TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/21 A4 231043-0/2008

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Veröffentlicht am 21.10.2008
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Spruch

A4 231.043-0/2008/8E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Günther LAMMER als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin WILHELM über die Beschwerde des I.W., geb. 00.00.1980 alias 00.00.1984, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.08.2002, FZ. 02 04.185-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.09.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. und Spruchpunkt II abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. 1. Der (nunmehrige) Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste am 13.02.2002 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte in weiterer Folge noch am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Er wurde hiezu am 14.08.2002 niederschriftlich einvernommen.

 

2. Zur Begründung seines Asylantrages brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, aufgrund seiner Probleme mit moslemischen Dorfbewohnern sein Heimatland verlassen zu haben. Konkret wären er und sein moslemischer Freund I. im Oktober 2001 gerade unterwegs gewesen um Schuhe einzukaufen, als sie eine entgegenkommende Personengruppe angesprochen habe. In weiterer Folge hätte sich ein Gespräch zwischen seinem Begleiter und eben genannten Passanten entwickelt, dessen Inhalt der im Betreff Genannte jedoch nicht habe verstehen können, da die Kommunikation in einer ihm unbekannten Sprache abgelaufen sei. "Mein Freund I. sagte dann zu dieser Gruppe, dass ich ein Christ wäre (Seite 15 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)." Aufgrund dieser Information hätten die Unbekannten den Antragsteller angegriffen und solange auf ihn eingeschlagen bis dieser sein Bewusstsein verloren habe. Als der Beschwerdeführer wieder erwacht sei, hätte er sich bereits im Spital befunden und habe man ihm durch die im Krankenzimmer befindlichen Polizisten einen Zeitungsartikel mit seinem Photo präsentiert, in dem der Beschwerdeführer bezichtigt worden wäre ob genannte Schlägerei provoziert zu haben. Trotz seiner Zusicherung, derzufolge sich die ihm zu Last gelegten Ereignisse in Wahrheit gänzlich anders zugetragen hätten, wäre der im Betreff Genannte sofort verhaftet und in die nahe gelegene Polizeistation gebracht worden. Dort habe man Letztgenannten bis zum 12.02.2002 eingesperrt und sei es ausschließlich dem Einsatz seiner Anwältin und seines im Offiziersrang der nigerianischen Streitkräfte stehenden Onkels zu verdanken gewesen, dass ihm an diesem Tag die Flucht gelungen wäre. In einer ungefähr elfstündigen Autofahrt hätten die beiden den Antragsteller direkt nach Lagos zum Flughafen gebracht. Als einziges Reisedokument habe der Asylwerber nur über einen roten Zettel verfügt, "näheres ist mir nicht bekannt (Seite 15 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)." Im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland befürchte der im Betreff Genannte von jenen Moslems getötet zu werden, welche ihn bereits in der Vergangenheit krankenhausreif geprügelt hätten.

 

3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.08.2002, FZ. 02 04.185-BAG, wies die Erstinstanz den Asylantrag in Spruchpunkt I. gemäß § 7 AsylG 1997 idF 126/2002 ab. In Spruchpunkt II. des Bescheides wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 leg. cit. für zulässig erklärt.

 

4. Gegen diesen Bescheid erhob der im Betreff Genannte fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde) und verwies in seinem Rechtsmittelschriftsatz im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen.

 

5. Im Rahmen einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 17.09.2008 wurde neuerlich versucht, den Wahrheitsgehalt der Angaben des Asylwerbers zu erforschen. Dem Antragsteller wurde in weiterer Folge Gelegenheit geboten, in freier Rede jene für ihn zentral wichtigen Ereignisse, welche in der Folge zu seiner Ausreise geführt haben, darzustellen. Der Beschwerdeführer wurde überdies mehrmals aufgefordert, in eine detaillierte Beschreibung der Umstände einzusteigen bzw. möglichst viele Elemente seiner eigenen Sichtweise einzubringen, um seine Darstellung in einem glaubhaften Licht erscheinen zu lassen.

 

Befragt nach seinen Fluchtgründen, gab der Antragsteller neuerlich an, in seiner Heimat mit dem strafrechtlich relevanten aber letztlich haltlosen Vorwurf konfrontiert worden zu sein, ethnische Konflikte angezettelt zu haben. Tatsächlich wäre der im Betreff Genannte aber bloß im Zuge eines Einkaufs ohne sein aktives Zutun in Kämpfe hineingeraten, in deren Verlauf er lediglich von seinem Notwehrrecht Gebrauch gemacht habe, aber hätten die moslemisch orientierten Dorfbewohner ihm in weiterer Folge die alleinige Schuld und ausschließliche Verantwortung an den Auseinandersetzungen zur Last gelegt. Der bis zur Besinnungslosigkeit geprügelte Beschwerdeführer sei einige Stunden später im Krankenhaus wieder zu sich gekommen und hätten ihn die zwei bereits im Zimmer anwesenden Polizisten sofort einem Verhör unterzogen. Wenig später wären noch zwei weitere Sicherheitsbeamte dazugestoßen, um ihn mit einem aktuell erschienen Zeitungsartikel zu konfrontieren. "Dort stand, dass ich das Ganze angezettelt habe (Seite 5 der niederschriftlichen Einvernahme vom 17.09.2008)." Nachdem man den Beschwerdeführer auf die in unmittelbarer Nähe zum Spital befindliche Polizeistation gebracht hätte, wäre er in einer Zelle inhaftiert worden. Einige Monate später sei es der Firmenanwältin seines Vaters im Zusammenspiel mit seinem Onkel gelungen die Freilassung des Antragstellers zu erwirken. Anschließend habe man ihn nach Lagos gebracht, von wo aus er vier Monate später unter Zuhilfenahme seines offiziellen Reisepasses am Luftweg ausgereist sei.

 

II. Zum Sachverhalt:

 

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer ein Staatsangehöriger Nigerias ist. Die Identität des Antragstellers konnte demgegenüber mangels Vorlage von als unbedenklich zu qualifizierenden Dokumenten nicht festgestellt werden. Nicht festgestellt konnte werden, dass der Beschwerdeführer aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention einer Verfolgung ausgesetzt war.

 

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in das erstinstanzliche Aktenkonvolut unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Antragstellers vor der Erstbehörde, des bekämpften Bescheids, des Rechtsmittelschriftsatzes, sowie seiner Angaben vor dem Asylgerichtshof.

 

Zur Situation in Nigeria wird festgestellt:

 

Die Situation in Nigeria ist grundsätzlich ruhig, die Staatsgewalt (Polizei und Justiz) funktionsfähig. Anzumerken ist jedoch, dass die nigerianische Bundespolizei in personeller Hinsicht im Vergleich zu westlichen Staaten relativ schlecht ausgestattet und verschiedentlich auch mangelhaft ausgebildet ist, weshalb in einzelnen Bundesstaaten so genannte Bürgerwehren polizeiliche Aufgaben übernommen haben. In einzelnen Landesteilen Nigerias (z.B. in den nördlichen Bundesstaaten Kano und Kaduna) kommt es wiederholt zu religiös motivierten Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems. Weiters kommt es im Niger-Delta verschiedentlich zu Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Volksgruppen. In bestimmten Fällen wurde das Militär zur Niederschlagung von Unruhen eingesetzt. Abgesehen von diesen lokal begrenzten Auseinandersetzungen ist die Situation in Nigeria jedoch ruhig. Im Zuge der Gouverneurs- und Präsidentenwahlen 2007 kam es in einzelnen Landesteilen zu Unruhen, es herrscht jedoch kein Bürgerkriegszustand.

 

Die im Mai 1999 in Kraft getretene nigerianische Verfassung verfügt im Kapitel V über einen Grundrechtskatalog, der sich an den einschlägigen völkerrechtlichen Instrumenten orientiert. Die nigerianische Regierung bekennt sich auch politisch zum Schutz der Menschenrechte und zählt diesen zu den Prioritäten des Regierungshandelns. Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit, definiert Nigeria als säkularen Staat und verbietet es dem Bundesstaat oder

 

einzelnen Bundesstaaten, eine Religion zur Staatsreligion zu machen.

 

Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass abgelehnte Asylwerber bei der Rückkehr nach Nigeria nach Beantragung von Asyl in einem westeuropäischen Land mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben. Außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise (z.B. Verhaftung) von abgeschobenen oder freiwillig ausgereisten Asylwerbern sind bisher nicht bekannt geworden. Die Basisversorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln zumindest im städtischen Bereich grundsätzlich gewährleistet. In den Großstädten ist eine ausreichende medizinische Versorgungslage gegeben. Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser.

 

Grundsätzlich kann örtlich begrenzten Konflikten bzw. Verfolgungsmaßnahmen durch Übersiedlung in einen anderen Landesteil ausgewichen werden. Alle nigerianischen Großstädte sind multi-ethnisch. In der Regel wohnen die Angehörigen der jeweiligen Volksgruppe möglichst in derselben Gegend, wenn sie nicht sogar ausschließlich ganze Stadtviertel belegen. Jeder der fremd in eine Stadt kommt, wird sich in die Gegend begeben, wo er "seine Leute" findet. Unter "seinen Leuten" können nicht nur Angehörige derselben Ethnie, sondern auch Personen desselben Religionsbekenntnisses, Absolventen derselben Schule oder Universität, Bewohner desselben Dorfes oder derselben Region verstanden werden. Von diesen Personengruppen kann der Betreffende Unterstützung erwarten. In der Regel wird ihm die Bestreitung des Lebensunterhaltes ermöglicht werden.

 

Mit der Wiedereinführung des Scharia-Strafrechts auf landesgesetzlicher Ebene in 12 Bundesstaaten seit Januar 2000 erhielten erstinstanzliche Scharia-Gerichte strafrechtliche Befugnisse bis hin zur Verhängung von Todesurteilen. Der Scharia-Instanzenzug endet allerdings auf der Ebene eines Landesberufungsgerichts in einem Bundesstaat. Gegen solche ist das Rechtsmittel zu dem (säkularen) nigerianischen Bundesberufungsgericht in Abuja statthaft. Soweit ist es bisher jedoch noch nicht gekommen, da die von Scharia-Gerichten verhängten Todesurteile bereits vorher - meistens aus verfahrensrechtlichen Gründen - im Instanzenzug - aufgehoben wurden. Im Koran genannte Vergehen werden mit so genannten "Hudud"-Strafen geahndet. Hudud (Singular: Hadd) sind Strafen, die explizit in Koran und/oder Hadith (= Überlieferung der Sunna, d.h., der Gewohnheiten des Propheten Muhammad) genannt werden. In diese Kategorie fallen die folgenden sieben Vergehen: außerehelicher Geschlechtsverkehr, Verleumdung v.

a. bezüglich außerehelichen Geschlechtsverkehrs, Diebstahl aus niederen Beweggründen, Weinkonsum, Straßenräuberei, Abfall vom Glauben und Putsch/Hochverrat/bewaffneter Aufruhr. Die vorgesehene Hadd für das Vergehen des außerehelichen Geschlechtsverkehrs (sofern der Angeklagte rechtmäßig verheiratet ist oder es schon einmal war) ist die Todesstrafe; im Falle von Ehebruch eines verheirateten oder ehemals verheirateten Partners soll diese nach der Hadith sogar durch Steinigung erfolgen. Bezüglich der Bestrafung der unter die erste Kategorie fallenden Vergehen besteht für die Richter kein Ermessensspielraum. Wenn der Tatbestand eindeutig bewiesen ist, muss die entsprechende Hadd verhängt werden. Den rigorosen Strafandrohungen stehen allerdings ebenso rigorose Beweisanforderungen entgegen, so dass bei beanstandungsfreien prozeduralen Scharia-Verfahren ein Zeugenbeweis kaum zu führen ist und demnach bloß ein Geständnis des Angeklagten zur Verurteilung führen könnte. Bisher ist nur ein einziger Fall bekannt, bei dem ein unter dem wiedereingeführten Scharia- Strafrecht gefälltes Todesurteil tatsächlich vollstreckt wurde: im Januar 2002 wurde der etwa 21-jährige Sani Yakubu Rodi wegen dreifachen Mordes gehängt (Qisa-, also Vergeltungsstrafe). Das Urteil war im Bundesstaat Katsina verhängt, aber aus technischen Gründen im staatlichen Gefängnis des Bundesstaates Kaduna vollstreckt worden. Daneben sind jedoch seit 2000 mindestens 13 weitere Personen unter Scharia-Strafrecht zum Tode verurteilt worden, von denen einige mittlerweile von Scharia-Gerichten höherer Instanzen freigesprochen wurden, die anderen noch auf das Ergebnis der Berufung warten.

 

Die Bestrafung nach Scharia-Strafvorschriften soll nur auf Muslime Anwendung finden. In den nördlichen Bundesstaaten besteht das Scharia-Strafrecht daher neben dem säkularen Strafrecht. Eine rechtliche Überprüfungsmöglichkeit von Urteilen der Scharia-Gerichte durch ein säkulares Gericht besteht grundsätzlich.

 

Im Jahr 2005 erregten Verfahren vor den Scharia-Gerichten jedoch national sowie international weit weniger Aufmerksamkeit als in den ersten Jahren nach Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, da man mittlerweile damit rechnet, dass derartige Urteile in der Berufung aufgehoben werden. Mehrere nigerianische Menschenrechts-NROs setzen sich in diesem Zusammenhang (oft mit finanzieller Unterstützung internationaler Geber) für die Angeklagten ein.

 

III. Beweiswürdigend wird ausgeführt:

 

Die Feststellungen zur Allgemeinsituation basieren auf nachstehenden - im Verfahren unwidersprochen gebliebenen - Länderdokumentationsunterlagen:

 

-

Bericht des AA Berlin vom 6.11.2007 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria hinsichtlich Abschnitt über die allg. politische Lage (Abschn. I), hinsichtlich Abschn. betreffend Strafverfolgung durch Sharia-Gerichte (Abschn. II. 1.4. und II. 1.5.,) Abschn. II. 3. betr. Ausweichmöglichkeiten innerhalb Nigerias und hinsichtl. Abschn. betr. Rückkehrfragen (Abschn. IV.;

Beilage I);

 

-

Bericht des Britischen Home Office vom 13.07.2007 mit dem Titel "Nigeria Country of Origin Information Report", hinsichtl. Abschn. betr. Das Scharia-Strafrecht (Abschn. 11.1 bis 11.15), hinsichtl. Abschn. betr. Bewegungsfreiheit und Behandlung von abgewiesenen Asylsuchenden (Abschn. 33.01 und 35.01, Beilage II);

Schlagworte
Glaubwürdigkeit, non refoulement
Zuletzt aktualisiert am
25.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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