TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/24 D6 319330-1/2008

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Veröffentlicht am 24.10.2008
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Spruch

D6 319330-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Peter Chvosta als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Christine Amann als Beisitzerin über die Beschwerde der S. A., geb. 00.00.1975, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.4.2008, FZ. 07 11.629-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, Art. 2 BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), als unbegründet abgewiesen.

 

II. In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt II. und III. behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige, reiste eigenen Angaben zufolge am 12.12.2007 gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 13.12.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1. Die Beschwerdeführerin wurde zu ihren Fluchtgründen am 14.12.2007, am 20.12.2007, am 13.2.2008 und am 7.4.2008 vor der Polizeiinspektion St. Georgen/Attergau bzw. vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Ihren Antrag begründete sie im Wesentlichen damit, dass ihr Ehemann als Automechaniker gearbeitet und Autos ausländischer Fahrzeugmarken repariert und präpariert habe. Später habe ihr Mann erfahren, dass es sich bei den Fahrzeugen um gestohlene Autos handeln würde. Daraufhin habe er sich geweigert, weiterhin diese Fahrzeuge zu reparieren bzw. präparieren, um nicht kriminell zu werden. Danach hätten die Probleme begonnen. Eines Tages sei der Vorgesetzte ihres Ehemannes verschwunden. Ab diesem Zeitpunkt sei ihr Ehemann nicht mehr seiner Arbeit nachgegangen. Es seien Muslime gewesen, die ihren Ehemann zu dieser Tätigkeit gezwungen hätten. Genaues könne sie nicht erzählen, denn jene Details, die ihr bekannt seien, habe sie aus den Erzählungen ihres Ehemannes erfahren. Mitte November 2007 sei ihr Ehemann geflohen. Derzeit wisse sie nicht, wo er sich aufhalte. Am 2.12.2007 wäre sie von zwei unbekannten Personen aufgesucht und nach dem Aufenthalt ihres Mannes gefragt worden. Am 7.12.2007 seien sie ein weiteres Mal aufgetaucht und hätten ihr mitgeteilt, dass - wenn ihr Mann am 10.12.2007 nicht erscheinen würde - sie große Probleme bekomme. Am 8.12.2007 habe sie einen Brief ihres Mannes erhalten, dass sie mit den Kindern das Land verlassen solle. Den Brief habe sie verbrannt, damit er von den Verfolgern nicht gefunden werde und sie nicht erfahren würden, dass sie das Land verlassen habe. Am 9.12.2007 habe sie ihr Heimatland schließlich verlassen. Vor einer Rückkehr habe sie Angst, insbesondere um ihre Kinder, da von den Unbekannten gedroht wurde, dass sie der gesamten Familie etwas antun würden. Außerdem wisse sie bis heute nicht, wo sich ihr Ehemann aufhalte, sie vermute, dass ihm etwas zugestoßen sei, ansonsten hätte er sicherlich versucht, Kontakt zu seiner Familie aufzunehmen.

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25.4.2008 wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ab (Spruchteil I.) und erklärte, dass ihr der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt werde (Spruchteil II.); ferner verfügte das Bundesasylamt § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG ihre Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation (Spruchpunkt III.).

 

In seiner Begründung traf das Bundesasylamt Länderfeststellungen zur Lage in der Russischen Föderation und stellte fest, dass die Identität und Nationalität der Beschwerdeführerin nicht feststehe. Fest stehe, dass sich die minderjährigen Söhne der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet aufhalten. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation von Muslimen über den Aufenthaltsort ihres Ehemannes befragt worden und der Gefahr ausgesetzt sei, von diesen Muslimen getötet zu werden. Dazu führte das Bundesasylamt in seiner Beweiswürdigung aus, dass die Beschwerdeführerin kein fundiertes und nachvollziehbares Vorbringen erstattet, sondern ihre Behauptungen nur allgemein in den Raum gestellt habe, ohne diese zu belegen oder durch konkrete Anhaltspunkte glaubhaft zu machen. Insbesondere seien einige Ungereimtheiten im Vorbringen der Beschwerdeführerin aufzuzeigen: So habe sie nicht plausibel darlegen können, weshalb sich ihr Ehegatte durch einen Umzug innerhalb des Heimatstaates in Sicherheit bringen habe können, wogegen für die Beschwerdeführerin diese Möglichkeit jedoch nicht bestanden haben solle. Angesichts der Größe des russischen Staatsgebietes sei es weiters unglaubwürdig, dass die Beschwerdeführerin auch nach einem Umzug innerhalb des russischen Staatsgebietes von einer (namentlich unbekannten) kriminellen Vereinigung aus V. ausfindig gemacht hätte werden können. Ferner enthalte das Vorbringen der Beschwerdeführerin einige Widersprüche: Insbesondere sei auffallend, dass sie in den vier Einvernahmen unterschiedliche Darstellungen gemacht habe. Einmal seien die Muslime dreimal bei der Beschwerdeführerin gewesen und hätten sie bedroht, während sie im Zuge einer früheren Einvernahme behauptet habe, dass die kriminellen Muslime nur zweimal vor der Abreise zur Beschwerdeführerin gekommen seien. Ferner habe sie sowohl am 14.12.2007, als auch am 20.12.2007 vorgebracht, dass sie am 8.12.2007 einen Brief von ihrem Ehemann erhalten habe, ohne eine Kontaktperson bis dahin zu erwähnen. In den folgenden Einvernahmen habe die Beschwerdeführerin jedoch dezidiert davon gesprochen, dass sie am 7.12.2007 von einer Kontaktperson ihres Mannes aufgesucht und ihr ein - vom Ehemann geschriebener - Zettel übergeben worden sei. Die entsprechenden Vorhalte hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Darstellungen habe die Beschwerdeführerin nicht überzeugend auflösen können. Sie habe ihre Befürchtungen lediglich auf vage Vermutungen gestützt.

 

Mangels glaubhaft gemachter Verfolgungsgefahr sei der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung internationalen Schutzes ebenso abzuweisen gewesen, wie hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes, da keine sonstigen Abschiebungshindernisse hervorgekommen seien. Abschließend begründete das Bundesasylamt die Ausweisung der Beschwerdeführerin damit, dass sich zwar auch die drei minderjährigen Kinder und eine volljährige Schwester im Bundesgebiet aufhalten würden, welche jedoch ebenfalls Asylwerber seien und daher, wie auch die Beschwerdeführerin, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen seien, weshalb die Ausweisung keinen Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin darstelle. Dieser Bescheid wurde am 29.4.2008 zugestellt.

 

3. Dagegen richtet sich die vorliegende, fristgerecht erhobene und zulässige Beschwerde, in der die Beschwerdeführerin ihre Fluchtgründe wiederholt und darüber hinaus vorbringt, dass die "selben Typen" nach der Flucht ihre Mutter aufgesucht hätten, woraus hervorgehe, dass auch ein Umzug innerhalb der Russischen Föderation keine Sicherheit gebracht hätte.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Senat erwogen:

 

1. Das Bundesasylamt hat hinsichtlich des Spruchpunktes I. ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Der Asylgerichtshof schließt sich den Feststellungen zum Sachverhalt hinsichtlich der geltend gemachten Fluchtgründe sowie zur Situation in der Russischen Föderation - soweit dies den Spruchpunkt I. betrifft - an (vgl. VwGH 25.3.1999, 98/20/0559; 8.6.2000, 99/20/0366; 30.11.2000, 2000/20/0356; 22.2.2001, 2000/20/0557; 21.6.2001, 99/20/0460).

 

2. Auch die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides ist hinsichtlich der vorgebrachten Fluchtgründe nicht zu beanstanden: In der Tat erscheint - worauf die belangte Behörde zutreffend hinwies - unplausibel, dass es nur dem Ehemann der Beschwerdeführerin möglich gewesen sein soll, sich nach einem Umzug innerhalb des russischen Staatsgebietes in Sicherheit zu bringen, nicht aber dem Rest der Familie, was wiederum vor dem Hintergrund, dass es sich bei den Verfolgern um eine offenbar lokale kriminelle Vereinigung aus V. gehandelt haben soll, ohne nähere schlüssige Erklärung unglaubwürdig erscheinen muss (in der Einvernahme vom 7.4.2008 äußerte die Beschwerdeführerin allerdings die Befürchtung, dass ihrem Ehemann "wahrscheinlich" etwas zugestoßen sei; AS 173). In diesem Zusammenhang ist auch nicht nachvollziehbar, dass der Ehemann alleine geflüchtet, dann aber die Ausreise der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder organisiert haben soll (AS 25), ohne sich jedoch mit seiner Familie auf dem Fluchtweg treffen und gemeinsam ausreisen zu können (in der Folge behauptete die Beschwerdeführerin allerdings, selbst die Ausreise organisiert zu haben; AS 113).

 

Was die persönliche Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin anbelangt, ist zu beachten, dass die Beschwerdeführerin bereits zu ihrem Reiseweg mehr als zweifelhafte Angaben gemacht hat: Ihrer Behauptung, sie sei mit einem Kleinbus von V. losgefahren und direkt vor dem Lagereingang Thalham vom Schlepper abgesetzt worden (AS 27), stand die Aussage ihres Schwagers gegenüber, wonach er die Beschwerdeführerin und ihre Kinder am Salzburger Hauptbahnhof abgeholt, zu sich nach Hause zwecks Übernachtung und dann erst nach Thalham gebracht habe (AS 11). Erst auf Nachfrage räumte die Beschwerdeführerin ein, vom Schwager in Salzburg abgeholt worden zu sein (AS 53). Ungeklärt blieb auch der Umstand, dass bei der österreichischen Botschaft in Moskau im Oktober 2007 ein Visumsantrag für den Sohn aktenkundig ist (AS 96). Damit konfrontiert entgegnete die Beschwerdeführerin, dass es sich "vielleicht" nicht um ihr Kind, sondern um eine Namensgleichheit handle, sie jedenfalls keinen solchen Antrag gestellt habe (AS 113). Beachtlich erscheint, dass neben einer Namensgleichheit zusätzlich auch eine Übereinstimmung beim Geburtsdatum des Kindes vorliegen müsste, um von einem Zufall ausgehen zu können.

 

Vor diesem Hintergrund kann der belangten Behörde nicht entgegen getreten werden, wenn sie aufgrund der zahlreichen Unstimmigkeiten in den Angaben zu den Fluchtgründen die Behauptungen der Beschwerdeführerin als unglaubwürdig erachtet hat: Bedenkt man, dass es sich bei den behaupteten Konflikten und Drohungen der Männer um derart dramatische und gravierende Ereignisse im Leben der Beschwerdeführerin gehandelt haben müsste, die zur Trennung von ihrem Ehemann geführt und sie selbst zur Flucht aus ihrer Heimat bewogen haben, so erscheinen die Widersprüche in ihren Angaben zu diesen einschneidenden und erst kurze Zeit zurückliegenden Erlebnissen nicht nachvollziehbar. Z.B. kann der Umstand, dass die Beschwerdeführerin einmal von zwei Besuchen der Verfolger, dann wieder von drei Besuchen spricht, nicht mit mangelndem Erinnerungsvermögen oder (wie in der Beschwerde getan) mit ihrer Nervosität in den Einvernahmen plausibel erklärt werden. Die Angaben der Beschwerdeführerin gestalteten sich zudem stets in einer Weise, dass sie einer Überprüfung nicht zugänglich waren. So brachte die Beschwerdeführerin vor, den erhaltenen Brief des Ehemannes, in welchem er sie zur Flucht aufgefordert habe, verbrannt zu haben. Auch über die Identität der Verfolger konnte sie - abgesehen von ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit (insbesondere wegen von ihnen getragener Ketten mit einem Halbmond mit Stern) - keine Auskunft geben; sie wusste aber doch, dass es sich um eine "große Vereinigung" handle (AS 115). Die genaue Adresse der Reparaturwerkstatt in V. - wo ihr Ehemann mehrere Jahre beschäftigt gewesen sei - konnte sie ebenfalls nicht bekannt geben. Darüber hinaus blieben die (in mehreren Einvernahmen gemachten) Schilderungen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der zwei bzw. drei Vorfälle trotz Nachfrage auffallend vage, oberflächlich und abstrakt.

 

Auch in ihrer Beschwerde erschöpfen sich die Ausführungen der Beschwerdeführerin auf bloße Wiederholungen oder Angaben, die die Rückkehrgefährdung betonen (sollen), wie die (ohne weitere Schilderungen der konkreten Umstände gemachte) Bemerkung, dass "die selben Typen" nunmehr auch ihre Mutter im Heimatland aufgesucht hätten (gemäß § 40 Abs. 2 AsylG konnte im Übrigen mangels Entscheidungsmaßgeblichkeit dahin stehen, ob diese Neuerung vom Neuerungsverbot nach § 40 Abs. 1 AsylG erfasst war). Auf die im angefochtenen Bescheid beanstandeten Widersprüche ging die Beschwerde - soweit überhaupt - nur unsubstantiiert ein, ohne diese Widersprüche aufzulösen oder zu erklären oder sonst wie zu erörtern. Sie führte auch sonst keine konkretisierenden Sachverhaltselemente zur Fluchtgeschichte selbst an.

 

Der belangten Behörde kann daher nicht entgegen getreten werden, wenn sie von der Unglaubwürdigkeit der Angaben ausgegangen ist.

 

3. Rechtlich ergibt sich daraus Folgendes:

 

3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiterzuführen.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Rechtsmittelinstanz, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

3.2. Zu Spruchteil I. des Erkenntnisses:

 

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Statusrichtlinie] verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

3.2.2. Das gesamte Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass sie von radikalen Muslimen bedroht wurde sowie auch in Zukunft bedroht werden wird, entspricht - wie oben dargelegt - nicht den Tatsachen.

 

Die Beschwerdeführerin konnte somit nicht glaubhaft machen, dass sie in ihrem Herkunftsstaat konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätte, weshalb die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK geforderten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

 

Gemäß § 41 Abs. 7 AsylG hat der Asylgerichtshof § 67d AVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur außer Kraft getretenen Regelung des Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG war der Sachverhalt nicht als geklärt anzusehen, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (VwGH 2.3.2006, 2003/20/0317 mit Hinweisen auf VwGH 23.1.2003, 2002/20/0533; 12.6.2003, 2002/20/0336). Gemäß dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Asylgerichtshof hinsichtlich des Spruchteils I. unterbleiben, da der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde in diesem Belang geklärt war und sich insbesondere in der Beschwerde, welche die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht substanziiert bekämpfte, kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben hat, den maßgeblichen Sachverhalt hinsichtlich des Ausspruches in Spruchteil I. mit der Beschwerdeführerin zu erörtern. Daran ändert auch der Antrag nichts, eine Verhandlung durchzuführen (vgl. VwGH 17.10.2006, 2005/20/0329; 26.6.2007, 2007/01/0479; 22.8.2007, 2005/01/0015, 0017 ua.).

 

3.3. Zu Spruchteil II. des Erkenntnisses:

 

3.3.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG iVm § 23 AsylGHG kann der Asylgerichtshof - wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint - den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverweisen. Gemäß § 66 Abs. 3 AVG iVm § 23 AsylGHG kann der Asylgerichtshof jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof betonte in seiner langjährigen Rechtsprechung zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG in Asylsachen (vor Inkrafttreten des AsylGHG), dass dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderen Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" im Rahmen eines zweiinstanzlichen Verfahrens (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) zukomme (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135). In diesem Verfahren habe bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es sei gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liege nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages solle nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sehe man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Dies spreche auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens dafür, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.

 

Der erkennende Senat des Asylgerichtshofes sieht keinen Grund anzunehmen, dass sich die dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die (mit Inkrafttreten der B-VG-Novelle BGBl I Nr. 2/2008 sowie des AsylGHG geänderte) neue Rechtslage übertragen ließe. Es liegt weiterhin nicht im Sinne des Gesetzes, wenn der Asylgerichtshof erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass er seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst - sieht man von der auf Verfassungsfragen beschränkten Kontrollbefugnis durch den Verfassungsgerichtshof ab - beim Asylgerichtshof beginnen und zugleich enden.

 

3.3.2. Im hier zu beurteilenden Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des subsidiären Schutzes und das darauf bezogene Verfahren mangelhaft:

Das Bundesasylamt hat zwar im angefochtenen Bescheid Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage in Nord-Ossetien dem Bescheid zugrunde gelegt, hinsichtlich der Grundversorgung in Nord-Ossetien sind die Länderfeststellungen jedoch unzureichend. So wird zur Grundversorgung einerseits betont, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gewährleistet ist und auch staatliche Unterstützung für bedürftige Personen bestehe, die andererseits aber faktisch nicht den Grundbedarf decke (Seite 19 des angefochtenen Bescheides). Überhaupt keine Schlussfolgerungen lassen die Länderfeststellungen aber für den vorliegenden Fall zu, in dem es sich bei der Beschwerdeführerin um eine alleinstehende Frau mit drei minderjährigen Kindern handelt, wobei der jüngste Sohn erst im Jänner 2008 geboren wurde. Es ist in Betracht zu ziehen, dass eine alleinstehende Mutter mit zwei Kindern und einem Kleinkind ohne entsprechendes familiäres Netz auf finanzielle Unterstützungen bzw. Versorgungsleistungen angewiesen ist. Die Annahme der belangten Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung, dass die Beschwerdeführerin als "junge, gesunde und arbeitsfähige Frau" in keine "dauerhaft aussichtslose Lage gedrängt würde", lässt die aktuellen konkreten Umstände, in denen sich die Beschwerdeführerin aufgrund des Alters ihrer Kinder befindet, außer acht. Auch im Falle der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der Beschwerdeführerin kann ohne weitere (auf Ermittlungen gestützte) Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin mit der Unterstützung ihres Ehemannes, der behauptetermaßen möglicherweise nach wie vor untergetaucht in der Russischen Föderation leben soll, rechnen kann.

 

Alternativ hätte die belangte Behörde die Möglichkeit zu berücksichtigen und mit der Beschwerdeführerin zu erörtern gehabt, inwieweit sie im Falle einer etwaigen Rückkehr bei ihrer Mutter und bei ihrer Schwester in Tula die allenfalls nicht ausreichend gesicherte Versorgung und Unterkunft sowie Unterstützung finden könnte. Die belangte Behörde hat diese Frage völlig ungeklärt gelassen.

 

Das Bundesasylamt hat es unterlassen, "brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen" (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; vgl. auch VwGH 30.9.2004, 2001/20/0135), die eine verlässliche und durch den Asylgerichtshof nachprüfbare Beurteilung ermöglichen, ob die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine Situation gerät, die eine Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 8 AsylG nach sich zieht (vgl. z.B. VwGH 5.11.2003, 2001/01/0361; 9.7.2002, 2001/01/0164). Das Bundesasylamt ist als Spezialbehörde verpflichtet, sich über die Situation und die Entwicklungen in der Russischen Föderation Kenntnis zu verschaffen und im Einzelfall entsprechende Feststellungen zu treffen.

 

Folglich ist das Ermittlungsverfahren betreffend die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat mangelhaft geblieben. Die aufgezeigten Mängel sind wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Vermeidung der Mängel zu einem für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis hätte führen können.

 

3.3.3. Aufgrund der dargestellten Mängel wäre daher jedenfalls die Einvernahme der Beschwerdeführerin nach Beschaffung des entsprechenden länderbezogenen Grundlagenwissens - insbesondere hinsichtlich der Versorgungslage für alleinstehende Mütter in Nord-Ossetien - zu ergänzen, sodass eine der Voraussetzungen für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG normiert ist, nämlich, dass infolge des mangelhaften Sachverhaltes die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint; ob es sich um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt, macht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Unterschied (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; 11.12.2003, 2003/07/0079).

 

Der Umfang des noch durchzuführenden Ermittlungsverfahrens lässt den erkennenden Senat zum Ergebnis gelangen, dass dessen Nachholung durch den Asylgerichtshof ein Unterlaufen des zweiinstanzlichen Instanzenzuges bedeuten würde und daher im vorliegenden Fall nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen ist. Dass eine unmittelbare Beweisaufnahme und Durchführung der mündlichen Verhandlung durch den erkennenden Senat des Asylgerichtshofes eine "Ersparnis an Zeit und Kosten" iSd § 66 Abs. 3 AVG erzielen würde, ist - angesichts des mit dem asylgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten administrativ-manipulativen Aufwandes - nicht ersichtlich.

 

3.3.4. Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesasylamt hinsichtlich aller noch zu treffenden Feststellungen für die Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes auch unter Miteinbeziehung der Möglichkeit einer Unterstützung durch Familienangehörige, wie die Mutter und Schwester der Beschwerdeführerin, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die entsprechenden Ergebnisse, insbesondere ausführliche und aktuelle Länderberichte hinsichtlich der Grundversorgung in Nord-Ossetien, mit der Beschwerdeführerin - unter Beachtung des Parteiengehörs - zu erörtern haben.

 

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
familiäre Situation, Glaubwürdigkeit, Kassation, Lebensgrundlage, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, soziale Verhältnisse
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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