TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/07 A1 256059-0/2008

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Veröffentlicht am 07.11.2008
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Spruch

A1 256.059-0/2008/4E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Andreas Druckenthaner als Vorsitzenden und den Richter Dr. Christian Filzwieser als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Ines Csucker über die Beschwerde des D.A., geb. 00.00.1970 alias 00.00.1970 alias 00.00.1970, StA. Marokko alias Algerien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3.12.2004, GZ. 04 23.329-EAST-Ost, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

Die beschwerdeführende Partei begehrte am 16.11.2004 die Gewährung von Asyl.

 

Der Beschwerdeführer brachte in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25.11.2004 zusammengefasst im Wesentlichen vor, dass er in Marokko niemanden habe, da keiner von seiner Familie mehr in Marokko sei. Es würde sich niemand um ihn kümmern, er hätte keine Unterkunft und keine Arbeit.

 

Im Gegensatz dazu brachte der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme am 29.11.2004 zu seinen Fluchtgründen vor, dass seine Eltern und Geschwister gegen das Regime von König Hassan II. gewesen seien und er seine Familie dabei unterstützt habe. Er habe Zettel ausgeteilt und sei dafür zweimal verhaftet worden. Sein Vater sei fünf Jahre in Haft gewesen, auch seine Mutter hätte man immer wieder inhaftiert. Bei der ersten Einvernahme habe der Beschwerdeführer darüber nicht reden wollen, er sei psychisch nicht dazu in der Lage gewesen, das zu sagen.

 

Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3.12.2004, GZ. 04 23.329-EAST-Ost gemäß §§ 7 iVm 13 Abs 1 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idgF abgewiesen, gemäß § 8 Abs 1 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Marokko zulässig ist und die beschwerdeführende Partei gemäß § 8 Abs 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

 

Das Bundesasylamt qualifizierte im Rahmen der Beweiswürdigung das Vorbringen des Beschwerdeführers als unglaubwürdig und führte diesbezüglich begründend aus, dass der Beschwerdeführer - wie damals bei der Asylantragstellung im Jahr 1997, als er angab, aus Algerien zu kommen, weil er gehört hätte, dass man als Algerier in Österreich leichter Asyl bekomme - durch seine geänderten Angaben seinen Aufenthalt in Österreich verlängern wolle. Insbesondere sei ein Vorbringen nach der Rechtsprechung des VwGH dann nicht als glaubwürdig anzusehen, wenn dieses im Laufe des Instanzenzuges gesteigert wird.

 

Die rechtliche Beurteilung jedoch geht lediglich vom Vorliegen eines Asylausschließungsgrund aus, zumal im Fall des Beschwerdeführers aufgrund seiner zahlreichen Verurteilungen und der mangelnden Besserungsabsicht des Beschwerdeführers ein Asylausschlussgrund gemäß § 13 Abs 2 AsylG 1997 idgF vorläge, weswegen der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen war. Also keinerlei rechtliche Beurteilung der angenommenen Unglaubwürdigkeit.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher er die in beiden Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gemachten Angaben aufrecht erhielt und angab, gestohlen zu haben, da er Drogen konsumiert habe und ihm dabei das Geld ausgegangen sei.

 

Über die fristgerecht erhobene Beschwerde hat der Asylgerichtshof in nicht öffentlicher Sitzung wie folgt erwogen:

 

Anzuwenden war gegenständlich gemäß §75 Abs1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF 2008/4, in Verbindung mit §44 Abs1 AsylG 1997 idF BGBl. I 2003/101 das AsylG in der Fassung BGBl. I 2003/101, da der Beschwerdeführer den Antrag auf Gewährung von Asyl am 16.11.2004 gestellt hat.

 

Gemäß § 9 Abs 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist.

 

Gemäß § 60 Abs 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter.

 

Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt sowie gemäß § 11 Abs 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet, durch einen Kammersenat.

 

Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch für die Entscheidung durch den Kammersenat vor, sodass Senatszuständigkeit gegeben ist.

 

In der Sache selbst:

 

Gemäß § 66 Abs 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Abs 3 leg cit kann die Berufungsbehörde die mündliche Verhandlung und unmittelbar Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs 2 in Asylangelegenheiten erging zum Zeitpunkt des Bestehens des Vorläufers des Asylgerichtshofes, des unabhängigen Bundesasylsenates, ist aber auch für den Asylgerichtshof maßgebend:

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet und hat in diesen Verfahren bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn die Berufungsbehörde jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht und somit ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich bei derselben Behörde enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs 2 AVG.

 

Dem angefochtenen Bescheid liegt ein qualifiziert mangelhaftes Verfahren in Zusammenhang mit wesentlichen Begründungsmängeln zugrunde, wodurch es nicht möglich war, das erstinstanzliche Bescheidergebnis korrekt zu beurteilen und erscheint die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung daher unvermeidlich.

 

A) Inhaltliche Rechtswidrigkeit:

 

Inhaltliche Rechtswidrigkeit liegt insofern vor, als das Bundesasylamt seine Entscheidung - in Spruchpunkt I - auf § 13 Abs 1 AsyG stützt, die entsprechende negative Begründung

 

( rechtliche Beurteilung ) aber ausschließlich auf der Norm des § 13 Abs 2 AsylG gestützt wird.

 

Tatsächlich liegen nach der Aktenlage auch keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer der A1 1 Abschnitt F der GFK angeführten Tatbestände,

 

A1 1 Abschnitt F GFK lautet:

 

Die Bestimmungen dieses Abkommens sind auf Personen nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, daß sie

 

a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, und zwar im Sinne jener 408 Stück 17, Nr. 55. internationalen Einrichtungen,

 

die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen gegen solche Verbrechen zu schaffen;

 

b) bevor sie als Flüchtlinge in das Gastland zugelassen wurden, ein schweres, nicht politisches Verbrechen

 

begangen haben;

 

c) sich Handlungen schuldig gemacht haben, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen

 

richten. -

 

vor,

 

auf welche § 13 Abs 1 AsylG 1997 Bezug nimmt, vor, steht doch verfahrensgegenständlich ausschließlich das vom Beschwerdeführer in Österreich an den Tag gelegte kriminelle Verhalten zu Diskussion:

der Asylwerber wurde in Österreich zu zahlreichen Freiheitsstrafen verurteilt.

 

Inhaltliche Rechtswidrigkeit liegt aber auch insofern vor, als die rechtliche Beurteilung nur zum Teil - nämlich das Vorliegen von strafrechtlichen Verurteilungen betreffend - auf den festgestellten Sachverhalt bezogen wird und die Frage des Nicht/Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft rechtlich gänzlich ausgespart wurde, was durch das Fehlen jeglicher Sachverhaltsfeststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, die Menschenrechtssituation, Doppelbestrafung, Haftbedingungen betreffend deutlich wird. Letzteres bedeutet sohin einen sekundären Feststellungsmangel, also einen Mangel aufgrund falscher rechtlicher Beurteilung.

 

B) Verletzung von Verfahrensvorschriften:

 

§13 Abs2 AsylG 1997 lautet:

 

Asyl ist weiters ausgeschlossen, wenn Fremde aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik darstellen oder von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sind und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuten. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine solche durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.

 

Das Bundesasylamt hat es unterlassen, sich mit den Voraussetzungen eines Asylausschlussgrundes im Sinne von § 13 Abs 2 AsylG bzw. Art 33 Z 2 GFK eingehend auseinanderzusetzen.

 

Gemäß § 13 Abs. 2 AsylG ist Asyl ausgeschlossen, wenn Fremde aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik darstellen oder von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sind und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuten. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine solche durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.

 

Gemäß Artikel 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention darf kein vertragsschließender Staat einen Flüchtling in irgendeiner Form in ein Gebiet ausweisen oder zurückweisen, wo sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Nach Art. 33 Abs. 2 GFK kann der in Abs. 1 dieses Artikels statuierte Vorteil des Verbotes der Ausweisung oder der Zurückweisung von einem Flüchtling dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn der Flüchtling aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit seines Aufenthaltslandes darstellt oder, wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt, eine Gefahr für die Gemeinschaft des betreffenden Landes bedeutet.

 

In der Rechtsprechung des VwGH (Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, Zl. 99/01/0288, Erkenntnis vom 3. Dezember 2002, Zl. 99/01/0449) wird zu Art. 33 Abs. 2 GFK ausgeführt, dass nach internationaler Literatur und Judikatur vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden, drittens gemeingefährlich sein und viertens müssen die öffentlichen Interessen an der Rückschiebung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen (vgl. mit zahlreichen Hinweisen auf internationale Literatur und Judikatur Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, (1990), S 227 ff).

 

Nach Kälin, aaO, S 182 und 228 (ua. mit Hinweis auf den UNHCR)und Rohrböck (Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, (1999),Rz 455, mit weiteren Hinweisen auf internationale Lehre) fallen unter den Begriff des "besonders schweren Verbrechens" nachherrschender Lehre des Völkerrechts nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen.

 

Allerdings genügt es nicht, dass der Antragsteller ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt hat. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe sind zu berücksichtigen (vgl. Kälin, aaO, S 229 mwN).

 

Als letzter Punkt für die Zulässigkeit der Zurückverbringung hat die belangte Behörde eine Güterabwägung vorzunehmen, ob die Interessen des Zufluchtsstaates jene des Flüchtlings überwiegen. Diese Verpflichtung zur Güterabwägung wird in der Staatenpraxis anerkannt (vgl. Kälin, aaO, S 231 mwN). Diesbezüglich besteht zwischen (den in § 13 AsylG übernommenen Teilen des) Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK und Art. 33 Abs. 2 GFK kein Unterschied (vgl. Kälin, aaO, S 228). Bei dieser Güterabwägung hat die belangte Behörde die Verwerflichkeit eines Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Asylwerbers beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm drohenden Maßnahmen gegenüberzustellen. Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK und Art. 33 Abs. 2 GFK können etwa keine Anwendung finden, wenn die drohenden Maßnahmen relativ schwer sind, der Asylwerber aber weitgehend als resozialisiert gelten kann, weil er nicht rückfällig geworden ist. Hat der Asylwerber mit Folter oder Tod zu rechnen, überwiegen die öffentlichen Interessen an der Nichtasylgewährung eher selten die individuellen Schutzinteressen. In solchen Fällen ist sogar Kriminellen Asyl zu gewähren, wenn ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht (vgl. Rohrböck, aaO, Rz 455). Es wird zur Vermeidung von Missverständnissen aber darauf hingewiesen, dass § 13 Abs. 2 AsylG aus Art. 33 GFK nicht dessen Geltung für "Flüchtlinge" übernommen hat, sondern Asylausschlussgründe normiert, bei denen es nicht auf die vorherige Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ankommt, sondern auf die inhaltliche Prüfung der Schwere der dem Asylwerber in seinem Heimatland drohenden Gefahr nach den oben genannten Kriterien. Das Fehlen eines Ausschlussgrundes nach § 13 Abs. 2 AsylG bedeutet demnach nicht zwangsläufig die Asylgewährung (eine solche könnte etwa dann versagt werden, wenn die dem Asylwerber drohenden Maßnahmen nicht auf einem der Gründe des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK beruhen).

 

Auch wenn der Verwaltungsgerichtshof bestimmte Deliktstypen der kriminellen Organisation und der Schlepperei, die vom Berufungswerber gemäß den beiden strafgerichtlichen Verurteilungen verwirklicht wurden, in seiner Rechtsprechung zur Auslegung von Art. 13 Abs. 2 AsylG zitierten Literaturstellen nicht ausdrücklich nennt, so kann allein daraus noch nicht geschlossen werden, dass diese nicht als besonders schweres Verbrechen iSd § 13 Abs. 2 AsylG zu sehen wären. Dies, vor allem deswegen, da die vom Verwaltungsgerichtshof genannten Straftaten auf einer bereits im Jahr 1980 von UNHCR vorgeschlagenen Kategorisierung von Straftaten beruhen und z.B. der Menschhandel erst in jüngster Vergangenheit an Bedeutung gewonnen hat.

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, Zl. 99/01/0288 ausführt, ist bei einer auf § 13 Abs. 2 zweiter Fall AsylG 1997 gestützten Entscheidung eine entsprechende Zukunftsprognose zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit des Straftäters zu erstellen, wobei es auf "das gesamte Verhalten des Asylwerbers ankommt". Demgemäß ist die Einstellung des Beschwerdeführers während der Dauer seines Aufenthaltes gegenüber dem Staat bzw. der Gemeinschaft der in diesem Staat lebenden Bürger und seine in diesem Zeitraum gesetzten Handlungen maßgeblich, welche geeignet sind, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden.

 

Die vom Verwaltungsgerichtshof erarbeiteten Voraussetzungen hat das Bundesasylamt in dessen rechtlicher Beurteilung auch erwähnt, ohne aber inhaltlich darauf einzugehen und die erwähnten Prüfungen tatsächlich vorzunehmen:

 

Zum einen hat es das Bundesasylamt unterlassen, die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten konkret zu beurteilen und dabei Milderungs- bzw. Erschwerungsgründe in diese Beurteilung mit einfließen zu lassen. Dazu wäre es richtigerweise notwendig gewesen, sämtliche Strafurteile und falls erforderlich, auch Strafakten, beizuschaffen.

 

Ferner hat das Bundesasylamt keine umfassende Zukunftsprognose abgegeben, sondern lediglich lapidar festgehalten, dass davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer sein kriminelles Verhalten nicht ändern werde, weil er nach seinem ersten Verfahren keine Besserungsabsicht zeigte und sofort wieder straffällig geworden sei. Allein diese Feststellung stellt jedoch keine ausreichende Zukunftsprognose dar, in welcher der Lebenswandel und das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers berücksichtigt worden wäre.

 

Schließlich hat es das Bundesasylamt gänzlich unterlassen, im Rahmen der Interessensabwägung die Interessen des Beschwerdeführers entsprechend mit ein zu beziehen.

 

So traf das Bundesasylamt, obwohl der Beschwerdeführer achtmal verurteilt wurde, keinerlei Feststellungen zur Handhabung der Doppelbestrafung und zu den Haftbedingungen in Marokko. Doch können ohne derartige Ermittlungen die Interessen des Beschwerdeführers nicht festgestellt und entsprechend abgewogen werden.

 

Auch eine Entscheidung über einen eventuellen subsidiären Schutz kann ohne die genannten Feststellungen zur Situation im Herkunftsland unmöglich getroffen werden. Das Bundesasylamt verneinte eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne des § 57 FrG und führte dazu an, dass keine stichhaltigen Argumente für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei (!) einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen würde.

 

Eine solche Feststellung reicht nicht aus, um von einer gefahrlosen Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Heimatstaat Marokko ausgehen zu können.

 

Im fortgesetzten Verfahren

 

hat der Spruch im Sinne des §59 AVG die tatsächlich angewandten Gesetzesbestimmungen zu enthalten;

 

sind die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen in umfassender Weise - im Einklang mit dem Spruch - einer rechtlichen Beurteilung zuzuführen

 

sind - bei tatsächlicher Annahme eines Asylausschließungsgrundes - sämtliche Strafurteile des Beschwerdeführers anzufordern und anhand dieser Urteile ist die Qualifikation eines "besonders schweren Verbrechens" unter Berücksichtigung von Milderungs- und Erschwerungsgründen konkret auf den Beschwerdeführer bezogen vorzunehmen,

 

ist eine umfassende Gefahrenprognose des Beschwerdeführers abzugeben, die das gesamte Verhalten des Beschwerdeführers einbezieht,

 

sind entsprechende Länderfeststellungen - vor allem in Bezug auf die Frage der Doppelbestrafung und damit einhergehend der Frage der Haftbedingungen in Marokko zu treffen, welche im Rahmen des Parteiengehörs dem Beschwerdeführer auch vorzuhalten sind und ist ihm eine Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen,

 

ist schließlich eine Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen des Beschwerdeführers durchzuführen.

 

In diesem Sinne war gemäß § 66 Abs 2 AVG vorzugehen.

Schlagworte
besonders schweres Verbrechen, Doppelbestrafung, Interessensabwägung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, strafrechtliche Verurteilung, Zukunftsprognose
Zuletzt aktualisiert am
25.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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