TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/05 S13 401743-1/2008

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Veröffentlicht am 05.11.2008
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Spruch

S13 401.743-1/2008/4E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde der T. alias C.R. alias R., geb. 00.00.1955, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamts vom 16.09.2008, FZ. 08 07.809-EAST West, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verwaltungsverfahren und Sachverhalt

 

Verfahren vor dem Bundesasylamt

 

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und tschetschenischer Volkszugehörigkeit, reiste am 27.08.2008 in das österreichische Bundesgebiet ein.

 

Am selben Tag stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz. Eine Eurodac-Abfrage (AS 11) ergab, dass sie zuvor (am 22.04.2007) einen Antrag auf internationalen Schutz in Polen gestellt hatte.

 

Am 28.04.2008 wurde die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der PI Traiskirchen EAST, in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch durchgeführt. Dabei wurde die Beschwerdeführerin mit dem Ergebnis der Eurodac-Abfrage konfrontiert (AS 21 ff).

 

Am 03.09.2008 stellte das Bundesasylamt an die zuständige Behörde in Polen ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) (AS 31).

 

Am 03.09.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG zurückzuweisen und dass zu diesem Zwecke seit dem 03.09.2008 Konsultationen mit Polen gemäß der Dublin II-VO geführt werden (AS 45).

 

Mit Schreiben vom 05.09.2008, erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin bereit (AS 57).

 

Am 15.09.2008 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt EAST West nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Tschetschenisch einvernommen.

 

Eine Aktenabschrift wurde der Beschwerdeführerin und der Rechtsberaterin am 15.09.2008 übergeben (AS71).

 

Mit Bescheid vom 16.09.2008, FZ. 08 07.809-EAST West, zugestellt am 17.09.2008, wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück (in der Folge: angefochtener Bescheid) (AS 105 ff.).

 

Im angefochtenen Bescheid weist das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (I.). Die Beschwerdeführerin wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und demzufolge festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig ist (II.).

 

Beschwerde (AS 193)

 

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin am 25.09.2008 Beschwerde beim Bundesasylamt erhoben. Die Beschwerde langte am 29.09.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

In der Beschwerdeschrift bringt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, das Bundesasylamt habe seine Ermittlungspflicht nicht wahrgenommen und kein spezifisches Ermittlungsverfahren hinsichtlich ihres Vorbringens zu ihrer Gesundheit durchgeführt sowie ihr Vorbringen hinsichtlich ihres gesundheitlichen Zustandes und ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen in Österreich unrichtig gewürdigt.

 

Beweismittel

 

Als Beweismittel hat der Asylgerichtshof die verschiedenen Vorbringen der Beschwerdeführerin und weitere Beweismittel verwendet.

 

Parteivorbringen der Beschwerdeführerin

 

1. In der Erstbefragung hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes angegeben (AS 21 ff.):

 

Zur Flucht nach Österreich hat die Beschwerdeführerin ausgesagt, dass sie über Polen nach Österreich gelangt sei. In Polen habe sie sich ungefähr 4 Tage aufgehalten. Sie habe in Polen einen Asylantrag stellen müssen. Den Stand dieses Verfahrens kenne sie nicht, da sie nur kurz in Polen gewesen sei.

 

Sie habe ihr Heimatland verlassen, da ihr Ehemann im Krieg getötet worden sei. Einer ihrer Söhne sei in Haft, ein anderer sei verschollen. Sie wolle nicht in ihr Heimatland zurück, da das Leben dort schlecht sei. Sanktionen habe sie dort nicht zu erwarten.

 

Sie sei bei einem Bombenangriff verletzt worden und leide infolgedessen an gesundheitlichen Problemen. Wegen dieser gesundheitlichen Probleme habe sie ihr Herkunftsland verlassen.

 

Ihre beiden Töchter lebten ihn Österreich, eine davon vermutlich irgendwo in Kärnten. Wegen der gesundheitlichen Probleme wolle sie bei ihnen leben.

 

2. In der Einvernahme am 15.09.2008 hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS 77 ff.):

 

Zu den Fluchtgründen hat die Beschwerdeführerin angegeben, sie habe ihr Heimatland wegen einer Blutrache verlassen.

 

Zu ihrem Gesundheitszustand hat sie ausgesagt, sie sei drei Mal operiert worden (Blinddarm, Unterleib, Darm), davon ein Mal 1995 in Inguschetien uns zwei Mal in Grosny vor dem ersten Krieg. Sie sei geheilt entlassen worden. Wegen Herzenbeschwerden nehme sie Medikamente ein. Sie wolle wegen ihrer Herzprobleme bei einer ihrer Tochter in Österreich bleiben, diese Tochter sei auch selbst schwer krank.

 

Zu ihren Töchtern in Österreich hat die Beschwerdeführerin erklärt, dass sie im Herkunftsland bis zur Heirat der Töchter mit diesen im selben Haushalt gelebt habe. Ihre jüngere Tochter sei sofort nach der Heirat nach Österreich gereist. Im Herkunftsland habe die Beschwerdeführerin ihren Unterhalt selbst verdient. Ihre ältere Tochter habe sie von Österreich aus finanziell unterstützt, indem sie alle 4 bis 5 Monate ungefähr 100,- EURO geschickt habe. Bei ihren Kindern in Russland könne sie nicht leben, da diese ein Problem mit Blutrache hätten. Auf Vorhalt, warum sie die Adresse ihrer Töchter in Österreich nicht angeben konnte, sagte die Beschwerdeführerin aus, sie habe sich nicht erinnern können.

 

Zu den Gründen, die gegen eine Rückführung nach Polen sprechen, gab die Beschwerdeführerin an, sie habe dort nicht bleiben wollen. Ihre Töchter seien in Österreich und sie könne bei diesen bleiben. In Polen kenne sie niemanden. Sie sei zwar in Polen nie selbst verfolgt oder bedroht worden, es könnten aber die Personen, mit denen die Familie Blutrache habe, sehr leicht nach Polen kommen. Drei ihrer Enkel seien bereits verschleppt worden und spurlos verschwunden.

 

4. In der Beschwerdeschrift hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS 193):

 

Zu ihrer gesundheitlichen Situation hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass laut Berichten von verschiedenen Flüchtlingsorganisationen eine Behandlung ihrer Herzprobleme in Polen nicht gewährleistet sei.

 

Zu ihrem Verhältnis zu ihren Töchtern hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, dass es in Tschetschenien üblich sei, dass verheiratete Töchter zur Familie ihres Mannes ziehen. Seit Beginn des Krieges im Jahre 1994 bis zur Ausreise ihrer älteren Tochter habe sie wieder mit dieser zusammengelebt. Mit ihrer jüngeren Tochter habe sie bis vor einem Jahr, als diese nach Österreich gereist sei, in einem Doppelhaus gelebt. Diese Tochter habe sie versorgt und sie bei den alltäglichen Dingen unterstützt. Ihre ältere Tochter sei entgegen ihrer früheren Aussage nicht schwer krank, sie leide nur unter Depressionen und könne sich sehr wohl um die Mutter kümmern und wünsche dies auch. Die Beschwerdeführerin stehe täglich in telefonischem Kontakt mit ihren Töchtern. Sie habe die Adresse ihrer Töchter in Österreich nicht nennen können, da sie Analphabetin und der deutschen Sprache nicht mächtig sei.

 

Weitere Beweismittel

 

1. Laut Eurodac-Abfrage hatte die Beschwerdeführerin am 22.08.2008 in Lublin (Polen) einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

2. Die polnischen Behörden haben auf den Antrag des Bundesasylamts auf Wiederaufnahme ihre Zustimmung "gemäß Artikel 16 Abs. 1 c)" Dublin II-VO erklärt.

 

Sachverhalt nach Beweiswürdigung

 

Nach Würdigung des Beschwerdeführervorbringens und der sonstigen Beweismittel stellt sich dem Asylgerichtshof folgender Sachverhalt dar:

 

1. Die Beschwerdeführerin war am 22.08.2008 in Polen eingereist und hatte dort Asyl beantragt. Am 26.08.2008 hat sie Polen verlassen und ist von dort aus illegal nach Österreich eingereist, wo sie einen erneuten Asylantrag stellte. Die Antragstellung in Polen ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin sowie aus der Eurodac-Abfrage und der Zustimmungserklärung Polens.

 

2. Es besteht keine Gefahr, dass die Beschwerdeführerin der Bedrohung oder Verfolgung der Beschwerdeführerin durch Personen, mit denen sie sich in Blutrache befindet, in Polen ungeschützt ausgesetzt ist.

 

Dem Asylgerichtshof erscheint das dahingehende, in der Erstbefragung noch nicht und der Beschwerde nicht mehr erhobene Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft. Die Beschwerdeführerin hat im gesamten Verfahren nämlich außer der kurzen Behauptung an sich und der Annahme, die Verfolger könnten leicht nach Polen einreisen, keine substantiierten Gründe angeführt, woraus sich eine derartige Bedrohung außerhalb Tschetscheniens und insbesondere in Polen ergeben könnte. Was die Verschleppung ihrer Enkel betrifft, so hat die Beschwerdeführerin nicht behauptet, dass diese jemals in Polen waren und von dort aus verschleppt worden seien. Die Beschwerdeführerin hat insbesondere auch keine Gründe vorgebracht, die darauf schließen ließen, die polnischen Behörden seien nicht im Stande oder nicht willens, Schutz gegen persönliche Bedrohungen zu bieten.

 

3. Die Beschwerdeführerin leidet nicht an einer Erkrankung, welche einer Überstellung nach Polen entgegenstehen könnten.

 

Die im Heimatland durchgeführten Operationen waren erfolgreich. Hinsichtlich der Herzbeschwerden wird die Beschwerdeführerin medikamentös behandelt. Es handelt sich dabei generell nicht um eine schwere Erkrankung, welche insbesondere die Transportfähigkeit nicht beeinträchtigt. Diese Feststellungen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin.

 

4. Die Beschwerdeführerin hat losen Kontakt zu ihren beiden Töchtern, welche als anerkannte Flüchtlinge in Österreich leben.

 

Im Herkunftsland lebte die Beschwerdeführerin zwar teilweise mit ihren Töchtern im gemeinsamen Haushalt und es wurden gelegentlich Geldbeträge von der in Österreich lebenden, älteren Tochter an die Beschwerdeführerin geschickt. In Österreich besteht telefonischer Kontakt. Ein finanzielles oder sonstiges besonderes persönliches Abhängigkeitsverhältnis bestand und besteht jedoch nicht. Insbesondere besteht keine Notwendigkeit, dass eine (selbst nicht gesunde) Tochter die Beschwerdeführerin wegen ihrer Erkrankungen pflegt. Insofern hat die Beschwerdeführerin zwar vorgebracht, dass sie gerne von der Tochter betreut werden würde, sie hat jedoch nichts vorgebracht aus dem sich eine besondere Pflegebedürftigkeit ergeben könnte, die nur von diesem Familienmitglied erbracht werden könnte.

 

Diese Tatsachen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Rechtlicher Rahmen

 

Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Asylverfahren das AsylG 2005 anzuwenden ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG, ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Mitgliedstaat der Dublin II-VO Schutz vor Verfolgung findet. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Dabei ist mitzubeachten, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann) (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO) zuständig ist, wobei die dort geregelten Zuständigkeitskriterien nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO bestimmt, dass jener Mitgliedstaat, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, wenn der Grenzübertritt in besondere auf der Grundlage der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 (Eurodac-VO) festgestellt wird.

 

Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wieder aufzunehmen.

 

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den Kriterien der Art. 6 bis 13 Dublin II-VO nicht zuständig ist.

 

Gemäß § 10 AsylG ist ein Bescheid über einen Asylantrag mit einer Ausweisung in einen bestimmten Staat zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen (Absatz 1 Ziffer 1) wird und keiner der in § 10 Absatz 2 und Absatz 3 AsylG festgelegten Gründe für die Unzulässigkeit der Ausweisung des vorliegt.

 

Gemäß § 10 Absatz 4 AsylG gilt eine Ausweisung wegen Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers.

 

§ 18 Absatz 1 AsylG besagt, dass das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Zulässigkeit der Beschwerde und Verfahren vor dem Asylgerichtshof

 

Die Beschwerde ist fristgerecht beim Asylgerichtshof eingebracht worden und es bestehen keine Bedenken gegen ihre Zulässigkeit.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte im Verfahren vor dem Asylgerichtshof von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung

 

Die angefochtene Entscheidung ist rechtmäßig, da das Bundesasylamt keine Verfahrensfehler begangen hat sowie zu Recht festgestellt hat, dass Österreich für die Prüfung des Asylantrags der Beschwerdeführerin nicht zuständig ist und zu Recht die Ausweisung nach Polen verfügt hat.

 

Ordnungsgemäßes Verfahren vor dem Bundesasylamt

 

Der Asylgerichtshof stellt zunächst fest, dass das Verwaltungsverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde.

 

Der Beschwerdeführerin wurde insbesondere durch die Erstbefragung und die Einvernahme mit vorhergehender Rechtsberatung - jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt, und ihr wurde vor der Einvernahme und innerhalb von 20 Tagen ab Einbringen ihres Antrags schriftlich mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Asylantrag wegen Zuständigkeit Polens zurückzuweisen (§§ 28, 29 AsylG).

 

Ein Verstoß gegen § 18 AsylG wegen unterlassener Ermittlungen im Hinblick auf die Gefährdung der Beschwerdeführerin in Polen, ihren Gesundheitszustand und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen in Österreich liegt nicht vor.

 

Die Beschwerdeführerin hat nämlich, erstens, keine substantiierten Hinweise darauf gegeben, dass sie in Polen verfolgt werde und seitens der polnischen Behörden kein oder nicht ausreichender Schutz vor Übergriffen seitens Personen gewährt wird, welche mit ihrer Familie in Tschetschenien in Blutrache stehen. Vielmehr beruft sie sich auf vage Behauptungen spekulativer Natur sind. Es bestand daher keine Verpflichtung des Bundesasylamts, weitergehende Ermittlungen hinsichtlich der Sicherheit der Beschwerdeführerin in Polen durchzuführen.

 

Hinsichtlich, zweitens, ihrer physischen Probleme hat die Beschwerdeführerin ebenfalls keine konkreten Hinweise vorgebracht, die weitergehende Ermittlungen notwendig erscheinen lassen. Nach ihren eigenen Angaben sind ihre Vorerkrankungen aus der Heimat behandelt und ausgeheilt und die akuten Herzbeschwerden werden medikamentös behandelt. Es bestand daher keine Verpflichtung des Bundesasylamts, weitergehende Ermittlungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin durchzuführen.

 

Hinsichtlich, drittens, des Verhältnisses zu ihren in Österreich lebenden Töchtern hat das Bundesasylamt im Zuge der Einvernahme die notwendigen Erhebungen durchgeführt. Weitere Hinweise auf das Bestehen einer besonderen Nahebeziehung zu ihren Töchtern wurden von Seiten der Beschwerdeführerin selbst nicht gegeben. Es bestand daher keine Verpflichtung des Bundesasylamts, weitergehende Ermittlungen hinsichtlich des Verhältnisses der Beschwerdeführerin zu ihren Töchtern durchzuführen.

 

Unzuständigkeit Österreichs

 

Der Asylgerichtshof stellt fest, dass das Bundesasylamt keine Beurteilungsfehler begangen hat als es feststellte, dass für die Prüfung des Asylantrags der Beschwerdeführerin ausschließlich Polen zuständig ist.

 

Zur Zuständigkeit Polens

 

Was zunächst die Feststellung der Zuständigkeit Polens betrifft, so hat das Bundesasylamt diese Zuständigkeit im angefochtenen Bescheid zwar fälschlicherweise auf Artikel 16 Absatz 1 lit. c) Dublin II-VO gestützt. Inhaltlich ist die Feststellung jedoch richtig, da sich die Zuständigkeit Polens aus Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ergibt. Aus dem unter I.4. zu 1. festgestellten Sachverhalt ergibt sich nämlich, dass die Beschwerdeführerin aus einem Drittland kommend erstmals das Hoheitsgebiet Polens betreten hat und dieser Nachweis durch Daten der Eurodac erbracht wurde.

 

Zur Zuständigkeit Österreichs durch Selbsteintritt

 

Es besteht keine Pflicht Österreichs, vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Im vorliegenden Fall besteht nämlich kein Grund anzunehmen, dass die Nichtzulassung zum Asylverfahren in Österreich und einer Weiterführung des Verfahrens in Polen im konkreten Fall einen Verstoß der österreichischen Behörde gegen die Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 3 oder Art. 8 EMRK darstellt.

 

Nach der Judikatur ist dieses Selbsteintrittsrecht zwingend anzuwenden, wenn ein Asylbewerber mit dem Vollzug der Ausweisung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat der Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung (Art. 3 EMRK) oder der Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) ausgesetzt wäre (VfGH 08.03.2001, G 117/00 u.a.; VfGH 11.06.2001, B 1541/00; VfGH 15.10.2004, G 237/03 u.a.; VfGH 17.06.2005, B 336/05).

 

Was zunächst die von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr der der Verletzung von Art. 3 EMRK wegen der drohenden Verfolgung in Polen betrifft, erinnert der Asylgerichtshof an die Judikatur, wonach, wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände bedarf, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem oben unter I.4. zu 2. festgestellten Sachverhalt, dass im konkreten Fall keine stichhaltigen Gründe vorliegen, anzunehmen, die Beschwerdeführerin liefe konkret Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu sein, weil sie in Polen ohne jeden Schutz durch polnische Behörden und Gerichte der Verfolgung durch Personen, mit denen sich ihre Familie in Tschetschenien in einem Blutracheverhältnis befindet, ausgeliefert wäre.

 

Was weiters den von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK wegen durch Überstellung nach Polen trotz ihres schlechten Gesundheitszustand betrifft, erinnert der Asylgerichtshof daran, dass nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK die Überstellung eines Asylwerbers nicht zulässig, wenn im Zielland wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation vorliegen würde. Aus den diesbezüglichen Entscheidungen ergibt sich, dass bei Vorliegen von Erkrankungen im Allgemeinen nur solche relevant sind, die bekanntermaßen zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen und grundsätzlich keine Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bestehen (siehe dazu nunmehr auch VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).

 

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem oben unter I.4. zu 3. festgestellten Sachverhalt, dass der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin einer Überstellung nach Polen nicht entgegensteht.

 

Was schließlich die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verletzung von Art. 8 EMRK wegen der drohenden Trennung von ihren Familienangehörigen (erwachsene Töchter) in Österreich betrifft, erinnert der Asylgerichtshof an die Judikatur von EGMR bzw. EKMR, die zum Vorliegen des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutzes ein "effektiven Familienleben" verlangen, das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushalts, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234). Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst zwar nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entfernter verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem oben unter I.4. zu 4. festgestellten Sachverhalt, dass die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihren in Österreich lebenden, erwachsenen Töchtern aus telefonischen Kontakten besteht und auch mangels schwerer Erkrankung bzw. Pflegebedürftigkeit der Beschwerdeführerin kein Notwendigkeit besteht, die Hilfe ihrer Töchter in Anspruch zu nehmen, so dass im Fall der Führung des Asylverfahrens der Beschwerdeführerin in Polen kein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben vorliegt.

 

Rechtmäßigkeit der Ausweisung

 

Was die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach Polen betrifft, so ergibt sich diese zunächst unmittelbar aus § 10 Absatz 1 Z. 1 AsylG, da der Antrag auf internationalen Schutz - wie oben unter 3.2. dargelegt - vom Bundesasylamt zu Recht zurück gewiesen wurde.

 

Es ergeben sich auch weder aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin noch aus sonstigen Anhaltspunkten Gründe dafür anzunehmen, dass die sofortige Ausweisung wegen Verstoßes gegen § 10 Abs. 2 AsylG iVm.

Artikel 3 EMRK oder gegen § 10 Abs. 3 iVm. Artikel 8 EMRK unzulässig wäre.

 

Insoweit verweist der Asylgerichtshof auf die oben unter 3.2. gemachten Ausführungen.

 

Da die Ausweisung nach Polen rechtmäßig ist, hat das Bundesasylamt auch zu Recht festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig ist. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 10 Abs 4 AsylG.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, medizinische Versorgung, real risk, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
03.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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