TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/03 E7 218380-3/2008

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Veröffentlicht am 03.11.2008
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Spruch

E7 218380-3/2008-5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde des T.S., geb. 00.00.1972, StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.08.2008, FZ. 08 04.106 EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde von T.S. vom 18.09.2008 wird gemäß § 41 Abs 3 AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Weiteren auch: BF) stellte erstmals am 08.06.1998 einen Asylantrag und begründete diesen damit, dass sein Onkel in der Kurdenzone in D., Irak, gewohnt und Mitglied der "Aschurischen Demokratischen Partei" gewesen sei. Bei einem Besuch des Beschwerdeführers bei seinem Onkel sei er bei der innerstaatlichen Grenzüberschreitung von irakischen Beamten kontrolliert worden und hätten diese bei ihm Bilder der aschurischen Flagge sowie Briefe, aus denen Aktivitäten der Partei zu entnehmen gewesen seien, gefunden. Der Beschwerdeführer sei deshalb verhaftet und erst nach der Bezahlung von "Schmiergeld" wieder entlassen worden. Zudem sei ihm aufgetragen worden, sich nicht mehr in die autonome Kurdenzone zu begeben und hätte man ihn nach seiner Entlassung alle fünf bis zehn Tage im Sicherheitsbüro befragt, ob er nicht doch einer Partei angehören würde. Nachdem der Beschwerdeführer diese Frage jedes Mal verneinte, sei er jedoch wieder freigelassen worden. Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.07.1998, Zl. 98 03.836 BAL, gemäß § 7 abgewiesen und gleichzeitig gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak festgestellt. Da gegen diesen am 04.08.1998 persönlich zugestellten Asylantrag keine Berufung erhoben wurde, erwuchs der Bescheid des Bundesasylamtes mit 19.08.1998 in Rechtskraft.

 

2. Am 15.06.2000 brachte der Beschwerdeführer erneut einen Asylantrag ein, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.08.2000, Zl. 00 07.241 BAI, gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, zumal der Beschwerdeführer keinen maßgeblich geänderten Sachverhalt vorbrachte. Die dagegen erhobene Berufung vom 16.08.2000 wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 22.09.2000, Zl. 218.280/0-VII/20/00, gemäß § 44 Abs 5 AsylG iVm § 68 AVG abgewiesen und erwuchs mit 22.09.2000 in Rechtskraft.

 

3. Am 17.11.2000 stellte der Beschwerdeführer bereits seinen dritten Asylantrag und wurde auch dieser Antrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.11.2000, Zl. 00 16.221 BAI, erneut wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer gab dazu am 27.11.2000 vor dem Bundesasylamt einen Rechtsmittelverzicht ab und erhob gegen diese Entscheidung keine Berufung, weshalb der Bescheid mit 27.11.2000 in Rechtskraft erwuchs.

 

4. Am 19.01.2001 stellte der Beschwerdeführer seinen vierten Asylantrag, wobei dieser wiederum mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.01.2001 BAI, Zl. 01 01.080-BAI, gemäß § 44 Abs 5 AsylG iVm § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Da der Beschwerdeführer an der angegebenen Zustelladresse nicht aufhältig war und eine neuerliche Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden konnte, wurde der Bescheid am 30.01.2001 gemäß § 8 Abs 2 iVm § 23 ZustellG ohne vorherigen Zustellversuch bei der Behörde hinterlegt. Gegen diesen am 14.02.2001 ordnungsgemäß zugestellten Bescheid wurde keine Berufung eingebracht und erwuchs dieser mit 01.03.2001 in Rechtskraft.

 

5. Am 17.09.2001 brachte der Beschwerdeführer seinen nunmehr fünften Asylantrag ein und wurde dieser mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.02.2002, Zl. 01 21.711 BAI, erneut wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückgewiesen. Gegen diesen am 22.02.2002 persönlich zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 09.03.2002 fristgerecht Berufung erhoben. Mit Aktenvermerk vom 15.05.2002 wurde das Verfahren vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat gemäß § 30 AsylG eingestellt, da eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wegen Abwesenheit des Asylwerbers nicht möglich war. Am 13.03.2003 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens und wurde daraufhin für 30.11.2004 eine mündliche Berufungsverhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat anberaumt. Der Beschwerdeführer ist dieser mündlichen Berufungsverhandlung jedoch unentschuldigt ferngeblieben, weshalb mit Aktenvermerk vom 30.11.2004 erneut eine Einstellung des Verfahrens vor der Berufungsbehörde erfolgte, zumal eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts wegen Abwesenheit des Beschwerdeführers nicht möglich war. Am 09.03.2005 stellte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers einen Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und wurde diese vom Unabhängigen Bundesasylsenat für den 17.10.2006 angesetzt. Nach Durchführung dieser Verhandlung wurde die Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.02.2002, Zl. 01 21.711 BAI, mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenate vom 02.03.2007, Zl. 218.380/2/29E-VII720/02, gemäß § 68 Abs 1 AVG abgewiesen und erwuchs der Bescheid mit 02.03.2007 in Rechtskraft. Begründend wurde ausgeführt, dass die im Berufungsverfahren vom Beschwerdeführer erstmals vorgebrachte Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur christlichen Religionsgemeinschaft eine unzulässige Neuerung im Berufungsverfahren darstelle und daher nicht zu berücksichtigen sei.

 

6. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes vom 24.11.2005 wegen dem teils versuchten, teils vollendeten Verbrechen nach §§ 28 Abs 2, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG und 15 StGB, dem Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG sowie dem Vergehen nach § 27 Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von vier Jahren verurteilt. Die Festnahme des Beschwerdeführers erfolgte am 18.04.2005 und wurde dieser am 18.04.2008 unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen.

 

7. Am 08.05.2008 stellte der Beschwerdeführer im Zuge einer Festnahme durch Organe der Bundespolizeidirektion St. Pölten einen (weiteren) Antrag auf internationalen Schutz (AS 25) und brachte dabei vor, sein Heimatland zwar wegen Problemen mit der Regierung, die er aufgrund des Besitzes von Fotos und Briefen aus dem Nordirak gehabt habe, verlassen zu haben, mittlerweile befürchte er aber, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur christlichen Religionsgemeinschaft bei einer Rückkehr in den Irak getötet zu werden (AS 47).

 

8. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 27.05.2008 (AS 61 ff) und am 29.05.2008 (AS 95 ff) vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte er im Wesentlichen vor, ursprünglich vor dem Regime Saddam Husseins geflüchtet zu sein, mittlerweile jedoch aufgrund von neu hervorgetretenen Fluchtgründen nicht mehr in seine Heimat zurückkehren zu können. Der Beschwerdeführer führte erneut die im Irak vorherrschende Verfolgung von Christen an und verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass seine Familie im Irak Drohbriefe erhalten habe und ihr Haus in M.,

S. zerbombt worden sei. Dazu käme die Dolmetschertätigkeit von zwei Schwestern des Beschwerdeführers für die sog. "Coalition Provisional Authority (CPA) North" im Nordirak in 2003 und 2004, die eine weitere Verfolgungsgefahr begründe. Von der allgemeinen Verfolgung der Christen und den Terroranschlägen im Irak sei er durch Berichterstattungen im Fernsehen zwar schon im Jahre 2006 informiert gewesen, dass das Haus seiner Familie in M., S. zerstört worden sei, habe er jedoch erst am Tag seiner Entlassung aus der Haft am 18.04.2008 erfahren (AS 65).

 

9. Am 18.07.2008 langte bei der belangten Behörde eine schriftliche Stellungnahme des BF (AS 129 ff) ein, in der erneut auf die schwierige Situation von Christen und auf die allgemein schlechte Sicherheitslage im Irak verwiesen wurde, wobei zum Nachweis dafür ein Bericht des UNHCR vom 26.09.2007 und ein Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 25.06.2007 vorgelegt wurden. Der Beschwerdeführer brachte zudem vor, dass es angesichts der brisanten dramatischen und aktuellen Entwicklungen verfehlt wäre, im gegenständlichen Fall von einer res iudicata auszugehen, wobei er auch als Nachweis für die Tätigkeit seiner Schwestern als Dolmetscherinnen mehrere Bestätigungsschreiben der "Coalition Provisional Authority (CPA) North" u.ä. (AS145 ff) vorlegte. Diesbezüglich führte er auch aus, dass seine Familie im Irak in Folge dieser Tätigkeit mehrmals bedroht worden und daher momentan bei seinem Onkel aufhältig sei.

 

10. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.08.2008, Zahl: 08 04.106-EAST Ost, wies das Bundesasylamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz in Spruchteil I gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück; in Spruchteil II wurde der BF gem. § 10 Abs 1 AsylG 2005 aus dem österreichischem Bundesgebiet in den Irak ausgewiesen. Das Bundesasylamt begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der BF keinen neuen Sachverhalt glaubwürdig dargelegt habe, da seinem neuerlichen Vorbringen kein glaubhafter Kern zugebilligt werden könne und dieses lediglich eine unglaubwürdige Erweiterung seines Vorbringens im ersten rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren darstellen würde. Darüber hinaus wird auf den Berufungsbescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 02.03.2007, Zl. 218.380/2/29E-VII/20/02, verwiesen, worin ausgeführt wird, dass es sich dabei (der Beschwerdeführer brachte in diesem Verfahren erstmals im Berufungsverfahren eine Verfolgung aufgrund seiner christlichen Religionszugehörigkeit vor) um eine unzulässige Neuerung handeln würde und daher grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sei (AS 233).

 

11. Gegen den am 08.09.2008 dem Beschwerdeführer persönlich zugestellten Bescheid (AS 269) wurde mit Schriftsatz vom 18.09.2008 fristgerecht Beschwerde erhoben (AS 285 ff). Darin werden erneut die Gründe angeführt, weshalb der Beschwerdeführer nicht mehr in seine Heimat zurückkehren könne, und darauf hingewiesen, dass es sich dabei um bisher noch nicht berücksichtigte Neuerungen handle (AS 287).

 

12. Im gg. Verfahren wurde der zuständigen Richter des Asylgerichtshofs am 07.10.2008 vom Einlangen der Beschwerdevorlage in Kenntnis gesetzt. Mit Beschluß vom 13.10.2008 wurde der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Zur anzuwendenden Rechtslage:

 

1.1. Gemäß dem Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, wurde der Asylgerichtshof - bei gleichzeitigem Außerkrafttreten des Bundesgesetzes über den unabhängigen Bundesasylsenat - eingerichtet und treten die dort getroffenen Änderungen des Asylgesetzes mit 01.07.2008 in Kraft; folglich ist das AsylG 2005 ab diesem Zeitpunkt in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 anzuwenden.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt."

 

Gemäß § 61 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 idgF entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 Z. 1 lit. c AsylG 2005 idgF entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide wegen entschiedener Sache gem. § 68 Abs 1 AVG sowie gem. § 61 Abs. 3 Z 2 die mit dieser Entscheidung verbundene Ausweisung.

 

1.2. Gemäß § 73 Absatz 1 Asylgesetz 2005 trat dieses mit 01.01.2006 in Kraft, weshalb auf den vorliegenden, nach diesem Datum gestellten Antrag auf internationalen Schutz die Bestimmungen des AsylG 2005 anzuwenden sind.

 

Gemäß § 75 Absatz 4 Asylgesetz 2005 begründen ab- oder zurückweisende Bescheide auf Grund des Asylgesetzes 1997 in derselben Sache in Verfahren nach diesem Bundesgesetz den

 

Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache (§ 68 AVG).

 

1.3. Gemäß § 41 Abs 3 AsylG ist in einem Verfahren über eine Berufung gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Berufung gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Berufung gegen die (zurückweisende) Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

1.4. Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Entschiedene Sache liegt immer dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben. Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z.B. VwGH 27.09.2000, 98/12/0057). Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den eine positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 22.12.2005, 2005/20/0556; 26.07.2005, 2005/20/0343, mwN).

 

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235; 15.10.1999, 96/21/0097). Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235). Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 09.09.1999, 97/21/0913). Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages wegen geänderten Sachverhaltes darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind. In der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid können derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (VwGH 04.04.2001, 98/09/0041). Dies bezieht sich auf Sachverhaltsänderungen, welche in der Sphäre des Antragstellers gelegen sind. Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

 

"Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften

 

Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (vgl. VwGH 30.5.1995, 93/08/0207).

 

2. Rechtliche Beurteilung:

 

2.1. Der Beschwerdeführer führte im Rahmen seines fünften Asylantrages erstmals in der Berufungsverhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat (Zl. 218.380/2/29E-VII/20/02) am 17.10.2006 aus, als Christ im Irak verfolgt zu werden, was damals zutreffender Weise als unzulässige Neuerung unbeachtet blieb, zumal dies bereits vor dem Bundesasylamt vorzubringen gewesen wäre um Berücksichtigung zu finden.

 

Im gegenständlichen Fall führte der Beschwerdeführer im Zuge seiner sechsten Antragstellung am 08.05.2008 erneut aus, bei einer allfälligen Rückkehr in den Irak aufgrund seiner Religionszugehörigkeit zum Christentum im Irak Verfolgungen ausgesetzt zu sein. Weiters führte er aus, dass es deshalb am 23.01.2008 zu einem Bombenanschlag auf das Haus seiner Familie gekommen und dieses zerstört worden sei. Das Haus habe sich in M. im Gebiet S. befunden und sei seine Familie aufgefordert worden von dort wegzugehen, was sie auch getan habe. Von dem Bombenanschlag und den Drohungen habe der Beschwerdeführer erst nach seiner Entlassung aus der Haft am 18.04.2008 bei einem Telefonat mit seiner Familie erfahren.

 

Die Erstbehörde ist diesem Vorbringensteil insofern begegnet, als es ausführte, dass diese Verfolgungshandlungen bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss (02.03.2007) des vorangegangen (fünften) Asylverfahrens bestanden hätten und der Beschwerdeführer über die Situation im Irak auch durch die in der öffentlichen Berufungsverhandlung am 17.10.2006 getroffenen Länderfeststellungen informiert gewesen sei. Eine maßgebliche Änderung der Sicherheitslage im Irak könne nicht erkannt werden, da diese bei der rechtskräftig ergangenen Entscheidung bereits berücksichtigt worden sei.

 

2.2. Dazu ist anzuführen, dass der vom Beschwerdeführer geschilderte Anschlag auf das Haus seiner Familie seinen Angaben folgend erst am 23.01.2008 und somit nach rechtskräftigem Abschluss (02.03.2007) des "fünften" Asylverfahrens stattgefunden und er davon erst am 18.04.2008 erfahren habe. Somit handelte es sich diesbezüglich nicht um Tatsachen bzw. Geschehnisse, die bereits vor der Rechtskraft des Verfahrens vor dem Bundesasylamt zu 01 21.711 BAI bestanden haben, und war folglich eine inhaltliche Auseinandersetzung damit erforderlich, sofern diesem Vorbringen zumindest ein glaubhafter Kern zuzubilligen war..

 

Es war zudem nicht ausreichend sich auf die getroffenen Feststellungen im Vorverfahren zu berufen, da sich diese - wie aus dem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 02.03.2007 (218.380/2/29E-VII/20/02) hervorgeht (S 5) - auf einen Bericht des Auswärtigen Amtes vom 05.09.2001 stützten und lediglich die Situation im Irak zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Bescheides (27.07.1998, Zl. 98 03.836 BAL) darstellten. Es war sohin auch eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, wie sich die Sicherheitslage zum Entscheidungszeitpunkt im Irak darstellte, insbesondere dahingehend ob der Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund aktuell als Christ eventuell einer Verfolgungsgefahr im Irak ausgesetzt wäre.

 

Dies ist auch aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzuleiten, wonach die "Asylbehörden" als Spezialbehörden und somit auch das Bundesasylamt verpflichtet sind, sich laufend über aus asylrechtlicher Sicht maßgebliche Entwicklungen besonders in jenen Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, auf dem neuesten Stand zu halten und ihren Bescheiden die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Beweismittel zugrunde zu legen. (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0287; VwGH v. 11.11.1998, Zl. 98/01/0284; VwGH v. 07.06.2000, Zl. 99/01/0210; VwGH v. 04.04.2001, Zl. 2000/01/0348). Schon angesichts dessen kann hier von einem mängelfreien, ordnungsgemäßen Verfahren keine Rede sein, zumal sich die Erstbehörde - wie oben bereits dargestellt - auf Feststellungen berief, die auf einem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 05.09.2001 beruhten.

 

In diesem Zusammenhang ist beispielhaft auf die aktuelle Presseberichterstattung etwa der APA vom 10.10.2008 zu verweisen, der zu entnehmen ist, dass in der Stadt M. am 06.10.2008 fünf Anhänger der christlichen Minderheit ermordet wurden und daher fünfzig christliche Familien die Stadt verlassen hätten. Weiters wird ausgeführt, dass sich seit 2003 die Lage der Christen im Irak dramatisch verschlechtert habe und Christen oft Zielscheibe brutalster Verfolgung seien. In Anbetracht dieser Entwicklung und der notorischen Tatsache, dass die Sicherheitslage im Irak einem ständigen Wandel unterliegt, hätte das Bundesasylamt aktuelle Berichte betreffend einer möglichen Gefährdung aufgrund der christlichen Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers heranzuziehen gehabt um beurteilen zu können, ob im Irak für den Beschwerdeführer eventuell die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung bestehe. Alleine mit der Feststellung, dass sich aus einem sieben Jahre alten Bericht eine derartige Verfolgungsgefahr nicht ergebe und das Vorbringen des Beschwerdeführers daher eine "unglaubwürdige Erweiterung" darstelle, konnte eine solche Folgerung jedenfalls nicht in schlüssiger Weise begründet werden.

 

2.3. Weiters ist festzuhalten, dass die Erstbehörde es insofern unterlassen hat, sich ausreichend mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, als dieser erstmal vorbrachte bei seiner Rückkehr aufgrund der früheren Tätigkeit seiner Schwestern als Dolmetscherinnen der sog. "Coalition Provisional Authority (CPA) North" im Nordirak aktuell ebenfalls einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt zu sein. So blieben die vom Beschwerdeführer in seiner erstinstanzlichen Stellungnahme vom 18.07.2008 vorgelegten Bestätigungen (AS 145 ff) im Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.08.2008, Zl. 08 04.106 East-Ost, gänzlich unbehandelt bzw. wurde diesbezüglich ohne weitere Begründung ebenfalls von einer "unglaubwürdigen Erweiterung" seines bisherigen Vorbringens gesprochen. Um eine sachgerechte Bewertung des Vorbringens vornehmen zu können, wären diese vom Antragsteller vorgelegte Beweismittel jedoch zu würdigen gewesen und hätte die belangte Behörde auch - wie schon im Zusammenhang mit der vorgebrachten Verfolgung von Christen im Irak - diesbezüglich aktuelle Berichte heranzuziehen gehabt, um die aktuelle Lage im Irak im Hinblick auf eine Gefährdung aufgrund einer solchen Tätigkeit für die sog. "Coalition Provisional Authority (CPA) North" im Nordirak beurteilen zu können.

 

Dem Argument der Erstbehörde, wonach auch die vorgebrachte Verfolgung im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit der Schwestern des Beschwerdeführers bereits vor der rechtskräftigen Entscheidung der Erstbehörde (02.03.2007) bestand, zumal diese bereits 2003 und 2004 in dieser Form tätig gewesen seien, ist entgegenzuhalten, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungshandlung, nämlich die Zerstörung des Hauses der Familie des BF in M. und die damit in Zusammenhang stehenden Drohungen, nach den Angaben des Beschwerdeführers erst am 23.01.2008 erfolgten und der Beschwerdeführer selbst erst am 18.04.2008 nach der Entlassung aus der Haft bei einem Telefonat mit seiner Familie davon erfahren habe. Somit handelte es sich diesbezüglich um ein zulässiges neues Vorbringen, das von der Erstbehörde zu berücksichtigen gewesen wäre.

 

2.4. Im Hinblick auf diese Ausführungen war der Ansicht der belangten Behörde, im gg. Fall liege eine res iudicata bzw. kein zulässiges neues Vorbringen, das eine neue Sachentscheidung bedingen würde, vor, nicht beizutreten. Vielmehr lag aus Sicht des Asylgerichtshofs ein neues Vorbringen vor, welchem angesichts der aktuellen Entwicklungen im Irak zumindest ein glaubwürdiger Kern zuzubilligen war. Das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verfahren erweist sich aus diesen Gründen sohin als qualifiziert mangelhaft und war der Beschwerde gegen die Zurückweisung des neuerlichen Antrages durch das Bundesasylamt wegen entschiedener Sache folgerichtig gemäß § 41 Abs. 3 AsylG stattzugeben und deren Bescheid aufzuheben.

 

3. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Schlagworte
Glaubwürdigkeit
Zuletzt aktualisiert am
10.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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