A3 239.171-0/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. HOLZSCHUSTER als Vorsitzende und den Richter Mag. LAMMER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin WILHELM über die Beschwerde des D.D., geb. 00.00.1972, StA. Äthiopien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.06.2003, FZ. 01 19.600-BAG, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. 1. Der (nunmehrige) Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Äthiopiens, reiste nach eigenen Angaben am 27.08.2001 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte in weiterer Folge am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Er wurde hiezu am 03.04.2002 niederschriftlich einvernommen.
2. Zur Begründung seines Asylantrages brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, aus politischen Gründen sein Heimatland verlassen zu haben. Konkret habe der im Betreff Genannte in den Jahren 1991 bis 1998 als Staatsanwalt am Gericht A. gearbeitet und wären ihm und seinen Berufskollegen in dieser Funktion vom Landesrat wiederholt gesetzwidrige Weisungen erteilt worden "wie wir vorzugehen hätten (Seite 35 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)." Inhaltlich habe man den Beschwerdeführer dahingehend instruiert, wonach er gegen bestimmte Tatverdächtige ermitteln und Anklage erheben respektive gegen andere keine weitere Untersuchungen anstellen, sondern diese stattdessen wieder auf freien Fuß setzen solle. Gegen diese untragbaren Zustände hätte der Antragsteller massiv protestiert und mangels Resonanz in letzter Konsequenz schließlich am 19.04.1998 sein Amt niedergelegt. In weiterer Folge habe er als selbstständiger Anwalt seinen Lebensunterhalt bestritten und als solcher auch Demonstrationsveranstalter rechtlich beraten. Zudem hätte der Beschwerdeführer mit der OLF sympathisiert und diese organisatorisch aktiv unterstützt. Im Zuge seiner Tätigkeiten wäre der im Betreff Genannte jedoch zusehends in den Blickpunkt der Behörden geraten und habe man ihn verdächtigt, einer der Hauptdrahtzieher diverser öffentlichkeitswirksamer Kundgebungen zu sein. Zudem hätte man den Beschwerdeführer für diverse Ausschreitungen im Rahmen derartiger Veranstaltungen verantwortlich gemacht und in diesem Zusammenhang sogar Anklage gegen ihn wegen der angeblichen Teilnahme an Ausschreitungen der OLF erhoben. Da er einer Gerichtsladung in dieser causa jedoch nicht gefolgt, sondern stattdessen zwei Monate lang untergetaucht sei, befürchte der Antragsteller, im Zusammenspiel mit den zuvor genannten Problemen, im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland von der dortigen Regierung umgebracht zu werden.
3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.06.2003, FZ. 01 19.600-BAG, wies die Erstinstanz den Asylantrag in Spruchpunkt I. gemäß. § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 82/2001 ab. In Spruchpunkt II. des Bescheides wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Äthiopien gemäß § 8 leg. cit. für zulässig erklärt.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der im Betreff Genannte fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde).
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 (Art. 2 BG BGBl. I 100/2005) sind "[A]lle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 i. d. F. 126/2002 sind sämtliche am 01. Jänner 1998 bei den Asylbehörden anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.
Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997 (in der Folge: AsylG) i. d. F. der AsylG-Nov. 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die ab dem 01.05.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG in der jeweils geltenden Fassung, di. nunmehr die Fassung der AsylG - Nov. 2003, zu führen.
Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter (1.) über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und (2.) Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
Soweit sich aus dem B-VG, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, sind gemäß § 22 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
2. Gemäß § 23 Abs. 1 AsylG i. d. F. der AsylG - Nov. 2003 ist auf Verfahren nach dem AsylG, soweit nicht anderes bestimmt ist, das AVG anzuwenden (vgl. auch Art. II Abs. 2 lit. D Z 43 a EGVG). Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein Verfahren vor dem Bundesasylamt mit nachgeordneter Kontrolle durch den Asylgerichtshof eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es ist gemäß § 19 Abs. 2 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren vor dem Bundesasylamt unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor den Asylgerichtshof verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Echtheit seiner vorgelegten Dokumente respektive die Verhältnisse in seinem Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es das Kontrollorgan ist, das erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass es die umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens dafür, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem in ständiger Rechtsprechung, etwa in den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zahlen 2000/20/0084 und 2002/20/0315 Kriterien für die Anwendung des
§ 66 Abs. 2 AVG im Asylberufungsverfahren vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat aufgestellt, wonach die verfassungsrechtliche Funktion des damaligen Unabhängigen Bundesasylsenats als einer obersten Berufungsbehörde ausgehöhlt würde und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert würde, "wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf das Verfahren einzuführen."
Gleiches muss für den nunmehr als Nachfolgebehörde des Unabhängigen Bundesasylsenates eingerichteten Asylgerichtshof gelten, der über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen erkennt und somit eine überprüfende Funktion einnimmt.
3. Im vorliegenden Fall hat es das Bundesasylamt verabsäumt, sich auch nur ansatzweise mit der Echtheit der als Beweismittel vorgelegten Dokumente auf eine objektivierbare Weise auseinanderzusetzen und darüber hinaus es nicht für erforderlich erachtet, sich über die aktuelle Lage im Herkunftsland des Beschwerdeführers sowie die Situation von Mitgliedern seiner Volksgruppe und Anhängern der Oromo - Befreiungsfront zu informieren. Um die Situation des Beschwerdeführers korrekt zu beurteilen, müssen nicht nur detaillierte Feststellungen über die gegenwärtigen Verhältnisse in Äthiopien eingeführt, sondern darüber hinaus auch die ins Treffen geführten Behauptungen einer eingehenden Prüfung, allenfalls durch geeignete Ermittlungen der Österreichischen Botschaft vor Ort, unterzogen werden. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden einer neuerlichen inhaltlichen Auseinandersetzung seitens der erstinstanzlichen Behörde zugrundezulegen sein.
Es ist zudem nicht möglich, die Situation des Beschwerdeführers korrekt zu beurteilen, wenn nicht in ausreichendem Maße Feststellungen über seine Möglichkeit, sich anderwärtig in Äthiopien niederzulassen, ins Verfahren eingeführt werden. Das Bundesasylamt ist - ebenso wie der Asylgerichtshof - als Spezialbehörde verpflichtet, sich über die Situation und die Entwicklungen in Äthiopien Kenntnis zu verschaffen und im Einzelfall entsprechende Feststellungen zu treffen. Nur anhand solcher Feststellungen ist es möglich zu beurteilen, ob der im Betreff Genannte - aus Gründen, die in der GFK genannt sind - verfolgt wird. Diese Feststellungen wären mit dem Beschwerdeführer zu erörtern; daraus könnte sich die Notwendigkeit ergeben, ihn neuerlich zu seinen persönlichen Umständen einzuvernehmen. Damit liegt aber eine der Voraussetzungen vor, die § 66 Abs. 2 AVG normiert: dass nämlich die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine; denn ob es sich um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt, macht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Unterschied (VwGH
v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084 mwN; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315; VwGH v. 11.12.2003, Zl. 2003/07/0079).
Das Bundesasylamt hat es unterlassen, sowohl "brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Situation im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen" (VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; vgl. auch VwGH v. 30.09.2004, Zl. 2001/20/0135) als auch die vorgelegten Dokumente einer kriminaltechnischen Untersuchung zu unterziehen. Hätte es das getan und diese Ergebnisse mit dem Beschwerdeführer erörtert, so hätte es ihn unter Umständen neuerlich vernehmen müssen, um den Sachverhalt weiter aufzuhellen. Die Vernehmung durch die Erstbehörde würde dezentral stattfinden; auch dies ist unter dem Gesichtspunkt der Kostenersparnis zu berücksichtigen (VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315). Der Asylgerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass eine Vielzahl von Umständen dafür spricht, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.