B11 311.994-1/2008/4E
S.I.,
geb. 00.00.2000, StA: Türkei;
Schriftliche Ausfertigung des öffentlich verkündeten
Bescheids des unabhängigen Bundesasylsenats
BESCHEID
SPRUCH
Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Dr. Moritz gemäß § 66 Abs. 4 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 i.d.g.F., i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005), und § 38 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. BGBI. I Nr. 129/2004 (im Folgenden: AsylG), entschieden:
Der Berufung von S.I. vom 17.10.2001 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.10.2001, Zahl: 01 11.513-BAG, wird stattgegeben und S.I. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt.
Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass S.I. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
BEGRÜNDUNG
I. Verfahrensgang
Mit o.a. Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Asylantrag der o.g. minderjährigen berufenden Partei, Staatsangehörige der Türkei, gemäß § 7 AsylG abgewiesen und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in ihren Herkunftsstaat gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt, wogegen Berufung erhoben wurde. Am 28.02.2006 und am 03.07.2007 führte der unabhängige Bundesasylsenat eine mündliche Verhandlung durch, nach deren Schluss sogleich der Berufungsbescheid beschlossen und öffentlich verkündet wurde.
II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:
Durch die in den maßgeblichen Punkten idente Entscheidungsgrundlage bei der berufenden Partei und bei ihrer Mutter gelten die nachfolgend wiedergegebenen Ausführungen in der Begründung in der schriftlichen Ausfertigung der ihre Mutter ihre Gattin betreffenden Entscheidung des unabhängigen Bundesasylsenates (zu GZ 224.552) vom gleichen Tag hinsichtlich des festgestellten maßgeblichen Sachverhaltes, der Beweiswürdigung und bezüglich der rechtlichen Würdigung sinngemäß auch für die gegenständliche Entscheidung betreffend die o.g. berufende Partei:
"1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:
Für den als maßgeblich festgestellten Sachverhalt wird der Inhalt folgender den Parteien dieses Verfahrens zugänglichen und auch im Rahmen der öffentlichen Verhandlung der erkennenden Behörde erörterten Aktenteile zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erklärt, nämlich
-) die Angaben der berufenden Partei zu ihrer Person im Wesentlichen in den Punkten 1. sowie 4. bis 9. in der betreffenden Niederschrift des Bundesasylamtes vom 10.07.2001, BAA-Akt S. 15 f.;
-) die Angaben der berufenden Partei zu ihren Fluchtgründen in der Niederschrift des unabhängigen Bundesasylsenates vom 09.01.2006, Abschnitt ab: "EL: Warum haben Sie die Türkei verlassen?" samt Antwort, bis "EL: Was hat Ihnen Ihr Mann erzählt?" samt Antwort (S. 11);
-) die Angaben des Gatten der berufenden Partei zu dessen Fluchtgründen in der Niederschrift des unabhängigen Bundesasylsenates vom 09.01.2006, Abschnitt: "EL: Warum haben Sie die Türkei verlassen?" samt Antwort (S. 2 f.);
in der Niederschrift der Verhandlung des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28.02.2006, Abschnitt ab: "VL an BW 1:
Betreffend Ihren Angaben zu Ihrer behaupteten Mitgliedschaft zur HADEP möchte ich von Ihnen wissen, ob sie mir Namen von Funktionären der HADEP anführen können, die Ihre Mitgliedschaft bzw. Ihre Aktivitäten bei der HADEP bestätigen können" samt darauf folgender Antwort, bis "VL: Wo wohnt der von Ihnen angeführte M. U.?" samt Antwort (S. 4 - 8); sowie
in dessen Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigen in der Verhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat am 03.07.2007, Abschnitt: "Ich war seit ca. 1993/1994 Mitglied der HADEP. (...) Man bekommt nämlich bei derartigen Sachen keine Bescheinigung bzw. Belege ausgefolgt." (S. 4);
-) die Angaben in den Informationsunterlagen (s. ihre Anführung im Wesentlichen in der Niederschrift der Verhandlung des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28.02.2006, S. 3 f., sowie in der Niederschrift des UBAS vom 03.07.2007, S. 3 f., zur politischen und menschenrechtlichen Situation im Herkunftsstaat der berufenden Partei);
-) das psychiatrisch-neurologische Gutachten des dem Berufungsverfahren beigezogenen ärztlichen Sachverständigen vom 31.05.2006, S. 7 ff.;
-) das schriftliche Gutachten des im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen für die Türkei vom 03.07.2007 (s. die Anlage A zur o. a. Niederschrift vom selben Tag), sowie
-) die Stellungnahme des Sachverständigen für die Türkei in der genannten Verhandlung vom 03.07.2007, Abschnitt: "Auf Frage des VL nach der Stellungnahme des SV zu den Angaben des BW 1 gibt der SV an: ..." (S. 4), sowie Abschnitt: "VL an SV: Wie stellt sich die medizinische Situation in der Türkei für die BW2 angesichts ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen dar?" samt Antwort des SV, und Abschnitt: "VL an SV: Würde sich eine etwaige politische Verfolgung des BW 1 in der Türkei auch auf die Situation der BW 2 in Falle Ihrer Rückkehr in die Türkei auswirken?" samt Antwort (S. 5).
2. Der festgestellte Sachverhalt beruht auf folgender Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen betreffend die berufende Partei beruhen im Wesentlichen auf ihrem Vorbringen im gesamten Verfahren einschließlich der im Akt befindlichen Dokumente, nämlich:
-
Kopie des türkischen Personalausweises der berufenden Partei, BAA-Akt S. 11 f.;
-
Schreiben von Dr. A. M., Facharzt für Innere Medizin, vom 13.02.2006 (in Kopie als Anlage B der Niederschrift vom 28.02.2006 beigefügt);
-
Schreiben von Dr. A. M., Facharzt für Innere Medizin, vom 08.02.2006 samt Laborbefund (in Kopie als Anlage C der Niederschrift vom 28.02.2006 beigefügt);
-
Bescheid des Bundessozialamtes betreffend den Antrag der BW2 auf Ausstellung eines Behindertenpasses (in Kopie als Anlage B der Niederschrift vom 03.07.2007 beigefügt);
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Ambulanter Arztbrief des Landeskrankenhauses-Universitätsklinikum Graz vom 00.00.2007 betreffend Lungenbeschwerden bei der BW2 (in Kopie als Anlage G der Niederschrift s vom 03.07.2007 beigefügt);
-
Schreiben des Krankenhauses der Elisabethinen vom 00.00.2006 betreffend der angeführten Lungenbeschwerden (in Kopie als Anlage H der Niederschrift s vom 03.07.2007 beigefügt).
Für die Glaubwürdigkeit der Angaben der berufenden Partei im Lichte des oben festgestellten maßgeblichen Sachverhaltes (s. Pt. II.1.) sprach, dass diese im Wesentlichen widerspruchsfrei waren bzw. etwaige aufgetretene Ungereimtheiten letztlich so weit nachvollziehbar aufgeklärt werden konnten, dass die Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben nicht überwiegten. In diesem Zusammenhang sprach vor allem die Authentizität der berufenden Partei für die Glaubwürdigkeit ihres Vorbringens, da sie nach ihrem Erscheinungsbild und der Art und Weise ihrer Ausführungen (vor allem deren Reaktion auf Fragen, Gestik, Mimik) einen stimmigen Eindruck auf das erkennende Mitglied hinterließ (zur Bedeutung des persönlichen Eindrucks, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vom Berufungswerber gewinnt, s. für viele z.B. VwGH 20.05.1999, Zl. 98/20/0505, 24.06.1999, Zl. 98/20/0435). Die Abgaben der berufenden Partei standen darüber hinaus auch im Einklang mit jenen ihres Gatten. Auch die dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen über die politische und Menschenrechtslage in der Türkei (s. Pt. II.1.) lassen nicht den Schluss zu, dass dieses Vorbringen unwahr ist. So konnte auch der Sachverständige in der Verhandlung am 03.07.2007 nicht ausschließen, dass der gatte der berufenden Partei in ihrem Herkunftsland tatsächlich gefoltert wurde. In Würdigung aller Umstände überwiegen im Ergebnis diejenigen, die für eine Heranziehung des angeführten Vorbringens der berufenden Partei als maßgeblichen Sachverhalt für die gegenständliche Entscheidung sprechen (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rz. 203, mit dem Hinweis, nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Antragsteller" zu verfahren).
2.2. Der von der erkennenden Behörde festgestellte Sachverhalt hinsichtlich der politischen und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat der berufenden Partei bzw. bezüglich ihrer Situation im Falle ihrer Rückkehr in diesen Staat beruht im Wesentlichen auf dem schriftlich erteilten Gutachten des o.g. Sachverständigen vom 03.07.2007, das u.a. den Gegenstand der Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat vom selben Tag bildete (s. Pt. II.1.) sowie auf den stellvertretend für andere Informationsunterlagen in das Berufungsverfahren eingeführten und erörterten Berichten und Gutachten von als seriös und fachlich-kompetent anerkannten Quellen (s. Pt. II.1.; zu den in diesen Unterlagen angeführten und auch vom Bundesasylamt sowie vom unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörden als notorisch anzusehenden und daher jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigenden Tatsachen vgl. die einschlägige Judikatur z.B. VwGH 12.05.1999, Zl. 98/01/0365, und VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; zu den laufenden Ermittlungs- bzw. Informationspflichten der Asylbehörden VwGH 06.07.1999, Zl. 98/01/0602, u.v.a.).
Die den Feststellungen zugrunde liegenden Ausführungen sind mit weiteren Nachweisen substantiiert, schlüssig und nachvollziehbar. Auf eine Ausgewogenheit von sowohl amtlichen bzw. staatlichen als auch von nichtstaatlichen Quellen, die auch aus verschiedenen Staaten stammen, wurde Wert gelegt. Zudem wird die Seriosität und Aktualität der oben zitierten Ausführungen des im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen durch die ausführlichen und differenzierenden, auf die besonderen Umstände im Herkunftsstaat der berufenden Partei eingehenden Angaben bestätigt. Seine Fachkompetenz wurde bereits durch seine in einer Vielzahl von Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat nicht nur beim erkennenden Mitglied erstatteten nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten über die aktuelle Lage im Herkunftsstaat der berufenden Partei unter Beweis gestellt - und wird auch durch seine berufliche Laufbahn unterstrichen. Auch bediente er sich für seine Ermittlungen vor Ort im Herkunftsstaat der berufenden Partei dort tätiger Juristen und Anwälte, an deren Qualifikation und Seriosität auf Grund der dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen zu deren Person keine Zweifel hervorkamen. Der Sachverständige ist österreichischer Staatsbürger kurdischer Herkunft, der in der Türkei geboren und aufgewachsen ist. Er absolvierte sein Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien, bei der er anschließend als Referent tätig war. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Experte für die politische und menschenrechtliche Situation in der Türkei ist er u. a. als Mitarbeiter bei der "Gesellschaft für bedrohte Völker" sowie als Vertrauensperson beim "Helsinki Komitee" und bei "Amnesty International-Sektion Österreich" beschäftigt. Ferner weist er eine Vielzahl an Publikationen zu seinem Fachgebiet auf. Seit 2004 wird er als Sachverständiger vom unabhängigen Bundesasylsenat beigezogen. Er verfügt bis heute über gute Kontakte mit türkischen Rechtsanwälten (deren Hilfe er sich auch für seine Ermittlungstätigkeiten in der Türkei bedient) und demokratischen Kräften in der Türkei.
Die Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen erfolgte auch vor dem Hintergrund der Angaben der sonstigen dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen (s. u.a. auch die anderen in das Berufungsverfahren eingeführten o.a. Unterlagen). Ihre Aussagen ergeben zusammen mit den in diesen Dokumenten angeführten und mit weiteren Nachweisen versehenen Angaben sowie auch mit den sonstigen dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen insofern ein stimmiges Gesamtbild, als die vom Sachverständigen getroffenen Differenzierungen bei der Einschätzung der Verfolgungssituation bestimmter Personengruppen auch von diesen Quellen bestätigt werden (bzw. sich zumindest innerhalb des Spektrums der zu diesem Thema geäußerten Beurteilungen befinden).
Die herangezogenen Bescheinigungsmittel wurden im Hinblick sowohl auf ihre Anerkennung als seriöse und zuverlässige Quellen als auch auf ihre inhaltliche Richtigkeit von den Parteien dieses Verfahrens nicht bestritten bzw. sind diesbezüglich keine Zweifel hervorgekommen. Weiters wurden im Verfahren von den Parteien keine Umstände vorgebracht und haben sich bisher keine Anhaltspunkte ergeben, auf Grund derer sich die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der berufenden Partei in nachvollziehbarer Weise als unrichtig erwiesen hätten.
3. Rechtlich ergibt sich:
Mit 01.07.2008 hat der Gesetzgeber den Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art. 129c ff. B-VG. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 1 B-VG wird mit 01.07.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Laut Z. 4 leg. cit. sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da der ausfertigende Richter des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit o.a. Spruch am 03.07.2007 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.
Gemäß § 75 Abs. 1 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005) sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG i.d.F. BGBl. I Nr. 129/2004 (im Folgenden: AsylG) gilt. Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG sind Asylanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 16/2002 zu führen.
Gemäß § 38 Abs. 1 AsylG entscheidet der unabhängige Bundesasylsenat über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes.
3.1. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28.07.1951, BGBl. Nr. 55/1955, i. V.m. Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und sich nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obige Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der [...] in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, u.a.m., s.a. VfGH 16.12.1992, Zl. B 1035/92, Slg. 13314).
Gemäß § 12 AsylG ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen, auf Grund Asylantrages oder Asylerstreckungsantrages Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.2. Die o.a. Feststellungen (s. Pt. II.1.) zugrundelegend kann hinreichend davon ausgegangen werden, dass der berufenden Partei im Falle ihrer Rückkehr in diesem Staat eine asylrelevante Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht (s. für viele VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273). Diese Beurteilung ergibt sich auf Grund der Gesamtsituation aus objektiver Sicht (s. hierzu VwGH 12.05.1999, Zl. 98/01/0365), die nicht nur die individuelle Situation der berufenden Partei, sondern auch die generelle politische Lage in ihrem Herkunftsstaat sowie die Menschenrechtssituation derjenigen Personen bzw. Personengruppe berücksichtigt, deren Fluchtgründe mit ihren vergleichbar sind.
Wie unter Pt. II.1. festgestellt, wurde der Gatte der berufenden Partei im Zusammenhang mit der Ermordung eines kurdischen Dorfvorstehers, einem Verwandten der berufenden Partei, entführt und gefoltert. Die berufende Partei selbst konnte glaubhaft machen, dass auch sie selbst im Zuge dieser Mitnahme ihres Ehemannes bewusstlos geschlagen wurde und schwer verletzt im Krankenhaus wieder zu sich kam. Auch nach diesem Vorfall kam es wiederholt zu Repressalien türkischer Sicherheitskräfte aufgrund der Nähe ihres Mannes zur PKK und seines politischen Engagements bei der HADEP-Partei. Demzufolge geriet die berufende Partei wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden wie auch aufgrund der politischen Unterstützung kurdischer Anliegen seitens ihres Gatten ins Visier der türkischen Behörden (vgl. u.a. VwGH 20.06.1996, Zl. 95/19/0062, 0079; 24.03.1999, Zl. 98/01/0513, wonach Verfolgungshandlungen gegen Familienangehörige noch nicht zur Asylgewährung reichen müssen, aber jedenfalls ein Indiz für eine dem Berufungswerber drohende konkrete individuelle Verfolgung darstellen; zur asylrechtlichen Bedeutung der Sippenhaft vgl. z.B. VwGH 28.03.1996, Zl. 95/20/0027). Erschwerend hinzu kommt dabei, dass diesem eine Nähe zur PKK aufgrund der Herstellung von Kleidung und Emblemen für diese Organisation zumindest unterstellt werden kann (zur Asylrelevanz einer bereits lediglich unterstellten politischen Gesinnung s. u.a. VwGH 26.11.1998, Zl. 98/20/0309, 0310). Des Weiteren ist eine in diesem Zusammenhang asylrelevante Gefahr für die berufende Partei der Stellungnahme des Sachverständigen in der Verhandlung vom 03.07.2007 zu entnehmen, wonach die berufende Partei wegen Verunglimpfung von staatlichen Stellen nach § 301 des türkischen Strafgesetzbuches angeklagt werden könnte, wenn sie öffentlich ihre Leiden auf die angesprochenen Repressalien zurückführen würde. Sohin kann von einer Verfolgungsgefahr für die berufende Partei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden.
Eine inländische Fluchtalternative steht der berufenden Partei aus folgenden Gründen nicht offen: Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes trägt der Begriff "inländische Fluchtalternative" dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss. Steht dem Asylwerber die gefahrlose Einreise in Landesteile ihres Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503; 25.11.19999, Zl. 98/20/0523). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0614). Im konkreten Fall kann nicht angenommen werden, dass sich die berufende Partei der dargestellten Bedrohung durch Ausweichen in einen anderen Teil ihres Herkunftsstaates entziehen kann, da sich die Gebiets- und Hoheitsgewalt der türkischen Regierung auf das gesamte türkische Staatsgebiet erstreckt. Es wäre ihr nicht möglich, sich dauerhaft verborgen zu halten und sich der Nachsuche zu entziehen (vgl. dazu auch Home Office, Operational Guidance Note Turkey, p. 3.10). Zudem ist im Zusammenhang mit dem Zumutbarkeitskalkül bei der Erwägung einer allfällig bestehenden innerstaatlichen Fluchtalternative auch der Umstand zu berücksichtigen, dass die berufende Partei laut Sachverständigem bei einer Rückkehr in die Türkei dort keine angemessene medizinische Behandlung, derer sie aufgrund ihrer Beschwerden wohl weiterhin bedürfte, erhalten würde. Eine der berufenden Partei zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative kann sohin nicht erkannt werden.
Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände bzw. Fluchtgründe kommt die erkennende Behörde zum Ergebnis, dass diese einzeln und isoliert betrachtet u.U. für sich allein nicht für eine Asylgewährung reichen könnten, jedoch jedenfalls in ihrer Summe (s.a. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rz. 203, mit dem Hinweis, nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Antragsteller" zu verfahren)."
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.