen, krankheitswertigen psychischen Störung oder einer sonstigen physischen Erkrankung, welche einer Überstellung nach Polen entgegenstehen könnte.
Dies ergibt sich aus der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren von Dr. M.. Dem Gutachten ist nach einer ausführlichen Begründung zu entnehmen, dass die am 26.02.2008 in der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. A. diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung nicht mehr gegeben ist. Die Besserung des psychischen Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin und sohin die Möglichkeit der Überstellung nach Polen wurde bereits im Gutachten von Dr. A. vom 26.02.2008 bestätigt. Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen, es sei nicht nachvollziehbar, dass die posttraumatische Belastungsstörung lediglich auf die Schwangerschaft und nicht auf die traumatischen Ereignisse im Heimatland zurückzuführen sei, geht schon insoweit ins Leere als dass der Gutachter eine solche Feststellung gar nicht getroffen hat.
Zum Beschwerdevorbringen, die Beschwerdeführerin befürchte, dass ihrem neugeborenen Sohn in Polen, der an derselben Krankheit leide wie ihr in der Heimat kurz nach der Geburt verstorbenes Kind und in Polen würde dem Neugeborenen nicht die notwendige medizinische Betreuung gewährt, ist zunächst festzustellen, dass das Gutachten von Dr. A. zwar den Tod ihre Neugeborenen in der Heimat als eine der möglichen Ursachen ihrer psychischen Probleme sieht. Das spätere, nach der komplikationslosen Geburt ihres in Österreich neugeborenen Kindes, erstellte Gutachten von Dr. M., welches den früheren Verlust des Neugeborenen berücksichtigt hat, kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die dadurch vielleicht mitverurschate leichte Depression einer Überstellung nach Polen jedenfalls nicht entgegensteht.
5. Eine Schwester des Ehemannes der Beschwerdeführerin lebt verheiratet in Österreich. Zu dieser Schwägerin besteht weder eine finanzielle noch eine sonstige Abhängigkeit.
Dies ergibt sich daraus, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach die gegebene Unterstützung über die innerhalb einer Familie üblichen kleinen finanziellen Zuwendungen (wie z.B. einkaufen), gelegentliche Besuche in der Unterkunft und Gespräche mit dem Ehemann nicht hinausgeht.
Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Rechtlicher Rahmen
Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Asylverfahren das AsylG 2005 anzuwenden ist.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.
Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG, ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Mitgliedstaat der Dublin II-VO Schutz vor Verfolgung findet.
Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO) zuständig ist, wobei die dort geregelten Zuständigkeitskriterien nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.
Gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrages unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, wieder aufzunehmen.
Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den Kriterien der Art. 6 bis 13 Dublin II-VO nicht zuständig ist. Nach der Judikatur ist dieses Selbsteintrittsrecht zwingend anzuwenden, wenn ein Asylbewerber mit dem Vollzug der Ausweisung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat der Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung (Art. 3 EMRK) oder der Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) ausgesetzt wäre (VfGH 08.03.2001, G 117/00 u.a.; VfGH 11.06.2001, B 1541/00; VfGH 15.10.2004, G 237/03 u. a.; VfGH 17.06.2005, B 336/05).
Gemäß § 10 AsylG ist ein Bescheid über einen Asylantrag mit einer Ausweisung in einen bestimmten Staat zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen (Absatz 1 Ziffer 1) wird und keiner der in § 10 Absatz 2 und Absatz 3 AsylG festgelegten Gründe für die Unzulässigkeit der Ausweisung des vorliegt.
Gemäß § 10 Absatz 4 AsylG gilt eine Ausweisung wegen Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers.
Zulässigkeit der Beschwerde und Verfahren vor dem Asylgerichtshof
Die Beschwerde ist fristgerecht beim Asylgerichtshof eingebracht worden und es bestehen keine Bedenken gegen ihre Zulässigkeit.
Mit Beschluss vom 08.08.2008 hat der Asylgerichtshof der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte im Verfahren vor dem Asylgerichtshof von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung
Die angefochtene Entscheidung ist rechtmäßig, da das Bundesasylamt keine Verfahrensfehler begangen hat sowie zu Recht festgestellt hat, dass Österreich für die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers nicht zuständig ist und zu Recht die Ausweisung nach Polen verfügt hat.
Ordnungsgemäßes Verfahren vor dem Bundesasylamt
Der Asylgerichtshof stellt zunächst fest, dass das Verwaltungsverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde.
Der Beschwerdeführerin wurde insbesondere durch die Erstbefragung, die Einvernahme mit vorhergehender Rechtsberatung und schließlich durch das erneute Parteigehör unmittelbar vor Erlass des angefochtenen Bescheides - alle jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt. Ihr wurde weiters vor der ersten Einvernahme und innerhalb von 20 Tagen ab Einbringen ihres Antrags schriftlich mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz wegen Zuständigkeit Polens zurückzuweisen (§§ 28, 29 AsylG).
Unzuständigkeit Österreichs
Der Asylgerichtshof stellt fest, dass das Bundesasylamt keine Beurteilungsfehler begangen hat als es feststellte, dass für die Prüfung des Asylantrags der Beschwerdeführerin ausschließlich Polen zuständig ist.
Zur Zuständigkeit Polens
Was zunächst die Feststellung der Zuständigkeit Polens betrifft, so hat das Bundesasylamt diese Zuständigkeit im angefochtenen Bescheid richtigerweise auf Art. 16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO gestützt, da die Beschwerdeführerin bereits in Polen am 25.01.2008 einen Asylantrag gestellt hat und sich während der Prüfung dieses Asylantrages unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates, nämlich in Österreich, aufgehalten hat.
Zur Zuständigkeit Österreichs durch Selbsteintritt
Schließlich besteht auch keine Pflicht Österreichs, vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Im vorliegenden Fall besteht nämlich kein Grund anzunehmen, dass die Nichtzulassung zum Asylverfahren in Österreich wegen der damit verbunden Ausweisung nach Polen im konkreten Fall einen Verstoß der österreichischen Behörde gegen die Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 3 oder Art. 8 EMRK darstellt.
Was eine Verletzung von Art. 3 EMRK betrifft, so ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt (I.4. unter 3. und 4.), dass die Beschwerdeführerin nicht konkret Gefahr läuft, durch die Überstellung nach Polen einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden. Sie wäre nämlich dort weder der ernsten Gefahr einer Verfolgung durch russische Sicherheitstruppen ausgesetzt noch würde sich ihr physischer oder psychischer Gesundheitsszustand derart verschlechtern, dass eine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung in Polen keine Hilfe versprechen würde.
Es liegt auch kein Eingriff auf das Recht auf Schutz des Privatlebens vor, da in der Person der Beschwerdeführerin nicht von einer verfestigten Integration in Österreich gesprochen werden kann.
Was eine Verletzung von Art. 8 EMRK betrifft, so stellt der Asylgerichtshof fest, dass sich das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid mit der familiären Situation der Beschwerdeführerin in Österreich befasst hat und zu Recht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass - wie sich aus dem festgestellten Sachverhalt (I.4. unter 5.) ergibt - kein über das übliche Maß hinausgehende familiäre Beziehungen zu ihrer Schwägerin in Österreich besteht und daher kein Eingriff in das Rechts auf Familienleben vorliegt, wenn die Beschwerdeführerin nicht zum Verfahren in Österreich zugelassen würde.
Rechtmäßigkeit der Ausweisung
Was die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach Polen betrifft, so ergibt sich diese zunächst unmittelbar aus § 10 Absatz 1 Z. 1 AsylG, da der Antrag auf internationalen Schutz - wie oben unter 3.2. dargelegt - vom Bundesasylamt zu Recht zurück gewiesen wurde.
Es ergeben sich auch weder aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin noch aus sonstigen Anhaltspunkten Gründe dafür anzunehmen, dass die sofortige Ausweisung wegen Verstoßes gegen § 10 Abs. 2 AsylG oder gegen § 10 Abs. 3 AsylG unzulässig wäre. Insoweit verweist der Asylgerichtshof auf die oben unter 3.2.2. gemachten Ausführungen.
Da die Ausweisung nach Polen rechtmäßig ist, hat das Bundesasylamt auch zu Recht festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig ist. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 10 Abs 4 AsylG.