TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/23 E2 219421-0/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2008
beobachten
merken
Spruch

E2 219.421-0/2008-14E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. HUBER-HUBER als Vorsitzenden und die Richterin Dr. FAHRNER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Birngruber über die Beschwerde des O. A., geb. 00.00.1978, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.10.2000, FZ. 00 09.407-BAW, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.10.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I 1997/76 (AsylG) idgF als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: "BF"), ein türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, reiste am 14.07.2000 auf einem LKW versteckt, illegal in das Bundesgebiet von Österreich ein und stellte am 24.07.2000 beim Bundesasylamt in Linz einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

 

2. Das Bundesasylamt hat den Antragsteller am 02.10.2000 zum Reiseweg und den Gründen des Antrags befragt.

 

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.10.2000, Zahl: 00 09.407-BAW, wurde der Asylantrag von O. A. gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen (Spruchpunkt I). Weiters wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig erklärt (Spruchpunkt II).

 

4. Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde (vormals: "Berufung") eingebracht. Mit der Beschwerde wird der Bescheid in allen Spruchpunkten bekämpft und Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht.

 

5. Der Asylgerichtshof hat für den 14.10.2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung anberaumt und dazu den BF und einen Vertreter des Bundesasylamtes sowie einen Dolmetscher für die türkische Sprache geladen. Die Verhandlung wurde in Anwesenheit des BF, sowie des geladenen Dolmetschers durchgeführt. Ein Vertreter des Bundesasylamtes wurde aus dienstlichen und personellen Gründen nicht zu Verhandlung entsandt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens:

 

1.1. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde Beweis erhoben durch:

 

Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verfahrensakt;

 

Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung;

 

Einsichtnahme in die vorgelegten Personenstandsurkunden (Heiratsurkunde, Geburtsurkunde);

 

Einsichtnahme in folgende Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat und die Herkunftsregion des BF sowie deren Erörterung in der mündlichen Verhandlung:

 

Wikipedia, "Graue Wölfe", recherchiert am 13.10.2008 über http://de.wikipedia.org

 

Berichte der schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2007 und vom Oktober 2008

 

Bericht des Auswärtigen Amtes Berlin über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 25.10.2007

 

2. Der Asylgerichtshof geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem Sachverhalt aus:

 

2.1. Zur Person des BF:

 

2.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei. Die Identität steht fest. Er reiste am 14.07.2000 illegal über einen unbekannten Grenzübergang nach Österreich ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Nach seinen Angaben stammt er aus Istanbul. Er arbeitete dort in verschiedenen Berufen (Bügler in einem Konfektionsladen, Hilfsarbeiter auf einer Baustelle, Automechaniker und Schuhputzer). Seine Eltern und eine Schwester leben nach wie vor in seiner Heimat. Der BF hat den Militärdienst abgeleistet und ist danach ausgereist.

 

Der BF hat am 30.03.2006 in Österreich geheiratet. Am 06.10.2008 wurde er Vater eines Sohnes. Die Ehegattin ist laut Staatsbürgerschaftsnachweis vom 30.03.2006 österreichische Staatsbürgerin, ebenso der Sohn laut Staatsbürgerschaftsnachweis vom 13.10.2008. Der BF lebt mit seiner Familie im gemeinsamen Haushalt. Gesundheitliche Beeinträchtigungen wurden nicht aufgezeigt.

 

2.2. Zum Asylvorbringen:

 

2.2.1. Der BF macht geltend, er sei alevitischer Kurde und habe die Türkei aufgrund der Unterdrückung der Kurden verlassen. Es gäbe auch Probleme zwischen den "Linken" und den "Rechten". In seinem Wohnbezirk gäbe es viele Anhänger der "Grauen Wölfe", welcher die Bewohner belästigen. Der BF habe sich politisch insofern betätigt, als er an 1.Mai-Demonstrationen und Protestmärschen wie z. B. gegen die Ereignisse in S. teilgenommen habe. Mit der Polizei oder den Behörden habe er allerdings keine Probleme, mit den Anhängern der "Grauen Wölfe" jedoch öfters Streit gehabt. Während der Ableistung des Militärdienstes sei er als alevitischer Kurde diskriminiert und schlechter behandelt worden als die anderen. Bei gleichem Anlass habe er z.B. mehr Liegestützen machen müssen als die Soldaten sunnitische Abstammung. Geschlagen habe man ihn jedoch nicht.

 

In der Beschwerdeverhandlung erklärte der BF zunächst, dass er seine Fluchtgründe bereits genannt habe und nichts ergänzen oder ändern wolle. In Laufe der Einvernahme in mündlicher Beschwerdeverhandlung führte er aber dennoch ergänzend aus, er habe in der Türkei nicht arbeiten können, da er jedes Mal gleich wieder entlassen wurde, wenn die Arbeitgeber erfahren haben, dass er kurdischer Alevit sei. Schutz fände man nur, wenn man Bekannte in der Firma hat. Da der BF bei der Einvernahme von sich aus keine weiteren Vorfälle erzählte, wurde er dezidiert danach gefragt, worauf er angab, es gäbe viele Vorfälle, die er aber nicht beweisen könne. Auf neuerliche Nachfrage erzählte er allgemein über seinen Militärdienst. Die kurdischen Aleviten seien zu einem Sonderteam zusammengefasst und zu Operationen geschickt worden. Bei jeder Kleinigkeit habe man sie verprügelt und hätten sie Strafwachdienste schieben müssen. Im Mai 2000 sei er abgerüstet und anschließend nach Österreich ausgereist. Der eigentliche Grund für die Ausreise sei die Behandlung beim Militärdienst gewesen. Da der BF im erstinstanzlichen Verfahren auch Probleme seitens der "Grauen Wölfe" erwähnte, diesen Umstand im Rahmen der Beschwerdeverhandlung jedoch unerwähnt ließ, wurde er gezielt danach befragt. Nun erzählte er, dass er bei einem Angriff der "Grauen Wölfe" in I. zugegen gewesen sei. Dabei seien 2 Personen mit Messerstichen verletzt worden. Außerdem sei es oft zu Straßenschlägereien mit den Anhängern der "Grauen Wölfe" gekommen. Er könne nicht in die Türkei zurück, da die Differenzierungen (zwischen Türken und kurdischen Aleviten) nach wie vor vorhanden seien und Arbeitslosigkeit herrsche.

 

Der BF bestätigte in mündlicher Verhandlung, dass er sich - wie aus der Aktenlage hervorgeht - bei der Caritas über die Voraussetzungen einer freiwilligen Rückkehr erkundigte. Er habe sich über die gesetzliche Lage und darüber informieren wollen, welche Schwierigkeiten ihn bei der Rückkehr erwarten würden.

 

Aus dem Vorbringen des BF sind keine Anhaltspunkte ableitbar, die zu der Annahme führen, der BF sei vor seiner Ausreise als alevitischer Kurde einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen. Abgesehen davon, dass der BF sein Vorbringen äußerst oberflächlich darstellte und stets zu konkreteren Angaben aufgefordert werden musste, ist festzustellen, dass er seinen Militärdienst vollständig abgeleistet hat und erst danach aus der Türkei ausgereist ist. Im Falle der Rückkehr hat er daher auch aus diesem Grund keine Verfolgung zu befürchten.

 

2.2.4. Zum Herkunftsland des BF:

 

Aus den in der mündlichen Beschwerdeverhandlung erörterten Länderberichten ist abzuleiten, dass allein wegen der Volksgruppenzugehörigkeit keine Verfolgung seitens des türkischen Staates stattfindet. Diskriminierung und Unterdrückung von Kurden finden nicht systematisch statt und werden von staatlicher Seite nicht gefördert. Es ist nicht zu erwarten, dass türkische Staatsbürger, die ihren Militärdienst vollständig und ohne Besonderheiten abgeleistet haben, danach diskriminiert und unterdrückt, geschweige denn, verfolgt werden, wenn sie während des Militärdienstes Benachteiligungen hinnehmen mussten. Die bloße Teilnahme an 1.Mai-Demonstrationen und Protestmärschen führt im Allgemeinen ebenfalls nicht zu einer Verfolgung der Betroffenen.

 

"Graue Wölfe" ist eine Bezeichnung für Mitglieder der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung mit dem Ziel der Vereinigung aller Turkvölker mit dem Zentrum in der Türkei. Ab 1968 haben die "Grauen Wölfe" auch mit Gewaltaktionen gegen die türkische "Linke" begonnen. Im Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2007 sind die "Grauen Wölfe" mit vereinzelten Überfällen auf Büros der Parteien und/oder Mitglieder erwähnt. Im neuesten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 09.10.2008 fehlt allerdings jeglicher Hinweis auf diese Gruppierung. Der Asylgerichtshof zieht daher daraus den Schluss, dass es in diesem Berichtsjahr zu keinen erwähnenswerten Vorfällen mit dieser Gruppierung gekommen war. Ein direkter persönlicher Bezug des BF zu den Aktivitäten der "Grauen Wölfe" bzw. dass er von diesen in asylrelevanter Weise betroffen war bzw. im Falle der Rückkehr betroffen sein könnte, ist - wie in der Beweiswürdigung noch näher darzustellen sein wird - nicht anzunehmen. Überdies besteht in der Türkei ein funktionierendes Sicherheits- und Justizwesen. Bei Gewalttaten schreiten die zuständigen Sicherheitsbehörden bzw. - organe effektiv ein, so dass von Schutzfähigkeit und - willigkeit des türkischen Staates auszugehen ist.

 

Zur Religionsfreiheit ist dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 25.10.2007 zu entnehmen:

 

"Der Laizismus gehört zu den Grundprinzipien der türkischen Republik. In der türkischen Verfassung sind die Prinzipien der Religionsfreiheit (Art. 24) und der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz unabhängig von Religion oder Bekenntnis (Art. 10) verankert.

 

Der Vertrag von Lausanne (1923) garantiert darüber hinaus "türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39). Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur "Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung" zu (Art. 40). In der Praxis werden darunter nur drei Religionsgemeinschaften verstanden, nämlich die griechisch-orthodoxe und armenisch-apostolische Kirche und die jüdische Gemeinschaft.

 

In der Praxis ist die individuelle Glaubensfreiheit weitgehend gewährleistet; über staatliche Repressionsmaßnahmen, die gegen das individuelle Glaubensbekenntnis des Einzelnen gerichtet sind, liegen keine Berichte vor. Nicht-staatliche Repressionsmaßnahmen treten selten auf.

 

Mit schätzungsweise 15 Millionen (rund ein Fünftel der türkischen Bevölkerung) bilden die Aleviten nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. In der Türkei leben sowohl türkische als auch kurdische Aleviten, die ihren Glauben je nach Herkunftsregion unterschiedlich praktizieren. Die Aleviten verwahren sich selbst gegen den Begriff "Minderheit". Vom türkischen Staat werden sie, entsprechend der kemalistischen Staatsdoktrin der einheitlichen türkischen Nation, offiziell nicht als Glaubensgemeinschaft anerkannt, sondern als Teil der muslimischen (sunnitischen) Bevölkerung der Türkei angesehen. Dementsprechend betrachtet die Religionsbehörde DIYANET das Alevitentum als islamische Unteridentität in seiner Zuständigkeit. Den Status alevitischer Gebetshäuser (Cemevi) erkennt sie nicht als Moscheen vergleichbar an. In Regierung, Verwaltung und Parlament sind die Aleviten unterrepräsentiert."

 

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe verweist im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit in der Türkei auf den Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission vom November 2007 und führt aus:

 

"Die Rechte der religiösen Minderheiten sind den europäischen Institutionen ein besonderes Anliegen, vor allem, wenn es um die Situation der Christen in der Türkei geht. Im Bericht zu Fortschritten, den die Europäische Kommission im November 2007 veröffentlichte, heisst es u.a.: "Äusserungen, die zu Hass gegen nichtmuslimische Minderheiten aufstacheln könnten, bleiben bislang ungestraft...Die Aleviten sehen sich bei der Einrichtung ihrer Gebetsstätten (Cemhäuser oder 'Cemevi') mit Schwierigkeiten konfrontiert... Die Ausbildung von Geistlichen unterliegt weiterhin Beschränkungen. Theologische Studien der genannten Glaubensgemeinschaften an privaten Hochschulen sind in den türkischen Rechtsvorschriften nicht vorgesehen, und auch an öffentlichen Schulen besteht diese Möglichkeit nicht. Hinsichtlich der erheblichen Schwierigkeiten, mit denen sich die Aleviten und die nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften konfrontiert sahen, sind keine echten Fortschritte zu verzeichnen." "

 

Zu den Rückkehrfragen wird wie folgt aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes Berlin vom 25.10.2007 zitiert:

 

"1.1. Grundversorgung

 

Die Lebensverhältnisse in der Türkei sind weiterhin durch ein starkes West-Ost-Gefälle geprägt. Der Abwanderungsdruck aus dem Südosten in den Süden und Westen der Türkei und in das Ausland hält an. Angesichts einer Beruhigung der Lage in Teilen des türkischen Südostens in den vergangenen Jahren und wegen der schwierigen Lebensbedingungen und hohen Arbeitslosigkeit in den Armutsgebieten der großen Städte nahm zuletzt jedoch auch die Zahl der Rückkehrer in die Provinzstädte und Dörfer im Osten und Südosten der Türkei wieder zu. . Das Wirtschaftswachstum betrug für das Jahr 2006 6% (im Jahr 2005 lag es bei 7,6%). Kumuliert hat der permanente Aufschwung der türkischen Wirtschaft seit der Wirtschaftskrise vor sechs Jahren ein Wachstum von 50% eingebracht. Die Inflation ist im Jahr 2006 auf 9,65% gestiegen, nachdem sie 2005 mit ca. 7,7% (Verbraucherpreise) den niedrigsten Wert seit über 30Jahren erreicht hatte. Das BSP pro Kopf betrug im Jahr 2006 ca. 5.000 US $. Dies entspricht einer Steigerung von20% gegenüber dem Vorjahr. Allerdings ist das BSP sehr ungleich verteilt - allein auf die Metropole Istanbul und ihr Einzugsgebiet entfallen etwa 50% des BSP des ganzen Landes, was deren Anziehungskraft noch erhöht. Nach den Angaben des türkischen Statistikamts (TÜIK) lag die Armutsgrenze Ende 2005 (neueste Zahlen) für einen Vier-Personenhaushalt bei 487 YTL (z.Zt. ca. 285 Euro) und die"Hungergrenze" (ebenfalls Vier-Personen-Haushalt) bei 190 YTL (110 Euro). Dagegen lag nach Untersuchungen des Gewerkschaftsdachverbands Türk øú die so genannte Hungergrenze für einen 4-Personenhaushalt im April 2007 bei ca. 340 Euro (damals 600 YTL), die Armutsgrenze bei ca. 890 Euro (1.600 YTL). Das Staatliche Statistische Institut gibt an, dass nach Überwindung der Wirtschaftskrise im Jahr 2003 über 12,6 (von 70,6) Millionen Einwohner, d.h. ca. 18% unterhalb der Armutsgrenze von 2 US$ verfügbares Einkommen pro Tag leben --und weitere 14Millionen bzw. ca. 20% knapp darüber liegen (2,6 US $ verfügbares Einkommen pro Tag). In der Industrieregion Kocaeli (Marmara-Region) bei Istanbul als "reichster" Provinz ist da Einkommen acht- bis zehnmal höher als in den Agrarprovinzen Mus, Agri und Bitlis im Osten des Landes. Einkommensniveau und Lebensstandard sind aber auch in den Großstädten Gaziantep und Kayseri mit großen Industriezonen hoch und entsprechen weitgehend mitteleuropäischem Standard. Es ist zu berücksichtigen, dass der Anteil der Schattenwirtschaft weiterhin sehr hoch ist und daher die realen Durchschnittseinkommen wesentlich höher liegen dürften als die offiziellen statistischen Angaben. Der für das Jahr 2006 gültige Netto-Mindestlohn beträgt(umgerechnet) ca. 240 Euro. Die Arbeitslosenquote liegt deutlich über den offiziell angegebenen 9,1%. Schätzungen gehen von landesweit neun Millionen Arbeitslosen aus, was einem Anteil von über 30% entspräche. In vielen Gegenden des Südostens liegt die Arbeitslosigkeit de facto bei 70%. Seit Anfang des Jahres 2002 werden in begrenztem Maße Leistungen der Arbeitslosenversicherung ausgezahlt. Viele Familien in den Städten profitieren weiterhin von Unterstützung durch Verwandte auf dem Land in Form von "Naturalien" (landwirtschaftliche Produkte aus eigener Produktion) und könnten ansonsten die gestiegenen Lebenshaltungskosten kaum aufbringen. Die Türkei kennt bisher keine staatliche Sozialhilfe nach EU-Standard. Der "Förderungsfonds für Sozialhilfe und Solidarität" (Sosyal Yardimlasma ve Dayanismayi Tesvik Fonu) hilft auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 3294 vom 29.05.1986 für einige Monate bei sozialen Notlagen. Unter vorübergehenden Maßnahmen können dabei z.B. die Übernahme der Wohnmiete, Versorgung mit Lebensmitteln und Bekleidung, mit Heizmaterial für den Winter oder mit medizinischerforderlichen Geräten für Behinderte fallen. Gemäß Art. 2 des Gesetzes sind Leistungen an türkische Staatsangehörige möglich, die sich in Armut oder Not befinden, nicht sozialversichert sind und von keiner Einrichtung für Sozialsicherheit Gehalt oder Einnahmen beziehen. Da die Auszahlung und Gewährleistung der unterschiedlichen Hilfsangebote lokal vorgenommen werden, ist die Entscheidungsfindung oft an subjektiven Kriterien orientiert, personenabhängig und uneinheitlich. Die bisherige Gesetzesänderung beinhaltet aber noch keine Einführung einer einheitlichen Sozialhilfe. Vor Inanspruchnahme wird die Mittellosigkeit des Antragstellers innerhalb von ca. fünf Tagen geprüft - vergleichbar der Prüfung eines Antrags für eine "Grüne Karte" (Yesil Kart). Zur Überbrückung der schlimmsten Not kann eine Soforthilfe von zurzeit bis zu 60 Euro gezahlt werden. Anlaufstelle zur Beantragung der sozialen Leistungen sind die Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen. Da der hohe Anteil informeller Beschäftigung und der aktuelle Mindestlohn von 380,46 YTL(223 Euro) die Versorgung der Familie durch Erwerbseinkommen oft nicht gewährleistet und die soziale Unterstützung durch den Staat nur unzureichend ist, sind Bedürftige darüber hinaus im wesentlichen auf die Unterstützung der Großfamilie und religiöser Stiftungen angewiesen.

 

1.2. Medizinische Versorgung

 

In der Türkei gibt es neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitseinrichtungen, die in jeglicher Hinsicht EU-Standard entsprechen. Das türkische Gesundheitssystem verbessert sich laufend. Bedürftige haben das Recht, sich von der Gesundheitsverwaltung eine "Grüne Karte" (YesilKart) ausstellen zu lassen, die zu kostenloser medizinischer Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt. Die Voraussetzungen, unter denen mittellose Personen in der Türkei die Grüne Karte erhalten, ergeben sich aus dem Gesetz Nr. 3816 vom 18.06.1992 und aus dem Änderungsgesetz Nr. 5222 vom 14.07.2004. Als mittellos gilt, wer einerseits nicht in einer Sozialversicherungsanstalt versichert ist, andererseits über ein monatliches Einkommen unter130 YTL verfügt. Weiteres Vermögen, z.B. KFZ, Bankguthaben oder Immobilien werden angerechnet. Aufgrund neuerer Vorschriften wurde das Prüfungsverfahren für die Vergabe derYesil Kart neu geregelt. Rückkehrer aus dem Ausland unterliegen dem gleichen Prüfungsverfahren hinsichtlich ihrer Mittellosigkeit wie im Inland lebende türkische Staatsangehörige. Nach Angaben der zuständigen Stellen gibt es in der Türkei ca. zwölf Mio. Inhaber einer "Grünen Karte". Eine "Grüne Karte" kann nur in der Türkei beantragt werden. Die Mittellosigkeit des Antragstellers wird seit dem 06.12.2006 unter Beteiligung verschiedener Behörden von Amts wegen festgestellt. Die zuständige Kommission des Landratsamtes entscheidet über die Anträge, wobei sich die Bearbeitungszeiten erheblich verkürzt haben. Inhaber der "Grünen Karte" haben grundsätzlich Zugang zu allen Formen der medizinischen Versorgung. Mittlerweile können Yesil-Kart-Empfänger Medikamente in allen Apotheken beziehen. In der Übergangszeit zwischen Beantragung und Ausstellung der "Grünen Karte" werden bei einer Notfallerkrankung sämtliche stationären Behandlungskosten und alle weiteren damit zusammenhängenden Ausgaben übernommen. Stationäre Behandlung von Inhabern der"Grünen Karte" umfasst die Behandlungskosten sowie Medikamentenkosten in Höhe von 80%. Für Leistungen, die nicht über die "Grüne Karte" abgedeckt sind, stehen ergänzend Mittel aus dem jeweils örtlichen Solidaritätsfonds zur Verfügung (Sosyal Yardim ve Dayanisma Fonu).

 

2. Behandlung von Rückkehrern

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte. Besteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Wehrdienstflüchtige haben damit zu rechnen, gemustert und ggf. einberufen zu werden (u.U. nach Durchführung eines Strafverfahrens). Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte. Aufgrund eines Runderlasses des Innenministeriums vom 18.12.2004 dürfen keine Suchvermerke mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden. Angaben türkischer Behörden zufolge wurden Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht. Es besteht für das Auswärtige Amt somit keine Möglichkeit mehr, das Bestehen von Suchvermerken zu verifizieren, auch nicht über die bisher damit befassten Vertrauensanwälte. Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit vier Jahren kein Fall bekanntgeworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, schließt das Auswärtige Amt aus. In mehreren Provinzen der Türkei gibt es insgesamt 26 staatlich betriebene Frauenhäuser mit einem vergleichbaren Aufgabenbereich wie in Deutschland; außerdem gibt es in Konya eine privat betriebene entsprechende Einrichtung für Männer. Nach Aussage staatlicher Stellen stehen diese Einrichtungen auch Rückkehrern zur Verfügung. Unbegleitet zurückkehrende Minderjährige finden in der Regel Aufnahme bei näheren oderferneren Verwandten. Für die sehr seltenen Fälle, in denen sich nach Rückkehr in die Türkei kein Verwandter oder Bekannter bereit erklärt, die Rückkehrenden zumindest übergangsweise aufzunehmen, stehen Plätze in Waisenhäusern oder Kinderheimen (meist in Istanbul) zur Aufnahme bereit. Es kann empfehlenswert sein, in solchen Fällen über den Internationalen Sozialdienst(ISD) die türkische Generaldirektion für Soziale Angelegenheiten und Kinderschutz zu befassen.

 

3. Einreisekontrollen

 

Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder, gleich welcher ethnischen Zugehörigkeit, einer Personenkontrolle zu unterziehen. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle normalerweise ungehindert passieren. In Fällen von Rückführungen gestatten die türkischen Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier. In einzelnen Fällen findet bei Einreise noch eine zusätzliche Kontrolle der türkischen Staatsangehörigkeit über die Registrierungen in den Personenstandsämtern statt. Bei Personen, bei denen die türkischen Behörden Zweifel an ihrer türkischen Staatsangehörigkeit haben könnten, weil z.B. in Deutschland geborene Kinder türkischer Eltern nicht in den Registern der türkischen Personenstandsämtern eingetragen sind (eine Registrierung der Geburt bei der zuständigentürkischen Auslandsvertretung in Deutschland ist freiwillig), wird zur Zeit die Ausstellung von Passersatzpapieren ohne Nachregistrierung (auch bei Vorlage einer internationalen Geburtsurkunde) abgelehnt.

 

Aus dem zitierten Bericht ist weder eine Gefährdung noch eine existentielle Notlage des BF im Falle der Rückkehr ableitbar.

 

3. Beweiswürdigung

 

3.1. Zur Person des BF:

 

Die Angaben zur Person des BF sowie zu seiner Herkunft stützen sich auf die Angaben des BF, die glaubwürdig und durch den vorgelegten türkischen Personalausweis (Nüfus) belegt sind. Auch die übrigen Angaben zu seinen familiären Verhältnissen sind nachgewiesen.

 

3.2. Zum Asylvorbringen:

 

Das Vorbringen des BF ist nach Würdigung des zuständigen Senates zwar teilweise plausibel und nachvollziehbar; d.h. der Asylgerichtshof geht von der Richtigkeit der Angaben insoweit aus, als Missstände und unterschiedliche Behandlung während des Militärdienstes von alevitischen Kurden vorkommen können. Der BF schilderte dies sehr allgemein und oberflächlich. Nicht gefolgt werden kann dem BF jedoch, wenn er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nunmehr behauptet, während seines Militärdienstes verprügelt worden zu sein. Zum einen hat er diesen Umstand im erstinstanzlichen Verfahren noch ausdrücklich verneint. Zum anderen war der BF während der Befragung nicht bereit, von sich aus konkrete Vorfälle, die ihn persönlich betroffen haben sollen, zu erzählen und musste dazu stets gesondert nachgefragt werden. Erst auf eine konkrete Nachfrage stellte er diese Behauptung auf. Außerdem sprach er meist in allgemeiner Form, ohne sich selbst als Betroffener oder involviert zu bezeichnen. Wenn dies doch einmal der Fall war (z.B. als er von einer Schlägerei zwischen Mitgliedern der "Grauen Wölfe" und Linksgruppierungen erzählte, bei der er persönlich beteiligt gewesen sein soll), dann nur deshalb, weil er sich offensichtlich nach der Fragestellung richtete. Es ist daher nicht glaubhaft, dass der BF einer konkreten persönlichen Verfolgung ausgesetzt war oder im Falle der Rückkehr ausgesetzt sein wird.

 

3.3. Die Feststellungen zum Herkunftsland stützen sich auf die angeführten Quellen. Diese befassen sich regelmäßig mit der Beobachtung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Herkunftsländern von Asylwerbern, verweisen ihrerseits nachvollziehbar auf die herangezogenen Informationsquellen, welche teils im öffentlichen und teils im privaten Sektor anzusiedeln sind. Sohin geben sie ein umfassendes und ausgewogenes Bild über die aktuelle Lage in der Türkei. Sie werden daher vom Asylgerichtshof nicht in Zweifel gezogen.

 

4. Rechtlich ist auszuführen:

 

4.1. Gemäß dem Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, wurde der Asylgerichtshof - bei gleichzeitigem Außerkrafttreten des Bundesgesetzes über den unabhängigen Bundesasylsenat - eingerichtet und treten die dort getroffenen Änderungen des Asylgesetzes mit 01.07.2008 in Kraft; folglich ist das AsylG 2005 ab diesem Zeitpunkt in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 anzuwenden.

 

Gemäß § 75 Abs 7 AsylG 2005 idF BGBl I Nr 4/2008 sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

[...]

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

[...]

 

Im Rahmen der Interpretation des § 75 Abs 7 AsylG ist mit einer Anhängigkeit der Verfahren beim Unabhängigen Bundesasylsenat mit 30.6.2008 auszugehen (vgl. Art. 151 Abs 39 Z 1 B-VG). Der in dieser Übergangsbestimmung erwähnte 1. Juli 2008 ist im Sinne der genannten Bestimmung des B-VG zu lesen.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt."

 

4.2. Gem. § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 44 Absatz 1 Asylgesetz 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 126/2002 geführt.

 

Gem. § 44 Abs. 3 AsylG sind die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 auch auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Verfahren wurde der Asylantrag bereits am 24.07.2000 eingebracht und das Beschwerdeverfahren war schon am 31.12.2005 anhängig, weshalb dieses nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 geführt wird.

 

5. Zur Abweisung des Antrages auf Gewährung von Asyl:

 

5.1.Gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (im Folgenden: AsylG) hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951, BGBL. Nr. 55/1955, iVm Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und sich nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

5.2. Das Vorbringen des Asylsuchenden muss geeignet sein, eine asylrelevante Verfolgung im rechtlichen Sinne glaubhaft darzulegen. Hiezu muss zunächst eine konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlung aus einem der fünf in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Motiven glaubhaft gemacht werden, aus der eine wohlbegründete Furcht im Sinne von § 7 Asylgesetz iVm

Artikel 1 Abschnitt A Z 2 GFK rechtlich ableitbar ist. Hiezu genügt der bloße Hinweis auf die allgemeine Lage in dem Heimatland des Asylwerbers nicht (vgl hiezu zB VwGH 10.03.1994, Zahl 94/19/0056). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl hiezu zB VwGH 12.05.1999, Zahl 98/01/0649). Eine Verfolgungshandlung setzt einen Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen voraus, der geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl hiezu zB VwGH 25.04.1999, Zahl 99/01/0280).

 

5.2. Der Asylgerichtshof geht davon aus, dass der BF unverfolgt aus der Türkei ausgereist ist und im Falle der Rückkehr auch keine Verfolgung zu befürchten hat. In der Türkei findet unter Verweis auf die erörterten Länderberichte keine systematische Verfolgung alevitischer Kurden statt bzw. wird eine solche von staatlicher Seite auch nicht geduldet. Eine konkrete, persönlich gegen den BF gerichtete Verfolgungshandlung hat dieser nicht glaubhaft gemacht. Die Angaben diesbezüglich sind nicht glaubwürdig.

 

Aber auch bei Wahrunterstellung dieser Angaben kann nicht auf eine persönliche Verfolgung des BF geschlossen werden. Der BF hat seinen Militärdienst, auf den sich sein Vorbringen u.a. bezog, vollständig abgeleistet. Eine daraus resultierende und noch nach Ableistung des Militärdienstes immer noch zu befürchtende Diskriminierung und/oder Misshandlung hat er nicht erwähnt und ist auch nicht wahrscheinlich. Nach ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind Umstände, die schon längere Zeit vor der Ausreise zurückliegen nicht mehr beachtlich, die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung muss vielmehr bis zur Ausreise andauern (VwGH 21.04.1993, 92/01/0966). Zum Zeitpunkt der Ausreise war der BF jedoch bereits vom Militärdienst abgerüstet.

 

Sollte er tatsächlich Schwierigkeiten mit Mitgliedern der "Grauen Wölfe" gehabt haben und bei Auseinandersetzungen körperlichen Angriffen oder Bedrohungen ausgesetzt gewesen sein, wäre der BF auf die Inanspruchnahme der staatlichen Behörden zu verweisen. Eine nicht von staatlichen Stellen des Heimatlandes des Asylwerbers ausgehende Verfolgung ist nur dann von Bedeutung, wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, diese Verfolgung hinanzuhalten (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 u.a.). Dass dieser Schutz im konkreten Fall verweigert worden wäre, hat der BF nicht behauptet.

 

Insoweit er behauptet, als alevitischer Kurde könne er nicht arbeiten bzw. würde er immer wieder entlassen, wenn dies bekannt wird, ist festzuhalten, dass der BF zumindest nach seinen Angaben an verschiedenen Arbeitsstellen und in unterschiedlichen Branchen gearbeitet hat. Das diesbezügliche Vorbringen findet darüber hinaus keine Deckung in den erörterten Länderberichten. Dort ist z.B. ausgeführt: "Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- und Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türksicher Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornahmen gegeben werden). Die Meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in der Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus (Quelle: AA, Bericht vom 25.10.2007, S 18). Somit wäre wohl ein Rückschluss eines Arbeitgebers auf seine kurdische Abstammung und insbesondere alevitische Religionszugehörigkeit kaum möglich, sofern der BF nicht selbst darauf hinweist. Um die Asylrelevanz zu erreichen, müsste nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes mit dem Verlust des Arbeitsplatzes eine massive Bedrohung der Lebensgrundlage des BF verbunden sein (vergl. dazu VwGH 17.06.1992, 91/01/0207; 14.12.1995, 95/19/0069; 15.12.1993, 93/01/0285; 20.09.1995, 95/20/0055, 0056; 24.10.1996, 95/200321, 0322 u.v.a.). Dass dies der Fall gewesen wäre, hat der BF gar nicht behauptet. Der BF lebte überdies in Istanbul, wo die Möglichkeiten, Arbeit zu finden, um ein Vielfaches mehr vorhanden sind, als in den wirtschaftlich benachteiligten Regionen des Südostens der Türkei.

 

Folglich ist es dem BF nicht gelungen, mit ausreichender Wahrscheinlichkeit das Vorliegen asylrelevanter Verfolgung iSd

Artikel 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) glaubhaft zu machen. In Ermangelung des Vorliegens dieser conditio sine qua non kann daher der Asylantrag des BF vom 24.07.2000 nicht positiv beschieden werden.

 

Es bleibt somit kein Raum, dem BF begründete Furcht vor Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen in seinem Heimatland zu bescheinigen.

 

6. Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 Absatz 1 Asylgesetz:

 

6.1. Gem. § 8 Abs. 1 AsylG hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG), wenn ein Asylantrag abzuweisen ist; diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden. Wenn der Asylantrag abzuweisen ist und die Überprüfung gem. Abs. 1 ergeben hat, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist, hat die Behörde gem. Abs. 2 leg. cit. diesen Bescheid mit der Ausweisung zu verbinden.

 

Gem. § 124 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBL I Nr. 100/2005, treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 verweisen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes. Demnach ist die Verweisung des § 8 Absatz 1 Asylgesetz 1997 auf § 57 Fremdengesetz nunmehr auf § 50 Fremdenpolizeigesetz zu beziehen. Die Regelungsgehalte beider Vorschriften (§ 57 Fremdengesetz und § 50 Fremdenpolizeigesetz) unterscheiden sich nicht in einer solchen Weise, dass es für den vorliegenden Fall von Bedeutung wäre. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich - unmittelbar oder mittelbar - auf § 57 Fremdengesetz bezieht, lässt sich auch auf § 50 Fremdenpolizeigesetz übertragen.

 

Gem. § 50 Abs. 1 FPG 2005 ist die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Gem. Abs. 2 leg. cit. ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

6. 2. Der Fremde hat glaubhaft zu machen, dass er im Sinne des § 50 Absatz 1 und Absatz 2 Fremdenpolizeigesetz (vormals § 57 Absatz 1 und 2 Fremdengesetz) aktuell bedroht ist, dass die Bedrohung also im Falle, dass er abgeschoben würde, in dem von seinem Antrag erfassten Staat gegeben wäre und durch staatliche Stellen zumindest gebilligt wird oder durch sie nicht abgewandt werden kann. Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgersubjekt" sind nicht von Bedeutung; auf die Quelle der Gefahr im Zielstaat kommt es nicht an (VwGH 21.8.2001, Zahl 2000/01/0443; VwGH 26.2.2002, Zahl 99/20/0509). Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 2.8.2000, Zahl 98/21/0461). Dies ist auch im Rahmen des § 8 Absatz 1 Asylgesetz zu beachten (VwGH 25.1.2001, Zahl 2001/20/0011, damals noch zu § 8 Asylgesetz vor der Novelle 2003). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.9.1993, Zahl 93/18/0214). Der Prüfungsrahmen des § 50 Fremdenpolizeigesetz (vormals § 57 Fremdengesetz) ist durch § 8 (nunmehr: § 8 Absatz 1) Asylgesetz auf den Herkunftsstaat des Fremden beschränkt (VwGH 22.4.1999, Zahl 98/20/0561).

 

6.3. Wie bereits ausgeführt, bestehen einerseits mangels Glaubhaftigkeit des Vorbringens aber andererseits auch aus rechtlichen Gründen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des BF aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre; daher liegt kein Fall des § 50 Absatz 2 Fremdenpolizeigesetz (vormals § 57 Absatz 2 Fremdengesetz) vor. Zu prüfen bleibt, ob es begründete Anhaltspunkte dafür gibt, dass durch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in dessen Herkunftsstaat

Artikel 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt würde oder für die BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes gegeben ist (§ 50 Absatz 1 Fremdenpolizeigesetz).

 

Es besteht aber auch kein Hinweis auf solch "außergewöhnliche Umstände", die eine Abschiebung unzulässig machen könnten. In der Türkei besteht aktuell keine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Artikel 2 und 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgesetzt wäre. Der BF hat auch keinen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" glaubhaft behauptet, der ein Abschiebungshindernis bilden könnte.

 

Folglich ist die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

 

7. Unterbleiben der Ausweisungsentscheidung:

 

Wenn der Asylantrag abzuweisen ist und die Überprüfung gem. Abs. 1 ergeben hat, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist, hätte die Behörde gem. § 8 Abs. 2 AsylG diesen Bescheid mit der Ausweisung zu verbinden. Nach dem Wortlaut des § 44 Abs. 3 AsylG wäre zwar die in Rede stehende Bestimmung des § 8 Abs. 2 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 vom Asylgerichtshof auch dann anzuwenden, wenn diese Bestimmung zum Zeitpunkt der Entscheidung der erstinstanzlichen Behörde noch nicht gegolten hat und daher vom Bundesasylamt - der damaligen Rechtslage entsprechend - nicht über die Ausweisung des Asylwerbers abgesprochen wurde. Da der Asylgerichtshof aber gemäß Art. 129c B-VG nach Erschöpfung des Instanzenzuges über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen entscheidet und somit als Berufungsinstanz in Asylsachen eingerichtet ist, darf er von Verfassung wegen nicht zu einer - im Ergebnis - erstinstanzlichen Entscheidung über die Ausweisung eines Fremden zuständig gemacht werden. Daher muss § 8 Abs. 2 iVm § 44 Abs. 3 AsylG verfassungskonform dahin ausgelegt werden, dass der Asylgerichtshof nur dann über eine Ausweisung entscheiden darf, wenn bereits das Bundesasylamt darüber abgesprochen hat (VwGH vom 29.03.2007, Zl.: 2006/20/0500 unter Hinweis auf Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997 [3.Ergänzung - Juni 2004] 392). Demnach hat eine Ausweisungsentscheidung im vorliegenden Fall zu unterbleiben.

Schlagworte
aktuelle Gefahr, Glaubhaftmachung, Lebensgrundlage, Militärdienst, non refoulement, Religion, staatlicher Schutz, Verfolgungsgefahr, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
11.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten