S2 402.243-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde von M.A., angebl. 00.00.1992 geb., StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.10.2008, GZ 08 05.025-EAST Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 09.06.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.
1.2. Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 13.05.2008 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden war (AS 7).
1.3. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.06.2008 gab der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Dolmetschers der Sprache Farsi im Wesentlichen an, er habe vor etwa zwei Monaten sein Heimatdorf H. nach Pakistan verlassen, sei von dort über den Iran in die Türkei weitergereist und von dort mittels LKW und zu Fuß bis nach Österreich gelangt (AS 13). Über Vorhalt des EURODAC-Treffers für Griechenland gab er an, er sei 6 Tage in einem Lager in Griechenland gewesen und habe dann einen Landesverweis bekommen, er habe Angst, nach Griechenland abgeschoben zu werden.
1.4. Am 09.06.2008 und 12.06.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, EAST Ost, im Beisein eines Rechtsberaters als gesetzlicher Vertreter, sowie eines Dolmetschers niederschriftlich einvernommen und gab dabei ua an, er sei am 00.00.1992 geboren, er wisse sein Alter von seinen Eltern. Dem Beschwerdeführer wurde - da der Beschwerdeführer der Einvernahmeleiterin volljährig erschien - eine ärztliche Altersfeststellung angekündigt (AS 21ff).
1.5. Am 12.06.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass seit 12.06.2008 Konsultationen mit Griechenland geführt würden und aus diesem Grund beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (AS 41).
1.6. Das Bundesasylamt richtete am 13.06.2008 ein auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO gestütztes dringliches Aufnahmeersuchen an Griechenland (AS 1ff des "Dublin-Aktes").
1.7. Aufgrund der Zweifel des Bundesasylamtes an der behaupteten Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde dieser zu einer ärztlichen Altersfeststellung geladen. Am 03.07.2008 wurde er von Dr. K. untersucht. In dem als Sachverständigengutachten titulierten Befund werden Größe, Gewicht, Geschlecht, Hautfarbe, Kopfumfang, Anzahl der Zähne, Art der Behaarung, Farbe der Nägel, Größe und Volumen der Nieren sowie Volumen der Schilddrüse wiedergegeben. Ohne nähere fallbezogene Begründung folgt eine Zusammenfassung, wonach "aufgrund der äußeren Inspektion, des äußeren Eindrucks sowie der sonographischen Messgrößen von Nieren und Schilddrüse das Alter des Herrn M.A. auf 20 bis 22 Jahre eingeschätzt" werde (AS 79f). Diesem Gutachten trat der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers ausdrücklich und mit ausführlicher Begründung entgegen (Schreiben vom 12.07.2008, AS 111ff).
1.8. Am 28.07.2008 stellte die Erstbehörde beim Beschwerdeführer einen "afghanischen Personalausweis " sicher (AS 109), wobei eine Dokumentenprüfung des Bezirkspolizeikommandos Baden vom selben Tag "keine Hinweise auf das Vorliegen einer Verfälschung" ergab (AS 105). Eine Übersetzung dieses Dokumentes (insbesondere im Hinblick auf das dort allenfalls angeführte Geburtsdatum) bzw. eine Übersetzung des auf AS 131/133 einliegenden Schriftstückes (unbekannter Herkunft) ist dem Akt nicht zu entnehmen.
1.9. Das Aufnahmeersuchen Österreichs blieb indes - jedenfalls bis 17.07.2008 - von Griechenland unbeantwortet, woraufhin Österreich den griechischen Behörden mit einem weiterem Schreiben des Bundesasylamtes vom 27.07.2008 mitteilte, dass aufgrund der unterbliebenen Antwort betreffend den Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO die Aufnahmeverpflichtung bei Griechenland liege (AS 29 des "Dublin-Aktes").
1.10. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30.09.2008 zur Wahrung des Parteiengehörs, im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetscher für die Sprache Dari, wurde dem Beschwerdeführer ua das Gutachten Dr. K. zur Altersfeststellung vorgehalten, woraufhin der Beschwerdeführer erwiderte, zum Beweis seines Alters seinen Personalausweis vorgelegt zu haben. Ohne auch nur ansatzweise auf dieses - von der Polizei hinsichtlich der Echtheit für unbedenklich eingestufte - Dokument einzugehen, wurde dem Beschwerdeführer erklärt, dass er nunmehr "als volljährig geführt" und "nicht mehr gesetzlich vertreten" werde. Zu Griechenland gab der Beschwerdeführer an, von griechischen Soldaten inhaftiert und misshandelt worden zu sein, es sei sogar versucht worden, ihn zu vergewaltigen (AS 137f). Es wurden Artikel von UNHCR, Pro Asyl und vom VG Gießen vorgelegt, in denen Mängel beim Flüchtlingsschutz in Griechenland dargestellt sind (AS 145ff).
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Griechenland gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zur Prüfung dieses Antrages zuständig sei, sowie II. der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei. (AS 177ff)
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende fristgerechte Beschwerde, in der beantragt wird, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Unter anderem wird geltend gemacht, dass das Gutachten von Dr. K. - mit näheren Ausführungen - nicht den Kriterien eines Sachverständigengutachtens entspräche und der Beschwerdeführer zudem eine "Geburtsurkunde und ein Zeugnis" vorgelegt habe, aus welchen sich seine Minderjährigkeit ergebe (AS 261 oben).
4. Am 30.10.2008 wurde die gegenständliche Beschwerde dem Asylgerichtshof vorgelegt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt.
2. Rechtlich ergibt sich folgendes:
2.1. Mit 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.
Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag im Juni 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG idF BGBI. I Nr. 100/2005 zur Anwendung gelangt.
2.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.
Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.
Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Dublin II-VO lauten:
"Artikel 6
Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt.
Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig.
(...)
Artikel 10
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Asylbewerber - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich zum Zeitpunkt der Antragstellung zuvor während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.
Hat der Asylbewerber sich für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo dies zuletzt der Fall war, für die Prüfung des Asylantrags zuständig."
Art. 18 Dublin II-VO lautet:
"(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde.
......
(6) Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Art 17 Abs. 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedsaat alle Anstrengungen, um sich an die vorgegebene Frist zu halten. [...] in jedem Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. [...]
(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen."
Im Beschwerdefall ist entscheidungsrelevant, ob der Beschwerdeführer - wie durchgehend behauptet - minderjährig ist, da diesfalls gemäß Art. 6 der Dublin II-VO die Zuständigkeit Österreichs gegeben wäre. Da die Erstbehörde Zweifel an der vom Beschwerdeführer behaupteten Minderjährigkeit hatte, beauftragte sie Dr. K. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des Alters des Beschwerdeführers. Dieses Gutachten ist - wie der Asylgerichtshof bereits in gleichgelagerten Fällen ausgesprochen hat (z.B. AsylGH vom 24.07.2008, S12 400.630-1/2008/2E, ua) - ausgesprochen kursorisch gehalten, Angaben über die Gewichtung der verschiedenen Methoden untereinander fehlen ebenso wie fallbezogene Wertungen. Vor diesem Hintergrund erscheint es - worauf auch die Beschwerde zutreffend hinweist - nicht möglich, schlüssig nachzuvollziehen, wie der Gutachter zu der von ihm vorgenommenen Altersbestimmung gelangen konnte. Unter diesen Prämissen kann aber der Kritik in der Beschwerde hinsichtlich vermeintlicher Unschlüssigkeit des Gutachtens und Ungeeignetheit der Untersuchungsergebnisse auf Basis der Aktenlage nicht hinreichend begegnet werden. Die Behörde hat gerade in einem wissenschaftlich notorischerweise sensiblen Bereich wie jenem der "Altersfeststellung" die Aufgabe, auf die Schlüssigkeit des diesbezüglichen Gutachtens zu dringen und darauf Bedacht zu nehmen, dass die angewandten Methoden anerkannt sind. Dazu kommt, dass auch keine Abwägung sonstiger Umstände, die den Befund der Volljährigkeit decken könnten, ersichtlich ist, insbesondere lässt die angefochtene Entscheidung jegliche beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumenten vermissen, die möglicherweise seine Altersangaben untermauern könnten.
2.3. Gemäß § 41 Abs. 3 erster Satz AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist gemäß § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Da die Erstbehörde - wie oben dargelegt - die entscheidungsrelevante Frage der Volljährigkeit des Beschwerdeführers zur Beurteilung der Unzuständigkeit Österreichs nicht hinreichend geklärt hat, erweist sich der vorliegende Sachverhalt als so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Klärung dieser Frage hat in einem mängelfreien Verfahren durch Einholung eines schlüssigen Gutachtens samt Parteiengehörsgewährung, Prüfung der vorgelegten Dokumente sowie allenfalls ergänzende Befragung des Beschwerdeführers zu erfolgen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
2.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.