TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/27 E12 237848-0/2008

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Veröffentlicht am 27.10.2008
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Spruch

E12 237.848-0/2008-6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Mittermayr über die Beschwerde des S.B., geb. 00.00.1982, StA Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.05.2003, FZ 03 06.210-BAT, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde vom 27.05.2003 wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG:

 

1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF) stellte am 13.2.2003 einen Asylantrag und wurde am 12.5.2003 niederschriftlich dazu einvernommen. 2. Mit Bescheid vom 20.5.2003, FZ 03 06.210-BAT, wies das Bundesasylamt - ohne weitere Verfahrensschritte - den Asylantrag gem. § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde im Spruchpunkt II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gem. § 8 Abs. AsylG 1997 für zulässig erklärt.

 

3. Dagegen wurde am 27.5.2003 fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben.

 

4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E12 zugeteilt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Am 01. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl I. Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof BGBl I. Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) sind, soweit sich aus dem Bundesverfassungsgesetz B- VG, BGBl Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl I. Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985- VwGG, BGBl Nr. 10 nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG BGBl Nr. 51 mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang auch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBL Nr. 51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzten und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen) so der hier vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückzuweisen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315, und 2000/20/0084 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren, im allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (nunmehr Asylgerichtshof) im besonderen getätigt. Dabei hat er im zuletzt genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Artikel 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen".

 

Im Erkenntnis vom 17.10.2006, 2005/20/0459, hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung / Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche, detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden und zwar aus folgenden Erwägungen:

 

Der BF brachte im wesentlichen vor, er sei Kurde und Alevite und würde in der Türkei wegen Wehrdienstverweigerung gesucht. Außerdem habe er für eine politische Zeitschrift in Istanbul Artikel u.a. über Kurden verfasst. Seine Familie sei "politisch" und sein Bruder habe Demonstrationen im Zusammenhang mit Kurden organisiert. Er selbst sei von Sicherheitskräften am 20.8.2002 und am 25.1.2003 abgeholt und zum Polizeistützpunkt gebracht worden, wo er mit einem Holzknüppel geschlagen worden sei. Sein Bruder sei am 12.7.2000 von Zivilbeamten mitgenommen und nie wieder gefunden worden. Der BF sei auch von Anhängern der rassistisch eingestellten MHP bedroht worden. Ob er dies bei der Polizei angezeigt habe, kann der Aussage des BF zu dieser Frage nicht klar entnommen werden.

 

Das BAA beschränkt sich in seiner Beweiswürdigung lediglich darauf, die geschilderte Bedrohungssituation ais unschlüssig abzutun, ohne die Gründe dafür im einzelnen darzutun bzw. auf die konkrete Situation des BF einzugehen. So lässt die Beweiswürdigung beispielsweise völlig vermissen, warum den Angaben des BF zur Tätigkeit für die politische Zeitschrift kein Glauben geschenkt wurde. Die wäre aber erforderlich gewesen, um feststellen zu können, ob dem BF allenfalls wegen Verfassens kritischer Artikel in Zusammenhang mit der Kurdenproblematik Verfolgung aus politischen Motiven drohen könnte. Man hätte zumindest durch entsprechende Recherche abklären müssen, ob es diese Zeitschrift tatsächlich gibt, welche politische Ausrichtung sie hat, ob der BF tatsächlich jemals für diese Zeitschrift unter dem von ihm angegebenen Pseudonym kritische Artikel verfasst hat, etc.

 

Wenn schon das Verhalten des BF ( Mimik, Gestik, etc.) während der Einvernahme als starkes Indiz für seine Unglaubwürdigkeit herangezogen wird, so wäre dies im angefochtenen Bescheid in schlüssiger und nachvollziehbarer Art und Weise darzustellen gewesen. Lediglich die Tatsache, dass der BF einen "Schummelzettel" mit sich führte ist nicht dazu angetan, ihn für unglaubwürdig zu halten. Vielmehr entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass man sich auf ein wesentliches Ereignis, was die Einvernahme eines Asylwerbers vor dem Bundesasylamt zweifelsohne darstellt, vorbereitet und entsprechende Notizen macht.

 

Des weiteren setzt sich das BAA in seiner Beweiswürdigung in keiner Weise damit auseinander, warum eine Unglaubwürdigkeit des BF in Hinblick auf eine allfällige Verfolgung wegen seines alevitischen Glaubens angenommen wird. Der angefochtene Bescheid enthält in diesem Zusammenhang nicht einmal Feststellungen zur MHP, deren Ausrichtung, Strukturen, Vorgehensweisen, etc.

 

Ungeachtet der Mitwirkungspflichten eines Asylwerbers im Ermittlungsverfahren und seiner zugegebenermaßen nicht gerade ausführlichen Angaben zu seinen Fluchtgründen, hätte das BAA bei der Einvernahme doch von amtswegen darauf hinwirken müssen, dass der BF seine lückenhaften Angaben vervollständigt, Widersprüche aufklärt, etc. Dies ist allerdings unterblieben.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtssprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, 2003/20/03-89). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit, mangelnde Aufklärung des zugrundeliegenden Sachverhaltes etc. - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret, entscheidungsrelevanten Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt dass Procedere der Erstbehörde somit gegen die im Asylverfahren speziell determinierten Ermittlungspflichten. Demnach haben nämlich das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von amtswegen darauf hinzuwirken , dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet, oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von amtswegen beizuschaffen. Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren bedacht zu nehmen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von amtswegen zu ermitteln und festzustellen, ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet. Es hätten jedenfalls Widersprüche aufgeklärt, Behauptungen hinterfragt und vollständige Länderinformationen beigeschafft werden müssen.

 

4. Zusammenfassend ist daher der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit dem unter Punkt drei dargestellten Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen bzw. Befragungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen. Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten war von § 66 Abs. 3 AVG kein Gebrauch zu machen. Ergänzend sei dazu bemerkt, dass der Asylgerichtshof nicht verkennt, dass das gegenständliche Verfahren bereits seit Februar 2003bei der Berufungsbehörde anhängig war; aufgrund der Mangelhaftigkeit ist jedoch die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG gerechtfertigt.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern bzw. aufzuklären haben.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Militärdienst, Mitwirkungspflicht, politische Aktivität, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
06.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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