S10 319574-2/2008/3E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von Frau M. alias M.L. alias L., geboren am 00.00.1944, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.10.2008, Zahl: 08 06.422-EAST West, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:
1.1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge BF) ist am 22.07.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion St. Georgen im Attergau am 23.07.2008 gab sie im Wesentlichen Folgendes an:
Sie sei Staatsbürgerin der Russischen Föderation, gehöre der tschetschenischen Volksgruppe an und habe am 21.02.2008 ihr Heimatland von Grosny aus illegal mit dem Zug über Moskau nach Brest (Weißrussland) verlassen. Danach sei sie mit dem Zug nach Terespol (Polen) und anschließend mit einem Taxi nach Österreich weitergereist. Am 16.06.2008 sei die BF nach Polen abgeschoben worden. Am 21.07.2008 sei sie dann wieder mit einem Reisebus von Warschau nach Österreich gefahren.
Als Fluchtgrund gab sie an, dass sie nur bei ihrer Tochter in Linz leben möchte. Die weiteren Flüchtgründe seien ident mit denen, die sie bereits in ihrem ersten Asylantrag angegeben habe. In ihrer Heimat sei es sehr schwierig zu überleben. Es herrsche dort noch immer Krieg. Sie sei alt und könne nicht alleine in Polen bleiben. Sie sei nur wegen ihrer Tochter nach Österreich zurück gekehrt. Sie habe in Warschau auf der Straße gelebt. In Russland sei sie alleine und habe niemanden, der sie pflege. Sie sei alt und krank. Am 25.09.2008 habe sie außerdem einen Termin für eine Augenoperation im Landeskrankenhaus.
1.2. Ein AFIS-Abgleich ergab, dass die BF bereits in Polen erkennungsdienstlich behandelt worden war und am 24.02.2008 in Polen einen Asylantrag und am 03.03.2008 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.05.2008, Zahl: 08 02.183-EAST West, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei. Die gegen die Entscheidung eingebrachte Berufung wurde mittels Bescheid des damals noch zuständigen Unabhängigen Bundesasylsenats vom 16.06.2008, Zahl:
319.574-1/4E-XIX/61/08, als unbegründet abgewiesen. Dieser Entscheidung erwuchs mit 25.06.2008 in Rechtskraft. Am 16.06.2008 wurde die BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen überstellt.
1.3. Da die erstinstanzliche Behörde ein Vorgehen nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) beabsichtigte, wurde der BF mit Schriftstück vom 24.07.2008, von der BF am 25.07.2008 übernommen, mitgeteilt, dass Konsultationen mit Polen gemäß Dublin II VO geführt würden und somit die 20-Tagesfrist gemäß § 28 Abs. 2 AsylG für Verfahrenszulassungen für ihr Verfahren nicht mehr gelte. Es wurde der BF eine Aktenabschrift ausgehändigt und eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt, in der die Rechtsberatung erfolgte. Überdies wurden dem Rechtsberater die relevanten Aktenbestandteile zugänglich gemacht.
1.4. Am 24.07.2008 wurde ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (in der Folge Dublin II VO) an Polen gerichtet. Mit Erklärung vom 25.07.2008 (bei der Erstbehörde eingelangt am 28.07.2008) erklärte sich Polen ausdrücklich gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO für zuständig.
1.5. In der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 31.07.2008 zur Wahrung des Parteiengehörs gab die BF im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetsch für die russische Sprache im Wesentlichen Folgendes an:
Die BF legte diverse Medikamente vor und teilte mit, dass sie einen Operationstermin wegen ihrer Augen in Österreich habe. Weiters habe sie eine Magenkrankheit, Probleme mit dem Darm und öfters Kopfschmerzen. Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die BF an, dass sich diese seit ihrem ersten Verfahren (AIS-Zahl: 08 02.183) nicht geändert hätten. Sie sei nach Österreich gekommen, da hier ihre Augenkrankheit behandelt werden könne. Auch ihr sonstiger Gesundheitszustand könne sich hier verbessern. Außerdem herrsche in ihrer Heimat noch immer Krieg und sie möchte in Österreich bei ihrer Tochter leben. In ihrem Heimatstaat habe die BF ihren Lebensunterhalt mittels einer Landwirtschaft und ihrer Rente bestritten. Von ihrer in Österreich aufhältigen Tochter sei sie nicht unterstützt worden. Weiters gab die BF an, dass sie nach ihrem Aufenthalt in Polen sehr große Angst um sich und ihre Gesundheit gehabt hätte. Sie sei bereits 64 Jahre alt und brauche die Hilfe ihrer Kinder. Nach in Österreich aufhältigen Eltern oder Kindern befragt, nannte die BF ihre Tochter P.T.. Diese habe vor ca. 15 Jahren geheiratet und sei dann von zu Hause ausgezogen. Seit Mai 2003 befinde sie sich in Österreich. Seit ihrer Ausreise habe die Tochter sie nicht mehr unterstützt. Die BF habe erst wieder erfahren, wo sich ihrer Tochter aufhalte, als diese einen positiven Bescheid bekommen habe. Zur beabsichtigten Überstellung nach Polen teilte die BF mit, sie wolle nicht nach Polen. Polen sei für sie ein fremdes Land und sie habe dort keine Unterstützung. Außerdem müsse die BF am Auge operiert werden. In Polen habe sie auf der Straße übernachten und um Geld betteln müssen. Gefragt, warum sie sich nicht an die polnischen Behörden gewandt habe, um eine Grundversorgung zu erhalten, antwortete die BF, dass sie nicht gewusst habe, wohin sie sich wenden solle. Sie habe zwar die Polizei gesucht, habe diese aber nicht gefunden.
1.6. Am 03.10.2008 langte bei der Erstbehörde der Operationsbericht des Landeskrankenhauses ein, aus dem hervorgeht, dass die Augenoperation der BF am 26.09.2008 durchgeführt worden ist.
1.7. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 06.10.2008, Zahl: 08 06.422-EAST West, den Antrag auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.
Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zur Person der BF, zur Begründung des Dublin-Tatbestandes, zum Privat- und Familienleben der BF und zur Lage im Mitgliedstaat Polen, insbesondere zum Asylverfahren und zur allgemeinen und medizinischen Versorgung von Asylsuchenden in Polen.
Beweiswürdigend wurde betreffend die vorgebrachten Krankheiten und die medizinische Versorgung in Polen im Wesentlichen festgestellt, dass auf Grund der bescheidgegenständlichen unbedenklichen Länderfeststellungen zu Polen davon ausgegangen werden könne, dass in Polen grundsätzlich alle Krankheiten uneingeschränkt behandelbar seien.
Festgestellt wurde weiters, dass keine Umstände, die gegen eine Ausweisung und Überstellung der BF nach Polen sprechen, ermittelt werden konnten. Nach Ansicht der Erstbehörde war unter Berücksichtigung sämtlicher bekannten Tatsachen aus dem Blickwinkel der Art. 3 und Art. 8 EMRK von der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO kein Gebrauch zu machen.
1.8. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 20.10.2008 (eingelangt bei der Erstbehörde am 21.10.2008) Beschwerde erhoben und beantragt, den bekämpften Bescheid dahingehend abzuändern, dass der Beschwerde Folge gegeben wird und die BF zum Asylverfahren zuzulassen sowie die ausgesprochene Ausweisung aufzuheben.
In der Begründung dazu wurde angegeben, dass die BF in Polen nicht als Asylwerberin behandelt worden sei. Ihr sei keine Unterkunft zugewiesen worden und sie habe zwei Tage auf der Straße verbringen müssen.
Weiters sei die BF auf Grund ihres Alters und ihrer Augenerkrankung besonders auf die Hilfe ihrer in Österreich lebenden Familienangehörigen angewiesen. Durch die Erstbehörde hätte bei grundrechtskonformer Auslegung der Dublin II VO die humanitäre Klausel nach Art. 15 zu Anwendung gelangen müssen.
1.9. Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 22.10.2008 beim Asylgerichtshof ein.
2. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
2.1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF. BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.
Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.
2.1.1.1. Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO eingeleitete Aufnahmeersuchen an Polen erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch die BF (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO). Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt daher zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Polens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO besteht.
Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und in diesem Verfahren auch nicht bestritten worden.
2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, dass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22 ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei; die Verständigung nach § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG wurde der BF zeitgerecht übermittelt.
2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.
Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).
Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art. 19 Dublin II VO).
Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:
Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.
Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.
Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13. zu Art. 19).
Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).
Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten, wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.
2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK
Im gegenständlichen Fall kann nicht gesagt werden, dass die BF ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihr auf Grund der persönlichen Situation ausnahmsweise durch eine Rückverbringung nach Polen entgegen der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde (sog. "real risk"). Bezüglich ihres Vorbringens in der Beschwerde, der unzureichenden Unterbringung in Polen, ist auf die landeskundlichen Feststellungen der Erstbehörde zu verweisen, wonach die Grundversorgung in Polen für Asylwerber sichergestellt ist.
Weiters leide die BF ihren Angaben nach an einer Magenkrankheit, unter Kopfschmerzen und habe Probleme mit dem Darm. Außerdem wurde bei der BF durch ihren behandelnden Arzt die Augenkrankheit grauer Star diagnostiziert. Laut vorgelegtem Operationsbericht fand die Operation am 26.09.2008 statt. Es sind im Verfahren keinerlei Hinweise hervorgekommen, die vermuten hätten lassen, dass die BF aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht nach Polen überstellt werden könnte. Auch im Beschwerdevorbringen wurde nichts Gegenteiliges vorgebracht.
Bezüglich der medizinischen Versorgung in Polen ist auf die landeskundlichen Feststellungen der Erstbehörde zu verweisen, wonach - nach Auskunft eines Kontaktbeamten in Polen vom 18.02.2008 - in Polen allgemein alle Krankheiten uneingeschränkt behandelbar sind. Ebenso wird auf die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides verwiesen, die explizit auf eine eventuell notwendige Nachbehandlung eingeht und diesbezüglich einschlägige Judikatur des EGMR zitiert, nach welcher nur ein schwerer Leidenszustand bei fehlender medizinischer Versorgung im Zielstaat gemäß Art. 3 EMRK relevant sein kann. Bei körperlichen Erkrankungen sind im Allgemeinen nur Krankheiten im lebensbedrohlichen Zustand relevant.
Darüber hinaus verfügt der Asylgerichtshof aktuell über kein Amtswissen hinsichtlich solch offenkundiger, besonderer Gründe, die die Annahme rechtfertigen, die BF wäre in Polen einer realen Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung ausgesetzt. Die von der Erstbehörde getroffenen Feststellungen erfolgten auf der Grundlage unbedenklicher und glaubwürdiger Quellen, sodass im Ergebnis eine Überstellung der BF nach Polen daher weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK noch des Art. 8 EMRK darstellt und somit auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO besteht.
2.1.2.2. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK
Im konkreten Fall lebt eine Tochter der BF, P.T., in Österreich. Die Ausführungen der Erstbehörde betreffend die in Österreich lebende Tochter der BF treffen zu. Aus den Ausführungen in der Beschwerde ergeben sich keine neuen Anhaltspunkte, die ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder eine besondere familienähnliche Nahebeziehung zur BF belegen würden.
Wie den Aussagen der BF bei der niederschriftlichen Einvernahme am 31.07.2008 zu entnehmen war, sei die Tochter bereits vor ca. 15 Jahren bei der BF ausgezogen. Als die Tochter im Mai 2003 nach Österreich ausgereist sei, sei der Kontakt ganz abgebrochen. Es kann somit nicht von einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung der BF zu ihrer Tochter gesprochen werden, zumal auch ein nunmehriger regelmäßiger und intensiver Kontakt durch den relativ kurzen Aufenthalt der BF im Bundesgebiet nicht anzunehmen ist. In Übereinstimmung mit der Beurteilung der Erstbehörde ist daher nicht vom Vorliegen eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK auszugehen.
Da auch sonst im Verfahren keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, hervorgekommen sind (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. 1802, 1803/06-11), ist daher im Ergebnis den Feststellungen der Erstbehörde zu folgen, wonach die BF bei einer Überstellung nach Polen in ihrem durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt würde.
Aber auch im Fall eines Eingriffs in das Grundrecht ergäbe eine Interessenabwägung nach den Gesichtspunkten des Art. 8 Abs. 2 EMRK, insbesondere der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Asylwesens (vgl. VwGH 98.09.2000, 2000/19/0043), dass dieser im vorliegenden Fall verhältnismäßig wäre. Die BF reiste erst im Juli 2008 (zuvor war ihr erster Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid des damals noch zuständigen Unabhängigen Bundesasylsenats vom 16.06.2008, Zahl: 319.574-1/4E-XIX/61/08, rechtskräftig als unbegründet abgewiesen worden) wieder in das Bundesgebiet ein und ihr Aufenthalt in Österreich stützte sich von Anfang an nur auf den vorliegenden Asylantrag. Zu einem möglichen Eingriff in das Recht auf Privatleben ist auf das Erkenntnis des VwGH vom 26.6.2007, Zahl 2007/01/0479-7 zu verweisen, wonach ein dreijähriger Aufenthalt während des laufenden Asylverfahrens jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte. Umstände, die auf eine besondere Integration in Österreich hinweisen würden, kamen im Verfahren nicht hervor.
Zu der in der Beschwerde monierten Anwendung der Humanitären Klausel wird festgehalten:
Art. 15 Abs. 1 der Dublin II VO ("Humanitäre Klausel") statuiert, dass jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen kann, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die Zustimmung der betroffenen Personen ist erforderlich.
Diese Norm ermöglicht es den Mitgliedstaaten, im Rahmen einer Ermessensentscheidung (arg. "kann") Familienmitglieder oder im Falle eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses auch entferntere Verwandte in einem an sich nicht zuständigen Mitgliedstaat zusammenzuführen, wenn dies im Lichte des Art. 8 EMRK geboten erscheint und von den Betroffenen auch gewünscht wird (vgl. hiezu ausführlich Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, Art. 15 K1-K6). Auf die Anwendung der Humanitären Klausel besteht kein Rechtsanspruch.
Da im gegenständlichen Verfahren ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis verneint und ein Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte nicht festgestellt wurde, liegen im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen für die Anwendung der in der Beschwerde monierten Humanitären Klausel gemäß Art. 15 Dublin II VO nicht vor.
2.1.2.3. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.
2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.
2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.
2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.