TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/06 B4 247761-0/2008

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Veröffentlicht am 06.11.2008
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Spruch

B4 247.761-0/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Florian NEWALD als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Karin WINTER als Beisitzerin über die Beschwerde des I.H., geboren am 00.00.1973, serbischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.2.2004, Zl. 03 32.145-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

1. Der Beschwerdeführer reiste am 17.10.2003 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich ein und begehrte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl.

 

2. Am 9.2.2004 beim Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen einvernommen, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei jugoslawische Staatangehörige albanischer Volksgruppenzugehörigkeit und muslimischen Glaubens und stamme aus dem in der südserbischen Gemeinde P. gelegenen Ort S.. In seinem Heimatort und in anderen Gebieten der Gemeinde P. seien serbische Polizei und uniformierte serbische Paramilitärs stationiert, die Angehörige der albanischen Volksgruppe willkürlich misshandeln, verhaften, verletzen und umbringen würden. Der Beschwerdeführer sei drei oder vier Monate und dann zwei oder drei Wochen vor seiner Flucht in seinem Heimatort von serbischen Polizisten angehalten, unter Hinweis auf seine albanische Volksgruppenzugehörigkeit beschimpft und mit Gewehrkolben geschlagen worden, dies unter der Aufforderung, seinen Heimatort zu verlassen und in den Kosovo zu gehen.

 

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab (Spruchpunkt I.) und erklärte gemäß § 8 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach "Serbien und Montenegro" für zulässig (Spruchpunkt II). In der Begründung traf das Bundesasylamt Feststellungen zur Lage in Serbien, darunter folgende zur Situation in Südserbien:

 

"Ende Mai und Anfang Juni 2001 ist von der UCK und deren Ausrichtung mit der Bezeichnung UCPMB in Südserbien die Auflösung und die Einstellung von Angriffen auf serbische Einrichtungen verkündet und von der serbischen Regierung, mit Zustimmung der internationalen Staatengemeinschaft, die Stationierung von Polizisten, sowohl serbischer als auch albanischer Volksgruppenzugehörigkeit, zum Schutz der Bevölkerung, vorgenommen worden."

 

Die Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers begründete das Bundesasylamt damit, dass dessen Vorbringen "mit Behördenerkenntnissen" nicht vereinbar und daher unglaubwürdig sei. Zur Refoulement-Entscheidung führte das Bundesasylamt aus, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat keiner Bedrohung iSd § 57 FrG ausgesetzt wäre.

 

4. Gegen beide Spruchpunkte dieses Bescheides richtet sich die fristgerechte, nunmehr als Beschwerde zu wertende (vgl. dazu unten) Berufung.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 1 Asylgesetz 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, - mit der Ausnahme einzelner Bestimmung wie etwa § 8, in denen die Fassung gemäß BG BGBl. I Nr. 101/2003 zur Anwendung kommt, nach dem Asylgesetz 1997 idF BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag am 17.10.2003 gestellt; das Verfahren war am 31.12.2005 anhängig und ist daher nach dem Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 - mit der genannten Maßgabe - zu führen.

 

1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz BGBl. I 4/2008) ist auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof grundsätzlich das AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1.7.2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).

 

2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen. Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

3.1. Das Bundesasylamt hat es unterlassen, sich sachgerecht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen: Denn es hätte nicht allein unter Hinweis auf die oben unter Punkt 3. des Verfahrensganges wiedergegebenen - überaus knappen und auf die Auswirkung der angeführten Stationierung von Polizisten gemischter Volksgruppenzugehörigkeit auf die faktische Lage der albanischen Volksgruppe in Südserbien nicht eingehenden - Feststellungen (deren Quelle[n] dem angefochtenen Bescheid im Übrigen nicht entnommen werden kann bzw. können) das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers für unglaubwürdig erachten dürfen.

 

3.2. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass eingehendere Ermittlungen zur Lage Angehöriger der albanischen Volksgruppe in Südserbien erforderlich sind. Da der Beschwerdeführer zum Ergebnis dieser Ermittlungen zu hören ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.

 

3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.

 

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
03.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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