B11 311.088-1/2008/6E
W.A.;
geb. 00.00.2001, StA.: Afghanistan;
schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten
Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates
BESCHEID
SPRUCH
Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Dr. Moritz gemäß § 66 Abs. 4 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 i.d.g.F., i.V.m. § 61 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, entschieden:
Der Berufung von W. A. vom 03.04.2007 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.03.2007, Zl. 06 05.222-BAE, wird stattgegeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 2 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass W.A. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
BEGRÜNDUNG
Verfahrensgang
Mit o.a. Bescheid des Bundesasylamtes wurde der im Rahmen eines Familienverfahrens (§ 34 AsylG) gestellte Antrag auf internationalen Schutz (Antrag auf Gewährung desselben Schutzes) der o.g. minderjährigen berufenden Partei, Staatsangehörige von Afghanistan, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I), ihr der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1Z. 1 iVm § 34 Absatz 3 AsylG zuerkannt (Spruchpunkt II) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 07.03.2008 erteilt, wobei gegen Spruchpunkt I Berufung erhoben wurde. Am 14.03.2008 führte der unabhängige Bundesasylsenat eine mündliche Verhandlung durch, nach deren Schluss sogleich der Berufungsbescheid mit dem o.a. Spruch beschlossen und öffentlich verkündet wurde.
II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:
1. Mit 01.07.2008 hat der Gesetzgeber den Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art. 129c ff. B-VG. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 1 B-VG wird mit 01.07.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Laut Z. 4 leg. cit. sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit o. a. Spruch am 14.03.2008 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.
Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 AsylG 2005 i.V.m. § 1 AsylG 2005 ist das Asylgesetz 2005 auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Im gegenständlichen Verfahren findet daher das neue Asylgesetz Anwendung.
Gemäß § 61 AsylG entscheidet der unabhängige Bundesasylsenat über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes.
2.1. § 34 Abs. 1 AsylG lautet:
"Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Abs. 1 Z 22) von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes."
Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Artikel 8 EMRK mit dem Familienangehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.
Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines im Bundesgebiet befindlichen Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, es sei denn, dass 1. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Artikel 8 EMRK mit dem Angehörigen in einem anderen Staat möglich ist, oder 2. dem Asylwerber der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.
Gemäß Abs. 5 leg. cit. gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Asylgerichtshof.
2.2. Familienangehörige sind gemäß § 2 Z 22 AsylG, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familiengemeinschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.
Entscheidungsrelevante Tatbestandsmerkmale sind "die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK" und der Umstand, dass dieses Familienleben mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht zumutbar ist.
Bei dem Begriff "Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK" handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil v. 13. 6. 1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).
Nach dem obzitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jener Kinder durch Art 8 MRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtssprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.
2.3. Mit mündlich verkündetem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14.03.2008, schriftlich ausgefertigt am 27.10.2008, Zl. B11 311.083-1/2008/6E, wurde der Mutter (und damit einer Familienangehörigen i.S.d. § 2 Z 22 AsylG) der berufenden Partei der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Da überdies keine Anhaltspunkte bestehen, wonach der berufenden Partei die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens mit dem asylberechtigten Familienangehörigen in einem anderen Staat möglich wäre, war spruchgemäß zu entscheiden.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.