C7 268552-0/2008/19E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. FILZWIESER-HAT als Einzelrichterin über die Beschwerde des G.S., geb. 00.00.1973, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.02.2006, FZ. 04 09.501-BAI nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.04.2007 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und G.S. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass G.S. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer beantragte am 29.04.2004 Asyl in Österreich. Er wurde hiezu am 06.07.2005 niederschriftlich vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Innsbruck, einvernommen.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Wien, vom 20.02.2006 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I 1997/76 (AsylG) idgF abgewiesen, die Abschiebung in die Türkei für zulässig erklärt und seine Ausweisung aus Österreich in die Türkei angeordnet. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubhaft.
Dagegen wurde rechtzeitig Berufung (nunmehr: Beschwerde) erhoben.
2. Am 03.04.2007 wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt und anschließend zur Abklärung des Vorbringens in der Türkei ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, welches am 07.03.2008 erstellt wurde.
Der Beschwerdeführer wurde am 17.04.2008 gemäß § 45 Abs. 3 AVG vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt, und es wurde ihm eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt. Der Beschwerdeführer brachte mit Schreiben vom 24.04.2008 eine Stellungnahme ein.
Mit Schreiben vom 04.08.2008, zugestellt am 08.08.2008, wurden dem Beschwerdeführer Länderberichte zur Lage in der Türkei mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt. Hiezu langte keine Stellungnahme ein.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Es werden folgende Feststellungen getroffen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Kurden an.
1.2. Der Beschwerdeführer unterstützte in seinem Heimatort PKK-Kämpfer und wurde deshalb im Jahr 1999 vom türkischen Militär festgenommen und zwei Monate lang inhaftiert und gefoltert. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer wegen des Verdachtes der Unterstützung der in der Türkei illegalen PKK vor Gericht gestellt, jedoch aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Danach wurde er bis zu seiner Ausreise aus der Türkei im Jahre 2004 immer wieder vom Militär zu Hause abgeholt und unter Folter zu Aussagen bezüglich der PKK gezwungen.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland aus asylrelevanten Gründen verfolgt bzw. mit dem Leben bedroht wäre.
1.3. Zur Lage in der Türkei werden aufgrund der in der Folge genannten dem Parteiengehör unterworfenen Quellen nachfolgende Feststellungen getroffen:
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Oktober 2007
Home Office, Operational Guidance Note Turkey, April 2007
Home Office, Country of Origin Information Report Turkey, Dezember 2007
U.S. Department of State, Turkey, Country Reports on Human Rights Practices, März 2008
Markante Fortschritte in der Menschenrechtslage konnten in der Türkei durch die Gesetzes- und Verfassungsänderungen der letzten Jahre sowie weitere Reformmaßnahmen (z.B. Justizreformen) erzielt werden; dadurch wurde ein Mentalitätswandel bei großen Teilen der Bevölkerung eingeleitet.
The government generally respected the human rights of its citizens; however, serious problems remained in several areas. During the year human rights organizations documented a rise in cases of torture, beating, and abuse by security forces. Security forces committed unlawful killings; the number of arrests and prosecutions in these cases was low compared with the number of incidents, and convictions remained rare. Prison conditions remained poor, with problems of overcrowding and insufficient staff training.
(Quelle: USDOS, Turkey, Country Reports on Human Rights Practices, März 2008)
Im Osten und Südosten der Türkei kommt es weiterhin zu bewaffneten Auseinandersetzungen
zwischen der terroristischen PKK und türkischen Sicherheitskräften; der Ruf nach einschneidenderen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung wurde mit Wiedererstarken des PKK-Terrorismus lauter.
2. Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:
2.1. Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der Vorlage von Identitätsdokumenten fest.
2.2. Die Feststellungen zur Lage in der Türkei ergeben sich aus einer Gesamtschau der zitierten angeführten aktuellen Quellen, denen nicht entgegengetreten wurde.
2.3. Die Aussagen des Beschwerdeführers in den Verhandlungen waren schlüssig und machte er in der Gesamtschau einen persönlich glaubhaften Eindruck. Außerdem konnte er sein Vorbringen durch vorgelegte Beweismittel untermauern und konnten seine Angaben durch das Sachverständigengutachten nicht falsifiziert werden.
Die Nachforschungen des Sachverständigen im Herkunftsort ergaben, dass der Beschwerdeführer sowie weitere aufgrund vermuteter Zusammenarbeit mit der PKK Angeklagte stark gefoltert wurden und im nachfolgenden Prozess deshalb freigesprochen wurden, weil es keine stichhaltigen Beweise gab. Weiters führte der Sachverständige aus:
"...Die Dorfbevölkerung wurde nach dieser Massenverhaftung immer wieder, wenn es zu bewaffneten Konflikten in der Region gekommen ist, seitens des Militärs unter Druck gesetzt und beschuldigt, die PKK zu unterstützen. Der Beschwerdeführer selbst ist den örtlichen Funktionären bekannt, seine oppositionelle Gesinnung sowie die Repressalien gegen ihn werden bestätigt. ..."
Dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Türkei erneute Inhaftierungen und weitere Misshandlungen drohen können, kann somit aufgrund der Ermittlungsergebnisse derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. An dieser Einschätzung im individuellen Fall des Beschwerdeführers vermögen auch der Freispruch mangels Beweisen und die zwischenzeitliche Verbesserung der allgemeinen Lage in der Türkei nichts zu ändern.
Hinzu kommt, dass den mit dem Beschwerdeführer in der Türkei Mitangeklagten T. K. sowie A.K., welche ein gleichartiges Vorbringen wie der Beschwerdeführer erstatteten, vom Bundesasylamt Innsbruck Asyl gewährt wurde.
2.4. Es ist jedoch festzuhalten, dass sich diese Entscheidung als eine in einer besonderen Ausnahmekonstellation versteht und damit nicht eine mehr oder minder allgemeine politische Verfolgung der Kurden in der heutigen Türkei bejaht wird.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen; § 44 AsylG 1997 gilt.
Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.
3.2. Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I 101/2003 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling iSd AsylG 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung".
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).
Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; VwGH 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose.
Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH 27.01.2000, Zl. 99/20/0519, VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0291, VwGH 07.09.2000, Zl. 2000/01/0153, ua.).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Aktenlage bei Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers das Vorliegen einer aktuellen politischen Verfolgungsgefahr wegen unterstellter staatsfeindlicher Gesinnung, dies unter Berücksichtigung aller zu II.2. getroffenen Ausführungen. Es liegt genau ein Fall vor, in welchem wegen individueller Verfolgung gezielte Menschenrechtsverletzungen im weiteren Sinn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohen können. Die hinreichende Schwere dieser möglichen Menschenrechtsverletzungen ist durch die vergangenen Übergriffe indiziert. Bei dieser Sachlage liegt Entscheidungsreife vor.
Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass sich aus dem Akt keine Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit des § 13 AsylG 1997 ergeben.
Somit befindet sich zusammengefasst der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, asylrelevant verfolgt zu werden, außerhalb der Türkei und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in dieses Land zurückzukehren. Da auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt, war Asyl zu gewähren.
Gemäß § 12 AsylG 1997 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.