S13 400.886-1/2008/5E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde des T.I., geb. 00.00.1989, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.07.2008, FZ 08 03.606, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Verwaltungsverfahren und Sachverhalt
Verfahren vor dem Bundesasylamt
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und inguschetischer Volkszugehörigkeit, reiste am 23.04.2008 in das österreichische Bundesgebiet ein.
Am selben Tag stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Eine Eurodac-Abfrage (AS 17) ergab, dass er zuvor (am 11.04.2008) einen Antrag auf internationalen Schutz in Polen gestellt hatte.
Am 23.04.2008 wurde die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der PI Traiskirchen EAST, in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch durchgeführt. Dabei wurde der Beschwerdeführer mit dem Ergebnis der Eurodac-Abfrage konfrontiert (AS 23 ff).
Am 24.04.2008 stellte das Bundesasylamt an die zuständige Behörde in Polen ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) (AS 1).
Am 28.04.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG zurückzuweisen und dass zu diesem Zwecke seit dem 24.04.2008 Konsultationen mit Polen gemäß der Dublin II-VO geführt werden (AS 45).
Mit Schreiben vom 29.04.2008, erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers bereit (AS 15).
Am 07.07.2008 und 16.07.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt Traiskirchen EAST nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch einvernommen (AS 63, 97, 117).
Mit Ladung vom 07.07.2008 wurde der Beschwerdeführer zur ärztlichen Untersuchung am 12.07.2008 geladen, zu der er nicht erschien. Auf den Vorhalt, der Beschwerdeführer habe der Ladung zur ärztlichen Untersuchung keine Folge geleistet, hat der Beschwerdeführer ausgesagt, er habe seine Mutter besucht und sich dadurch verspätet. Als ehemaliger Profiboxer habe er auf Grund von Kopfschlägen Gedächtnisprobleme.
Mit Bescheid vom 18.07.2008, FZ 08 03.606 EAST Ost, zugestellt am 23.07.2008, wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück (in der Folge: angefochtener Bescheid) (AS 123 ff.).
Im angefochtenen Bescheid weist das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (I.). Der Beschwerdeführer wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und demzufolge festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig ist
(II.).
Beschwerde (AS 173)
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer am 31.07.2008 Beschwerde beim Bundesasylamt erhoben. Die Beschwerde langte am 06.08.2008 beim Asylgerichtshof ein.
In der Beschwerdeschrift bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, das Bundesasylamt habe seine Ermittlungspflicht nicht wahrgenommen und kein spezifisches Ermittlungsverfahren hinsichtlich seines Vorbringens zu seinen verwandtschaftlichen Verhältnissen in Österreich durchgeführt sowie sein Vorbringen hinsichtlich seiner verwandtschaftlichen Beziehungen in Österreich unrichtig gewürdigt.
Mit Beschluss vom 14.08.2008, zugestellt am 20.08.2008 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Beweismittel
Als Beweismittel hat der Asylgerichtshof die verschiedenen Vorbringen des Beschwerdeführers und weitere Beweismittel verwendet.
Parteivorbringen des Beschwerdeführers
1. In der Erstbefragung hat der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes angegeben:
Er habe sein Heimatland verlassen, da sein Vater seit dem Jahr 2007 verschollen sei und er Angst habe, mit ihm werde dasselbe geschehen. Außerdem sei seine in Österreich lebende Mutter krank und er sei ihr einziger Sohn. Im Herkunftsland sei es wegen des Krieges für ihn sehr gefährlich und er habe auch keine Verwandten dort, seitdem sein Vater verschollen sei.
Zur Flucht nach Österreich hat er ausgesagt, dass er seinen Heimatort am 08.04.2008 verlassen habe und am 11.04.2008 in Polen eingereist sei, wo er einen Asylantrag gestellt habe. Von dort sei er am 23.04.2008 nach Österreich gelangt.
In Österreich lebe seine Mutter, welche krank sei. Er wolle nicht nach Polen zurück, weil er seine Mutter in Österreich pflegen müsse.
2. In der ersten Einvernahme am 07.07.2008 hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert:
Zu den Gründen, warum der Beschwerdeführer Polen verlassen habe, hat dieser ausgesagt, dass er sich in Polen nicht sicher fühle. Die russischen Soldaten des FSB seien auf der Suche nach ihm, um ihn nach Tschetschenien zu bringen, wo er in der Vergangenheit gefoltert worden sei. Er habe gehört, dass zwei Monate vorher vier oder fünf Tschetschenen verschleppt worden seien. Darüber gebe es auch Internetberichte. Nach ihm selber sei nicht konkret gesucht worden, da er nur zehn Tage in Polen gewesen sei.
Hinsichtlich verwandtschaftlicher Beziehungen in Österreich hat der Beschwerdeführer ausgesagt, er habe nur seine Mutter, sonst niemanden. Diese habe 2 Operationen gehabt und eine dritte stehe an. Er glaube, sie habe Magenprobleme und er könne Befunde bringen. Die Adresse seiner Mutter kenne er nicht. Sie sei seit zwei Jahren krank. Sie habe ihn auf Wunsch seines Stiefvaters im Alter von fünf Jahren weggegeben und er sei bei seinen Großeltern aufgewachsen, auch sein leiblicher Vater habe für ihn gesorgt. Seine Mutter habe ihn nun angerufen. Seit dem Tod des Stiefvaters vor sechs Monaten habe sie niemanden, der sie pflege. Vorher habe sein Stiefvater sie gepflegt. Sie sei auch im Spital stationär behandelt worden. Er besuche sie jeden zweiten Tag und esse mit ihr. Er helfe ihr etwas im Haushalt und begleite sie zum Arzt. Auf den Vorhalt, er habe in Polen keinen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt, hat der Beschwerdeführer ausgesagt, er habe nicht gewusst, dass es diese Möglichkeit gebe.
Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes hat der Beschwerdeführer angegeben, er könne schlecht durch die Nase atmen, außerdem habe er Schmerzen in der Schulter, welche von Schlägen durch russische Soldaten im Herkunftsland herrührten, sowie Knochenschmerzen. Er habe auch ein wenig psychische Probleme.
4. In der zweiten Einvernahme am 16.07.2008 hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert:
Zu der Gefahr der Verfolgung in Polen hat der Beschwerdeführer ausgesagt, es gebe im Internet Berichte über die Verschleppung von Tschetschenen durch die Anhänger Kadirovs.
5. In der Beschwerdeschrift hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert:
Er habe im Herkunftsland zu seiner Mutter telefonischen Kontakt gehabt. In Österreich habe er täglich Kontakt zu ihr und seine Mutter unterstütze ihn auch finanziell. Die Unterlagen zur Krankheit seiner Mutter und zum Tod seines Stiefvaters reiche er nach.
Er sei noch sehr jung (19) und wäre in Polen ganz alleine auf sich gestellt.
Weitere Beweismittel
1. Laut Eurodac-Abfrage hatte die Beschwerdeführerin erstmals am 11.04.2008 in Lublin (Polen) einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
2. Die polnischen Behörden haben auf den Antrag des Bundesasylamts auf Wiederaufnahme ihre Zustimmung "gemäß Artikel 16 Abs. 1 c)" Dublin II-VO erklärt.
3. Aus dem Bericht der PI Vösendorf vom 02.06.2008 (AS 71), dem
Abschluss-Bericht der PI Vösendorf vom 02.06.2008 (AS 73), dem
Protokoll der Beschuldigtenvernehmung PI Vösendorf vom 26.05.2008
(AS 81), der Niederschrift vom 26.05.2008 (AS 89) sowie Ermächtigung
zur Einleitung der Strafverfolgung (AS 91) geht hervor, dass der
Beschwerdeführer "verdächtig und geständig ist, am 26.05.2008 ... 1
Paar Sportschuhe ... gestohlen zu haben" (AS 73) und dass gegen ihn
Strafanzeige erhoben worde.
4. Aus dem Bericht (2. Seite) von Dr. W. geht hervor, dass sich die Mutter des Beschwerdeführers am 00.00.2004 einer Operation wegen einer "Ovarialzyste li." unterzogen habe und zu diesem Zwecke stationär aufgenommen worden sei. Die Mutter des Beschwerdeführers sei demnach am "00.00.2004 in zufriedenstellendem AZ aus (der) stat. Pflege entlassen" worden. Eine Kontrolle beim Frauenarzt in 6 Wochen sei vorgesehen.
5. Mit Schreiben vom 23.01.2008 hat Frau Dr. S. mitgeteilt, dass "Aufgrund des Ergebnisses des durchgeführten Krebsabstriches ... bei Ihnen eine Kontrolle des Abstriches unbedingt erforderlich" sei und ersucht um Terminvereinbarung.
6. Aus dem Sterbeeintrag des Stiefvaters des Beschwerdeführers vom 10.12.1007 geht hervor, dass dieser am 00.00.2007 verstorben ist.
Sachverhalt nach Beweiswürdigung
Nach Würdigung des Beschwerdeführervorbringens und der sonstigen Beweismittel stellt sich dem Asylgerichtshof folgender Sachverhalt dar:
1. Der Beschwerdeführer war am 11.04.2008 in Polen eingereist und hatte dort Asyl beantragt. Der Beschwerdeführer war in Polen im Lager Dembak untergebracht. Von Polen aus ist er illegal nach Österreich eingereist, wo er einen erneuten Asylantrag stellte.
Die Antragstellung und das Verfahrens in Polen ergeben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers, aus der Eurodac-Abfrage und der Zustimmungserklärung Polens.
2. Es besteht keine Gefahr, dass der Beschwerdeführer der Bedrohung oder Verfolgung durch russische Soldaten in Polen ungeschützt ausgesetzt ist.
Der Beschwerdeführer war während seines Aufenthalts in Polen nach eigenen Angaben selbst keinerlei Verfolgungen oder Bedrohungen ausgesetzt. Insoweit der Beschwerdeführer vorbringt von Verfolgungen und Verschleppungen von Tschetschenen durch russische Geheimtruppen gehört zu haben und dass es dazu auch Internetberichte gibt, stellt der Asylgerichtshof fest, dass es sich um vage Behauptungen handelt, die als solche nicht geeignet sind, eine derartige Bedrohung als wahrscheinlich erscheinen zu lassen.
3. Der Beschwerdeführer leidet nicht an einer physischen oder psychischen Erkrankung, welche einer Überstellung nach Polen entgegenstehen könnte.
Soweit der "leichte psychische Probleme", Gedächtnisstörungen auf Grund von Sportverletzungen sowie Schulter-, Knochenschmerzen und Nasenprobleme ins Treffen führt, handelt es sich dabei generell nicht um derart schwere Erkrankungen, die eine Transportfähigkeit unter geeigneten Bedingungen verunmöglichen. Hinzu kommt, dass er der auf Grund seiner in der Einvernahme gemachten Angaben zum Gesundheitszustand erfolgten Ladung zu einer ärztlichen Untersuchung - ohne ausreichende Entschuldigung - nicht gefolgt ist. Eine ärztliche Behandlung seiner Leiden scheint dem Beschwerdeführer daher offenbar selbst nicht von Bedeutung. In Polen ist überdies eine medizinische Versorgung für Asylwerber gewährleistet. Dies ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers sowie den insoweit nicht zu beanstandenden Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid.
4. Der Beschwerdeführer hat kein besonders enges Verhältnis zu seiner in Österreich lebenden Mutter.
Er lebte vielmehr seit seinem 5. Lebensjahr von dieser getrennt, da die Mutter das Kind nach der Trennung vom Vater des Kindes und der Wiederverheiratung bei den Großeltern aufwachsen ließ. Im Herkunftsland hatten sie nur telefonischen Kontakt. Dies ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers.
5. Die Mutter des Beschwerdeführers ist nicht zwingend auf die Pflege durch den Beschwerdeführer angewiesen.
Die Mutter des Beschwerdeführers ist zwar seit dem Tod des Stiefvaters des Beschwerdeführers offenbar alleinstehend, es besteht aber keine besondere Pflegebedürftigkeit. Die Mutter des Beschwerdeführers wurde nämlich lediglich vor etwa vier Jahren an einer Ovarialzyste operiert in zufriedenstellendem Zustand entlassen und eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist nicht belegt.
Dies ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers und dem vom Beschwerdeführer am 24.10.2008 vorgelegten Bericht von Dr. W. (2. Seite) sowie der Benachrichtigung von Dr. S. vom 23.01.2008. Der Beschwerdeführer hat auch trotz Urgenz keinen aktuellen Befund seiner Mutter vorgelegt, sondern lediglich eine Aufforderung zur Terminvereinbarung aus Jänner 2008 zwecks nachprüfender Kontrolle eines Krebsabstriches.
Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Rechtlicher Rahmen
Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Asylverfahren das AsylG 2005 anzuwenden ist.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.
Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG, ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Mitgliedstaat der Dublin II-VO Schutz vor Verfolgung findet. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Dabei ist mitzubeachten, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann) (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).
Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO) zuständig ist, wobei die dort geregelten Zuständigkeitskriterien nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.
Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO bestimmt, dass jener Mitgliedstaat, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, wenn der Grenzübertritt insbesondere auf der Grundlage der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 (Eurodac-VO) festgestellt wird.
Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wieder aufzunehmen.
Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit e Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wieder aufzunehmen.
Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den Kriterien der Art. 6 bis 13 Dublin II-VO nicht zuständig ist.
Gemäß § 10 AsylG ist ein Bescheid über einen Asylantrag mit einer Ausweisung in einen bestimmten Staat zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen (Absatz 1 Ziffer 1) wird und keiner der in § 10 Absatz 2 und Absatz 3 AsylG festgelegten Gründe für die Unzulässigkeit der Ausweisung des vorliegt.
Gemäß § 10 Absatz 4 AsylG gilt eine Ausweisung wegen Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers.
§ 18 Absatz 1 AsylG besagt, dass das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Zulässigkeit der Beschwerde und Verfahren vor dem Asylgerichtshof
Die Beschwerde ist fristgerecht beim Asylgerichtshof eingebracht worden und es bestehen keine Bedenken gegen ihre Zulässigkeit.
Mit Beschluss vom 14.08.2008 hat der Asylgerichtshof der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte im Verfahren vor dem Asylgerichtshof von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung
Die angefochtene Entscheidung ist rechtmäßig, da das Bundesasylamt keine Verfahrensfehler begangen hat sowie zu Recht festgestellt hat, dass Österreich für die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers nicht zuständig ist und zu Recht die Ausweisung nach Polen verfügt hat.
Ordnungsgemäßes Verfahren vor dem Bundesasylamt
Der Asylgerichtshof stellt zunächst fest, dass das Verwaltungsverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde.
Dem Beschwerdeführer wurde insbesondere durch die Erstbefragung und die Einvernahmen mit vorhergehender Rechtsberatung - alle jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt, und ihm wurde vor der Einvernahme und innerhalb von 20 Tagen ab Einbringen ihres Antrags schriftlich mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag wegen Zuständigkeit Polens zurückzuweisen (§§ 28, 29 AsylG).
Ein Verstoß gegen § 18 AsylG wegen unterlassener Ermittlungen im Hinblick auf die Gefährdung des Beschwerdeführers in Polen und seine familiären Bindungen liegt nicht vor.
Der Beschwerdeführer hat nämlich, erstens, keine substantiierten Hinweise darauf gegeben, dass er in Polen verfolgt werde und seitens der polnischen Behörden kein oder nicht ausreichender Schutz vor Übergriffen gewährt wird. Vielmehr beruft er sich auf Spekulationen über einen länger zurückliegenden Vorfall, bei dem er weder mittelbar noch unmittelbar beteiligt war. Es bestand daher keine Verpflichtung des Bundesasylamts, weitergehende Ermittlungen hinsichtlich der Sicherheit in Polen durchzuführen.
Hinsichtlich, zweitens, gesundheitlicher Probleme hat der Beschwerdeführer keine substantiierten Gründe vorgebracht, die darauf hindeuten, dass der Beschwerdeführer unter gravierenden gesundheitlichen oder psychischen Problemen leidet. Insbesondere hat er die angeordnete ärztliche Untersuchung nicht wahrgenommen. Der Beschwerdeführer hat somit auch in dieser Hinsicht keine konkreten Hinweise vorgebracht, die weitergehende Ermittlungen notwendig erscheinen lassen.
Hinsichtlich, drittens, seiner verwandtschaftlichen Beziehungen hat der Beschwerdeführer keine konkreten Hinweise darauf gegeben, dass zu seiner in Österreich aufhältigen Mutter mehr als nur ein loser Kontakt oder ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Es waren daher keine weitergehenden Ermittlungen notwendig.
Unzuständigkeit Österreichs
Der Asylgerichtshof stellt fest, dass das Bundesasylamt keine Beurteilungsfehler begangen hat als es feststellte, dass für die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers ausschließlich Polen zuständig ist.
Zur Zuständigkeit Polens
Was zunächst die Feststellung der Zuständigkeit Polens betrifft, so hat das Bundesasylamt diese Zuständigkeit im angefochtenen Bescheid zwar fälschlicherweise auf Artikel 16 Absatz 1 lit. c) Dublin II-VO gestützt. Inhaltlich ist die Feststellung jedoch richtig, da sich die Zuständigkeit Polens aus Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ergibt. Aus dem oben I.4. zu 1. festgestellten Sachverhalt ergibt sich nämlich, dass die Beschwerdeführerin aus einem Drittland kommend erstmals das Hoheitsgebiet Polens betreten hat und dieser Nachweis durch Daten der Eurodac erbracht wurde.
Zur Zuständigkeit Österreichs durch Selbsteintritt
Es besteht keine Pflicht Österreichs, vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Im vorliegenden Fall besteht nämlich kein Grund anzunehmen, dass die Nichtzulassung zum Asylverfahren in Österreich und einer Weiterführung des Verfahrens in Polen im konkreten Fall einen Verstoß der österreichischen Behörde gegen die Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 3 oder Art. 8 EMRK darstellt.
Nach der Judikatur ist dieses Selbsteintrittsrecht zwingend anzuwenden, wenn ein Asylbewerber mit dem Vollzug der Ausweisung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat der Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung (Art. 3 EMRK) oder der Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) ausgesetzt wäre (VfGH 08.03.2001, G 117/00 u.a.; VfGH 11.06.2001, B 1541/00; VfGH 15.10.2004, G 237/03 u.a.; VfGH 17.06.2005, B 336/05).
Was zunächst die vom Beschwerdeführer behauptete Gefahr der der Verletzung von Art. 3 EMRK wegen der drohenden Verfolgung in Polen betrifft, erinnert der Asylgerichtshof an die Judikatur, wonach, wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände bedarf, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem oben unter I.4. zu 2. festgestellten Sachverhalt, dass im konkreten Fall keine stichhaltigen Gründe vorliegen, anzunehmen, der Beschwerdeführer liefe konkret Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu sein, weil er in Polen ohne jeden Schutz durch polnische Behörden und Gerichte der Verfolgung durch russische Soldaten und Anhänger Kadirovs ausgeliefert sei.
Was die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verletzung von Art. 8 EMRK wegen der drohenden Trennung von seinen Familienangehörigen in Österreich betrifft, erinnert der Asylgerichtshof an die Judikatur von EGMR bzw. EKMR, die zum Vorliegen des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutzes ein "effektiven Familienleben" verlangen, das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushalts, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234). Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst zwar nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entfernter verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern verlangt (EKMR 6. 10. 1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem oben unter I.4. zu 4. und 5. festgestellten Sachverhalt, dass die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner in Österreich lebenden Mutter schon im Herkunftsstaat sehr lose war und in Österreich auch nur aus gelegentlichen Kontakten besteht und auch kein finanzielles oder in Pflegebedürftigkeit begründetes Abhängigkeitsverhältnis besteht, so dass im Fall der Führung des Asylverfahrens der Beschwerdeführerin in Polen kein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben vorliegt.
Rechtmäßigkeit der Ausweisung
Was die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach Polen betrifft, so ergibt sich diese zunächst unmittelbar aus § 10 Absatz 1 Z. 1 AsylG, da der Antrag auf internationalen Schutz - wie oben unter 3.2. dargelegt - vom Bundesasylamt zu Recht zurück gewiesen wurde.
Es ergeben sich auch weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aus sonstigen Anhaltspunkten Gründe dafür anzunehmen, dass die sofortige Ausweisung wegen Verstoßes gegen § 10 Abs. 2 AsylG iVm.
Artikel 3 EMRK oder gegen § 10 Abs. 3 iVm. Artikel 8 EMRK unzulässig wäre. Insoweit verweist der Asylgerichtshof auf die oben unter
3.2.2. gemachten Ausführungen.
Da die Ausweisung nach Polen rechtmäßig ist, hat das Bundesasylamt auch zu Recht festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig ist. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 10 Abs 4 AsylG.