TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/05 E5 224275-0/2008

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Veröffentlicht am 05.11.2008
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Spruch

E5 224.275-0/2008-15E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Grabner-Kloibmüller als Vorsitzende und den Richter Mag. Habersack als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Praher über die Beschwerde des M.K., geb. 00.00.1968, StA. Türkei, vertreten durch Mag. KAYA, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.09.2001, FZ. 00 17.948-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.10.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8 AsylG 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I.1. Verfahrensgang:

 

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei kurdischer Abstammung, reiste am 14.12.2000 illegal in das Bundesgebiet ein und beantragte am 18.12.2000 die Gewährung von Asyl. In weiterer Folge wurde er dazu am 12.03.2001 vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

 

Mit Schriftsatz vom 29.03.2001 erstattete der Beschwerdeführer durch seinen damaligen rechtsfreundlichen Vertreter innerhalb der ihm in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 12.03.2001 dafür eingeräumten Frist eine Stellungnahme und brachte gleichzeitig eine Personenstandsurkunde in Vorlage.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.09.2001, FZ. 00 17.948-BAL, wurde der Asylantrag in Spruchteil I unter Berufung auf § 7 AsylG abgewiesen; in Spruchteil II stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Gegen diesen mit Wirksamkeit vom 24.09.2001 dem damaligen rechtsfreundlichen Vertreter zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 27.09.2001 fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde) erhoben.

 

Am 07.10.2008 führte der Asylgerichtshof in der Sache des Beschwerdeführers eine - gemäß § 39 Abs 2 AVG mit dem Beschwerdeverfahren seiner Ehegattin verbundene - öffentlich mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand vorliegender Länderdokumentationsunterlagen erörtert.

 

I.2. Sachverhalt:

 

I.2.1. Der Beschwerdeführer stammt aus der Türkei, ist kurdischer Abstammung und gehört dem alevitischen Glauben an. Geboren wurde der Beschwerdeführer in P., Provinz T., wo er auch aufwuchs und acht Jahre lang (von 1975 bis 1983) die Schule besuchte. Von 1989 bis 1990 leistete der Beschwerdeführer seinen Militärdienst und war nach dieser Zeit überwiegend in seinem erlernten Beruf als Bäcker tätig. Der Beschwerdeführer lebte mit seiner Ehegattin, den zwei Kindern und seinen drei Geschwistern (zwei Brüder und eine Schwester) im Haus seiner Eltern, wo er zusätzlich die dazugehörige Landwirtschaft bewirtschaftete. Am 00.00.1998 wurde der Bruder des Beschwerdeführers, K.M., im Zuge einer Auseinandersetzung aufgrund von politischen Meinungsverschiedenheiten ermordet. Der Täter, G.S., wurde wegen vorsätzlicher Tötung des K.M. im anschließenden Strafprozess zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Jahren verurteilt. Die übrigen 19 Beschuldigten erhielten teils unbedingte, teils bedingte Geldstrafen. Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers sind nach wie vor in der Türkei aufhältig. Der Vater ist Pensionist, ein Bruder geht einer Arbeit nach und ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers bezieht eine Invalidenrente. Die Ehegattin sowie die beiden Kinder des Beschwerdeführers sind ebenfalls in Österreich aufhältig.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Türkei eine asylrelevante - oder sonstige - Verfolgung oder Strafe maßgeblicher Intensität oder die Todesstrafe droht oder dem Beschwerdeführer in der Türkei die Existenzgrundlage völlig entzogen wäre.

 

I.2.2. Zur Lage in der Türkei wird festgestellt:

 

Überblick

 

Die Türkei betrachtet sich als Modell eines laizistischen Staates mit überwiegend islamischer Bevölkerung. Ein herausragendes politisches und für die gesamte Türkei wegweisendes Ereignis der letzten Jahrzehnte ist der Beginn von Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei zum 03.10.2005. In ihrem Fortschrittsbericht vom 08.11.2006 greift die EU-Kommission vor allem drei Kritikpunkte auf:

mangelnde Flexibilität in der Zypernfrage und Defizite bei der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie bei den Minderheitenrechten. Nach dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs der EU vom Dezember 2006 wurden die Verhandlungen von acht der 35 Verhandlungskapitel eingefroren. Auf ein Ultimatum im Zypernstreit wurde verzichtet; die Türkei wird aber weiter dazu gedrängt, ihre Häfen und Flughäfen für die Republik Zypern zu öffnen, die seit Mai 2004 EU-Mitglied ist. Unter deutscher EU-Präsidentschaft wurden im ersten Halbjahr 2007 insgesamt drei weitere Verhandlungskapitel eröffnet. Bei den Parlamentswahlen vom 22.07.2007 hat die regierende AKP von MP Erdogan mit knapp 46,62 % der abgegebenen Stimmen (340 Sitze) einen historischen Sieg errungen, Wahlverlierer ist die CHP von Oppositionsführer Baykal mit 20,88 % (112 Sitze). Als weitere Partei zog die MHP (14,27%, 71 Sitze) sowie 26 unabhängige Kandidaten (davon 22 von der kurdennahen DTP) ins Parlament ein. Die Regierung Erdogan kann sich weiterhin auf eine stabile Parlamentsmehrheit stützen. Es wird erwartet, dass sie den Reformkurs fortführt. Am 28.08.2007 wurde der bisherige Außenminister Abdullah Gül im dritten Wahlgang mit 339 (von 267 erforderlichen) Stimmen zum elften Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen, die anschließende Wahl des Präsidenten und die zügige Regierungsbildung haben zu einer Beruhigung und Konsolidierung der innenpolitischen Lage geführt. Sowohl Staatspräsident Gül als auch Ministerpräsident Erdogan kündigten eine Fortsetzung der Reformpolitik an.

 

Nach Jahren relativer Stabilität erlebte die Türkei im Zusammenhang mit den gescheiterten Präsidentschaftswahlen im Mai 2007 eine Phase innenpolitischer Polarisierung. Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 22.07.2007 trat eine Beruhigung der Lage ein. Die anschließende erfolgreiche Wahl eines Präsidenten und die Regierungsbildung trugen zu einer weiteren Konsolidierung bei. Im Osten und Südosten der Türkei kommt es weiterhin zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der terroristischen PKK und türkischen Sicherheitskräften; der Ruf nach einschneidenderen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung wurde mit Wiedererstarken des PKKTerrorismus lauter.

 

Politische Opposition

 

Das türkische Verfassungsgericht hatte früher in zahlreichen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Parteien zu verbieten. Die Schließungsverfahren richteten sich entweder gegen islamistische Parteien, z.B. 1998 die "Wohlfahrts-Partei" (Refah Partisi), 2001 die "Tugend-Partei" (Fazilet Partisi), oder pro-kurdische Parteien, z. B. DEP, HADEP. Mit dem Reformpaketvom 11.01.2003 hat die AKP-Regierung Reformen des Parteien- und Wahlgesetzes beschlossen sowie Partei- und Politikverbote erschwert. Trotzdem wurde 2003 ein Verbotsverfahren gegen die kurdisch orientierte "Demokratische Volkspartei" (DEHAP), die Nachfolge- bzw. Schwesterpartei der HADEP, eingeleitet. Sie hat sich am 19.11.2005 selbst aufgelöst. Die DEHAP stand aufgrund einer mit der PKK und Abdullah Öcalan sympathisierenden Haltung vieler ihrer Mitglieder in der türkischen Öffentlichkeit im Verdacht, Verbindungen zur PKK zu unterhalten. Ihre Nachfolge trat die am 25.10.2005 gegründete "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) an, zu der sich viele führende kurdische Politiker zusammengeschlossen haben und die zumindest teilweise noch mit der PKK symphatisiert. Ziel der DTP sei die friedliche Lösung des Kurdenkonflikts, verlautet aus der Partei, an deren Spitze einige der ehemaligen kurdischen Parlamentsabgeordneten stehen, die enge Kontakte zur Menschenrechtspreisträgerin Leyla Zana unterhalten. Im Februar 2007 wurden alle angeklagten Parteimitglieder der kurdisch-orientierten "Partei der Rechte und Freiheiten" (HAK-PAR) wegen Gebrauchs der kurdischen Sprache verurteilt, fünf Personen zu jeweils einem Jahr Freiheitsstrafe, acht Personen zu jeweils sechs Monaten Freiheitsstrafe, wobei diese Strafe in eine Geldstrafe umgewandelt wurde. Im Falle der Bestätigung des Urteils durch den Kassationsgerichtshof kündigte das Gericht die Einleitung eines weiteren Verbotsverfahrens gegen die Partei bei der dafür zuständigen Generalstaatsanwaltschaft an.

 

Exilpolitische Aktivitäten

 

Nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Es ist davon auszugehen, dass sich eine mögliche strafrechtliche Verfolgung durch den türkischen Staat insbesondere auf Personen bezieht, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gemäß der gültigen Fassung des türkischen Strafgesetzbuches gewertet werden können. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts haben die türkischen Strafverfolgungsbehörden in der Regel nur ein Interesse an der Verfolgung im Ausland begangener Gewalttaten bzw. ihrer konkreten Unterstützung. Dazu gehört auch die Mitgliedschaft in der PKK.

 

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

 

Die in der Vergangenheit von Schwerfälligkeit, Ineffizienz, Unberechenbarkeit und Strenge geprägte türkische Strafjustiz hat sich verbessert. Im Strafrecht- und Strafprozessrecht kam es in den vergangenen Jahren zu umfassenden gesetzgeberischen Änderungen und Novellierungen. In der Rechtspraxis wurden ebenfalls wesentliche Verbesserungen festgestellt, ohne dass dabei aber das Tempo der anderen gesetzgeberischen Reformen erreicht werden konnte. Bei allen Mängeln, die der türkischen Justiz noch anhaften (z.B. lange Verfahrensdauer), sind Bestrebungen unverkennbar, rechtstaatliches Handeln durchzusetzen. Einzelne Vorkommnisse und Entscheidungen von Justizorganen lassen bisweilen an dieser Einschätzung zweifeln. Es zeigt sich jedoch, dass sich im Gegensatz zu früher staatsanwaltliches Unrecht nicht halten lässt, sondern revidiert wird. Dies erfordert bisweilen jedoch beträchtliche Gegenwehr der Betroffenen.

 

Die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Menschengerichtshofs durch die Türkei hat sich deutlich verbessert. Der Europäische Menschengerichtshof spielt in der Türkei eine wichtige Rolle, da er wegen Fehlens einer Individual-Verfassungsbeschwerde in vielen Fällen angerufen wird. Auch deshalb ist die Zahl der die Türkei betreffenden Verfahren sehr hoch; auch 2006/2007 wurde die Türkei wieder in einer Reihe von Verfahren wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Leben und wegen Verstoßes gegen das Folterverbot verurteilt. Die Verurteilungen der Türkei betreffen in der Regel Fälle, deren Sachverhalte mehrere Jahre zurückliegen, so dass aus den Verurteilungen nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts nur bedingt Schlüsse auf die aktuelle Praxis der Verwaltung und Justiz gezogen werden können.

 

Markante Fortschritte in der Menschenrechtslage konnten durch die Gesetzes- und Verfassungsänderungen der letzten Jahre sowie weitere Reformmaßnahmen (z.B. Justizreformen) erzielt werden; dadurch wurde ein Mentalitätswandel bei großen Teilen der Bevölkerung eingeleitet. Es wird von den Menschenrechtsorganisationen mitgeteilt, dass Fälle schwerer Folter (z.B. mit sichtbaren körperlichen Verletzungen) nur noch vereinzelt vorkommen. Ihre Zahl lag in den letzten Jahren nach Angaben der Menschenrechtsorganisationen im unteren einstelligen Bereich, wird aber neuerdings nicht mehr gesondert erfasst. Hinweise auf einen Anstieg gibt es auch nach inoffiziellen Angaben nicht. Die überwiegende Zahl der angezeigten Fälle betreffen z.B. Beleidigungen, Drohungen und Einschüchterungen, zu langes Festhalten, Vorenthalten eines Toilettenbesuchs bis hin zu Drohungen mit Tötung.

 

Sippenhaft

 

In der Türkei gibt es keine "Sippenhaft" in dem Sinne, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Die nach türkischem Recht aussagepflichtigen Familienangehörigen - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder Sympathisanten - werden allerdings zu Vernehmungen geladen, z.B. um über den Aufenthalt von Verdächtigen befragt zu werden. Werden Ladungen nicht befolgt, kann es zur zwangsweisen Vorführung kommen.

 

Kurden

 

Ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei (72 Millionen) - also ca. 14 Millionen Menschen - ist zumindest teilweise kurdischstämmig. Im Westen der Türkei und an der Südküste lebt die Hälfte bis annähernd zwei Drittel dieser Kurden: ca. drei Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Rund sechs Millionen kurdischstämmige Türken leben in der Ost und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig. Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus.

 

Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden).

 

Der Gebrauch des Kurdischen, d.h. der beiden in der Türkei vorwiegend gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmanci und Zaza, ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, allerdings im "öffentlichen Raum" noch eingeschränkt und im Schriftverkehr mit Behörden nicht erlaubt. Kurdischunterricht und Unterricht in kurdischer Sprache an Schulen sind nach wie vor verboten. Kurdischkurse für Erwachsene an privaten Lehrinstituten sind seit 2004 zulässig, scheitern jedoch häufig an mangelnder Nachfrage/Fehlen finanzieller Mittel. Seit 2002 sind Rundfunk- und Fernsehsendungen auf Kurdisch unter dem Vorbehalt, dass sie nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Verfassung stehen und nicht gegen "die unteilbare Einheit des Staates mit seinem Land und seiner Nation" gerichtet sein dürfen, erlaubt.

 

Kurdische Arbeiterpartei (PKK)

 

Die Kurdenfrage ist eng verflochten mit dem jahrzehntelangen Kampf der türkischen Staatsgewalt gegen die von Abdullah Öcalan gegründete "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK) und ihre terroristischen Aktionen. Das in Deutschland und der EU bestehende Verbot der Terrororganisation PKK erstreckt sich auch auf die Nachfolgeorganisationen unter anderem Namen. Von 2002 bis 2004 hatte sich die Terrororganisation PKK mehrfach umbenannt (KADEK/KHK/KONGRA-GEL). Mittlerweile ist sie zu ihrer alten Bezeichnung PKK zurückgekehrt. Für die von ihr selbst als politisch bezeichnete Betätigung im Ausland hat sie jedoch die Bezeichnung KONGRA-GEL beibehalten. Ihr Anführer, der zu lebenslanger Haft verurteilte Abdullah Öcalan, befindet sich seit 1999 im Gefängnis auf der Insel Imrali im Marmara Meer. Kurdischen Quellen zufolge soll sich die PKK wieder verstärkt der Anwerbung "junger Kämpfer" widmen. Nach Berichten PKK nahe stehender Medien sind zahlreiche neue Guerillakämpfer in die Reihen der "Volksverteidigungskräfte" HPG aufgenommen und danach in ihre Einsatzgebiete entsandt worden.

 

Aleviten

 

Mit schätzungsweise 15 Millionen (rund ein Fünftel der türkischen Bevölkerung) bilden die Aleviten nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. In der Türkei leben sowohl türkische als auch kurdische Aleviten, die ihren Glauben je nach Herkunftsregion unterschiedlich praktizieren. Die Aleviten verwahren sich selbst gegen den Begriff "Minderheit". Vom türkischen Staat werden sie, entsprechend der kemalistischen Staatsdoktrin der einheitlichen türkischen Nation, offiziell nicht als Glaubensgemeinschaft anerkannt, sondern als Teil der muslimischen (sunnitischen) Bevölkerung der Türkei angesehen. Dementsprechend betrachtet die Religionsbehörde DIYANET das Alevitentum als islamische Unteridentität in seiner Zuständigkeit. Den Status alevitischer Gebetshäuser (Cemevi) erkennt sie nicht als Moscheen vergleichbar an. In Regierung, Verwaltung und Parlament sind die Aleviten unterrepräsentiert.

 

Auch wenn die Aleviten ihre Religion entsprechend der Gewährleistung in Art. 24 der türkischen Verfassung weit gehend unbehindert ausüben können, sehen sie sich aufgrund des Fehlens einer eigenen Rechtspersönlichkeit doch schwerwiegenden - ihrer Art und Intensität nach aber nicht asylerheblichen - bürokratischen Hemmnissen ausgesetzt. So können sie Grundeigentum, etwa zur Errichtung von Gebetshäusern (Cemevleri, Cem-Häuser), allenfalls über Kulturstiftungen und -vereine erwerben; dies dürfte aufgrund der jüngsten Änderungen des Vereinsrechts einfacher werden. Probleme ergeben sich auch bei der Ausbildung von Geistlichen sowie bei der Erteilung von Unterricht. Der religiöse Pflichtunterricht an den staatlichen Schulen berücksichtigt nichtsunnitische Bekenntnisse nicht. Bemühungen alevitischer Organisationen um Einbeziehung alevitischer Inhalte in die Curricula der staatlichen Schulen sind an dem durch das Erziehungsministerium vertretenen Argument gescheitert, es handle sich dabei um eine Form von religiösem Separatismus. Insoweit ist ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.

 

Die Aleviten selbst unterstützen den von Atatürk begründeten türkischen Laizismus und fordern eine echte Trennung von Staat und Religion; traditionell neigen sie dazu, sich liberalen und links gerichteten politischen Parteien und Strömungen anzuschließen. Auch wegen ihrer politischen Orientierung sehen sich Aleviten deshalb leicht dem Verdacht einer staatsfeindlichen Gesinnung ausgesetzt.

 

Von radikalen Sunniten werden die Aleviten sogar als Abtrünnige angesehen, und auch die rechtsgerichteten und rechtsradikalen Kräfte in der Türkei begegnen ihnen mit Feindschaft. So ist es in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach zu gewalttätigen Übergriffen auf Aleviten gekommen, ohne dass die Sicherheitskräfte mit dem nötigen Nachdruck eingegriffen hätten, nämlich in den Jahren 1967 und 1993 in Sivas, im Jahr 1978 in Kahramanmaras und Corum und zuletzt im Jahr 1995 in Istanbul. Derartige gewalttätige Ausschreitungen gegenüber Aleviten oder anderen religiösen Minderheiten haben sich in den zurückliegenden Jahren indessen nicht wiederholt.

 

Grundversorgung

 

Die Lebensverhältnisse in der Türkei sind weiterhin durch ein starkes West-Ost-Gefälle geprägt. Der Abwanderungsdruck aus dem Südosten in den Süden und Westen der Türkei und in das Ausland hält an. Angesichts einer Beruhigung der Lage in Teilen des türkischen Südostens in den vergangenen Jahren und wegen der schwierigen Lebensbedingungen und hohen Arbeitslosigkeit in den Armutsgebieten der großen Städte nahm zuletzt jedoch auch die Zahl der Rückkehrer in die Provinzstädte und Dörfer im Osten und Südosten der Türkei wieder zu. Das Wirtschaftswachstum betrug für das Jahr 2006 6% (im Jahr 2005 lag es bei 7,6%). Kumuliert hat der permanente Aufschwung der türkischen Wirtschaft seit der Wirtschaftskrise vor sechs Jahren ein Wachstum von 50% eingebracht. Die Inflation ist im Jahr 2006 auf 9,65% gestiegen, nachdem sie 2005 mit ca. 7,7% (Verbraucherpreise) den niedrigsten Wert seit über 30 Jahren erreicht hatte.

 

Medizinische Versorgung

 

In der Türkei gibt es neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitseinrichtungen, die in jeglicher Hinsicht EU-Standard entsprechen. Das türkische Gesundheitssystem verbessert sich laufend. Die Behandlung psychischer Erkrankungen, einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) ist in allen Krankenhäusern der Türkei möglich, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) werden in der Türkei die international anerkannten Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV angewandt. Zu Behandlungskonzepten zählen u.a. Psychotherapie mit Entspannungstraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. Eine Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) ist grundsätzlich auch über die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) möglich.

 

Behandlung von Rückkehrern

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte. Besteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Wehrdienstflüchtige haben damit zu rechnen, gemustert und ggf. einberufen zu werden (u.U. nach Durchführung eines Strafverfahrens). Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte.

 

Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit vier Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, schließt das Auswärtige Amt aus.

 

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die erstinstanzlichen Akte unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin vor der Erstbehörde, den bekämpften Bescheid, den Beschwerdeschriftsatz sowie durch öffentlich mündliche Verhandlung der Beschwerdesache und durch Berücksichtigung nachstehender Länderdokumentationsunterlagen:

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 25.10.2007.

 

EU-Kommission, Türkei Fortschrittsbericht 2007, 06.11.2007.

 

Annual Report of the United States Commission on International Religious Freedom, Mai 2008.

 

Home Office, Country of Origin Information Report, Turkey, 31.12.2007

 

I.3. Beweiswürdigend wird ausgeführt:

 

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet und des Datums seiner Asylantragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus dem vom Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren in Kopie vorgelegten Nüfus, ausgestellt am 09.10.2000 durch das Personenstandsamt P..

 

Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den familiären Verhältnissen des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen in diesen Punkten glaubwürdige Angaben im Asylverfahren.

 

Die Feststellungen betreffend die Ermordung des Bruders des Beschwerdeführers am 00.00.1998 sowie die anschließende Gerichtverhandlung ergeben sich aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Urteil des Strafgerichtes I. vom 00.00.1999, aus den diesbezüglich vorgelegten Zeitungsartikeln und aus den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers anlässlich des Asylverfahrens.

 

Was hingegen die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe betrifft, so ist Folgendes auszuführen:

 

Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seiner Ausreise aus der Türkei vor, nach der Ermordung seines Bruders auf der Straße, aber auch telefonisch bedroht worden zu sein, damit er die Anzeige gegen die mutmaßlichen Mörder seines Bruders zurückziehe und das Strafverfahren im Zusammenhang mit der Ermordung seines Bruders eingestellt werde. Zudem sei der Beschwerdeführer, nachdem er während den Verhandlungen die Beschuldigten beschimpft habe, von Polizisten aus dem Verhandlungssaal entfernt, ca. ein bis zwei Stunden angehalten und misshandelt worden.

 

Vorweg ist festzuhalten, dass der erkennende Gerichtshof - in Übereinstimmung mit dem Bundesasylamt - das Vorbringen des Beschwerdeführers insofern als glaubwürdig einstuft, als dem Beschwerdeführer durch die Vorlage des Urteils vom 00.00.1999 und durch die Vorlage von Zeitungsberichten, der Nachweis der Ermordung seines Bruders im Zuge einer politisch motivierten Auseinandersetzung und ein sich daran anschließender Strafprozess gelang und das diesbezügliche Vorbringen der Entscheidung somit zugrunde gelegt werden kann.

 

Was jedoch das darüber hinausgehende Vorbringen, insbesondere die mit dem Strafverfahren in Zusammenhang stehenden Bedrohungen und Misshandlungen durch die Polizei bzw. die Bedrohungen aufgrund seiner Mitgliedschaft zu der politischen Partei HADEP bzw. DEHAP angeht, so muss diesem aufgrund der widersprüchlichen und unplausiblen Angaben die Glaubwürdigkeit versagt werden.

 

Der Beschwerdeführer war im Zuge des gesamten Verfahrens nicht in der Lage gleichbleibende und widerspruchsfreie Angaben, sowohl hinsichtlich der ihm gegenüber ausgesprochenen Drohungen, als auch hinsichtlich jener Personen, von denen die Drohungen angeblich ausgegangen seien, zu tätigen. Überdies ergeben sich auch bei einem Vergleich seiner Angaben mit den Aussagen seiner Ehegattin einige Widersprüchlichkeiten, welche den Eindruck, nur eine konstruierte Geschichte vorgetragen zu haben, noch weiter bekräftigen.

 

So führte der Beschwerdeführer in seinem schriftlichen Asylantrag vom 18.12.2000 (AS 1ff) und in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 12.03.2001 (AS 26 ff) noch aus, dass er sowohl telefonisch als auch auf offener Straße bedroht worden sei und der Inhalt dieser Drohungen die Aufforderung, die Anzeige im Zusammenhang mit der Ermordung seines Bruders zurückzuziehen, gewesen sei.

 

In weiterer Folge änderte der Beschwerdeführer jedoch seine Angaben, indem er in seiner Stellungnahme vom 29.03.2001 (AS 33 ff) und in seiner Beschwerde vom 27.09.2001 (AS 63 ff) erstmals davon sprach, durch diese Drohungen zum Austritt aus der Partei HADEP gezwungen worden zu sein. Ziel sei es demnach nicht mehr gewesen, ihn dazu zu bewegen, die Strafanzeige gegen den mutmaßlichen Mörder seines Bruders zurückzuziehen, sondern seinen Austritt aus der Partei HADEP zu erzwingen. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung kehrte der Beschwerdeführer dann wiederum zu seiner ursprünglichen Aussage zurück, wonach die Bedrohungen dazu gedient hätten, den Beschwerdeführer von den Verhandlungen fern zu halten und dass er dieser "Angelegenheit" auch nicht mehr weiter nachgehe. Erst auf Vorhalt der vorsitzenden Richterin, die den Beschwerdeführer darauf hinwies, in der Beschwerde vom 27.09.2001 noch ein anderes "Bedrohungsmotiv" vorgebracht zu haben, korrigierte er seine Aussage dahingehend, dass beides von ihm verlangt worden sei. Sein diesbezüglicher Erklärungsversuch, wonach ein Austritt aus der Partei zugleich eine Zurückziehung der Anzeige impliziere, vermag diese divergierenden Angaben jedoch nicht zu rechtfertigen, zumal beide Forderungen in keinem Zusammenhang stehen und ein Austritt aus der Partei nicht zugleich eine Zurückziehung einer Strafanzeige bedingt. Ebenso verhält es sich mit der Zurückziehung einer Strafanzeige, welche unabhängig von einer Mitgliedschaft zu einer Partei zurückgezogen bzw. erstattet werden kann.

 

Ungereimtheiten werfen auch die Angaben zu jenen Personen auf, von denen die Bedrohungshandlungen nach Angaben des Beschwerdeführers angeblich gesetzt worden seien, zumal der Beschwerdeführer in seinem Asylantrag vom 18.12.2000 noch davon sprach, von unbekannten Personen bedroht worden zu sein, in seiner erstinstanzlichen Einvernahme am 12.03.2001 dann aber plötzlich siebzehn mutmaßliche Mörder, die Polizei und eine Gruppierung namens "graue Wölfe" als "Bedroher" anführte. In der Stellungnahme vom 29.03.2001 und in der Beschwerde vom 27.09.2001 beschränkte sich der Beschwerdeführer dann wieder darauf, lediglich von Verbündeten der Mörder seines Bruders bedroht worden zu sein, was er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung wiederum so darstellte, dass die Bedrohungen von der Polizei und von "Nationalisten" ausgegangen seien. Überdies verstrickte sich der Beschwerdeführer hinsichtlich der Bedrohungen durch die Polizei in weitere Widersprüche, indem er vor dem Bundesasylamt noch ausführte, von der Polizei in I. gefoltert worden zu sein und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung von Problemen mit der Polizei in B. sprach. Der Beschwerdeführer erklärte diesen Widerspruch auf Vorhalt damit, dass mittlerweile einige Jahre vergangen seien und er keine genauen Erinnerungen an diese Vorfälle mehr habe. Selbst wenn man dem Beschwerdeführer zugute halten würde, dass er aufgrund des Zeitablaufs, sich nicht mehr an die damaligen Ereignisse erinnern kann, so ist es für die Beweiswürdigung ein bedeutsamer Unterschied, ob jemand angibt, er könne sich - eben aufgrund Zeitablaufs - nicht mehr an gewisse Elemente erinnern oder aber - wie es im Fall des Beschwerdeführers war - zu ein und demselben Sachverhalt zu verschiedenen Zeitpunkten zwei unterschiedliche Versionen schildert und erst über Vorhalt der Divergenzen den langen Zeitraum nennt.

 

Ergänzend sei bemerkt, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung Soldaten und das O.T. auf die Frage, von wem ihr Ehegatte verfolgt worden sei, anführte und der Beschwerdeführer auf Vorhalt, selbst nie davon gesprochen zu haben, lediglich meinte, dass das O.T. auch eine Art Polizei sei und er sich nicht daran erinnern könne, dass ihn auch Soldaten verfolgt hätten. Außerdem sehe er in den von seiner Ehegattin vorgebrachten Verfolgungshandlungen ihm gegenüber (Schießübungen vor dem Haus und vorbeifahrende Panzer) keine Bedrohung, sondern nur eine Kontrolle.

 

Zudem kommt, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung die Bedrohungen plötzlich nicht mehr ausschließlich mit der Ermordung seines Bruders bzw. mit der Mitgliedschaft zur HADEP in Verbindung brachte, sondern erstmals anführte, mit der Polizei lediglich Probleme aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden und aufgrund der Teilnahme an der Beerdigung seines Bruders sowie an Demonstrationen mit Kurden gehabt zu haben. Darüber hinaus seien die Bedrohungen von Seiten der Polizei aufgrund der Mitgliedschaft zur HADEP so geringfügig ausgefallen, dass diese für ihn nicht einmal erwähnenswert seien und habe er mit den türkischen Behörden aufgrund der Mitgliedschaft zur HADEP überhaupt keine Schwierigkeiten gehabt. Überdies relativierte der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung die von ihm vorgebrachten Folterungen durch die Polizei, indem er die Frage nach körperlichen Übergriffen durch Polizisten und Zivilpolizisten ausdrücklich verneinte (S 10) und erst auf Vorhalt, im Erstverfahren derartige Angaben gemacht zu haben, ausführte, doch von der Polizei in I. gefoltert worden zu sein, indem er an den Händen festgehalten und verbal bedroht worden sei. Den Angaben der Ehegattin des Beschwerdeführers zu Folge sei die Verfolgung überhaupt nur aufgrund der Parteimitgliedschaft zur DEHAP erfolgt und erwähnte sie die Ermordung ihres Schwagers in diesem Konnex nie.

 

Im Zusammenhang mit dem vom Beschwerdeführer unter anderem erwähnten Versuch, ihn zur Zurücknahme der Anzeige zu bewegen, sei auch erwähnt, dass der Beschwerdeführer sowohl im Erstverfahren als auch im Beschwerdeverfahren ausführte, dass die Bedrohungen bis kurz vor seiner Ausreise aus der Türkei angedauerten hätten. Dies wäre bei einem Zusammenhang der Drohungen mit dem Tod des Bruders (Zurückziehung der Anzeige) jedoch äußerst unplausibel und unschlüssig, zumal es sich auch in der Türkei bei Mord um ein Offizialdelikt handelt und eine Verfolgung der Straftäter nicht in der Hand des Beschwerdeführers lag, sondern Aufgabe des Staates war, eine Anzeigezurückziehung somit keinerlei Konsequenzen für den nachfolgenden Prozess gehabt hätte. Auch kann kein Sinn darin gesehen werden, dass die Bedrohungen nach Fällung des Urteils am 00.00.1999 weiter andauerten (der Beschwerdeführer reiste erst am 10.12.2000 aus der Türkei aus).

 

Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Mitgliedschaft zur HADEP sei weiters ausgeführt, dass die in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegte Quittung der HADEP, aus der sich die Bezahlung einer Spende (Mitgliedsbeitrag) in Höhe von zwölf Millionen türkischen Lira am 01.01.1999 ergibt, keinen Hinweis auf eine Verfolgung liefert. Zudem ist es nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer diesen Einzahlungsbeleg nicht schon vor der Erstbehörde vorlegte und ist es erst recht unplausibel, wenn der Beschwerdeführer dies auf einen Ratschlag seines damaligen Rechtsvertreters zurückführt, der ihm angeblich geraten habe, diese Quittung nicht vorzulegen, weil der Beschwerdeführer eine Mitgliedschaft zu diesem Zeitpunkt bereits vorgebracht habe. Abgesehen davon, sei der Beschwerdeführer seinen Angaben zur Folge nur einfaches Mitglied bei der HADEP gewesen und ist eine solche Mitgliedschaft gemäß den getroffenen Feststellungen asylrechtlich irrelevant. Dies bestätigt der Beschwerdeführer auch mit seiner Aussage in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach er aufgrund seiner HADEP Mitgliedschaft keine Probleme mit den Behörden und lediglich nicht erwähnenswerte Schwierigkeiten mit der Polizei in der Türkei gehabt habe. Zweifel an einer Mitgliedschaft lässt aber auch die Aussage der Ehegattin des Beschwerdeführers aufkommen, die in der mündlichen Beschwerdeverhandlung angab, ihr Ehegatte sei Mitglied der DEHAP gewesen und nicht der HADEP und der Beschwerdeführer dies darauf zurückführte, dass seine Ehegattin - welche sich als Partei-Mitglied derselben Partei, der auch ihr Ehegatte angehöre, ausgab - nichts von seiner Mitgliedschaft gewusst habe. Dies ist jedoch äußerst unplausibel, da zwischen Ehepartner bekannt sein müsste, bei welcher Partei der jeweils andere Partner Mitglied ist.

 

Was den ebenfalls in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegten Artikel der Zeitschrift XY angeht, woraus hervorgehen soll, dass der Beschwerdeführer am 00.00.2007 in Linz an einer von Kurden organisierten Demonstration in Zusammenhang mit den Verhandlungen zum EU-Beitritt der Türkei und der damit geforderten Lösung der Kurdenproblematik teilgenommen hat, so ist auszuführen, dass die Abbildung neben dem Text zwar den Beschwerdeführer zeigt, sein Name in dem Artikel jedoch nicht aufscheint. Nach den Ausführungen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, könne sich der Beschwerdeführer auch nicht mehr an den Zweck dieser Veranstaltung erinnern und sei er nur zahlendes Mitglied eines Vereines, was ihn lediglich zur Benützung der Vereinslokale berechtige. Ein aktives Mitglied sei er jedoch nicht. Dazu ist anzuführen, dass sich aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Quittungen nicht einmal die von ihm vorgebrachte Mitgliedschaft als "zahlendes Mitglied" ergibt, da als Zahler daraus N.Z. und K.M. hervorgehen und als Empfänger die Vereine M. und B. aufscheinen, welche in keinem Zusammenhang zu den im vorgelegten Zeitungsartikel genannten XX und XV stehen. Somit kann vom erkennenden Gerichtshof lediglich die Teilnahme an der Demonstration im Dezember 2007 nicht in Zweifel gezogen werden. Dazu ist wiederum auszuführen, dass entsprechend den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Feststellungen nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Es ist davon auszugehen, dass sich eine mögliche strafrechtliche Verfolgung durch den türkischen Staat insbesondere auf Personen bezieht, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gemäß der gültigen Fassung des türkischen Strafgesetzbuches gewertet werden können. Mit der Liberalisierung des türkischen Strafrechts ist auch die Verfolgung strafrechtlich relevanten Verhaltens von türkischen Staatsangehörigen im Ausland zurückgegangen. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts haben die türkischen Strafverfolgungsbehörden in der Regel nur ein Interesse an der Verfolgung im Ausland begangener Gewalttaten bzw. ihrer konkreten Unterstützung. Dazu gehört auch die Mitgliedschaft in der PKK.

 

Aufgrund der in der mündlichen Beschwerdeverhandlung getätigten Aussagen (der Beschwerdeführer konnte sich nicht einmal den Zweck der Veranstaltung nennen) kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in einer leitenden und exponierten Funktion aufgetreten ist, weshalb er lediglich als "Mitläufer" bei politischen Aktivitäten anzusehen ist. Selbst wenn die Tätigkeiten des Beschwerdeführers - nämlich die Teilnahme an einer Demonstration - der türkische Polizei oder sonstigen Organen des türkischen Staates bekannt sein sollte, kann daraus nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass dem Beschwerdeführer deshalb im Falle einer Rückkehr in die Türkei eine asylrelevante Verfolgung maßgeblicher Intensität drohen würde, da es sich beim Beschwerdeführer nicht um eine herausragende und führende Persönlichkeit im exilpolitischen Kampf gegen den türkischen Staat handelt.

 

Bei einer vergleichenden Betrachtung all dieser widersprüchlichen und unplausiblen Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Ausreisegründen, bleibt daher allein der Schluss, dem Vorbringen hinsichtlich dem Inhalt der Drohungen, der Personen die diese Drohungen angeblich ausgesprochen haben sowie der Ursachen und Motive für diese Bedrohungen die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Der Beschwerdeführer war zu keinem Zeitpunkte des Verfahrens dazu in der Lage, gleichbleibende, übereinstimmende und schlüssige Ausführungen zu tätigen, aus denen sich eine Verfolgung aufgrund seiner angeblichen Mitgliedschaft zur HADEP bzw. aufgrund seines Bestrebens die Mörder seines Bruder einer gerechten Strafe zuzuführen, ableiten ließe.

 

Was die Ausführung in der Beschwerde angeht, wonach sich aus den vom Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Zeitungsartikeln eine asylrelevante Verfolgung ergeben würde, so ist anzumerken, dass es in diesen Artikeln überwiegend um die Ermordung des Bruders des Beschwerdeführers geht und der Beschwerdeführer selbst darin namentlich nicht aufscheint. Der Beschwerdeführer selbst führte in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 12.03.2001 (AS 26) aus, dass sein Name lediglich in der von ihm vorgelegten Anklageschrift und nicht in den Zeitungsartikeln vorkomme, weshalb durch die Vorlage dieser Artikel keine "Dokumentation der Folterungen" nachgewiesen werden konnte.

 

Aufgrund der mehrmaligen Betonung der schwierigen wirtschaftlichen Situation in der Türkei geht der Asylgerichtshof vielmehr davon aus, dass der tatsächliche Grund für die Ausreise des Beschwerdeführers die wirtschaftliche Lage in der Türkei war. Hinsichtlich etwaiger wirtschaftlicher Schwierigkeiten ist anzumerken, dass wirtschaftliche Probleme objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

 

Der Vollständigkeit halber ist hinsichtlich der kurdischen Abstammung des Beschwerdeführers noch auszuführen, dass sich entsprechend der Länderberichte die Situation für Kurden derart gestaltet, dass - auch unter Berücksichtigung des derzeit wieder verschärften Vorgehens des türkischen Staates gegen militante Kurden - momentan keine aktuellen Berichte über die Lage der Kurden in der Türkei und damit keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer asylrelevanten - sohin auch einer maßgeblichen Intensität erreichenden - Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse an der Person des Beschwerdeführers haben sollten, konnten nicht glaubhaft gemacht werden.

 

Weiters sei der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Religion, weil er Alevit sei, unter Druck geraten. Konkrete Übergriffe wurden vom Beschwerdeführer jedoch nicht behauptet. Aus den herangezogenen Länderberichten ergibt sich, dass die vorgefallenen Übergriffe auf Aleviten zu keiner Zeit ein solches Ausmaß angenommen und - auch unter Berücksichtigung anderer weniger gravierender Ausschreitungen - eine solche Häufigkeit aufgewiesen haben, dass angesichts der Größe der betroffenen Bevölkerungsgruppe davon auszugehen wäre, Aleviten müssten in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Organe oder ihnen zuzurechnender Übergriffe anderer Bevölkerungsgruppen rechnen. Vor diesem Hintergrund vermag der Beschwerdeführer den Asylgerichtshof nicht davon zu überzeugen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung aufgrund seines Glaubens ausgesetzt sei.

 

Hinsichtlich der Wiedereinreise in die Türkei ist auszuführen, dass, wenn der türkischen Grenzpolizei bekannt ist, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen wird, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit vier Jahren kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde.

 

Die allgemeinen Feststellungen resultieren aus den behördlicherseits erhobenen Fakten aufgrund vorliegender Länderdokumentationsunterlagen. Die Länderfeststellungen basieren auf mannigfaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Der Beschwerdeführer und sein Vertreter waren nicht in der Lage durch ihre unsubstantiierte Kritik Zweifel an der Objektivität der herangezogenen Berichte zu erwecken.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

II.1.2. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes (AsylG 2005) sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Asylanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 idF. BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a sind gemäß § 44 Abs. 3 leg. cit. in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 auch auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden.

 

II.2.1. Flüchtling i.S.d. Asylgesetzes ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262).Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

 

II.2.2. Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Asylgerichtshofes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund nicht gegeben. Der Beschwerdeführer vermochte nämlich eine asylrelevante Verfolgung zu keinem Zeitpunkt des Asylverfahrens anzugeben.

 

Sonstige Gründe zum Verlassen des Herkunftsstaates, insbesondere irgendeine staatliche Repression, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet. Eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende Gefährdung im Sinn des Art. 3 EMRK kann demnach nicht erkannt werden.

 

Sofern der Beschwerdeführer wirtschaftliche Gründe für das Verlassen der Türkei ins Treffen führt, ist darauf hinzuweisen, dass alleine in allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen keine Verfolgung gesehen werden kann (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 unter Bezugnahme auf VwGH 24.10.1996, Zl. 95/20/0321, 0322) und eine dem Beschwerdeführer diesbezüglich aus Gründen der GFK drohende Verfolgung nicht ersichtlich ist.

 

Somit war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

 

II.3.1. Zum Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers ist Folgendes auszuführen:

 

Zur Auslegung des § 8 AsylG iVm § 50 FPG 2005 (Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspakets BGBl. I 100/2005 ist das FrG mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten; am 1.1.2006 ist gemäß § 126 Abs. 1.

Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge:

FPG) das FPG in Kraft getreten. Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG verweisen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen des FPG. Demnach ist die Verweisung des Art. 8 Abs. 1 AsylG auf § 57 FrG nunmehr auf die "entsprechenden Bestimmungen" des FPG zu beziehen, das ist § 50 FPG.) ist die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 und § 57 Fremdengesetz, BGBl I Nr. 126/2002 BGBL, heranzuziehen. Danach erfordert die Feststellung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122, VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen (z.B. VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294, VwGH 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438, VwGH 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427, VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028). Im Übrigen ist auch im Rahmen des § 8 AsylG zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Bei der Entscheidungsfindung ist insgesamt die Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung der EMRK, auch unter dem Aspekt eines durch die EMRK zu garantierenden einheitlichen europäischen Rechtsschutzsystems als relevanter Vergleichsmaßstab zu beachten. Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom und Henao v. The Netherlands, Unzulässigkeitsentscheidung vom 24.06.2003, Beschwerde Nr. 13669/03).

 

II.3.2. Wie bereits oben ausgeführt, gelang es dem Beschwerdeführer nicht, eine Verfolgung im Sinne der GFK darzutun, daher bleibt zu prüfen, ob es im vorliegenden Fall begründete Anhaltspunkte dafür gibt, der Beschwerdeführer liefe Gefahr, in der Türkei, einer Bedrohung im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG unterworfen zu werden.

 

Es kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059, zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK), hat doch der Beschwerdeführer - dessen Eltern sowie seine Geschwister sich seinen Angaben zu Folge noch in der Türkei aufhalten - selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in die Türkei jegliche Existenzgrundlage - im Sinne des bereits zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059 - fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmittel oder Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer in der Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit jegliche Arbeitsmöglichkeit versagt bleiben würde, zumal er durchaus in der Lage war, vor seiner Ausreise als gelernter Bäcker einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

 

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit, Lebensgrundlage, mangelnde Asylrelevanz, non refoulement, Religion, Volksgruppenzugehörigkeit, wirtschaftliche Gründe
Zuletzt aktualisiert am
19.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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