TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/22 E12 255963-0/2008

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Veröffentlicht am 22.10.2008
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Spruch

E12 255.963-0/2008-8E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Mittermayr über die Beschwerde des G. M., geb. 00.00.1981, StA Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.11.2004, FZ 04 22.361-EAST-West, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde vom 07.12.2004 wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG:

 

1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF) stellte am 2.11.2004 einen Asylantrag und wurde am 9. und 19.11.2004 niederschriftlich dazu einvernommen (AS 19ff und 45ff).

 

2. Mit Bescheid vom 22.11.2004, FZ 04 22.361, persönlich übernommen am 23.11.2004, wies das Bundesasylamt - ohne weitere Verfahrensschritte - den Asylantrag gem. § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde im Spruchpunkt II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt und in weiterer Folge im Spruchpunkt III. die Ausweisung gem. § 8 Abs. 2 AsylG 1997 verfügt.

 

3. Dagegen wurde am 7.12.2004 fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben.

 

4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E12 zugeteilt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Am 01. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl I. Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof BGBl I. Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) sind, soweit sich aus dem Bundesverfassungsgesetz B- VG, BGBl Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl I. Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985- VwGG, BGBl Nr. 10 nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG BGBl Nr. 51 mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang auch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBL Nr. 51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzten und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen) so der hier vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückzuweisen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315, und 2000/20/0084 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren, im allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (nunmehr Asylgerichtshof) im besonderen getätigt. Dabei hat er im zuletzt genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Artikel 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen".

 

Im Erkenntnis vom 17.10.2006, 2005/20/0459, hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung / Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche, detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden und zwar aus folgenden Erwägungen:

 

Der BF gab anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BAA im wesentlichen an, er sei Kurde alevitischen Glaubens. Am 21.3.1997 sei er bei einer Feier des Newroz-Festes von der Polizei für 24 Stunden festgenommen worden. Weiters sei er im Mai 1997 in Istanbul als Teilnehmer an einer Demonstration gegen den Hochschulrat für 24 Stunden festgenommen worden. Außerdem werde er als Alevit von rechtsgerichteten MHP-Jugendlichen gesucht, weil er keine Moscheen besucht und linksorientierte Ansichten habe. In der gesamten Türkei gäbe es in den Kreisstädten nationale Jugendvereine. Er habe sich auch an die Polizei um Schutz gewandt, allerdings habe diese nichts unternommen, als sie feststellten, dass er alevitischer Kurde ist.

 

Das BAA stellt zwar fest, dass der BF alevitischer Kurde ist. Allerdings fehlen im angefochtenen Bescheid gänzlich Feststellungen bzw. Länderberichte zur Situation alevitischer Kurden in der Türkei. Ebenso vermisst werden Feststellungen zur MHP, ihre Grundhaltung, ihre Strukturen, ihr Verhältnis zur Polizei etc. Diese Feststellungen wären aber erforderlich gewesen, um in Anschluss daran würdigen zu können, warum keine asylrelevante Verfolgung des BF aus religiösen oder politischen Motiven vorliegt. Einer nicht von staatlichen Stellen ausgehenden Verfolgung kann nicht in allen Fällen bereits dann die Asylrelevanz abgesprochen werden, wenn sich der Asylwerber nicht an staatliche Stellen an Schutz gewandt hat. Dies hat der BF ja sogar versucht.

 

Weiters hat es das BAA unterlassen, die zugegebenermaßen nicht sehr konkreten Angaben des BF in Zusammenhang mit den beiden Festnahmen, Drohungen der MHP etc. zu hinterfragen. Zumindest entsprechende Versuche in diese Richtung hätten unternommen werden müssen, was allerdings den Niederschriften nicht entnommen werden kann.

 

Die Feststellungen auf S. 13 des angefochtenen Bescheides sind zum Teil aktenwidrig, zum teil nicht schlüssig bzw. entsprechend begründet. So ist z.B. von der Anzahl der Demonstranten die Rede, obwohl der BF nie Aussagen in diese Richtung getroffen hat. Auch war nie die Rede davon, dass es sich um Großdemonstrationen gehandelt habe. Daher kann auch der Schluss, dass nur gezielt gegen Personen vorgegangen werden kann, die sich bei der Demonstration auffällig verhalten, nicht nachvollzogen werden. Des weiteren entbehrt die Feststellung, dass die Festnahmen am 1.Mai nicht gegen die Person des BF gerichtet waren, jeglicher Grundlage. Entgegen der Ansicht des BAA ist es nämlich nicht unbedingt erforderlich, bei der Auflösung einer behördlich nicht genehmigten Demonstration Personen festzunehmen und 24 Stunden anzuhalten.

 

Erst im Anschluss hätte das BAA ausreichend und schlüssig würdigen können, ob eine asylrelevante Verfolgung des BF aus religiösen und/oder politischen Gründen vorliegt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtssprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, 2003/20/03-89). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit, mangelnde Aufklärung des zugrundeliegenden Sachverhaltes etc. - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret, entscheidungsrelevanten Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt dass Procedere der Erstbehörde somit gegen die im Asylverfahren speziell determinierten Ermittlungspflichten. Demnach haben nämlich das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von amtswegen darauf hinzuwirken , dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet, oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von amtswegen beizuschaffen. Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren bedacht zu nehmen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von amtswegen zu ermitteln und festzustellen, ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet. Es hätten jedenfalls Widersprüche aufgeklärt, Behauptungen hinterfragt und vollständige Länderinformationen beigeschafft werden müssen.

 

4. Zusammenfassend ist daher der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit dem unter Punkt drei dargestellten Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen bzw. Befragungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen. Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten war von § 66 Abs. 3 AVG kein Gebrauch zu machen. Ergänzend sei dazu bemerkt, dass der Asylgerichtshof nicht verkennt, dass das gegenständliche Verfahren bereits seit September 2005 bei der Berufungsbehörde anhängig war; aufgrund der Mangelhaftigkeit ist jedoch die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG gerechtfertigt.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern bzw. aufzuklären haben.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
10.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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