TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/04 E10 263663-0/2008

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Veröffentlicht am 04.11.2008
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Spruch

E10 263.663-0/2008-23E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des I.A., geb. 00.00.1981, StA. der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.08.2005, FZ. 04 26.106-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.03.2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und I.A. gemäß § 7, 44 (2) Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF, BGBl. I Nr. 129/2004 iVm § 75 Abs. 1 AsylG 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2008/4 Asyl gewährt.

 

Gemäß § 12 leg.cit. wird festgestellt, dass I.A. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Asylgerichtshof nimmt den nachfolgenden Sachverhalt als erwiesen an:

 

1. Bisheriger Verfahrenshergang

 

1.1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend auch BF genannt), Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 29.12.2004 einen Asylantrag ein. Dazu wurde er an den im bekämpften Bescheid ersichtlichen Daten von einem Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenem Bescheid vollständig wiedergegeben.

 

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.08.2005, FZ. 04 26.106-BAG, wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I). Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in dessen Herkunftsstaat wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. wurde er aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat ausgewiesen (Spruchpunkt III).

 

1.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit Telefax vom 25.08.2005 innerhalb offener Frist "Berufung" [nunmehr: "Beschwerde"] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

1.4. Mit Verfügung des Vorsitzenden des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 14.8.2007 wurde die gegenständliche Rechtssache in Übereinstimmung mit den einschlägigen Bestimmungen des UBASG und der GV des UBAS dem Senatsmitglied Mag. Lammer abgenommen und dem Senatsmitglied Mag. Leitner zugewiesen.

 

1.5. Am 04.03.2008 führte der Unabhängige Bundesasylsenat eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. Deren wesentlicher Verlauf wird wie folgt wieder gegeben:

 

"...

 

VL: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (physisch und psychisch)?

 

BW: Ich habe sehr oft Kopf- und Augenschmerzen, ich habe auch Rückenschmerzen. Wegen meinem psychischen Zustand bin in bei einem Psychologen beim Verein Z. in Behandlung (BW legt Schreiben des Vereins Z. vom 25.02.2008 vor, Beilage C).

 

VL: Sind Sie wegen Ihrer Schmerzen in Behandlung oder nehmen Sie Medikamente ein?

 

BW: Ich nehme Schmerzmittel gegen die Kopfschmerzen. Am 07.03.2008 habe ich einen Termin beim Augenarzt. Ich war schon dort, mir wurden auch verschiedene Medikamente verschrieben, doch diese haben nicht geholfen. Ich habe auch schon verschiedene Tabletten genommen, aber jetzt nehme ich keine.

 

VL: Waren Sie in Russland (Tschetschenien) auch schon in ärztlicher Behandlung oder haben Sie Medikamente eingenommen?

 

BW: Nein. Danach gefragt gebe ich an, dass, als meine Probleme mit den Russen begonnen haben, ich nicht zum Arzt gehen konnte. Die Schmerztabletten, welche man ohne Rezept kaufen konnte, habe ich genommen.

 

VL: Seit wann haben Sie diese Schmerzen?

 

BW: Ca. seit 2002/2003.

 

VL: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor dem Bundesasylamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?

 

BW: Ich habe immer die Wahrheit gesagt und habe nichts richtig zu stellen. Ich wurde damals gefragt, ob ich verhaftet wurde, ich antwortete mit "Nein". In Polen habe ich aber darüber erzählt. Ich fühlte mich zu diesem Zeitpunkt schlecht und konnte nicht darüber sprechen. Jetzt möchte ich auch nicht darüber sprechen, ich fühle mich ganz schlecht.

 

VL: Hat sich an den Gründen Ihrer Asylantragstellung seit Erhalt des erstinstanzlichen Bescheids etwas geändert?

 

BW: Es gibt keine Änderungen. Nachdem ich Tschetschenien verlassen habe, war ein halbes Jahr Ruhe, jetzt hat alles wieder begonnen. Wenn ich manchmal anrufe, erfahre ich, dass der FSB, die Russen und Kadyrovci kommen.

 

VL: Von wem erfahren Sie das?

 

BW: Von meiner Mutter. Wir sprechen in einer verschlüsselten Sprache und sagen, dass die Ärzte gekommen sind.

 

VL: Schildern Sie die Ausstellung des Reisepasses.

 

BW: In N. gab es eine Firma, dort wurde mein Pass ausgestellt. Eine Frau die bei dieser Firma arbeitete, machte es und brachte ihn zu mir. Danach gefragt gebe ich an, dass ich kein Antragsformular ausfüllen musste.

 

VL: Handelt es sich Ihrer Meinung nach um einen echten Reisepass oder um eine Totalfälschung?

 

BW: Es sollte ein echter Reisepass sein.

 

VL: Sind Sie damit einverstanden, dass eine Echtheitsüberprüfung durchgeführt wird?

 

BW: Ja.

 

VL: Haben Sie den Reisepass den russischen Grenzorganen bei Ihrer Ausreise vorgewiesen?

 

BW: Ich habe ihn nur in Weißrussland und in Polen gezeigt. Danach gefragt gebe ich an, dass ich in Russland mit einer Frau gegen die Bezahlung von .... ausmachte, dass ich an der russischen Grenze keine Probleme habe. Ich habe die russische Grenzkontrolle nicht wahrgenommen. Im Zug von Grozny nach Moskau sprach die Frau mit den Polizisten worauf sie mich nicht kontrollierten. Von Moskau nach Weißrussland gab es auch keine Kontrolle, ich wurde nicht nach dem Reisepass gefragt.

 

Der Akteninhalt einschließlich der erstinstanzlichen Entscheidung und der Inhalt der Berufung werden mit dem BW erörtert.

 

Hierzu gibt der BW Folgendes an: Der erstinstanzliche Akt wurde richtig wiedergegeben.

 

VL: Ist Ihnen der Inhalt der Berufungsschrift bekannt?

 

BW: Ja.

 

VL: Halten Sie den Inhalt der Berufungsschrift und die dort gestellten Anträge aufrecht?

 

BW: Ja.

 

VL.: Schildern Sie Ihre privaten und familiären Verhältnisse in Österreich.

 

BW: Ich bin hier alleine.

 

VL: Aus welchem Teil von Russland stammen Sie?

 

BW: Aus Tschetschenien, Bezirk G..

 

VL: Schildern Sie Ihre privaten und familiären Verhältnisse in Russland (Tschetschenien).

 

BW: Ich habe Verwandte in Tschetschenien. Meine Mutter und eine Schwester leben in Tschetschenien, ich habe auch weitschichtige Verwandte. Danach gefragt gebe ich an, dass meine Schwester momentan arbeitet. Danach gefragt gebe ich an, dass ich außerhalb von Tschetschenien in Russland keine Verwandten habe.

 

VL: Wovon bestritten Sie in Tschetschenien Ihren Lebensunterhalt?

 

BW: Wir hatten ....ha Grund. Wir hatten einen Traktor und einen LKW. Wir haben den Grund bearbeitet und unterschiedliche Getreidesorten angepflanzt. Danach gefragt gebe ich an, dass ich glaube, dass es den Grund noch gibt, aber als meine Probleme entstanden haben wir den Traktor und den LKW verkauft.

 

VL: Aufgrund des Akteninhaltes ist davon auszugehen, dass Sie der Volksgruppe der Tschetschenen angehören, aus einem mehrheitlich von Tschetschenen bewohnten Gebiet stammen und sich zum muslimischen Glauben bekennen.

 

BW: Ja, das stimmt.

 

VL: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Russland verlassen haben vollständig und wahrheitsgemäß. Falls Sie sich auf konkrete Ereignisse beziehen, benennen Sie auch den Zeit wann und den Ort wo diese stattfanden und die Personen die daran beteiligt waren.

 

BW: Ich habe Probleme mit den Daten und meinem Gedächtnis. Ich habe Tschetschenien verlassen, weil mein ältester Bruder gegen Russland kämpfte. Das war der Hauptgrund.

 

VL: Welche Nachteile erlitten Sie persönlich, weil Ihr Bruder kämpfte?

 

BW: Im Jahr 2003 haben meine Probleme begonnen. Ich war nicht zu Hause sondern bei meinem Großvater. An diesem Tag gab es 3 oder 4 Mal Säuberungen. Dabei sind die Leute oft eingedrungen und haben nach mir gefragt, danach habe ich nicht mehr zu Hause geschlafen.

 

VL: Wo haben Sie dann geschlafen?

 

BW: Immer unterschiedlich. Bei meinen Verwandten, dann hatten meine Verwandten Angst, dass man mich finden wird. Dann habe ich draußen auf dem Heu oder auf dem Dach geschlafen.

 

VL: Wurden Sie einmal festgenommen oder mitgenommen?

 

BW: Ich möchte nicht darüber sprechen, weil mir sonst schlecht wird.

 

VL: Können Sie den Ablauf zumindest kurz schildern?

 

BW: Nein. (BW wirkt sichtlich nervös und niedergeschlagen)

 

VL: Haben Sie diesbezüglich schon einmal mit dem Psychologen darüber zu sprechen?

 

BW: Ich habe begonnen zu sprechen, doch ich konnte nicht alles erzählen.

 

VL: Sind Sachen vorgefallen, die Sie nicht erzählen wollen, weil Frauen anwesend sind, oder können Sie generell nicht darüber sprechen?

 

BW: Ich möchte überhaupt nicht darüber sprechen.

 

VL: Aufgrund des Vorbringens wird ein Gutachten eines unabhängigen Facharztes für Psychologie und Neurologie hinsichtlich Ihres Zustandes eingeholt. Ebenso wird der Gutachter beauftragt festzustellen, ob Indizien vorliegen, dass Sie in der RF Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt waren, welche Ihren gegenwärtigen Zustand auslösten.

 

Der VL erörtert mit dem BW den Inhalt des polnischen Asylaktes.

Hierzu gibt der BW Folgendes an:

 

BW: Meine Angaben zur Verhaftung durch russische Soldaten entsprechen nicht der Wahrheit.

 

VL: Wie viele Brüder haben gegen die Russen gekämpft?

 

BW: Zwei.

 

VL: Von wann bis wann und wo kämpften Ihre Brüder?

 

BW: Ich kann mich nicht genau erinnern wann Grozny eingekesselt wurde. Danach gefragt gebe ich an, dass es während dem zweiten Krieg war. Danach gefragt gebe ich an, dass meine Brüder gefallen sind.

 

VL: Wie heißen Ihre Brüder?

 

BW: Der Älteste hieß I., der Zweite hieß A..

 

VL: Wie haben Sie bzw. Ihre Familie erfahren, dass Ihre Brüder gefallen sind?

 

BW: Einer seiner Kampfkameraden kam zu uns und erzählte uns, dass meine Brüder gefallen sind. Von I. wussten wir längere Zeit nicht, was passierte. Danach erzählte uns sein Kampfkamerad wo I. begraben ist.

 

VL: Wo ist er begraben?

 

BW: Jetzt ist er in unserem Dorf begraben. Wir haben seine Leiche zu uns geholt. A. ist in einem anderen Dorf begraben. Danach gefragt gebe ich an, dass ich es nicht genau weiß wo A. begraben ist.

 

VL: Können Sie hinsichtlich des Totes Ihrer Brüder Bescheinigungsmittel vorlegen?

 

BW: Nein.

 

VL: Wurde nachträglich ein Totenschein ausgestellt?

 

BW: Nein. Dort war Krieg, so etwas gab es nicht.

 

VL: Wissen Sie von irgendwelchen Personen aus ihrem Umfeld in Tschetschenien, die von den Behörden mitgenommen sind und nicht mehr zurückkehrten?

 

BW: Ja. Danach gefragt gebe ich an, als zum ersten Mal die Leute eingedrungen sind, haben sie einen Mann namens S.I. mitgenommen. Er wurde in U. tot gefunden.

 

VL: Haben Sie persönlich gekämpft?

 

BW: Nein.

 

VL: Warum nicht?

 

BW: Ich bin der Jüngste in der Familie gewesen. Ich bin zu Hause geblieben um auf meine Mutter und meine Schwester aufzupassen.

 

VL: Was wurde aus Ihrem Vater?

 

BW: Es gibt ihn auch nicht mehr. Ich möchte sagen, dass es damals nicht richtig aufgeschrieben wurde. Es wurde aufgeschrieben, dass er während des Krieges umkam, er starb aber schon vor dem Krieg. In der Berufung steht es auch nicht richtig.

 

VL: Was würde dagegen sprechen, dass Sie sich in einem anderen Teil der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederlassen?

 

BW: Ich kann in der RF nicht leben. Ich habe .... bezahlt, um Russland durchqueren zu können. Danach gefragt gebe ich an, was mir passieren würde, wenn ich mich beispielsweise in einer ostrussischen Stadt niederlassen würde, gebe ich an, dass ich auch verschwinden würde.

 

VL: Warum glauben Sie das?

 

BW: Wenn man mich nicht zu Hause leben lässt, wie soll ich dann nach Russland fahren können.

 

VL: Ihnen werden nunmehr jene Quellen, welche die Behörde zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Russland, bzw. Tschetschenien und die hieraus ableitbaren Kernaussagen zur Kenntnis gebracht. Weiters werden Sie eingeladen, sich hierzu zu äußern.

 

BW: (beim Verlesen der Quellen gibt der BW Folgendes an) Das interessiert mich nicht, was auf dem Papier steht stimmt sicher nicht, ich verzichte darauf, dass mir das vorgehalten wird.

 

VL ordnete an, dass dem BW aufgrund dessen Verzichts Beilage 1 nicht übersetzt, wohl aber ausgefolgt wird.

 

VL: Wissen Sie, bei welcher Einheit Ihre Brüder kämpften?

 

BW: Es gab keinen Namen. W.A., der auch aus unserem Dorf stammt war der Kommandant.

 

VL: Was halten Sie persönlich von Kadyrov?

 

BW: Ich kann nur sagen, dass er ein Russischer Hund ist.

 

VL: Es wird beabsichtigt, über die Deutsch-kaukasische Gesellschaft zu überprüfen, ob Ihre Brüder tatsächlich gekämpft haben (Rechtsnatur und Recherchemöglichkeiten der DKG werden mit dem BW erörtert)

 

BW: Wenn die Russen und Kadyrovci nichts davon erfahren, geht es in Ordnung.

 

VL: Wollen Sie abschließend noch etwas angeben, was Ihnen besonders wichtig ist?

 

BW: Wenn Sie bei der DKG fragen würden, wie würden Sie dann anfragen. Werden Sie die Familiennamen oder Vornamen nennen? Nachdem mir erklärt wird wie die Anfrage formuliert wird, habe ich dagegen keine Einwände. Ich gebe noch an, dass meine Brüder mit Familiennamen meines Vaters T. führten. Ich nahm den Familiennamen meiner Mutter an, weil ich glaubte, dass dadurch meine Probleme weniger werden.

 

VL: Sind Sie damit einverstanden, dass die sie behandelnden Personen bzw. Institutionen hinsichtlich Ihres Gesundheitszustandes durch die Berufungsbehörde befragt werden und die Befragten hierüber Auskünfte erteilen?

 

BW: Ja.

 

..."

 

Im Rahmen einer Anfrage an die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft konnte von einer Auskunftsperson bestätigt werden, dass I. und T.A. aus K. unter dem Kommandeur W.A. gekämpft hätten.

 

In weiterer Folge wurde an Mag. E.D., Psychotherapeutin, Verein Z. eine ausführliche Anfrage in Bezug auf den Zustand des BF gerichtet, welche mit schreiben vom 25.3.3008 beantwortet wurde.

 

Die beiden letztgenannten Bescheinigungsmittel wurden den Verfahrensparteien zur Kenntnis gebracht, welche weder gegen den Inhalt der Bescheinigungsmittel noch gegen die Unbedenklichkeit der Quellen konkret und substantiierte Einwände vorbrachten.

 

In Bezug auf den weiteren Verfahrenshergang und das Parteienvorbringen im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

2. Der Beschwerdeführer

 

Der Beschwerdeführer wurde am 00.00.1981 geboren und ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation.

 

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

 

3. Die Lage im Herkunftsstaat Russische Föderation

 

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Russischen Föderation werden unter Heranziehung des zitierten Quellenmaterials die nachfolgenden Feststellungen getroffen:

 

Dt. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien vom 18.08.2006 und 17.3.2007

 

US State Department, Russia, Country Reports on Human Rights Practices 2006 vom 06.03.2007

 

Europarat, Report by Mr Alvaro Gil-Robles, Commissioner for Human Rights, on his visit to the Chechen Republic of the Russian Federation 25 - 26 Februar 2006 vom 15.03.2006

 

NZZ, vom 03.06.2006, "Mit Putin einen anderen Diskurs führen über Tschetschenien"

 

NZZ, 12.08.2006, "Moskau zieht Truppen aus Tschetschenien ab"

 

Auskunft der ÖB Moskau aus Juli 2006 (20.07.2006 und Ergänzung vom 25.07.2006) an den UBAS, unter anderem zu Ausreisemöglichkeiten aus der Russischen Föderation

 

Kurier vom 11.9.2006, Seite 6: "Warum Gastarbeiter in Russland hofiert werden" von Jana Patsch, ebenso:

www.eurasiatischesmaganzin.de: "Große Rückrufaktion durch Präsident

Wladimir Putin, 30.8.2006, www.kaliningrad.aktuell.ru: "Kaliningrad:

Arbeitskräftemangel durch Bauboom, 2.5.2005. www.zeit-fragen.ch:

"Auch Russland will Einwanderungsland werden" vom 2.4.2002 (Internetzugriffe am 14.11.2006, NZZ: Russland ist mittlerweile das zweitgrößte Immigrationsland der Welt" vom 3.2.2007.

 

Memorial: "Counterterrorism Operation by the Russan Federation in Northern Caucasus throughaut 1999 - 2006, Stand: Jänner 2007 (www.memo.ru/Hr/hotpoints/N-Caucasus/dkeng.htm; Zugriff am 13.2.2007), ebenso: Dispaperance an Killings in 2006 in Chechen Republik, Stand Jänner 2007 (www.memo.ru/eng/news/2007/01/181.html, Zugriff am 13.2.2007)

 

Schweizer BMF: Focus Russland "Amnestie in Tschetschenien", 19. März 2007

 

International Helsinki Federation: Human Rihts in Checheniya an Adjecent Russan Regions, IHF Report 2007

 

BAMF, Informationszentrum Asyl & Migration, Berichte vom August, September, Oktober, November 2007 "Russische Föderation/Tschetschenienkonflikt/Nach-folgestaaten der früheren Sowjetunion

 

NZZ "Beschwerliche Rückkehr zur Normalität in Grzny" 6.1.2007

 

APA 4. April 2007: "Tschetschenischer Untergrundführer getötet"

 

APA 5. Apr. 2007: "Kadyrov als tschetschenischer Präsident vereidigt"

 

APA 10. Apr. 2007: "Kadyrov ernennt Cousin zum tschetschenischen Ministerpräsidenten"

 

Asylländerbericht Russland (Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, vom

 

04.09.2007)

 

Im Jahren 2005- 2007 kam es in Russland zu einer Reihe von Menschenrechtsproblemen; die demokratische Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Volk wurde schwächer. An positiven Entwicklungen waren eine größere Unabhängigkeit der Justiz, einschließlich der Strafgerichtsbarkeit und die verstärkte staatliche Bekämpfung von rassischen und ethnischen Diskriminierungen zu verzeichnen.

 

Nachdem im Februar 2007 Putin den bisherigen tschetschenischen Präsidenten Alu Alchadnow absetzte beförderte er Ramsan Kadyrov vom Regierungschef zum Präsidenten und wurde im März 2007 im Präsidentenamt vereidigt. Zum Ministerpräsidenten ernannte Kadyrov seinen Cousin Odes Baissultanov.

 

In Tschetschenien finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. An erster Stelle steht dabei das "Verschwindenlassen" von Menschen - es herrscht deshalb weiter ein "Klima der Angst" (Memorial). Der Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin schreibt in seinem Jahresbericht vom 21.04.2006 in Bezug auf Tschetschenien: "Unmittelbaren Einfluss auf die Menschenrechtslage in Russland und auf das gesellschaftliche Klima hat nach wie vor die Situation in Tschetschenien. (...) Die Lage in Tschetschenien bleibt schwierig und angespannt". Memorial registrierte von Jänner bis Dezember 2006 186 Entführungen, davon gelten 63 Personen als vermisst. Weiters registrierte Memorial in diesem Zeitraum 101 Ermordungen, davon 33 an Zivilisten, räumt aber ein, dass aufgrund des Umstandes, dass Memorial nicht das gesamte tschetschenische Territorium zugänglich sind, die tatsächliche Zahl höher liegt.

 

Tschetschenische Sicherheitskräfte und Einheiten der föderalen Truppen, in deren Reihen ethnische Tschetschenen kämpften, wurden zunehmend mit willkürlichen Folterungen und dem "Verschwindenlassen" von Menschen in Verbindung gebracht. Hochrangige Vertreter Tschetscheniens wie etwa der ehemalige Präsident Alu Alchanow sollen einräumt haben, dass sowohl föderale als auch tschetschenische Sicherheitskräfte für das "Verschwinden" von Menschen Verantwortung tragen.

 

Bewaffnete Oppositionsgruppen der Tschetschenen sollen ihrerseits für Kriegsverbrechen wie etwa gezielte Anschläge gegen Zivilpersonen verantwortlich gewesen sein. Neben den Aufsehen erregenden Terroranschlägen gegen die Zivilbevölkerung werden auch bei vielen Aktionen gegen russische Sicherheitskräfte Opfer unter der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Außerdem verüben die Rebellen gezielt Anschläge gegen Tschetschenen, die mit den russischen Behörden zusammenarbeiten.

 

Die "Kadyrovzi" sind nun eine mehrere Tausend Mann starke Truppe, die zum großen Teil aus ehemaligen Widerstandskämpfern besteht. Rebellen wurden von Kadyrov mit Geld oder durch Entführung von Angehörigen zum Überlaufen gebracht. Offene Kämpfe gibt es derzeit weniger. Die Zahl der Morde und Verschleppungen ist nach Zählung der Menschenrechtsorganisation "Memorial" um ein Drittel zurückgegangen, es gibt jedoch eine Dunkelziffer, da unter Kadyrov ein Klima der Angst herrscht und auch häufig ungeklärt bleibt, wie viele Verbrechen aus welchen Motiven auf das Konto von Kadyrov gehen.

 

Dialogbereite Kräfte unter den "Rebellen", die "Maschadov-Sakajev"-Strömung sind grundsätzlich, wie die Mehrheit der Bevölkerung, zu einer friedlichen mit Konfliktbeilegung mit dazu bereiten russischen Organen bereit. Die Stärke der unversöhnlichen islamischen Terroristen um den inzwischen getöteten Basajev, ist unklar.

 

Laut Einschätzung des Schweizer BMF ist für die Beurteilung der Gefährdung einer Person das aktuelle Gefahrenpotential gegenüber Kadyrow und weniger das Verhalten in der Vergangenheit entscheidend. Rechtssicherheit bestünde in Tschetschenien weiterhin nicht

 

Die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in letzter Zeit verbessert (in den Nachbarrepubliken Dagestan, Inguschetien und Kabardino-Balkarien hingegen eher verschlechtert). Der zivile Wiederaufbau der völlig zerstörten Republik konzentriert sich auf die Hauptstadt Grosny, findet aber auch außerhalb der Hauptstadt statt.

 

Seit mehr als 2 Jahren fließt viel Geld aus Russland nach Tschetschenien, für Waisen, für zerstörte Häuser, wobei jedoch 60 bis 70 Prozent des Geldes in korrupten Kanälen verschwinden. Es kann dennoch von einem nunmehr rasanten ökonomischen Aufschwung (Eröffnung von Geschäften und Lokalen), sowie insgesamt einer zaghaften Normalisierung und Stabilisierung gesprochen werden. Lokale Menschenrechtsorganisationen haben begonnen sich zu etablieren, erste Ansätze zur Entwicklung einer Zivilgesellschaft sind zu beobachten. Es gibt auch staatliche Institutionen zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen, diese sind aber vielfach noch zu schwach ausgeprägt. Der Wiederaufbau wird auch durch von Kadyrov verlangte "freiwilligen Spenden" aller Bediensteten finanziert.

 

Die meisten Binnenvertriebenen Tschetschenen sind nach Tschetschenien zurückgekehrt, einige leben aber weiterhin in Nachbarrepubliken und anderen Teilen Russlands (z.B. 200.000 in Moskau, 50.000 in der Wolgaregion).

 

Ob eine Ansiedlung in anderen Teilen der Russischen Föderation möglich ist, ist im Einzelfall zu prüfen, dabei spielen angesichts von möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten und die Möglichkeit der Kontaktierung von NGO's eine Rolle. Nichtregistrierte Tschetschenen können allenfalls in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands überleben, wobei wiederum Faktoren wie Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse relevant sein können. Das Risiko zum Opfer von Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen zu werden, ist im Regelfall für Menschen mit "kaukasischem Aussehen" höher als bei anderen Ethnien. Die Schwere solcher Risken ist im Einzelfall zu prüfen. Die Registrierung ist in Südrussland leichter, die Sicherheitslage in den benachbarten Kaukasusrepubliken, insbesondere Dagestan und Inguschetien, ist aber kritisch und muss im Einzelfall geprüft werden. Da in manchen Gebieten Russlands (etwa Kaliningrad, aber auch beispielsweise in Wladiwostok, Sverdlovsk oder Rostov) Arbeitskräftemangel herrscht, wird dort eine Registrierung ebenfalls leichter sein wie in anderen Teilen der Russischen Föderation. Direkte staatliche Repression nur in Folge einer Asylantragstellung konnte bei Tschetschenen bisher nicht nachgewiesen werden.

 

Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und eine medizinische Grundversorgung sind in Russland im Allgemeinen gegeben, die Bevölkerung Tschetscheniens lebt trotz erster Erfolge von entsprechenden Förderungs- und Unterstützungsmaßnahmen oftmals schwierig und kann in einzelnen Fällen unzumutbar sein.

 

Gefälschte Dokumente oder unwahre Zeitungsmeldungen, mit denen staatliche Repressionsmaßnahmen dokumentiert werden sollen, werden regelmäßig bei Asylsuchenden aus der Russischen Föderation im allgemeinen und der Kaukasusregion im besonderen festgestellt. Von staatlichen Behörden ausgestellte Dokumente sind nicht selten mit unrichtigem Inhalt ausgestellt oder gefälscht;

Personenstandsurkunden und andere Dokumente (z.B. Haftbefehle) können gekauft werden. Häufig werden falsche Namen und Adressen in Asylverfahren angegeben. Aussagekräftig sind insbesondere echte Inlandspässe.

 

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es durch Bestechung möglich ist, echte Auslandspässe zu erhalten und russische Kontrollen, z.B. beim Verlassen der Kaukasus-Region zu passieren, obwohl eine Suche durch föderale russische Organe erfolgt. Bei der Ausreise nach Weißrussland gibt es in der Regel keine Kontrollen.

 

Hinweise auf gezielte Repressalien gegen Rückkehrer bestehen nicht. Das Auswärtige Amt Berlin geht davon aus, dass abgeschobenen Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch die russischen Behörden geschenkt wird, insbesondere solchen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen.

 

4. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

 

Die beiden Brüder des BF kämpften während des zweiten Tschetschenien Krieges gegen die Russen und sind gefallen. Da der BF der Jüngste in der Familie war, hat er nicht gekämpft, sondern passte zu Hause auf seine Mutter und seine Schwester auf. Ab dem Jahr 2003 hat es mehrere Säuberungen gegeben, wobei die Leute oft zu Hause eingedrungen sind und nach dem BF gefragt haben. Deshalb hat dieser nicht mehr zu Hause, sondern bei Verwandten oder draußen im Heu, geschlafen. Der BF wurde einmal für mehrere Wochen festgenommen und schwer misshandelt, worüber dieser jedoch nur im Zuge von psychotherapeutischen Therapiestunden sprach.

 

5. Beweiswürdigung

 

5.1. zu 1. (Verfahrensgang)

 

Der bisherige Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und im Verfahren unbeanstandeten Aktenlage fest.

 

5.2.. zu 2. (Beschwerdeführer)

 

Die Identität des BF steht aufgrund der Vorlage seines als unbedenklich qualifizierten Reisepasses, ausg. am 00.00.2003 in der Russischen Föderation, fest. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen nicht widerlegten Angaben.

 

Weiters wurden vom Unabhängigen Bundesasylsenat nachfolgende Beweisaufnahmen bezüglich der Person und der Angaben des Beschwerdeführers getätigt:

 

-Anfrage an Dr. V. vom 10.3.2008 & Urgenz vom 19.5.2008, sowie AV über die Anfragebeantwortung vom 26.6.2008

 

-Bericht der PI G. i. A. EAST West vom 00.00.2008

 

-Anfrage an die DKG vom 12.3.3008 und Anfragebeantwortung vom 2.4.2008 (iVm damit zusammenhängende Unterlagen laut Beilage)

 

-Anfragebeantwortung von Mag. E.D., Psychotherapeutin Verein Z.

 

Zur oa. Beweisaufnahme brachten die Verfahrensparteien keine inhaltliche Stellungnahme ein.

 

In Bezug auf den Verfahrenshergang und dem PV im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

5.3. zu 3. (Lage im Herkunftsstaat)

 

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ergeben sich aus den in Punkt 3 genannten Quellen.

 

Soweit aus Quellen älteren Datums zitiert wurde, geben jüngere, ebenfalls zitierte Quellen das gleiche Bild wieder bzw. dienen diese Quellen älteren Datums der chronologischen Schilderung asylrelevanter Ereignisse, wofür die Zitierung dieser älteren Quellen erforderlich war.

 

Zur Auswahl der Quellen wird angeführt, dass sich der Asylgerichtshof einer ausgewogenen Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges bediente, um sich so ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers machen zu können. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates über den berichtet wird zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges.

 

Bei Berücksichtigung der soeben angeführten Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen unter Berücksichtigung der Natur der Quelle und der Intention derer Verfasser wird angeführt, dass diese in den wesentlichen Punkten hinsichtlich ihres objektiven Aussagekerns grundsätzlich übereinstimmen. Der Asylgerichtshof konnte sich daher bei der Feststellung des Ermittlungsergebnisses auf die streckenweise wörtliche Zitierung dieser Quellen beschränken.

 

Die im Bescheid getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen.

 

5.4 zu 4. (behauptete Ausreisegründe)

 

Wie schon das Bundesasylamt feststellte, war den Angaben des BF, dass er seine Heimat wegen der Folgen des Bürgerkrieges verlassen hat und der Tatsache, dass er nie aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen hat, Glauben zu schenken.

 

Im Gegensatz zur Erstbehörde erachtet es jedoch der Asylgerichtshof für glaubwürdig, dass der BF aufgrund seiner persönlichen Situation (Teilnahme der Brüder am Widerstandkampf gegen Russland im zweiten Tschetschenienkrieg und der diesbezüglichen Suche nach dem BF seitens russischer Soldaten) im Zuge einer Säuberungsaktion festgenommen und schwer misshandelt wurde. Auch die speziellen Erhebungen des AsylGH via die Deutsch-kaukasische Gesellschaft ergaben, dass die Brüder des BF unter dem Kommandeur W.A. tatsächlich zu Beginn des Jahres 2000 an der Verteidigung Groznys teilnahmen.

 

Auch die Angaben des BF gegenüber Mag. E.D., Psychotherapeutin beim Verein Z., im Rahmen einer zweiten Therapiephase, hinsichtlich der gegen ihn gerichteten Misshandlungen im Zuge seiner Festnahme anlässlich einer Säuberung, ergaben für den erkennenden Richter des AsylGH den Eindruck, dass diese Angaben, insbesondere auch vor dem Hintergrund der seitens der Psychotherapeutin beschriebenen Begleitreaktionen des BF beim Erzählen, glaubwürdig sind.

 

Jedenfalls ist hier auch festzuhalten, dass das Bundesasylamt, welchem die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich zum Beweisergebnis zu äußern, nichts vorbrachte, was gegen die Unbedenklichkeit der Bescheinigungsmittel bzw. deren Inhalt sprechen würde.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Zuständigkeit des erkennenden Einzelrichters

 

Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gem. § 75 (7) Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idgF sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der geltenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

1. Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern dies Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

...

 

Im Rahmen der Interpretation des § 75 (7) ist mit einer Anhängigkeit der Verfahren beim Unabhängigen Bundesasylsenat mit 30.6.2008 auszugehen (vgl. Art. 151 Abs. 39 Z.1 B-VG). Der in der genannten Übergangsbestimmung genannte 1. Juli 2008 ist im Sinne der im oa. Klammerausdruck genannten Bestimmung des B-VG zu lesen.

 

Der erkennende Richter, welcher mit Beschluss der Bundesregierung vom 21.5.2007 mit Wirksamkeit vom 1.7.2008 zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, führte im gegenständlichen Verfahren als Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates am 04.03.2008 eine öffentliche Berufungsverhandlung durch. Er hat daher das Verfahren, welches am 30.6.2008 bzw. 1.7.2008 noch anhängig ist, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die erkennende Gericht, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gem. § 73 (1) Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) tritt dieses Gesetz mit der Maßgabe des § 75 (1) leg. cit in Kraft, wonach alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen sind.

 

Gegenständliches Verfahren war am 31.12.2005 anhängig und der Antrag wurde nach dem 1.5.2004 gestellt, weshalb es nach den Bestimmungen des Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF, BGBl. I Nr. 129/2004 zu Ende zu führen war, dessen § 44 (2) anordnet, dass Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der jeweils geltenden Fassung geführt werden. Das hier anhängige Verfahren ist daher nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetztes BGBl I Nr. 129/2004 zu führen.

 

3. Verweise

 

Das erkennende Gericht ist berechtigt, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (vgl. z.B. das Erk. d. VwGH vom 4. 10. 1995, 95/01/0045; VwGH 24. 11. 1999, 99/01/0280; auch VwGH 8. 3. 1999, 98/01/0278), weshalb im gegenständlichen Fall im bereits genannten Umfang auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen wird.

 

Ebenso ist das erkennende Gericht berechtigt, auf die außer Zweifel stehende Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) zu verweisen, weshalb auch hierauf im gegenständlichen Umfang verwiesen wird.

 

4. Gewährung von Asyl, Feststellung des Zukommens der Flüchtlingseigenschaft

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262).Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

 

Der Beschwerdeführer brachte vor dem Asylgerichtshof glaubwürdig einen Sachverhalt vor, welcher unter Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK der GFK zu subsumieren ist. Beim BF handelt es sich um einen russischen Staatsangehörigen, dessen Brüder am Widerstandkampf gegen Russland im zweiten Tschetschenienkrieg teilnahmen und er deswegen seitens russischer Soldaten gesucht und im Zuge einer Säuberungsaktion festgenommen und schwer misshandelt wurde. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr wieder festgenommen und misshandelt, bzw. beseitigt wird.

 

Bürgerkriegsähnliche Verhältnisse im Heimatstaat können für sich alleine keine Flüchtlingseigenschaft begründen. Die Bürgerkriegssituation schließt aber eine aus asylrechtlich relevanten Gründen drohende Verfolgung nicht generell aus. Der Asylwerber muss in diesem Zusammenhang jedoch behaupten und glaubhaft machen, dass die Ereignisse in seiner Heimat, die zu seiner Flucht geführt haben, als eine individuell gegen seine Person aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung gerichteten Verfolgung zu werten wären und nicht als mehr oder weniger zufällige Folgen im Zuge der Bürgerkriegshandlungen (VwGH v. 19.9.1996, 95/19/0098; 30.9.1997, 97/01/0755; 30.4.1997, 95/01/0239; 19.1.2000, 99/01/0384; 8.7.2000, 99/20/0233). Der AsylGH geht aufgrund obiger Ausführungen davon aus, dass der BF Ereignisse in seiner Heimat glaubhaft gemacht hat, welche individuell gegen seine Person, aufgrund der Familienzugehörigkeit zu Widerstandskämpfern gegen Russland im zweiten Tschetschenienkrieg, zu werten sind und somit nicht als mehr oder weniger zufällige Folgen im Zuge von Bürgerkriegshandlungen.

 

Aus der Sicht des Asylgerichtshofes liegen beim Beschwerdeführer auch keine Asylausschlussgründe vor. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist für den BF wegen der angenommenen staatlichen Verfolgung in der russischen Föderation ebenfalls nicht anzunehmen bzw. zumutbar (vgl. etwa VwGH v. 19.10.2006, Zahl 2006/19/0297-6 oder auch v. 21.9.2006, Zahl 2006/19/0967-7)

 

Aufgrund der oa. Ausführungen war im gegenständlichen, individuell zu betrachtenden und nicht verallgemeinerungsfähigen Fall Asyl zu gewähren.

 

§ 12 AsylG lautet:

 

Die Entscheidung, mit der (...) Asyl gewährt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Es war daher insgesamt unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Bürgerkrieg, ethnische Verfolgung, Familienverband, gesamte Staatsgebiet, gesundheitliche Beeinträchtigung, Glaubhaftmachung, Haft, Misshandlung, Volksgruppenzugehörigkeit, Widerstandskämpfer
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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