S1 402.062-1/2008/3E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerde des H.A., geb. 00.00.1978, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.09.2008, Zl. 08 04.530-BAT, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 66 Abs 4 AVG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.
2. Die Beschwerdevorlage beim nunmehrigen Asylgerichtshof erfolgte am 21.10.2008.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt.
2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:
Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist. Hier ergeben sich der Aktenlage nach keine Zweifel an der Zuständigkeit Deutschlands im Sinne von Art. 9 Dublin II VO. Auch zwingende Anhaltspunkte für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts sind nicht ersichtlich, die vorgebrachten Krankheitszustände erreichen bei weitem nicht die Intensität, um eine Überstellung zu verunmöglichen, eine ausreichende Behandelbarkeit in Deutschland ist evident.
3. Als problematisch erweist sich jedoch nach nationalem Recht die Einhaltung der 20-Tagesfrist des § 28 Abs 2 AsylG und damit zusammenhängend die Zulässigkeit einer Unzuständigkeitsentscheidung nach erfolgter Zulassung.
Hiezu ist wie folgt auszuführen:
Der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz wurde der Aktenlage nach am 24.05.2008 um 19.00 Uhr vor der Grenzpolizeiinspektion Flughafen Schwechat gestellt (AS 3 BAA). Seitens des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, wurden unverzüglich Erhebungen dahingehend eingeleitet, ob Reisepass- oder Visa-Kopien vorhanden seien (AS 31 BAA). Ausdrücklich wurde in diesem Zusammenhang angewiesen, mit der Einreiseentscheidung bis zum Vorliegen diesbezüglicher Auskünfte zuzuwarten, weil eventuell ein Sachverhalt vorläge, der nach der Dublin II VO relevant sein könne (AS 33 BAA). In der Folge langte bei einem Organ der Außenstelle Traiskirchen auch tatsächlich am 28.05.2008 (vgl. AS 39 BAA) ein Mailverkehr der beteiligten Fluglinie ein, aus dem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen mit deutschen Aufenthaltstiteln gereist seien, die als echt erachtet wurden. In weiterer Folge wurde zunächst die Einreise in das Bundesgebiet ausdrücklich nicht gestattet (AS 43 BAA). In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 30.05.2008 in der Erstaufnahmestelle Flughafen durch eine Mitarbeiterin der Außenstelle Traiskirchen des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen (AS 47 bis 63 BAA). In dieser Einvernahme wurde der Umstand thematisiert, dass der Beschwerdeführer in den Niederlanden Ende 2006 einen Asylantrag gestellt habe und dann nach Afghanistan zurückgekehrt wäre. Das Vorhandensein deutscher Aufenthaltstitel wurde nicht angesprochen. In weiterer Folge wurde eine relativ umfangreiche Befragung zu den Fluchtgründen in Afghanistan durchgeführt. Am Ende der Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer ausdrücklich zur Kenntnis gebracht, dass sein Asylverfahren mit der Ausfolgung der Aufenthaltsberechtigungskarte zulässig sei und in einer Außenstelle des Bundesasylamtes fortgeführt würde. Irgendein Hinweis auf die weiter bestehende Möglichkeit der Durchführung eines Verfahrens nach der Dublin II VO wurde der Aktenlage nach nicht gegeben (vgl. AS 63 BAA). Unmittelbar danach wurde seitens des Bundesasylamtes der Bundespolizeidirektion Schwechat mitgeteilt, dass das Verfahren des Beschwerdeführers im Sinne des § 29 Abs. 3 Z 1 AsylG zugelassen worden sei; die Erstaufnahmestelle Ost wurde um Ausstellung der Aufenthaltsberechtigungskarte ersucht. Am 03.06.2008 erfolgte sodann in der Außenstelle Traiskirchen des Bundesasylamtes eine weitere Befragung des Antragsstellers ausschließlich zu seinen Fluchtgründen in Afghanistan.
Seitens des Bundesasylamtes war in der Folge offenbar beabsichtigt eine Anfrage gemäß Art. 21 der Dublin II VO an die Niederlande zu richten; dies um die inhaltlichen Angaben des Antragsstellers in seinem dortigen Asylverfahren in Erfahrung zu bringen; eine diesbezügliche Zustimmungserklärung im Sinne des Art. 21 Abs. 3 Dublin II VO hatte der Beschwerdeführer am 30.05.2008 abgegeben. Der Aktenlage nach langte am 19.06.2008 dann neuerlich, diesmal im Wege der Austrian Airlines, jener Mailverkehr über den Umstand, dass der Beschwerdeführer und seine Familie mit einem deutschen Visum gereist wären, der bereits, wie dargestellt am 28.05.2008 beim Bundesasylamt eingelangt war, bei der Erstbehörde ein. Erst danach wurde nun seitens der verfahrensführenden Referentin der Außenstelle Traiskirchen am 25.06.2008 die Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes ersucht, Dublin Konsultationen mit Deutschland einzuleiten, da sich Hinweise auf das Vorliegen von Aufenthaltstitel ergeben hätten (vgl. AS 157 bis 159 BAA). Am 01.08.2008 wurde seitens der Erstaufnahmestelle Ost der Außenstelle Traiskirchen mitgeteilt, dass die Art. 21 Anfrage an die Niederlande zwar kein Ergebnis erbracht hätte, das am 27.06.2008 an Deutschland versandte Aufnahmeersuchen aber ohne Antwort blieb und daher sich eine Zustimmung Deutschlands durch Zeitablauf mit 29.07.2008 ergäbe (AS 163 BAA). Am 04.08.2008 langte bei der Erstbehörde sodann die ausdrückliche Zustimmung Deutschlands auf das österreichische Übernahmeersuchen gemäß Art. 9 Abs. 4 der Dublin II VO (siehe AS 165 bis 169 BAA) ein. Mit einem dem Beschwerdeführer am 11.08.2008 zugestellten Ladungsbescheid für den 01.09.2008 wurde ihm sodann auch mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Asylantrag gemäß § 5 AsylG zurückzuweisen, da Dublin Konsultationen mit Deutschland geführt worden seien, die eine Zuständigkeit Deutschlands zur Prüfung des Asylantrages ergeben hätten.
Am 01.09.2008 erfolgte weiters eine Zusatzeinvernahme in der Außenstelle Traiskirchen (AS 191 bis 201 BAA). Darin wurden dem Asylwerber der Niederschrift nach auch die Grundzüge des Dublin Verfahrens und die Begründung der Zuständigkeit Deutschlands erörtert, wobei angemerkt wurde, dass die Grundzüge des Dublin Verfahrens auch schon bei der Rechtsberatung am Flughafen besprochen worden wären. Der Beschwerdeführer replizierte, dass er nach Österreich gekommen sei und es ihm nicht gut gehe und auch seiner Frau und seinen Kindern. Er habe psychische Probleme; er vertrete auch seine Kinder im Asylverfahren. Der Aufenthaltstitel stamme von den Schleppern. Er hätte nichts gegen Deutschland, auch dort würden die Menschenrechte beachtet. In weiterer Folge holte das Bundesasylamt noch medizinische Unterlagen und eine Auskunft der Staatendokumentation des Bundesasylamtes zur Situation in Deutschland ein, bevor der gegenständliche angefochtene Bescheid erlassen wurde.
3.1. Aus der eben durchgeführten Verfahrenserzählung ergibt sich eindeutig, dass dem Beschwerdeführer seitens des Bundesasylamtes durch seine Zulassung und auch durch seine inhaltliche Befragung zu Fluchtgründen in Afghanistan der Eindruck vermittelt worden ist, dass sein Verfahren definitiv inhaltlich in Österreich geführt wird. Weiters ergibt sich eindeutig, dass jene Informationen, die das Bundesasylamt berechtigten, ein Aufnahmeersuchen an Deutschland zu stellen (nämlich, dass der Beschwerdeführer und seine Familie mit deutschen Aufenthaltstiteln gereist sind, die für echt erachtet wurden) bereits am 28.05.2008, sohin vor der ersten Einvernahme und vor der Zulassung durch die Erstaufnahmestelle Flughafen, vorgelegen sind. Es wäre also zu diesem Zeitpunkt bereits eindeutig erforderlich und auch tatsächlich möglich gewesen, diesen Umstand dem Beschwerdeführer zur Kenntnis zu bringen und Konsultationen mit Deutschland einzuleiten. Aus dem Akt ist keinerlei Rechtfertigung ersichtlich, warum dies erst längere Zeit nach der Zulassung erfolgt ist. Es handelt sich offenbar um ein Versehen der Erstbehörde.
Es kann auch nicht (wobei auch der genaue Einleitungszeitpunkt unklar ist) argumentiert werden, dass die Einleitung eines Verfahrens mit den Niederlanden gemäß Art. 21 Dublin II VO dazu führt, dass die 20-Tages-Frist gehemmt wäre, bzw. die Zulassung keine Rolle spiele, als dieses Informationsersuchen eindeutig in der Absicht gestellt wurde, Informationen zu erlangen, die bei der inhaltlichen Beurteilung des Antrags auf internationalen Schutz in Österreich hilfreich sind. Informationsersuchen nach Art. 21 Abs. 3 Dublin II VO wie das vorliegende sind eindeutig nicht darauf gerichtet, die Zuständigkeitsfrage zu klären, sondern setzen eine Klärung dieser Frage bereits voraus und können daher nicht dazu führen, dass die 20-Tages-Frist nicht mehr gelte.
Zusammengefasst hat das Bundesasylamt sohin das gegenständliche Verfahren zugelassen, obwohl tatsächlich bereits alle Informationen vorgelegen sind, die die Einleitung eines Konsultationsverfahrens gerechtfertigt hätten. Diesen Umstand hat das Bundesasylamt sich ausschließlich selbst zuzuschreiben.
3.2. § 28 Abs 1 letzter Satz AsylG sieht keine schrankenlose Ermächtigung vor, eine Zurückweisungsentscheidung außerhalb des Zulassungsverfahrens zu treffen; dies würde unvorhersehbares behördliches Handeln ermöglichen und zu einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips führen. Die Norm soll nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zu § 28 AsylG 2005 ausnahmsweise Fälle umfassen, in denen der Zurückweisungstatbestand erst nach dem Zulassungsverfahren zu Tage getreten ist (so auch UBAS 04.10.2006, 303.347-B1/E1-XVIII/59/06). Ein weiterer Anwendungsbereich sind Fälle, in denen - nach einer Behebung eines im Zulassungsverfahrens ergangenen Bescheides gemäß § 5 AsylG 2005 durch die Berufungsbehörde im Grunde des § 41 Abs 3 AsylG wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens (leg.cit. letzter Satz) und der damit in einem erfolgten Zulassung im Sinne des § 41 Abs 3 2. Satz AsylG - die Erstbehörde nach Ergänzung des Verfahrens eine neue Unzulässigkeitsentscheidung treffen will (eine andere Auslegung, die nach einer Behebung nach § 41 Abs 3 letzter Satz AsylG eine neuerliche Unzulässigkeitsentscheidung überhaupt für unzulässig erklärte, würde dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen, siehe näher Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, K3. und K4. zu § 41 Abs 3 AsylG). Beide Konstellationen liegen im gegenständlichen Fall aber nicht vor, weshalb sich die vorliegende Entscheidung des Bundesasylamtes als rechtswidrig erweist.
4.1. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte nunmehr angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
4.2. Da die gegenständliche Entscheidung des Bundesasylamtes außerhalb des Zulassungsverfahrens ergangen ist (siehe Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, K6., vierter Spiegelstrich zu § 28 AsylG), ist § 41 Abs 3, 2. und 3. Satz nicht anwendbar und stützt sich die getroffene Entscheidung daher auf die allgemeine Norm des § 66 Abs 4 AVG, der der Berufungsinstanz das Recht einräumt, den angefochtenen Bescheid in jeder Richtung abzuändern. Die Erstbehörde wird das weiterhin zugelassene Asylverfahren des Beschwerdeführers nun in geeigneter Weise inhaltlich zu prüfen haben. Eine neuerliche Unzuständigkeitsentscheidung gemäß § 5 AsylG kommt bei der gegebenen Sachlage nicht mehr in Frage.