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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §4 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des S in Graz, geboren am 10. Juni 1977, vertreten durch Dr. Bernhard Krump, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Heinrichstraße 16, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 1. April 1998, Zl. FR 286/1998, betreffend Antrag gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. März 1997 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Liberia, auf Gewährung von Asyl gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen.
Am 6. Februar 1998 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag gemäß § 75 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, "ob eine Rückreise in meine Heimat Liberia derzeit überhaupt möglich" sei.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 12. Februar 1998 wurde gemäß § 75 Abs. 1 FrG festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Liberia im Sinne des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.
Diesen Bescheid behob die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz. Begründend führte sie aus, die beantragte Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 FrG sei von der Fremdenbehörde dann nicht zu treffen, insoweit über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat die Entscheidung einer Asylbehörde vorliege oder diese festgestellt habe, dass für den Fremden in einem Drittstaat Schutz vor Verfolgung bestehe. Der Beschwerdeführer habe gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. März 1997 Berufung erhoben, über welche zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht abgesprochen worden sei. Gemäß § 44 Abs. 1 letzter Satz Asylgesetz 1997 treffe den unabhängigen Bundesasylsenat in jenen Fällen keine Verpflichtung, eine non-refoulement-Prüfung vorzunehmen, in denen (wie im vorliegenden Fall) die Entscheidung der Asylbehörde erster Instanz vor dem 1. Jänner 1998 ergangen sei. Es werde daher von der Fremdenpolizeibehörde "abzuwarten sein, ob vom Bundesasylsenat eine Entscheidung hinsichtlich der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat getroffen werde oder nicht". Unter diesen, "auch den Sachverhalt betreffenden Gesichtspunkten" werde die Angelegenheit neu zu verhandeln sein, weshalb die Sache an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:
Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst die Verletzung seines Rechts auf meritorische Entscheidung durch die Berufungsbehörde geltend.
Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen ausgesprochen, dass durch § 66 Abs. 4 AVG gesichert werden soll, dass ein im Stadium der Berufung befindliches Verfahren möglichst auch zu einer Berufungsentscheidung in der Sache führt und die Verweisung des Verfahrens in ein von der Unterinstanz zu besorgendes Stadium daher nur ausnahmsweise möglich sein soll. Sachverhaltsermittlungen können nur dann eine Voraussetzung für die Behebung des Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG sein, wenn diese Erhebungen tatsächlich notwendig sind und wenn zu ihrer Vornahme die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint (vgl. zum Ganzen die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E 355 ff. zu § 66 AVG referierte hg. Judikatur).
Die belangte Behörde hält zur Klärung der Frage ihrer Entscheidungspflicht nach § 75 Abs. 1 FrG Ermittlungen darüber für erforderlich, ob vom unabhängigen Bundesasylsenat eine Entscheidung hinsichtlich der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat "getroffen wird oder nicht".
§ 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes lautet:
"Auf Antrag eines Fremden hat die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 bedroht ist. Dies gilt nicht, insoweit über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat die Entscheidung einer Asylbehörde vorliegt oder diese festgestellt hat, dass für den Fremden in einem Drittstaat Schutz vor Verfolgung besteht."
Schon der Wortlaut dieser Bestimmung ("vorliegt oder diese festgestellt hat") lässt keine Zweifel offen, dass die Fremdenbehörde eine Entscheidung nach § 75 FrG (nur) dann nicht zu treffen hat, wenn eine Entscheidung im Sinne des § 75 Abs. 1 letzter Satz FrG durch die Asylbehörde bereits ergangen ist. Ob die Asylbehörde eine Feststellung über die Zulässigkeit der Abschiebung (möglicherweise) in Zukunft treffen werde, ist nicht Tatbestandsvoraussetzung dieser Bestimmung.
Zu diesem Ergebnis führen auch die Erläuterungen (685 Blg. NR. 20. GP 82), nach denen der zweite Satz des § 75 Abs. 1 FrG als negative Prozessvoraussetzung der entschiedenen Sache für jene Fälle normiert ist, in denen das Bundesasylamt gemäß § 8 des Asylgesetzes 1997 bereits von Amts wegen entschieden hat, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig ist. Wird trotz Vorliegens einer diesbezüglichen Entscheidung des Bundesasylamtes ein Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat bei der Fremdenpolizeibehörde eingebracht, so ist dieser Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Eine Entscheidung des Bundesasylamtes liegt erst im Zeitpunkt ihrer Zustellung im Sinne des § 75 Abs.1 letzter Satz FrG vor, ab diesem Zeitpunkt sind Anträge, die zuvor zulässigerweise bei der Fremdenpolizeibehörde eingebracht wurden, von dieser als unzulässig zurückzuweisen.
Die Unzulässigkeit des Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß § 75 Abs. 1 FrG ist somit eine Tatbestandswirkung des Bescheides der Asylbehörde, mit dem diese über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung oder über den Schutz eines Fremden vor Verfolgung in einem Drittstaat abgesprochen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. Juni 1999, Zl. 99/18/0072).
Somit ergibt sich, dass für das Vorliegen der negativen Prozessvoraussetzung des § 75 Abs.1 letzter Satz FrG nur entscheidungsrelevant ist, ob im Entscheidungszeitpunkt der Fremdenpolizeibehörde über einen Antrag gemäß § 75 Abs.1 FrG bereits eine Entscheidung der Asylbehörde nach § 8 Asylgesetz 1997 oder nach § 4 leg. cit. getroffen wurde. Ein solcher Bescheid der Asylbehörde lag zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides unstrittig nicht vor.
Für § 75 Abs.1 letzter Satz FrG ist demnach nicht entscheidungserheblich, ob von der Asylbehörde (künftig) eine Entscheidung hinsichtlich der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat getroffen wird, weshalb diese Frage auch nicht notwendiger Ermittlungs- oder gar Verhandlungsgegenstand im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG sein kann.
Da die belangte Behörde somit die Voraussetzungen der Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde erster Instanz unrichtig beurteilte, war der angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 24. April 2001
Schlagworte
Anwendungsbereich des AVG §66 Abs4 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998210290.X00Im RIS seit
20.09.2001