B16 312.021-1/2008/3E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Nowak als Vorsitzenden und den Richter Mag. Perl als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin VB Widhalm über die Beschwerde des M.I., geb. 00.00.1951, StA. Kroatien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.03.2007, FZ. 04 11.443-BAW, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Absatz 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
I.
1. VERFAHRENSGANG:
1.1 Der Beschwerdeführer, ein kroatischer Staatsangehöriger, brachte am 02.06.2004 bei der Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, einen Asylantrag ein. Im Wesentlichen führte er bei der niederschriftlichen Einvernahme aus, dass er 1977 nach Frankreich geflohen sei und ihm dort Asyl zuerkannt worden sei. Als Fluchtgrund aus Kroatien gab er an, mit der Tagespolitik in Kroatien nicht einverstanden zu sein.
1.2 Am 09.06.2004 wurde der Beschwerdeführer von der Erstbehörde, Außenstelle Traiskirchen, einvernommen. Hierüber wurde eine Niederschrift aufgenommen, auf welche verwiesen wird. Im Wesentlichen brachte er vor, dass er im Jahr 1993 von Frankreich nach Österreich gegangen sei, da seine Brüder in Wien leben würde. Seine Ehefrau lebe in Frankreich und sei dort ebenfalls anerkannter Flüchtling.
1.3 Am 07.07.2004 langte bei der Erstbehörde ein Schreiben der Botschaft der Französischen Republik ein, aus welchem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer den Flüchtlingsstatus in Frankreich genießt.
1.4 Am 14.03.2007 wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal vom Bundesasylamt, Außenstelle Wien, einvernommen. Hierüber wurde eine Niederschrift aufgenommen, auf welche verwiesen wird. Im Wesentlichen brachte er vor, noch immer Asyl in Frankreich zu haben und geglaubt zu haben, dass das Asyl auch in Österreich gelte. Nach Kroatien könne er aus Sicherheitsgründen nicht zurück.
1.5 Mit Bescheid vom 19.03.2007, Zahl 04 11.443-BAW, wies die Erstbehörde im Spruchteil I den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab, im Spruchteil II erklärte sie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Kroatien gemäß § 8 Absatz 1 Asylgesetz für zulässig. Im Spruchteil III wies die Erstbehörde den Beschwerdeführer gemäß § 8 Absatz 2 Asylgesetz aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Kroatien aus.
Beweiswürdigend führte die Erstbehörde aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers lapidar, vage, völlig substanzlos und inhaltsleer sei. Der Beschwerdeführer hätte ausreichend Zeit gehabt, einen Asylantrag im Bundesgebiet einzubringen und sei die Missbräuchlichkeit des Asylantrages deutlich erkennbar.
1.6 Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Im Wesentlichen brachte er vor, dass seine Sicherheit und Freiheit als erklärter Gegner des kommunistischen Systems in Kroatien gefährdet sei.
1.7 Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung B16 zugeteilt.
2. SACHVERHALT:
Die Erhebungen des Bundesasylamtes reichen nicht hin, um gegenständlichen Sachverhalt einer umfangreichen Beurteilung zu unterziehen. Der Beschwerdeführer hat in Frankreich Asylstatus erhalten. Mit den in Frankreich vorgebrachten Asylgründen hat sich die Erstbehörde nicht auseinander gesetzt.
Im Hinblick auf die Identität des Berufungswerbers wird den Ausführungen des Bundesasylamts gefolgt und diese zum Inhalt dieses Bescheides erhoben.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.
Gemäß § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof - soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr.10, nichts anderes ergibt - die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, das an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBI. I Nr. 101/2003 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Anträge die danach gestellt wurden nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes idF. BGBI. I Nr. 101/2003.
Alle übrigen Verfahren werden nach den Bestimmungen des Asylgesetz 2005 (BGBl. 100/2005) geführt.
2. Gemäß § 66 Absatz 2 AVG kann der Asylgerichtshof den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Absatz 3 AVG kann der Asylgerichtshof jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Nach Ausführungen zur Frage der Anwendbarkeit des § 66 Absatz 2 AVG außerhalb des abgekürzten Berufungsverfahrens mit dem Ergebnis, dass von einer generellen Unzulässigkeit der Anwendung des § 66 Absatz 2 AVG nicht auszugehen sei, führt der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315, aus, wie folgt:
"In diese Richtung gehen auch die Gesetzesmaterialen zu § 38 Asylgesetz (RV 686 BlgNR 20. GP 30), weil diese ausdrücklich die Geltung des AVG für das Verfahren vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat betonen und daran anschließend hervorheben, dass die Möglichkeit der ¿Zurückverweisung' durch § 32 Asylgesetz ¿erweitert' worden sei, was in Bezug auf Berufungsverfahren vor der belangten Behörde, in denen § 32 Asylgesetz nicht anzuwenden ist, eine positive Anknüpfung an die in § 66 Absatz 2 AVG vorgesehene Zurückverweisungsmöglichkeit bedeutet.
Der Verwaltungsgerichthof hat im Erkenntnis vom 27. April 1989, Zl. 86/09/0012, Slg. Nr. 12.917/A, aus einer in den Verwaltungsvorschriften angeordneten zwingenden und ohne Ausnahme bestehenden Verpflichtung zur Durchführung einer Berufungsverhandlung trotz Fehlens einer ausdrücklichen Ausnahme hinsichtlich der Geltung des § 66 Absatz 2 AVG die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung in einem solchen Berufungsverfahren gefolgert. Das steht aber zu der hier - für das Verfahren vor der belangten Behörde - zu Grunde gelegten gegenteiligen Auffassung schon deshalb nicht im Widerspruch, weil eine derartige uneingeschränkte Verhandlungspflicht für den Unabhängigen Bundesasylsenat nicht besteht. (
Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084)."
Nach grundsätzlicher Bejahung der Frage der Anwendbarkeit des § 66 Absatz 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessensübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG Folgendes aus:
"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht..."
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt: "In der Abstandnahme von der durch § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, ¿wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist', kann im vorliegenden Fall keine Ermessensfehler gelegen sein. Es trifft zwar zu, dass durch die mit der Kassation verbundene Eröffnung eines zweiten Instanzenzuges das Verfahren insgesamt verlängert werden kann. Dieser von Rohrböck (Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl [1999] 492) offenbar verkannten Überlegung wurde in dem Vorerkenntnis vom 23. Juli 1998 bei der Deutung der Vorschriften über das abgekürzte Berufungsverfahren nach § 32 AsylG erhebliche Bedeutung beigemessen (Wiederin, ZUV 2000/1,20f). Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Auslegung von Sondervorschriften über ein abgekürztes, der besonders raschen Verfahrensbeendigung dienendes Berufungsverfahren, sondern um die Interpretation des § 66 AVG außerhalb eines solchen Verfahrens.
Diesbezüglich ist zunächst auf die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 381f zu § 66 AVG, wiedergegebene Rechtsprechung zu verweisen, wonach es gemäß § 66 Abs. 3 AVG nicht auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die konkrete Amtshandlung ankommt. Unter diesem Gesichtspunkt wurde eine rechtswidrige Ausübung des Ermessens durch eine auf § 66 Abs. 2 AVG gestützte Entscheidung schon dann nicht angenommen, wenn die beteiligten Behörden ihren Sitz am selben Ort hatten (Erkenntnis vom 29. Jänner 1987, Zl. 86/08/0243).
Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist anzumerken, dass sich die Erstbehörde sehr umfassend und ausführlich sowohl mit der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers als auch mit der Situation in Kroatien auseinandergesetzt hat. Der gegenständliche erstinstanzliche Bescheid geht jedoch in keinster Weise auf den Asylstatus des Beschwerdeführers in Frankreich ein. Mit dem -unbestrittenen- Asylstatus (Flüchtlingsstatus) des Beschwerdeführers hat die Erstbehörde ein wesentliches und entscheidungsrelevantes Element unberücksichtigt gelassen. Die Auseinandersetzung mit dem Vorbringen, aus welchen Gründen dem Beschwerdeführer von einem anderen EU-Staat Asyl gewährt wurde, scheint unumgänglich, um gegenständliches Verfahren beurteilen zu können.
Der Gerichtshof geht überdies davon aus, dass diesbezügliche Ermittlungen durch die Erstbehörde auch rascher und kostengünstiger vorgenommen werden, als durch den Gerichtshof selbst.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.