D2 309287-1/2008/6E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Feßl als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stracker als Beisitzer über die Beschwerde des M.G., geb. 00.00.1973, StA. d. Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.01.2007, FZ. 05 16.291-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang:
1. Der (nunmehrige) Beschwerdeführer ist nach eigenen Angaben am 03.10.2005 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und stellte am selben Tag einen Antrag auf die Gewährung von Asyl. Am 06.10.2005, 10.10.2005 - und nach erfolgter Zulassung zum Verfahren - am 25.09.2006 und 30.11.2006 wurde er durch einen Organwalter des Bundesasylamtes zu seinem Fluchtweg und den Fluchtgründen niederschriftlich befragt. Kurz zusammengefasst gab er an, dass er am 10.06.2005 gemeinsam mit seiner Familie seine Heimatadresse verlassen habe. Über Teraspol seien sie am 13.06.2005 illegal in Polen eingereist, wo sie ca. 40 Tage im Lager C. aufhältig gewesen seien und auch um Asyl angesucht hätten. Im Juli 2005 seien sie dann illegal nach Deutschland gereist und zehn Tage später mit der Bahn und der Fähre nach Schweden gefahren, wo sie am 04.08.2005 um Asyl angesucht hätten. Da sie die schwedischen Behörden, so wie zuvor schon die deutschen Behörden, nach Polen abschieben hätten wollen, seien sie illegal per Bahn und Pkw über Dänemark und Deutschland nach Österreich gereist, wo sie dann am 03.10.2005 angekommen seien. Sein Heimatland habe er verlassen, weil er wegen seiner tschetschenischen Abstammung verdächtigt worden sei, tschetschenischen Kämpfern geholfen zu haben. Dies deshalb, weil sich im Jahr 1999 B.S. bei ihm aufgehalten habe. Gemeinsam mit der örtlichen Polizei sei er von russischen Soldaten drei Mal angehalten worden. Dabei sei ihm vorgeworfen worden, dass er ein Helfer der Terroristen und des B.S. sei. Er sei zur Polizeiabteilung und dort in den Keller gebracht worden, wo man ihn aufgefordert habe, den Aufenthaltsort der Rebellen bekannt zu geben. Im Jahr 1999 sei er für eine Woche, im Mai 2004 für zehn Tage und im März 2005 für drei Tage angehalten worden, wobei man ihn bei der ersten und bei der zweiten Anhaltung auch geschlagen habe. Für seine Freilassung sei jedes Mal Geld bezahlt worden. Zuletzt sei er nach drei Tagen von seinen Eltern freigekauft worden. Nachdem er sein Haus verkauft habe, sei er geflüchtet, wobei der Zug, mit dem er gefahren sei, ca. 150 km vor Moskau einem Sprengstoffattentat zum Opfer gefallen wäre. Er habe fünf umgekippte Waggons gesehen, sein Waggon sei aber nicht getroffen worden, jedoch habe die Ehegattin dabei einen Schock erlitten. Bei einer Rückkehr würde er befürchten, dass man ihn verschwinden lassen würde.
2. Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.01.2007 in Spruchteil I unter Berufung auf § 7 AsylG 1997 ab; in Spruchteil II stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997 zulässig ist; unter einem wurde der Beschwerdeführer in Spruchteil III des Bescheides unter Berufung auf § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.
Gegen diesen am 11.01.2007 zugestellten Bescheid brachte der Vertreter des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 24.01.2006 [richtig wohl: 2007] fristgerecht eine Berufung ein, die nunmehr gem. § 23 AsylGHG als Beschwerde gilt. In der Begründung wird die Verletzung des Parteiengehörs, sowie eine unrichtige Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung gerügt und unter Zitierung zahlreicher Berichte im Wesentlichen auf die in einzelnen Landesteilen Tschetscheniens fortdauernde Bürgerkriegssituation und die allgemeine Menschenrechtssituation verwiesen.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 61 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge: AsylG) entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (in der Folge: AsylG 1997) zu Ende zu führen, wobei die Übergangsbestimmung des § 44 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. BGBl. I Nr.101/2003 gilt. Danach werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 126/2002 geführt. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung sind die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a i. d.F. BGBl. I Nr. 101/2003 auch auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden. Gemäß der Übergangsbestimmung des § 44 Abs. 2 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. BGBl. I Nr. 101/2003, werden Asylanträge, die ab dem 01.05.2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der jeweils geltenden Fassung geführt.
Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, "wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist."
Auch die zweite Instanz in Asylsachen ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.09.2004, Zl. 2001/01/0348; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG s. VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084). Sinngemäß müssen diese Ausführungen auch für den nunmehrigen Asylgerichtshof gelten, der gem. § 23 AsylGHG grundsätzlich ebenfalls das AVG und damit auch § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden hat.
2. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren aus folgenden Gründen mangelhaft:
Die erstinstanzliche Behörde erschöpft sich im Rahmen ihrer Beweiswürdigung darin, Voraussetzungen für die "Glaubhaftmachung" aufzustellen und sodann zu behaupten, der Beschwerdeführer habe während des gesamten Asylverfahrens nicht den Eindruck erwecken können, dass seine Angaben den Tatsachen entsprechen würden. Weiters würde der angegebene Sachverhalt von der erstinstanzlichen Behörde in Zweifel gezogen, weil der Beschwerdeführer seine Behauptungen, drei Mal festgenommen und dabei geschlagen worden zu sein, nur allgemein in den Raum gestellt habe, ohne dies belegen oder durch konkrete Anhaltspunkte glaubhaft machen zu können. Diese Beweiswürdigung lässt sich aber anhand der Niederschriften über die Einvernahmen nicht nachvollziehen, zumal der Beschwerdeführer alle Fragen des Organwalters des Bundesasylamtes beantwortet, die ihm zugefügten "Folterspuren" während der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, am 25.09.2006 vorgezeigt und zur Untermauerung seines Vorbringens Beweismittel in Form von Ladungen (AS 143 bis 175) vorgelegt hat. Als weiteres tragendes Argument für die nicht gelungene Glaubhaftmachung einer asylrelevanten Verfolgung durch den Beschwerdeführer führt das Bundesasylamt an, dass das gesamte Vorbringen zu keiner Asylgewährung führen könne, da dem Vorbringen der zeitliche Konnex zur Ausreise fehlen würde, zumal nicht nachvollziehbar sei, dass sich der Antragsteller erst am 10.06.2005 - gemeinsam mit seiner Familie - zur Flucht entschieden habe, obwohl seine Bedrohungen schon 1999 begonnen hätten. Mit diesen Ausführungen ignoriert das Bundesasylamt aber gänzlich die vom Antragsteller gemachten Angaben in seinen niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt, in welchen dieser angegeben hat, dass er zum letzten Mal im März 2005 mitgenommen und erst danach geladen worden sei, wobei der letzte Ladungstermin, der 20.03.2005, somit auch im zeitlichen Konnex zur Ausreise im Juni 2005 zu sehen gewesen wäre. Dass der Antragsteller bereits in mehreren europäischen Ländern um Asyl angesucht hat, ist ebenfalls kein tragfähiges Indiz für die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens, wie das Bundesasylamt zu glauben scheint, wenn man sich mit den Angaben des Beschwerdeführers und seinen Argumenten hinsichtlich seiner Weiterreise aus Polen konkret auseinandersetzt, zumal dieser angegeben hat, dass er sich in Polen wegen seiner geografischen Nähe zur Russischen Föderation nicht sicher gefühlt habe und alle anderen europäischen Länder (mit Ausnahme Österreichs) versucht hätten, ihn nach Polen zurückzuführen. Der Argumentation des Bundesasylamtes, er sei nicht an der Erlangung von Asyl aufgrund der befürchteten Übergriffe, sondern lediglich an der illegalen Weiterreise durch verschiedene Länder der europäischen Union interessiert gewesen, fehlt daher jegliche Grundlage. Auch die vom Bundesasylamt erblickten Widersprüche lassen sich anhand der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschriften so nicht nachvollziehen, da der Beschwerdeführer in seiner ersten Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, am 06.10.2005 angegeben hat, dass er drei Mal und zwar 1999, im Mai 2004 und im März 2005 festgenommen worden wäre. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, am 25.09.2006 gab der Beschwerdeführer zu diesem Sachverhalt befragt an, dass er das erste Mal Ende September 1999, das zweite Mal Ende 2004 und dass dritte Mal im Mai 2005, sowie nach selbstständiger Korrektur im März 2005 festgenommen worden wäre. Die von der Erstbehörde nunmehr in der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides beanstandeten "unterschiedlichen" Angaben, sofern sie überhaupt als solche zu werten wären, da letztlich nur der Zeitraum Ende 2004 zu Mai 2004 näher hinterfragt werden hätte müssen, wurden in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt nicht beanstandet, sodass der Antragsteller von der Korrektheit seiner Angaben ausgehen musste. Dem vom Bundesasylamt in diesem Zusammenhang gezogenen Schluss, dass es aufgrund der unterschiedlichen Angaben offensichtlich sei, dass der Antragsteller ein einstudiertes bzw. frei erfundenes Fluchtvorbringen wiedergegeben habe, um den Aufenthalt in Österreich zu erzwingen, entbehrt somit ebenfalls jedwede Grundlage. Soweit das Bundesasylamt vermeint, dass der Antragsteller noch Zeit gefunden habe, sein Haus und sein Auto zu verkaufen und dass dieses Verhalten jeglicher Logik entbehren würden, zumal die einzige logische Konsequenz ein früheres Verlassen seiner Heimat gewesen wäre, so wird dazu ausgeführt, dass auch die Umstände des Hausverkaufes vom Organwalter des Bundesasylamtes in den niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt nicht näher hinterfragt wurden, zumal nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass ein Mittelsmann das Haus verkauft oder der Antragsteller zuletzt versteckt gelebt hat. Lediglich der Vollständigkeit halber wird dazu noch ausgeführt, dass aus den im Akt einliegenden Niederschriften mit dem Beschwerdeführer nicht hervorgeht, dass dieser über den Verkauf seines Autos überhaupt befragt worden wäre; dass der Beschwerdeführer auch sein Auto verkauft hätte, hat lediglich die Ehegattin des Beschwerdeführers in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, am 06.10.2005 angegeben.
Ein weiterer schwerer Verfahrensmangel ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt Beweismittel in Form von Ladungen vorgelegt hat (AS 143 bis 175), die im erstinstanzlichen Verfahren nicht die erforderliche Beachtung fanden. Das Bundesasylamt führt im angefochtenen Bescheid in der Beweiswürdigung zu den vorgelegten Beweismitteln (Ladungen) lediglich an, dass der Antragsteller nicht plausibel erklären habe können, warum er, obwohl er einer Ladung am 15.11.2004 nicht Folge geleistet habe, mit keinen Repressalien zu rechnen gehabt hätte, sondern erst im März abermals festgenommen worden wäre. Mit diesem, in sich völlig widersprüchlichen, Begründungselement lässt das Bundesasylamt zum einen nicht erkennen worin die Unplausibilität des vorgetragenen Sachverhaltes zu den vorgelegten Beweismitteln bestehen würde und zum anderen wird vom Bundesasylamt auch nicht bekannt gegeben, ob es den vorgelegten Beweismitteln Authentizität zubilligt oder nicht. Die vom Beschwerdeführer dem Bundesasylamt vorgelegten Beweismittel können nicht so ohne weitere Beurteilung dahingehend zusammengefasst werden, dass, hätte der Antragsteller aufgrund der Vorladung weitere Repressalien zu befürchten gehabt, dieser viel früher die Heimat verlassen und sich diesen nicht ausgesetzt hätte. Vielmehr wäre hier die Erstbehörde gehalten gewesen weitere behördliche Ermittlungen, wie die Überprüfung der Ladung auf Echtheit im Wege des Vertrauensanwaltes der österreichischen Vertretungsbehörde in der Russischen Föderation einzuleiten oder durch eine geeignete Recherche zu hinterfragen, ob es das Gericht, den "Friedensrichter" oder ob es den Ladungsort überhaupt gibt und Bejahendenfalls, was es mit einer derartigen Ladung auf sich hat. Eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers und den von ihm vorgelegten Beweismitteln fand somit nicht statt.
3. Aber auch die vom Bundesasylamt getroffene Begründung im Hinblick auf die Refoulemententscheidung hält einer näheren Überprüfung nicht stand, da sich das Bundesasylamt nämlich - wie oben dargelegt - mit dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers nicht sachgerecht auseinandergesetzt und zudem Länderfeststellungen getroffen hat, die auf eine katastrophale Sicherheitslage hindeuten würden. Zur humanitären Lage hat das Bundesasylamt festgestellt, dass die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln in Tschetschenien, insbesondere in Grosny, im Wesentlichen durch die Bemühungen verschiedenster Hilfsorganisationen gewährleistet sei. Dennoch sei die grundlegende Versorgungslage als schlecht zu bezeichnen. Wichtige medizinische Einrichtungen in Grosny und Umgebung seien nach Augenzeugenberichten stark beschädigt oder zerstört. Der Wiederaufbau würde zwar schleppend verlaufen, doch würden personelle, technische und materielle Ausstattung in einigen Krankenhäusern inzwischen wieder eine medizinische Grundversorgung erlauben. In vielen sonstigen Gebieten fehle es an medizinischem Personal, an Medikamenten, Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten und würden Kranke häufig nicht die nötigen Mittel für ihre Gesundheitsversorgung aufbringen können. Die angeführten Feststellungen des Bundesasylamtes über die dargestellte prekäre Sicherheitslage könnten den Schluss nahe legen, dass in Tschetschenien eine extreme Gefahrenlage herrscht, durch die praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Läge eine derartige Situation vor - und könnte der Beschwerdeführer auch nicht in anderen Teilen der Russischen Föderation Schutz suchen - so könnte die Gewährung von Rückschiebeschutz im Sinne von § 8 AsylG gerechtfertigt sein (vgl. VwSlg. 15.437 A/2000; VwGH v. 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; VwGH v. 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; VwGH v. 08.06.2000, Zl. 99/20/0586; VwGH v. 21.09.2000, Zl. 99/20/0373; VwGH
v. 25.01.2001, Zl. 2000/20/0367; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2000/20/0480; VwGH v. 21.06.2001, Zl. 99/20/0460; VwGH v. 16.04.2002, Zl. 2000/20/0131). Das Bundesasylamt wird, sofern nicht ohnehin mit der Asylgewährung vorzugehen ist, im fortgesetzten Verfahren detaillierte Feststellungen zur nunmehrigen aktuellen Situation in Tschetschenien zu treffen haben, um die Zulässigkeit einer Rückschiebung im Sinne von § 8 AsylG abschließend beurteilen zu können.
4. Es liegen sohin erhebliche Ermittlungsmängel vor, die die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung insbesondere die Überprüfung der vorgelegten Beweismittel erforderlich machen würden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Vergangenheit bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass von den Asylbehörden eine Einbeziehung des realen Hintergrundes der von einem Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in das Ermittlungsverfahren zu erwarten ist und dessen Behauptungen auch am Verhältnis zu der aktuellen Berichtslage über dessen Herkunftsstaat zu messen sind. Hinzuzufügen ist, dass diese Aufgabe "primär dem Bundesasylamt zukäme". Es kann nämlich nicht der "obersten Berufungsbehörde" (Art. 129c Abs. 1 B-VG) allein überlassen bleiben, über die Befragung des Asylwerbers hinaus auch geeignetes Berichtsmaterial in das Verfahren einzuführen (VwGH v. 30.09.2004, Zl. 2001/20/0135, m.w.N.).
Von der durch § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, wenn "hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist", war im vorliegenden Fall nicht Gebrauch zu machen, wie sich aus folgender nach sinngemäß weiterhin anzuwendender verwaltungsgerichtlicher Judikatur ergibt:
"Zur Sicherung der Qualität des Asylverfahrens hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zum Unabhängigen Bundesasylsenat und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt. Die dem Unabhängigen Bundesasylsenat in dieser Funktion zukommende Rolle wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf im Verfahren auftretende Ermittlungsnotwendigkeiten sachgerecht einzugehen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Unabhängigen Bundesasylsenat beginnen und zugleich [...] bei derselben Behörde enden soll, für eine Abstandnahme von der durch § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde eingeräumten Möglichkeit (vgl. VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315).
Im Übrigen würde das Unterbleiben einer auf § 66 Abs. 2 AVG gestützten Entscheidung schon deshalb keine "Ersparnis an Zeit und Kosten" bedeuten, weil das Verfahren vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat - anders als das erstinstanzliche Asylverfahren - sich als Mehrparteienverfahren darstellt (vgl. § 67b Z 1 AVG), sodass schon aufgrund der dadurch bedingten Erhöhung des administrativ-manipulativen Aufwandes bei Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, dies unter Berücksichtigung der §§ 51a bis d AVG und der Notwendigkeit der Ladung mehrerer Parteien, keine Kostenersparnis zu erzielen wäre. Hinzu kommt, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat als zentrale Bundesbehörde in Wien (mit einer Außenstelle in Linz) eingerichtet ist, sodass auch diesbezüglich eine Kostenersparnis nicht ersichtlich ist. Im Übrigen liegt eine rechtswidrige Ausübung des Ermessens durch eine auf § 66 Abs. 2 AVG gestützte Entscheidung schon dann nicht vor, wenn die beteiligten Behörden ihren Sitz am selben Ort haben (VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; unter Verweis auf VwGH v. 29.01.1987, Zl. 86/08/0243)."
Im konkreten Fall war daher mit der Behebung des angefochtenen Bescheides und der Rückverweisung der Rechtssache an das Bundesasylamt gem. § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.
Anzumerken ist, dass auch die Zielsetzungen der Asylgesetznovelle 2003 eine kassatorische Entscheidung geboten erscheinen lassen. Im allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Asylgesetznovelle 2003 wird Folgendes ausgeführt: "Die vorgeschlagene Novelle sieht eine Konzentration der Tatsachenermittlung beim Bundesasylamt vor. Eine vollständige Tatsachenermittlung erfordert einerseits eine umfassende Befragung, Rechtsberatung und Information des Asylwerbers und andererseits auch dessen umfassende Mitwirkung am Verfahren..."
Im besonderen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage der Asylgesetznovelle 2003 wird zur vorgeschlagenen Neufassung des § 32 ausgeführt: "Die vorgeschlagene Neufassung des § 32 trägt dem Konzept Rechnung, dass die Kompetenzen des Bundesasylamtes als Tatsacheninstanz erweitert werden. ..."
Diesen normativen Anliegen des Gesetzgebers kann nur durch die vollständige Ermittlung und Feststellung des Sachverhaltes durch das Bundesasylamt auch im vorliegenden Fall Rechnung getragen werden, weshalb die Behebung des angefochtenen Bescheides und Verweisung der Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zu erfolgen hat.
Das besondere Gewicht des Bundesasylamtes als Tatsacheninstanz ist letztlich auch vom Gesetzgeber des AsylG 2005 durch die in § 75 Abs. 1, 3. Satz, getroffene Regelung weiter betont worden, wonach in am 31.12.2005 anhängigen Verfahren § 60 AsylG 2005, worin die Führung einer Staatendokumentation durch das Bundesasylamt vorgesehen wurde, anzuwenden ist. Im vorliegenden Fall wäre zweckmäßiger Weise zur Beurteilung der oben dargestellten Fragen auf die in der Staatendokumentation gesammelten und in wissenschaftlicher Form aufbereiteten Tatsachen gem. § 60 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 zurückzugreifen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.