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E000 EU- Recht allgemein;Norm
11994N168 EU-Beitrittsvertrag Akte Art168;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des am 10. Juli 1959 geborenen SL, vertreten durch Dr. Guido Kollmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Elisabethstraße 24, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. September 1999, Zl. SD 418/99, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Indiens. Er ist seit 13. Jänner 1995 mit einer britischen Staatsangehörigen verheiratet. Der Beschwerdeführer verfügte über einen Touristensichtvermerk mit Geltungsdauer bis 24. Mai 1997, welcher von der österreichischen Botschaft Neu Delhi ausgestellt worden war. Mit diesem Touristensichtvermerk reiste der Beschwerdeführer am 20. Mai 1997 in das Bundesgebiet ein. Am 3. September 1997 beantragte er die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zum Zwecke der Familiengemeinschaft mit seiner Ehegattin. Im Verwaltungsverfahren brachte der Beschwerdeführer vor, seine Ehegattin lebe in Österreich und stehe in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis bei einer näher genannten inländischen Gesellschaft. Er selbst sei bei seiner Ehegattin mitversichert.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 25. März 1999 wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 47 Abs. 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 3 FrG 1997 abgewiesen.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 16. September 1999 wies diese die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 47 Abs. 2 zweiter Satz und § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit dem ihm ausgestellten Touristensichtvermerk am 20. Mai 1997 in das Bundesgebiet eingereist und halte sich seither in Österreich auf. Im Anschluss an den Ablauf des ihm erteilten Touristensichtvermerkes sei sein Aufenthalt unrechtmäßig. Am 3. September 1997 habe er den gegenständlichen Antrag gestellt. Die Ehegattin des Beschwerdeführers genieße als britische Staatsangehörige gemäß § 46 FrG 1997 Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit. Angehörige von EWR-Bürgern, die - wie der Beschwerdeführer - Staatsangehörige eines Drittstaates seien, unterlägen gemäß § 47 Abs. 1 FrG 1997 jedoch der Sichtvermerkspflicht. Solche Personen hätten gemäß § 47 Abs. 2 FrG 1997 unter der Voraussetzung, dass der EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sei, einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde. Solche Fremde könnten gemäß § 47 Abs. 2 FrG 1997 Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung jedoch nur dann im Inland stellen, wenn sie an sich zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt seien. Auf Grund des ausdrücklichen diesbezüglichen Vorbehaltes in § 10 Abs. 1 Z. 3 FrG 1997 sei dieser Versagungsgrund auf solche Fremde auch nicht anzuwenden. Der Beschwerdeführer sei jedoch ein Drittstaatsangehöriger einer EWR-Bürgerin, welcher (in Ermangelung eines Sichtvermerksabkommens mit Indien) nicht zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sei. Da die in § 47 FrG 1997 genannten Personen von der Anwendung des Versagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997, anders als dies bei Z. 3 leg. cit. der Fall sei, nicht ausgenommen seien, ergebe sich die Anwendbarkeit dieses Versagungsgrundes auf den Beschwerdeführer. Der beantragte Aufenthaltstitel solle zeitlich an den dem Beschwerdeführer durch den Touristensichtvermerk ermöglichten Aufenthalt anschließen und nach der Einreise erteilt werden. Der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 liege vor. In diesem Fall komme eine Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 10 Abs. 3 FrG 1997 nicht in Betracht. Die in § 10 Abs. 4 FrG 1997 vorgesehene Möglichkeit, von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, stehe der Abweisung des auf die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gerichteten Antrages des Beschwerdeführers vom 3. September 1997 nicht entgegen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 13. Juni 2000, B 1815/99-6, die Behandlung dieser Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
In seiner Beschwerdeergänzung erachtet sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides stand das FrG 1997 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 in Kraft. § 6 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z. 2 und 3 und Abs. 2 Z. 3, § 14 Abs. 2, § 46 Abs. 1, § 47 Abs. 1, 2 und 3 Z. 1, § 49 und § 112 FrG 1997 in dieser Fassung lauteten (auszugsweise):
"§ 6. (1) Die Einreisetitel (Visa) werden als
...
3. Reisevisum (Visum für den kurzfristigen Aufenthalt, Visum C)
...
erteilt.
...
§ 10. (1) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn
...
2. der Aufenthaltstitel zeitlich an den durch ein Reise- oder Durchreisevisum ermöglichten Aufenthalt anschließen und nach der Einreise erteilt werden soll;
3. der Aufenthaltstitel - außer für Saisonarbeitskräfte (§ 9), für begünstigte Drittstaatsangehörige (§ 47) oder Angehörige von Österreichern (§ 49) - nach sichtvermerksfreier Einreise (§ 28 oder § 29) erteilt werden soll;
...
(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z 2) insbesondere versagt werden, wenn
...
3. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;
...
§ 14. ...
(2) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. ...
...
§ 46. (1) EWR-Bürger genießen Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit.
...
§ 47. (1) Angehörige von EWR-Bürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, unterliegen der Sichtvermerkspflicht.
(2) Sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind, genießen begünstigte Drittstaatsangehörige (Abs. 3) Niederlassungsfreiheit; ihnen ist eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen, wenn sie an sich zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind.
...
(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:
1. Ehegatten;
...
§ 49. (1) Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, genießen Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen. ...
...
§ 112. Verfahren zur Erteilung eines Sichtvermerkes sowie Verfahren zur Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, oder gemäß der §§ 113 und 114 anhängig werden, sind nach dessen Bestimmungen - je nach dem Zweck der Reise oder des Aufenthaltes - als Verfahren zur Erteilung eines Einreisetitels oder als Verfahren zur Erteilung eines Erstaufenthaltstitels oder eines weiteren Aufenthaltstitels fortzuführen. Soweit sich hiedurch die Zuständigkeit einer anderen Behörde ergibt, ist die Sache ungeachtet ihres Verfahrensstandes der zuständigen Behörde erster Instanz abzutreten."
§ 6 Abs. 2 FrG 1992 lautete:
"(2) Touristensichtvermerke werden Touristen, Durchreisenden oder solchen Fremden erteilt, die Menschen mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet besuchen wollen."
Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) 1612/68 lautet:
"(1) Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:
a) sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;
b) seine Verwandten und die Verwandten seines Ehegatten in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt."
Die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 15. Oktober 1968, 68/360/EWG, lautet auszugsweise:
"Artikel 1
Die Mitgliedstaaten beseitigen nach Maßgabe dieser Richtlinie die Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen, auf die die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 Anwendung findet.
...
Artikel 3
(1) Die Mitgliedstaaten gestatten den in Artikel 1 genannten Personen bei Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses die Einreise in ihr Hoheitsgebiet.
(2) Für die Einreise darf weder ein Sichtvermerk noch ein gleichartiger Nachweis verlangt werden; dies gilt jedoch nicht für die Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen. Die Mitgliedstaaten gewähren den genannten Personen zur Erlangung der erforderlichen Sichtvermerke alle Erleichterungen.
Artikel 4
(1) Die Mitgliedstaaten gewähren den in Artikel 1 genannten Personen, welche die in Absatz 3 aufgeführten Unterlagen vorlegen, das Aufenthaltsrecht in ihrem Hoheitsgebiet.
(2) Zum Nachweis des Aufenthaltsrechts wird eine Bescheinigung, die 'Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG', erteilt. In dieser Bescheinigung muss vermerkt sein, dass sie auf Grund der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und der von den Mitgliedstaaten gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften ausgestellt worden ist. Der Text dieses Vermerks ist in der Anlage dieser Richtlinie wiedergegeben.
(3) Die Mitgliedstaaten dürfen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG nur die Vorlage nachstehender Unterlagen verlangen:
-
vom Arbeitnehmer:
a)
den Ausweis, mit dem er in ihr Hoheitsgebiet eingereist ist;
b)
eine Einstellungserklärung des Arbeitgebers oder eine Arbeitsbescheinigung;
-
von den Familienangehörigen:
c) den Ausweis, mit dem sie in ihr Hoheitsgebiet eingereist sind;
d) eine von der zuständigen Behörde ihres Herkunftsstaats ausgestellte Bescheinigung, in der das Verwandtschaftsverhältnis bestätigt ist;
e) in den Fällen des Artikels 10 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 eine von der zuständigen Behörde des Herkunftsstaats ausgestellte Bescheinigung, in der bestätigt wird, dass ihnen der Arbeitnehmer Unterhalt gewährt oder dass sie in diesem Land bei dem Arbeitnehmer leben.
(4) Einem Familienmitglied, das nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, wird ein Aufenthaltsdokument mit der gleichen Gültigkeit ausgestellt wie dem Arbeitnehmer, von dem es seine Rechte herleitet.
...
Artikel 10
Die Mitgliedstaaten dürfen nur aus Gründen der öffentlichen
Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen.
..."
Der Beschwerdeführer ist Ehegatte einer in Österreich beschäftigten Staatsangehörigen des Vereinigten Königreiches, also eines Mitgliedstaates der Europäischen Union. Daraus folgt zunächst, dass der Beschwerdeführer zum begünstigten Personenkreis des Art. 10 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 zählt. Auf Grund der vorzitierten Verordnungsbestimmung ist dem Beschwerdeführer gemeinschaftsrechtlich das Recht eingeräumt, bei seiner Ehegattin in Österreich Wohnung zu nehmen.
Die weiteren Modalitäten betreffend die nähere Umsetzung eines solchen Rechtsanspruches regelt die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 15. Oktober 1968, 68/360/EWG. Gemäß Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie genießen Familienmitglieder von Arbeitnehmern aus Mitgliedstaaten im Verständnis des Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68, die ihrerseits nicht Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind, keine Sichtvermerksfreiheit. Jedenfalls nach Maßgabe des Wortlautes der in Rede stehenden Richtlinie ist es den Mitgliedstaaten gestattet, für solche Drittstaatsangehörige Sichtvermerkspflicht vorzusehen. Sie haben freilich den begünstigten Drittstaatsangehörigen zur Erlangung der erforderlichen Sichtvermerke alle Erleichterungen zu gewähren.
Vorliegendenfalls war dem Beschwerdeführer ein österreichischer Touristensichtvermerk ausgestellt worden. Er ist auf Grund dieses Sichtvermerkes rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist.
Art. 4 Abs. 1 der in Rede stehenden Richtlinie sieht nun vor, dass die Mitgliedstaaten den in Art. 1 genannten Personen, welche die in Abs. 3 angeführten Unterlagen vorlegen, das Aufenthaltsrecht in ihrem Hoheitsgebiet gewähren. Handelt es sich bei der aufenthaltsberechtigten Person um einen Angehörigen eines Mitgliedstaates, so ist ihm zum Nachweis des Aufenthaltsrechts die in Art. 4 Abs. 2 vorgesehene "Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaates der EWG" auszustellen. Handelt es sich - wie im Fall des Beschwerdeführers - um ein Familienmitglied, das nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt, so wird ihm gemäß Art. 4 Abs. 4 der in Rede stehenden Richtlinie ein Aufenthaltsdokument mit der gleichen Gültigkeit ausgestellt wie dem Arbeitnehmer, von dem es seine Rechte herleitet.
Zur Auslegung der zitierten Bestimmungen dieser Richtlinie vor dem Hintergrund der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil vom 8. April 1976, Royer, Rs 48-75, insbesondere ausgesprochen, "dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 der Richtlinie 68/360 verpflichtet sind, die Aufenthaltserlaubnis jedem zu erteilen, der durch geeignete Unterlagen nachweist, dass er zu einer der in Artikel 1 der Richtlinie genannten Gruppen gehört" (vgl. Rz 37 dieses Urteiles).
Diese Aussage hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zwar nicht im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht eines Drittstaatsangehörigen getroffen. Indem er jedoch in dem zitierten Rechtssatz ohne jede Einschränkung auf alle in Art. 1 der in Rede stehenden Richtlinie, und damit auch auf alle in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 genannten Fremden verwies, brachte er zum Ausdruck, dass unter der Voraussetzung des Vorliegens entsprechender Nachweise auch Drittstaatsangehörigen eines Arbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, das Aufenthaltsrecht im Hoheitsgebiet nach Art. 4 der in Rede stehenden Richtlinie zu gewähren ist. Die Geltungsdauer des darüber auszustellenden Aufenthaltsdokumentes ergibt sich aus Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie.
Diese Auffassung ergibt sich überdies klar aus dem Wortlaut und der Systematik der Verordnung und der Richtlinie. Das den Familienangehörigen im Sinne des Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) 1612/68 eingeräumte Recht, beim Wanderarbeiter "Wohnung zu nehmen", steht nämlich ausdrücklich unabhängig von der Staatsbürgerschaft des Angehörigen zu. Daraus folgt, dass jedenfalls die aufenthaltsrechtliche Rechtsstellung von Angehörigen von Wanderarbeitern nach dem Inhalt der Verordnung nicht von der Herkunft des Angehörigen aus einem Mitgliedstaat abhängt. Die in Rede stehende Richtlinie diente nun aber (auch) der näheren Ausgestaltung der den in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) 1612/68 genannten Personen zustehenden Rechte. Es ist daher davon auszugehen, dass auch die Richtlinie die aufenthaltsrechtliche Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen von Wanderarbeitern sinngemäß entsprechend jener von aus Mitgliedstaaten stammenden Angehörigen von Wanderarbeitern regeln wollte (ob die Differenzierungen, die die Richtlinie in Ansehung der Sichtvermerkspflicht für die Einreise zwischen diesen Personengruppen trifft mit Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) 1612/68 in Einklang steht, ist hier nicht zu untersuchen). Dementsprechend geht auch die Richtlinie (insofern jedenfalls in Übereinstimmung mit Art. 10 Abs. 1 der Verordnung) geradezu als typischen Fall davon aus, dass ein Drittstaatsangehöriger im Verständnis der zitierten Verordnungsbestimmung, welcher auf Grund eines ihm gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie ausgestellten Visums zunächst rechtmäßig in das Gebiet eines Mitgliedstaates eingereist ist, im Anschluss an diese Einreise bei Vorlage der im zitierten Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften genannten Nachweise im Inland mit Erfolg die Ausstellung des in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie genannten Aufenthaltsdokumentes beantragen kann.
Vorliegendenfalls hat der Beschwerdeführer sowohl den Nachweis seiner rechtmäßigen Einreise mit einem hiezu berechtigenden Einreisetitel als auch den seiner Zugehörigkeit zum Personenkreis des Art. 10 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 erbracht.
Er fällt daher unter den Kreis jener Personen, denen gemäß Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie ein Aufenthaltsdokument auszustellen ist (vgl. hiezu auch Feik, Die aufenthaltsrechtliche Stellung der EWR-Bürger und das neue Fremdengesetz - dargestellt am Beispiel der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, ZfV 1994, 1 ff insbesondere 8, sowie Ziekow, Der gemeinschaftsrechtliche Status der Familienangehörigen von Wanderarbeitnehmern, DÖV 1991, 363 ff, insbesondere 367). Die genannten Autoren weisen (a.a.O.) auch darauf hin, dass die Erteilung der besonderen "Aufenthaltserlaubnis" nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften rein deklaratorisch wirke, weil jedenfalls Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 den Familienangehörigen ein Aufenthaltsrecht zugestehe. Gleiches gelte für das den Verwandten aus Drittstaaten gemäß Art. 4 Abs. 4 der in Rede stehenden Richtlinie ausgestellte Aufenthaltsdokument, komme es doch für den Anwendungsbereich des Art. 10 der genannten Verordnung auf die Staatsangehörigkeit nicht an.
Weiters ist zu betonen, dass Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1612/68 unmittelbar gilt und anwendbar ist (vgl. Thun-Hohenstein/Cede, Europarecht2, 177).
Gemäß Art. 28 Abs. 5 des EWR-Abkommens in Verbindung mit dessen Anhang V Z. 3 bildete die Richtlinie 68/360/EWG einen Bestandteil der Regelungen dieses Abkommens. Weiters war Österreich zufolge Art. 168 der Beitrittsakte verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen in Kraft zu setzen, um den Richtlinien und Entscheidungen im Sinne des Art. 189 des EG-Vertrages (zu denen auch die in Rede stehende Richtlinie zählte) vom Beitritt an nachzukommen.
Im Falle einer nicht fristgerechten oder unzutreffenden Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht entfalten auch Richtlinienbestimmungen unmittelbare Wirkungen. Ausgehend vom Prinzip des effet utile ist nach der Rechtsprechung unmittelbare Wirkung nicht nur dann möglich, wenn ein Umsetzungsakt (gänzlich) fehlt, sondern auch dann, wenn dieser den Anforderungen des Gemeinschaftsrechtes nicht entspricht, wenn also das Ziel der Richtlinie nicht erreicht wird (vgl. Calliess-Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Rz 74 zu Art. 249). Die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie besteht dann darin, dass sich der Einzelne unter der Voraussetzung der hinreichenden Determinierung der Richtlinie im jeweiligen Mitgliedstaat gegenüber innerstaatlichen Stellen unmittelbar auf die Richtlinienbestimmungen berufen kann (vgl. Thun-Hohenstein/Cede, a. a.O., 179).
Die innerstaatliche Umsetzung des Rechtes von Drittstaatsangehörigen von EWR-Bürgern auf Ausstellung des in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 68/360/EWG vorgesehenen Aufenthaltsdokumentes soll durch die in § 47 Abs. 2 FrG 1997 vorgesehene Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gewährleistet werden. Im Gegensatz zur oben dargestellten Rechtslage nach den maßgeblichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes gestattet nun aber § 47 Abs. 2 zweiter Satz FrG 1997 die Antragstellung auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach dem ersten Satz dieser Bestimmung (welche nach dem Vorgesagten dem in Art. 4 Abs. 4 der in Rede stehenden Richtlinie geregelten Aufenthaltsdokument entspricht) im Inland nur jenen Drittstaatsangehörigen, die zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind, nicht aber jenen, die zur Einreise einen Sichtvermerk benötigen (und mit einem solchen eingereist sind). Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass für die letztgenannte Gruppe von Fremden der Grundsatz der Antragstellung vom Ausland aus gemäß § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 gelten soll.
Zwar ermächtigt Art. 10 der genannten Richtlinie die Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit von ihren Bestimmungen abzuweichen. Die Statuierung der Erfolgsvoraussetzung einer Antragstellung vom Ausland aus für Drittstaatsangehörige, welche mit einem gültigen Einreisetitel eingereist sind, erscheint jedoch aus den Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Verständnis des Art. 10 dieser Richtlinie nicht gerechtfertigt. Wie der Verwaltungsgerichtshof nämlich unter Hinweis auf das bereits zitierte Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1976 in der Rechtssache C 48/75 (Royer) ausgeführt hat, stellt nicht einmal die Nichterfüllung der für Einreise, Ortswechsel und Aufenthalt von Ausländern geltenden Formalitäten ein die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdendes Verhalten im Sinne dieser Bestimmung dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. April 1999, Zl. 96/21/0012). Umso weniger ist ein Eingriff in die aus der genannten Richtlinie resultierenden Rechte Drittstaatsangehöriger als im Sinne der öffentlichen Ordnung als gerechtfertigt anzusehen, wenn diese zwar rechtmäßig, jedoch lediglich mit einem zu Besuchszwecken ausgestellten Touristensichtvermerk eingereist waren. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch festzuhalten, dass im Bereich der durch die genannten europarechtlichen Bestimmungen begünstigten Personengruppen - anders als dies im übrigen Bereich des Niederlassungsrechtes der Fall ist - dem jeweiligen Mitgliedstaat ein Recht zur Regelung der Neuzuwanderung nicht zukommt.
Daraus folgt, dass die Statuierung der Erfolgsvoraussetzung einer Antragstellung vom Ausland aus jedenfalls für mit einem Einreisetitel rechtmäßig eingereiste Drittstaatsangehörige in Widerspruch zu Art. 4 der Richtlinie 68/360/EWG steht. Der Beschwerdeführer kann sich nach dem Vorgesagten auch gegen die Anwendung des aus § 47 Abs. 2 zweiter Satz FrG 1997 abgeleiteten Versagungsgrundes auf den ganz offensichtlich hinreichend determinierten Art. 4 der in Rede stehenden Richtlinie, dessen unmittelbare Anwendbarkeit im bereits zitierten Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vorausgesetzt wird, berufen. Im Fall des Beschwerdeführers durfte die belangte Behörde daher den mit dem Europarecht unvereinbaren Versagungsgrund des § 47 Abs. 2 zweiter Satz FrG 1997 nicht anwenden.
Es kann vorliegendenfalls dahingestellt bleiben, ob der in Rede stehende Versagungsgrund auch deshalb unanwendbar ist, weil er gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot verstößt, zumal § 49 Abs. 1 zweiter Satz FrG 1997 Angehörigen von Österreichern (anders als Angehörigen von in Österreich niedergelassenen EWR-Bürgern) die Befugnis zur Inlandsantragstellung unabhängig davon einräumt, ob sie zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt waren (vgl. hiezu Muzak, Fremdenrecht, 148).
Die obigen Ausführungen kämen gleichfalls zum Tragen, wollte man die Auffassung der belangten Behörde vertreten, der in § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 umschriebene Versagungsgrund sei (nach innerstaatlichem Recht) auch auf die in § 47 FrG 1997 umschriebenen Drittstaatsangehörigen anzuwenden. Anders als bei dem aus § 47 Abs. 2 zweiter Satz FrG 1997 abgeleiteten Versagungsgrund ergibt aber bereits eine Interpretation des Fremdengesetzes 1997 Gegenteiliges:
Der belangten Behörde ist zwar einzuräumen, dass der in § 10 Abs. 1 Z. 3 FrG 1997 enthaltene Vorbehalt in Ansehung begünstigter Drittstaatsangehöriger im Verständnis des § 47 FrG 1997 dafür sprechen könnte, dass die übrigen in § 10 FrG 1997 enthaltenen Versagungsgründe, für die ein solcher Vorbehalt nicht besteht, auch in Ansehung der in § 47 FrG 1997 begünstigten Personen zur Anwendung zu kommen hätten. Dagegen spricht freilich der unzweideutige Wortlaut des § 47 Abs. 2 erster Satz FrG 1997, wonach solchen begünstigten Drittstaatsangehörigen eine Niederlassungsbewilligung auszustellen ist, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Insbesondere der Vorbehalt hinsichtlich der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit in der zuletzt genannten Bestimmung wäre seinerseits obsolet, wenn die Versagungsgründe des § 10 FrG 1997, und damit auch jener des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997, welcher ebenfalls auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit Bezug nimmt, ohnedies anzuwenden wären. Schließlich sprechen die oben dargelegten europarechtlichen Gründe auch für die Auslegung, wonach die Versagungsgründe des § 10 FrG 1997 generell auf die in § 47 FrG 1997 umschriebenen Personen nicht Anwendung finden (vgl. hiezu auch bereits die Aussagen im hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 2001, Zl. 2000/19/0079).
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Art. 6 Abs. 1 MRK steht dem nicht entgegen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Kosten aus dem Titel der Umsatzsteuer können neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand nicht zuerkannt werden (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 687 wiedergegebene Judikatur). Den Ersatz von Barauslagen hat der Beschwerdeführer demgegenüber nicht angesprochen.
Wien, am 20. April 2001
Gerichtsentscheidung
EuGH 61975J0048 Royer VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5Gemeinschaftsrecht Verordnung unmittelbare Anwendung EURallg5/1Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000190117.X00Im RIS seit
20.12.2001Zuletzt aktualisiert am
16.07.2012