E1 300.571-1/2008-7E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Ilse FAHRNER als Vorsitzende und den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau AUBERGER über die Beschwerde des K.A., geb. 00.00.1981, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.11.2005, FZ. 04 11.881-BAS, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid im angefochtenen Umfang behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und sachverhalt
1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, brachte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 09.06.2004 beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, einen Asylantrag ein.
2. Am 11.06.2004 erfolgte in der Erstaufnahmestelle West eine medizinische Untersuchung des Beschwerdeführers. Den diesbezüglichen Aufzeichnungen der untersuchenden Ärztin für Allgemeinmedizin zufolge wurden dabei beim Beschwerdeführer sichtbare Verletzungen am Körper, ein "auffälliges Verhalten" sowie das Vorliegen einer "PTSD" festgestellt (AS 23-27).
3. Am 14.06.2004 wurde der Beschwerdeführer in der Erstaufnahmestelle West niederschriftlich einvernommen und gab er dabei auf Befragung an, seine Heimat deshalb verlassen zu haben, da er Kurde sei und unterdrückt werde. Er sei auch gefoltert worden, mit Faustschlägen und Fußtritten, erinnere sich aber nicht wie oft. Zuletzt sei er zwanzig Tage zuvor gefoltert worden. Gefoltert werde er von der Gendarmerie und den Soldaten, da er Kurde sei, und zwar überall, auf der Straße, in der Stadt.
Das Einvernahmeprotokoll vom 14.06.2004 enthält eine Anmerkung des einvernehmenden Organwalters, wonach der Beschwerdeführer im Zuge der Schilderung seiner Fluchtgründe nervös wurde und sein Gesicht mit den Händen verdeckte (AS 43).
4. Am 16.06.2004 wurde dem Beschwerdeführer im Beisein eines Rechtsberaters im Rahmen einer Einvernahme in Erstaufnahmestelle West Gelegenheit geboten, zum maßgeblichen entscheidungsrelevanten Sachverhalt Stellung zu nehmen (AS 57-59). Der dazu aufgenommenen Niederschrift ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme sehr verstört wirkte und der Rechtsberater zu Protokoll gab, der Beschwerdeführer habe bei der Rechtsberatung offensichtlich psychische Probleme gehabt.
In weiterer Folge wurde das Verfahren des Beschwerdeführers zugelassen.
5. Am 25.03.2005 erfolgte an der Außenstelle Salzburg des Bundesasylamtes eine Einvernahme des Beschwerdeführers.
Dabei gab er an, im Dorf Y., welches ausschließlich von Kurden bewohnt sei und sich außerhalb der Stadt K. befinde, gelebt zu haben und als Landwirt tätig gewesen zu sein. Seine Eltern würden nach wie vor in Y. leben. Seinen Militärdienst habe er von 2001 bis 2003 abgeleistet.
Zu seinen Fluchtgründen näher befragt, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, sich nicht mehr genau daran erinnern zu können, wann er gefoltert worden sei. Geschehen sei dies, da er Kurde sei und seine Rechte verteidigen habe wollen. Ihnen sei stets verweigert worden, die Muttersprache zu sprechen und die Religion auszuüben. Soweit es ihm möglich gewesen sei, sei er politisch tätig gewesen, sie hätten sich immer verteidigen, ihre Rechte durchsetzen wollen. Mitglied einer Partei sei er nicht gewesen. Ihr Dorf sei immer wieder überfallen, ihnen alles verboten worden. Er sei ständig polizeilich beobachtet und gefoltert worden. Er sei zwar nicht inhaftiert worden, jedoch immer wieder - zusammen mit unterschiedlichen anderen Personen - von der Gendarmerie zum Wachdienst für mehrere Stunden mitgenommen und anschließend wieder freigelassen worden. Das erste Mal sei dies mit 18 oder 19 Jahren geschehen, er wisse es nicht mehr und sei es so oft geschehen, dass er sich auch nicht an Gesamtzahl der Anhaltungen erinnern könne. Im Zuge dieser Festnahmen seien sie stets bedroht, beschimpft und gedemütigt worden. Schließlich habe er diese Situation nicht mehr ausgehalten und sich zur Flucht entschlossen. Da ihre Namen bereits registriert gewesen seien, wäre es innerhalb der Türkei überall dasselbe gewesen. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, getötet zu werden.
Den Anmerkungen der einvernehmenden Referentin in der Niederschrift ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer zwar selbst angab, dass es ihm gut gehe, er jedoch einen "sehr verstörten Eindruck" gemacht habe, bei Fragen mehrmals nervös zusammengezuckt sei und er gegen Ende der Einvernahme immer "abwesender" und "tief traurig" gewirkt habe, es schwer gewesen sei, mit ihm in Kontakt zu bleiben und ein Gespräch zu führen.
6. Einem Aktenvermerk des Bundesasylamtes vom 25.04.2005 zufolge wurde im Zuge eines Beratungsgespräches mit dem Beschwerdeführer vereinbart, dass sich dieser an einen Psychotherapeuten wende und mit der Einvernahme betreffend seiner Fluchtgründe solange zugewartet werde, bis eine solche durchführbar sei, da der Beschwerdeführer offensichtlich traumatisiert sei und eine solche Einvernahme derzeit nicht zumutbar erscheine (AS 91).
7. Am 29.08.2005 erfolgte an der Außenstelle Salzburg des Bundesasylamtes eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers.
Dabei gab der Beschwerdeführer zu Beginn an, er befinde sich seit ca. einem Monat in psychotherapeutische Behandlung, welche noch andauere und erhalte er im Anschluss daran ein Gutachten, welches er dem Bundesasylamt in weiterer Folge vorlegen werde können. Er fühle sich psychisch und physisch in der Lage, der Einvernahme Folge zu leisten.
Neuerlich zu seinen Fluchtgründen befragt, brachte der Beschwerdeführer dazu unter anderem vor, in der Türkei immer beobachtet worden zu sein. Er sei, wie auch andere Personen aus seinem Dorf, welches vielleicht fünfzig Häusern umfasse, immer wieder für durchschnittlich drei bis fünf Stunden festgenommen und zum Wachzimmer gebracht worden, wo er beschimpft, mit Fußtritten, Faust- und Stockschlägen gefoltert und anschließend wieder freigelassen worden sei. An die Häufigkeit könne er sich nicht erinnern. Das Dorf sei, wie alle kurdischen Dörfer, immer kontrolliert worden, manchmal von den Soldaten, manchmal von der Gendarmerie. Auch außerhalb seines Dorfes Y. sei er angehalten worden, beispielsweise vor dem Gebäude der DEHAP in K.. An den Zeitpunkt der letzten Anhaltung könne er sich nicht erinnern, diese sei vielleicht zwei oder drei Wochen vor der Ausreise erfolgt. Er sei, ohne dass er ein Mitglied einer Partei gewesen sei, politisch tätig gewesen, zum Beispiel in das Gebäude der DEHAP, einer kurdischen Partei, gegangen, um seine Rechte verteidigen zu können und habe man dort gesprochen und diskutiert. Manchmal seien sie aus Angst davor nicht hingegangen. In einen anderen Teil der Türkei habe er sich deshalb nicht begeben, da man ja seinen Namen, seine Unterschrift gehabt habe und man ihn irgendwann gefunden hätte. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, getötet zu werden, da er Kurde sei und er ins Ausland geflüchtet sei.
Vom Bundesasylamt nach Aufenthalten außerhalb des Landkreises C. befragt gab der Beschwerdeführer an, sich zwei Tage vor seiner Ausreise aus der Türkei in Istanbul aufgehalten zu haben. Davor sei er bereits zwei, drei Jahre zuvor zwangsweise in Istanbul gewesen, da man ihn gezwungen habe, seinen Wehrdienst abzuleisten. Ansonsten habe er keine längere Zeit außerhalb seines Landkreises C. verbracht.
Zu seinen Familienangehörigen in der Türkei gab der Beschwerdeführer an, dass seine Eltern, Onkeln und ein älterer Bruder in Y. leben, er seine Eltern ab und zu anrufe, dies jedoch seit längerem nicht getan habe und daher derzeit nicht wisse, wie es ihnen gehe.
8. Einem Aktenvermerk des Bundesasylamtes vom 29.08.2005 zufolge habe der Beschwerdeführer bei der an diesem Tag durchgeführten Einvernahme zu seinen Fluchtgründen gelassen gewirkt sowie ruhig und ohne äußeren Auffälligkeiten seine Fluchtgründe ausgeführt.
9. Am 20.10.2005 langte beim Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, eine mit 09.08.2005 datierte "Psychotherapeutische Stellungnahme" ein (AS 113).
10. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.11.2005, FZ. 04 11.881-BAS, wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 idgF abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Republik Türkei gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht zulässig sei und dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung gem § 8 Absatz 3 iVm § 15 Absatz 2 AsylG bis zum 21.11.2006 erteilt.
Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die Erstbehörde aus, dass sich die Einvernahme aufgrund einer offensichtlichen, auch für den Laien erkennbaren, psychischen Störung des Beschwerdeführers äußerst schwierig und aufwendig gestaltet habe. Aus seinem Vorbringen sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit von den türkischen Behörden immer wieder stundenweise angehalten worden sei und es dabei angeblich zu Misshandlungen gekommen sei. Da der Beschwerdeführer weder ein Mitglied einer Partei gewesen sei noch sich in einer anderen Form politisch intensiver engagiert gehabt habe, zudem keine Aktionen gegen das türkische Regime gesetzt habe und sich auch keine Straftat zu Schulden kommen habe lassen, sei davon auszugehen, dass die türkischen Behörden kein besonderes Interesse an der Person des Beschwerdeführers gehabt hätten. In Anbetracht der Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach die Vorgehensweise der türkischen Behörden die gesamte Bevölkerung seines Heimatdorfes und der umliegenden Ortschaften getroffen habe, stehe für das Bundesasylamt fest, dass es sich um allgemeine Benachteiligungen handle, die sich nicht speziell gegen den Beschwerdeführer gerichtet hätten. Nach sorgfältiger Abwägung aller vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhalte sei das Bundesasylamt zur Überzeugung gelangt, dass das Vorbringen hinsichtlich des Fluchtgrundes keine Relevanz in Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention aufweise.
Unter Spruchpunkt I folgerte das Bundesasylamt, dass, soweit der Beschwerdeführer geltend gemacht habe, Angehöriger einer Minderheit zu sein, eine solche Zugehörigkeit allein sowie deren schlechte allgemeine Situation nicht geeignet sei, eine Asylgewährung zu rechtfertigen. Das Asylgesetz verlange vielmehr die begründete Furcht vor einer konkret gegen den Asylwerber selbst gerichteten Verfolgungshandlung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen. Allgemeine Benachteiligungen würden sich nicht speziell gegen die Person des Beschwerdeführers richten und könnten daher nicht zur Gewährung von Asyl führen.
Spruchpunkt II begründete die Erstbehörde damit, dass der Beschwerdeführer an einer psychischen Störung, die insbesondere bei dem Gedanken an eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ausgelöst werde. Der Beschwerdeführer befinde sich derzeit in einer psychologischen Behandlung und gelte es abzuwarten, bis sich der Zustand des Beschwerdeführers bessere und stabilisiere, ehe über eine Rückkehr des Beschwerdeführers abgesprochen werde.
11. Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheid wurde innerhalb offener Frist Berufung [nunmehr: Beschwerde] erhoben, die Spruchpunkte II und III blieben unbekämpft und erwuchsen somit in Rechtskraft.
12. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E1 zugeteilt.
II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:
1. Am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.
Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.
Im vorliegenden Fall war das AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 (im Folgenden: "AsylG-Novelle 2003"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung anzuwenden. Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichthof waren die einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005") anzuwenden.
2. Gemäß § 28 AsylG 1997 haben die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm stellt eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung einer Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, dar.
Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002). Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten der Asylgerichtshof das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062).
3. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof, es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen), so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.
Gemäß Absatz 3 dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:
"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."
In Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.
4. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:
Das Bundesasylamt traf Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, wonach dessen Identität feststehe, er seinen Herkunftsstaat verlassen habe und illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei, er in seiner Heimat keinerlei Probleme aufgrund seiner Religionszugehörigkeit gehabt habe, sich aus seinem Vorbringen keine Anhaltspunkte für den Ausschluss von Asylgewährung ergeben hätten sowie Feststellungen zum Herkunftsstaat.
Hingegen unterließ es die Erstbehörde völlig, Feststellungen dahingehend zu treffen, ob sie das Vorbringen Beschwerdeführers als gegeben annimmt, somit für wahr erachtet oder nicht, sodass nicht ersichtlich ist, welcher festgestellte Sachverhalt den Ausführungen des Bundesasylamtes zu Grunde gelegt wurden, was jedoch erforderlich gewesen wäre. Die Erstbehörde hat sich somit mit dem Vorbringen des Antragstellers nicht im gehörigen Maße auseinandergesetzt und dabei zudem außer Acht gelassen, dass auch Benachteiligungen und Diskriminierungen, wenn sie eine gewisse Intensität erreichen und damit ein Entzug der Lebensgrundlage einhergeht, zur Asylgewährung führen können (vgl. insbesondere die Erkenntnis vom 22. Mai 1996, Zl 95/01/0305, VwGH 24. 11. 1999, 98/01/0652; vgl auch VwGH 24. 3. 1999, 98/01/0380). Dass die Übergriffe und Diskriminierungen nicht asylrelevant seien, kann in dieser allgemeinen Form ohne konkrete und aktuelle Länderfeststellung, welche diese Ausführung bestätigt, sowie ohne nähere Befragung des Beschwerdeführers zur Intensität dieser Übergriffe nicht als erwiesen angenommen werden.
Auch die Ausführungen in der, im erstinstanzlichen Akt befindlichen, psychotherapeutischen Stellungnahme vom 09.08.2005 bleiben von der Erstbehörde gänzlich unberücksichtigt. Dieser Stellungnahme ist unter anderem zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer von "Gefühlen und Bildern überflutet" werde und er das, was geschehen sei, erlebe, jedoch "das, was ihn überflutet, nicht in Worten fassen und damit schwer die eigene Not verständlich machen" könne. Die den Beschwerdeführer untersuchende Psychotherapeutin gelangte zu dem Ergebnis, dass dieser "an schweren Symptomen einer komplexen PTBS (schwere depressive Stim-mungslage, Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht, Panik, traumat. Stressphysiologie, dissoz. Amnesie, Flashbacks....), die als Folge von Folter, Untersuchungshaft und Flucht zu verstehen sind" [Hervorhebung nicht im Original], leide. Auf deren vollständigen Inhalt und genauen Wortlaut der zitierten Stellungnahme wird an dieser Stelle ausdrücklich verwiesen (AS 113).
Die Erstbehörde wird somit konkrete Feststellungen zum Gesundheitszustand (eventuell unter Beiziehung eines in diesem Fachbereich versierten Psychiaters) zu treffen haben. Überdies ist zu klären, inwieweit die psychische Befindlichkeit des Beschwerdeführers mit seinen Fluchtgründen im Zusammenhang steht. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass bei tatsächlichem Vorliegen einer Traumatisierung oder einer anderweitigen psychischen Erkrankung von einer pauschalen Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht gesprochen werden könnte. Gegebenenfalls wird die Erstbehörde im fortgesetzten Verfahren auch die Bestellung eines Sachwalters in Erwägung zu ziehen haben.
In Ermangelung der entsprechenden konkreten Feststellungen sowie des mangelhaften Ermittlungsverfahrens, erweist sich jedenfalls die Abweisung des Asylantrages als nicht gerechtfertigt.
5. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit aktuellen und auf objektiv nachvollziehbaren Quellen beruhenden Länderfeststellungen verlangt (vgl. VwGH 26.11.2003, Zl. 2003/20/0389).
Wie oben dargestellt, kann es nicht Sache der Beschwerdeinstanz sein, die im gegenständlichen Fall dazu erforderlichen - jedoch im erstinstanzlichen Verfahren wesentlich mangelhaft gebliebenen - Ermittlungen nachzuholen, um dadurch erst zu den erforderlichen Entscheidungsgrundlagen zu gelangen und würde es darüber hinaus, sofern der Asylgerichtshof diese Vorgangsweise wählen würde, (mindestens) einer mündlichen Verhandlung nur zur Erörterung der Ermittlungsergebnisse bedürfen.
Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Asylgerichtshof gem. § 66 Abs. 2 und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben. Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Beschwerdeführers gegen eine Kassation des erstinstanzlichen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
6. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern haben.