D11 253071-0/2008/5E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter DDr. Gerhold als Vorsitzenden und den Richter MMag. Schärf als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Karin Lechner über die Beschwerde des S. S., geb. 26.01.1973, StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.08.2004, FZ. 04 13.632-EAST-OST, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 8.10.2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und S. S. gemäß § 7 AsylG 1997 idF. BGBl. I 101/2003 Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997 idF. BGBl. I 101/2003 wird festgestellt, dass S. S. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I.) Der Beschwerde liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Der Beschwerdeführer, georgischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdisch-yezidischen Volksgruppe, reiste am 12.3.2003 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.
Im Wesentlichen brachte der Beschwerdeführer bei seinen niederschriftlichen Einvernahmen vor, dass sein Bruder am 3. September 2002 von einem betrunkenen Polizeioberst namens S. T. in Tiflis mit dem Auto überfahren worden sei und er deshalb gegen diesen Anzeige erstattet habe. Wäre ihm bekannt gewesen, dass der Fahrer ein Polizist war, hätte keine Anzeige erstattet. Er habe gewusst, dass er als Angehöriger der yezidischen Minderheit vor Gericht gegen einen Polizeioberst keine Chance haben würde. Infolgedessen sei er mehrfach bedroht worden, um ihn zur Zurückziehung der Anzeige zu bewegen. Kurz vor Ende des Jahres 2002 sei er von Polizisten zur Polizeidienststelle mitgenommen und dort verprügelt worden. Die hierbei erlittenen Verletzungen seien die Ursache für seine einseitige Taubheit. Ende Jänner 2003 sei es zu einem weiteren Vorfall mit der Polizei gekommen, bei dem ihm Drogen untergeschoben worden seien und er USD 1.000,- habe bezahlen müssen um einer Gefängnisstrafe zu entgehen.
Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.11.2003, FZ. 03 08.540-BAS, abgewiesen. Zudem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 AsylG 1997 zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid wurde keine Berufung erhoben und erwuchs dieser nach Ablauf der Rechtmittelfrist sohin in Rechtskraft.
In der Folge reiste der Beschwerdeführer unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Norwegen und stellte dort am 13.11.2003 einen Asylantrag.
Nach seiner Rücküberstellung nach Österreich stellte der Beschwerdeführer am 14.07.2004 einen weiteren Antrag auf Gewährung von Asyl.
Zu seinen Fluchtgründen einvernommen bestätigte der Beschwerdeführer sein Vorbringen aus dem ersten Asylverfahren, und brachte vor, dass ihn der im Zuge des Vorfalls 2002 angezeigte Polizeioberst möglicherweise umbringen würde, sollte er nach Georgien zurückkehren. Er werde versuchen Beweismittel für sein Vorbringen zu beschaffen und vorzulegen.
Dieser Antrag wurde mit bekämpften Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.08.2004, FZ. 04 13.632-EAST-OST, abgewiesen. Zudem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig ist. Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.
Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers bereits im ersten Asylverfahren erschöpfend als nicht glaubhaft gewürdigt worden seien und daher keine neuerliche Beweiswürdigung zu erfolgen habe. Ebenso wie im ersten Asylverfahren 2003 wurde auch in diesem Bescheid weder konkret auf den Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur kurdisch-yezidischen Volksgruppe und den berichteten Übergriffen und Bedrohungen noch allgemein auf eine mögliche Verfolgungsgefahr durch diese Volksgruppenzugehörigkeit eingegangen. Unter Vorbehalt der Glaubwürdigkeit wurden die vorgebrachten Übergriffe als krimineller Sachverhalt ohne Asylrelevanz beurteilt.
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben.
In der öffentlichen mündlichen Verhandlung am Asylgerichtshof am 8. Oktober 2008 legte der Beschwerdeführer erneut dar, sein ganzes Leben lang diskriminiert worden zu sein. Er führte aus, dass S. M., der Bruder des Polizeiobersts, der am 3. September 2002 den Bruder des Beschwerdeführers mit dem Auto überfahren habe, Abgeordneter im georgischen Parlament sei. Auch dieser habe ihn aufgefordert, die Anzeige gegen seinen Bruder zurückzuziehen. Im Jahr 2005 sei der Polizeioberst von Y. ermordet worden und habe S. M. den Beschwerdeführer verdächtigt dies aus dem Ausland veranlasst zu haben, weshalb dieser den Schwiegervater des Beschwerdeführers verprügeln habe lassen. Die Drohungen gegen den Beschwerdeführer seien schon vor seiner Abreise sehr heftig gewesen und habe er das Land so schnell wie möglich verlassen müssen.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
a) Zur Person und Situation des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist georgischer Staatsbürger und Angehöriger der kurdisch-yezidischen Minderheit in Georgien. Als Angehöriger dieser Minderheit hatten er und seine Frau von Kindheit an Demütigungen, Repressalien und Diskriminierungen zu erdulden. Darüber hinaus wurde er im Dezember 2002 auf einer Polizeistation schwer misshandelt, wodurch das Gehör des Beschwerdeführers dauerhaft geschädigt wurde. Bei einem weiteren Vorfall im Jänner 2003 konnte er sich nur unter Zahlung eines Bestechungsgeldes vom Verdacht des Drogenbesitzes loskaufen.
Der Beschwerdeführer lebt seit seiner Rücküberstellung aus Norwegen im Jahr 2004 gemeinsam mit seiner Ehefrau und den mittlerweile 3 Kindern in Österreich.
Hinsichtlich der Situation der Yeziden in Georgien wurde auf der Grundlage der derzeit vorliegenden Länderinformationen folgendes festgestellt:
Die kurdischen Yeziden werden in Georgien als Gruppe und auf Grund ihrer Religion verfolgt und stigmatisiert. Weder die Polizei noch die georgischen Behörden bieten Schutz bei Übergriffen bzw. finden staatliche Übergriffe durch die Polizei und Beamte selbst statt. Bei nach Deutschland geflüchteten Yeziden konnten Körperverletzungen nach Übergriffen festgestellt werden. Presse und Politiker äußern sich abfällig über diese Minderheit. Weiters wird ihnen der Zugang zu höherer Bildung verwehrt, Studienplätze können sie nur gegen Bezahlung sehr hoher Bestechungsgelder erlangen. Yeziden gehören meist der untersten Bevölkerungsschicht an, der Zugang zu höheren Einkommensklassen und Arbeitsstellen mit hohem sozialem Prestige ist ihnen verwehrt. Diskriminierung findet weiters dadurch statt, dass Yeziden kaum angemessene medizinische Versorgung erhalten, Pensionsansprüche ungesichert sind und sie keine höheren Positionen bei der Polizei oder dem Militär erlangen. Im Vergleich zu den anderen Minderheiten in Georgien gibt es auch anderen keinen Staat, der die Yeziden als Schutzmacht verteidigt.
Es kann nach derzeitiger Informationslage keinesfalls ausgeschlossen werden, dass sich die Situation der Angehörigen von Minderheiten nach dem georgisch-ossetisch-russischen Konflikt im Sommers 2008 weiter verschlechtert hat.
Die verwendeten Informationsquellen sind dem im Akt inliegenden 36-seitigen Ländervorhalt zu Georgien zu entnehmen.
Die Einvernahme des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau am 8. Oktober 2008 ergab einerseits ein glaubhaftes und in sich stimmiges und schlüssiges Gesamtbild der Situation der kurdisch-yezidischen Minderheit in Georgien in Übereinstimmung mit den vorliegenden Quellen, andererseits einen individuellen Bezug aufgrund der Angehörigkeit zu dieser Minderheit.
b) Zur rechtlichen Beurteilung
Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 4 B-VG sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind gemäß § 75 Abs. 7 Z. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF. (AsylG 2005) von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idgF. sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen, wobei § 44 AsylG 1997 gilt. Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, sind gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF. der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101/2003, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, idF. des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 zu führen.
Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag am 14.07.2004 gestellt, sodass das AsylG 1997 idF. BGBl. I 101/2003 zur Anwendung kommt.
Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling im Sinne der genannten Bestimmungen ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Obgleich die mit der Tötung des Bruders des Beschwerdeführers durch den Polizeioberst in Zusammenhang stehenden Übergriffe gegen den Beschwerdeführer nicht ihren Ursprung in dessen Volksgruppenzugehörigkeit gehabt haben mögen, so wurden diese Übergriffe dennoch erst durch den fehlenden behördlichen Schutz der kurdisch-yezidischen Minderheit im eingetretenen Ausmaß möglich.
Die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur diskriminierten kurdisch-yezidischen Minderheit Georgiens fällt ohne Zweifel unter die Konventionsgründe, wenngleich die Zugehörigkeit allein noch nicht die Flüchtlingseigenschaft begründen kann (VwGH 23.5.1995, 94/20/0816). Der Beschwerdeführer selbst war jedoch einer Reihe von Diskriminierungen und Misshandlungen ausgesetzt, die zwar einzeln für sich betrachtet wohl nicht die erforderliche Intensität erreichten, in ihrer kumulativen Gesamtheit letztlich aber einen unzumutbaren Gesamtzustand bewirkten und somit gerade noch als Verfolgung im Sinne der anzuwendenden rechtlichen Bestimmungen zu werten sind (vgl. auch unten Punkt 10).
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung".
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht, (vgl. VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262).
Eine Verfolgungsgefahr bzw. Furcht vor Verfolgung kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, auch der Einzelne könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 16.2.2000, 99/01/0149). Dieser Aspekt trifft angesichts der Minderheitenzugehörigkeit des Beschwerdeführers zu.
Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet aber nicht nur ein aktives Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit im Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungssituation muss nicht notwendigerweise vom Staat ausgehen oder von diesem gebilligt werden, es genügt vielmehr dass dieser nicht gewillt oder in der Lage ist, von Privatpersonen ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - Asylrelevanz zukommen sollte (VwGH vom 21.09.2000, 98/20/0557).
Im Umstand, dass im Heimatland des Asylwerbers eine militärische Konfliktsituation vorliegt, liegt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH für sich alleine keine Verfolgungsgefahr. Es bedarf daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkriegs hinausgeht.
Als Angehöriger einer Minderheit unterliegt der Beschwerdeführer jedoch gerade in der derzeitigen georgisch-ossetisch-russischen Spannungssituation, die ihre Wurzeln letztlich auch in den georgischen Nationalitätenkonflikten hat, einer erhöhten Verfolgungsgefährdung.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer im Lichte der aktuell verfügbaren Länderinformationen bei einer Rückkehr nach Georgien doch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Eingriffe von hoher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre drohen würden.
Dem Beschwerdeführer war daher auf Grund des geltend gemachten Fluchtgrundes Asyl zu gewähren. Es sind dem bisherigen Verfahrensgang auch keine Hinweise zu entnehmen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigung- oder Ausschlusstatbestände oder ein sonstiger rechtlicher Hindernisgrund eingetreten sein könnte.
Gemäß § 12 AsylG 1997 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.