TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/10 E8 241905-0/2008

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Veröffentlicht am 10.11.2008
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Spruch

E8 241.905-0/2008-12E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Vorsitzenden und den Richter Dr. BRACHER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Schwarz über die Beschwerde des A.G., geb. 00.00.1978, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.09.2003, FZ. 02 31.515-BAG, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 04.11.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8 AsylG 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idgF BGBl I. Nr. 126/2002 (AsylG) als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: "BF"), ein Staatsangehöriger der Türkei, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und moslemischen Glaubens, reiste am 25.10.2002 legal mit einem Visum C, gültig vom 25.10.2002 bis zum 04.11.2002, in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 28.10.2002 einen schriftlichen Asylantrag, den er damit begründete, er werde in seiner Heimat verfolgt und sein Leben sei dort nicht mehr sicher (AS. 3). Am 13.03.2003 erfolgte die Einvernahme des BF vor der Außenstelle Graz des Bundesasylamtes (AS. 27 ff). Dabei gab der BF im Wesentlichen an, er habe am 09.09.2002 an einer Veranstaltung der HADEP-Partei in C. teilgenommen, er sei dort von der Polizei festgenommen und für einen Tag lang inhaftiert worden und man habe ihn dahingehend bedroht, dass er bzw. seine Familie vernichtet würden (AS. 31). Deshalb habe er Angst bekommen und sei bald darauf am 25.10.2002 aus der Türkei ausgereist und nach Österreich geflogen. Vorgelegt wurden vom BF ein Reisepass, ausgestellt am 00.00.2002 in K. sowie ein Personalausweis, ausgestellt ebenso am 00.00.2002 vom Einwohneramt C..

 

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.09.2003, Zahl: 02 31.515-BAG, wurde der Asylantrag des nunmehrigen BF gem. § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.); gem. § 8 AsylG 1997 wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Türkei für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.).

 

Begründend führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen sei nicht glaubwürdig. So habe der BF bis zu seiner Ausreise am 25.10.2002 an seinem ordentlichen Wohnsitz gelebt und sei weiterhin einer Beschäftigung nachgegangen, was gegen eine Furcht vor Verfolgung spreche. Darüber hinaus sei dem BF knapp vor seiner Ausreise von den Sicherheitsbehörden in K. ein Reisepass ausgestellt worden und habe der BF damit problemlos ausreisen können. Auch dies spreche dagegen, dass der BF einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt gewesen sei.

 

3. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 19.09.2003 fristgerecht Beschwerde (AS. 69 ff). Darin führt der BF lediglich allgemein und ohne konkreten Bezug zum bekämpften Bescheid aus, die Behörde sei ihren Ermittlungspflichten nicht nachgekommen. Weiters sei unberücksichtigt geblieben, dass der BF "wegen der politischen Aktivitäten der Gefahr der Sippenhaft" ausgesetzt sei und drohe dem BF im Falle seiner Rückkehr eine ungerechtfertigte und harte Haft bzw. wäre der BF der Gefahr von Misshandlungen und Folter durch die türkische Polizei ausgesetzt.

 

4. Am 04.11.2008 führte der Asylgerichtshof mit dem BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch (OZ 7). Dabei tätigte der BF in grundlegenden Punkten von seinen Angaben vor dem BAA abweichende Aussagen. So datierte der BF etwa die seinen Angaben zufolge letztlich fluchtauslösende (Partei-)Veranstaltung 7 bis 9 Monate vor seiner Ausreise, was er damit begründete, dass er sich aus psychischen Gründen nicht mehr genau an die zeitlichen Daten erinnern könne. Weiters konnte der BF trotz mehrfachen Nachfragen des vorsitzenden Richters zunächst nicht angeben, dass es sich bei dieser Veranstaltung um eine Veranstaltung der HADEP gehandelt habe, was er auf Vorhalt letztlich damit begründete, er habe Angst gehabt, die HADEP zu erwähnen, da er davon ausgegangen sei, dass HADEP in Österreich verboten wäre. Erstmals konnte der BF in der Beschwerdeverhandlung die Namen der angeblichen Organisatoren der Veranstaltung nennen, darunter auch seinen Cousin Y.E., welcher PKK-Kämpfer gewesen und im Kampf gefallen sei, wobei der BF diesbezüglich den Ausdruck einer Internetseite der PKK vorlegte. Weiters legte der BF den Ausdruck einer türkischen Internetseite vor, auf der gefallene PKK-Kämpfer angeführt sind; diesbezüglich verwies der BF auf seinen angeblichen Onkel A.C., welcher laut dieser Liste im Jahr 1995 gefallen ist. Vorgelegt wurde vom BF auch eine Bestätigung des Kurdistan Informationszentrums vom 28.10.2008, wonach bestätigt wird, dass der BF im genannten Verein Mitglied sei und an den Veranstaltungen teilnehme.

 

II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:

 

Zur Person des BF wird festgestellt:

 

Der BF ist Staatsangehöriger der Türkei, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und moslemischen Glaubens. Seinen Lebensunterhalt verdiente er mit Viehzucht, wobei die Eltern des BF etwa 250 bis 300 Schafe besaßen bzw. auch aktuell noch besitzen. Seine Eltern sowie ein Bruder und mehrere Schwestern sind nach wie vor in der Türkei aufhältig.

 

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF jemals an einer Veranstaltung bzw. Demonstration von DEHAP teilgenommen hat und daraufhin für einen Tag inhaftiert worden ist. Folglich kann ebenso wenig festgestellt werden, dass die behauptete Aktivität des BF zu Drohungen seitens der türkischen Behörden geführt hat. Weiters kann auch nicht festgestellt werden, dass der BF wegen seines Onkels und seines Cousins, welche angeblich PKK-Kämpfer gewesen und mittlerweile verstorben seien, Verfolgung durch die türkischen Sicherheitsbehörden zu erwarten hätte. Es kann auch keinerlei sonstiges Bedrohungsszenario für den BF - insbesondere auch nicht auf Grund der Mitgliedschaft des BF in einem kurdischen Verein sowie der Teilnahme an Demonstrationen in Österreich im Falle seiner Rückkehr in die Türkei festgestellt werden.

 

2. Zur Lage in der Türkei werden auf Basis der nachfolgend genannten und in der Verhandlung vorgehaltenen Quellen zusammengefasst folgende Feststellungen getroffen:

 

Folgende Feststellungen werden zur Lage in der Türkei getroffen:

 

Allgemeine politische Lage:

 

Die Türkei verbindet Elemente einer modernen, westlichen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft mit einem lebendigen und in der türkischen Gesellschaft tief verwurzelten Islam, mit ausgeprägtem Nationalismus, Klientelstrukturen und zum Teil noch traditionellen Lebensformen, insbesondere in ländlichen Gegenden. Die Türkei betrachtet sich als Modell eines laizistischen Staates mit überwiegend islamischer Bevölkerung.

 

Bei den Parlamentswahlen vom 22.07.2007 hat die regierende AKP von MP Erdogan mit knapp 46,62 % der abgegebenen Stimmen (340 Sitze) einen historischen Sieg errungen, Wahlverlierer ist die CHP von Oppositionsführer Baykal mit 20,88 % (112 Sitze). Als weitere Partei zog die MHP (14,27%, 71 Sitze) sowie 26 unabhängige Kandidaten (davon 22 von der kurdennahen DTP) ins Parlament ein. Die Regierung Erdogan kann sich weiterhin auf eine stabile Parlamentsmehrheit stützen. Es wird erwartet, dass sie den Reformkurs fortführt.

 

Am 28.08.2007 wurde der bisherige Außenminister Abdullah Gül im dritten Wahlgang mit 339 (von 267 erforderlichen) Stimmen zum elften Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen, die anschließende Wahl des Präsidenten und die zügige Regierungsbildung haben zu einer Beruhigung und Konsolidierung der innenpolitischen Lage geführt. Sowohl Staatspräsident Gül als auch Ministerpräsident Erdogan kündigten eine Fortsetzung der Reformpolitik an.

 

Politische Opposition:

 

Das türkische Verfassungsgericht hatte früher in zahlreichen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Parteien zu verbieten. Die Schließungsverfahren richteten sich entweder gegen islamistische Parteien, z.B. 1998 die "Wohlfahrts-Partei" (Refah Partisi), 2001 die "Tugend- Partei" (Fazilet Partisi), oder pro-kurdische Parteien, z. B. DEP, HADEP. Mit dem Reformpaket vom 11.01.2003 hat die AKP-Regierung Reformen des Parteien- und Wahlgesetzes beschlossen sowie Partei- und Politikverbote erschwert.

 

Trotzdem wurde 2003 ein Verbotsverfahren gegen die kurdisch orientierte "Demokratische Volkspartei" (DEHAP), die Nachfolge- bzw. Schwesterpartei der HADEP, eingeleitet. Sie hat sich am 19.11.2005 selbst aufgelöst. Die DEHAP stand aufgrund einer mit der PKK und Abdullah Öcalan sympathisierenden Haltung vieler ihrer Mitglieder in der türkischen Öffentlichkeit im Verdacht, Verbindungen zur PKK zu unterhalten. Ihre Nachfolge trat die am 25.10.2005 gegründete "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) an, zu der sich viele führende kurdische Politiker zusammengeschlossen haben und die zumindest teilweise noch mit der PKK symphatisiert. Ziel der DTP sei die friedliche Lösung des Kurdenkonflikts, verlautet aus der Partei, an deren Spitze einige der ehemaligen kurdischen Parlamentsabgeordneten stehen, die enge Kontakte zur Menschenrechtspreisträgerin Leyla Zana unterhalten.

 

Viele türkische Bürger kurdischer Abstammung sind bzw. waren Anhänger oder Mitglieder der die Interessen von Kurden vertretenden Parteien DTP, DEHAP (bis zu ihrer Selbstauflösung) bzw. HADEP (bis zu ihrem Verbot). Dem Auswärtigen Amt wurden zahlreiche Anfragen zu Mitgliedschaften von Asylbewerbern in der HADEP vorgelegt, auch zu Mitgliedschaften, die schon viele Jahre zurückliegen. Abgesehen davon, dass solche Mitgliedschaften in der HADEP nicht mehr in zuverlässiger Weise überprüft werden können, ist kein Fall bekannt geworden, in dem die einfache Mitgliedschaft in der HADEP oder in der DEHAP - ohne besondere, z.B. strafrechtlich relevante Verdachtsmomente - zu Repressalien gegen die Betreffenden geführt hätte.

 

Kurden:

 

Fachleute gehen davon aus, dass ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei von 72 Millionen - also ca. 14 Millionen Menschen - (zumindest teilweise) kurdischstämmig ist. Im Westen der Türkei und an der Südküste leben die Hälfte bis annähernd zwei Drittel von ihnen: ca. 3 Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Ca. sechs Millionen kurdischstämmige Kurden leben in der Ost- und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Kurden leben auch im Nord-Irak, Iran, in Syrien und Georgien. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig.

 

Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit nie staatlichen Repressionen unterworfen. Über erhöhte Strafzumessung in Strafverfahren liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse vor. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden). Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus. Innenminister Aksu z.B. ist kurdischer Abstammung. Er hat Reden auf kurdisch gehalten, allerdings nicht bei offiziellen Anlässen.

 

Die Tatsache, dass "Separatismus" und "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande" kurdischstämmigen Türken weit öfter als anderen Türken vorgeworfen wurden, liegt daran, dass Verbindungen mit und Unterstützung der Terrororganisation PKK sich nahezu ausschließlich aus kurdischstämmigen Kreisen rekrutierte.

 

Exilpolitisches Verhalten:

 

Nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Es ist davon auszugehen, dass sich eine mögliche strafrechtliche Verfolgung durch den türkischen Staat insbesondere auf Personen bezieht, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden.

 

Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gemäß der gültigen Fassung des türkischen Strafgesetzbuches gewertet werden können. Mit der Liberalisierung des türkischen Strafrechts ist auch die Verfolgung strafrechtlich relevanten Verhaltens von türkischen Staatsangehörigen im Ausland zurückgegangen. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts haben die türkischen Strafverfolgungsbehörden in der Regel nur ein Interesse an der Verfolgung im Ausland begangener Gewalttaten bzw. ihrer konkreten Unterstützung. Dazu gehört auch die Mitgliedschaft in der PKK.

 

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

 

Die in der Vergangenheit von Schwerfälligkeit, Ineffizienz, Unberechenbarkeit und Strenge geprägte türkische Strafjustiz hat sich verbessert. Im Strafrecht- und Strafprozessrecht kam es in den vergangenen Jahren zu umfassenden gesetzgeberischen Änderungen und Novellierungen. In der Rechtspraxis wurden ebenfalls wesentliche Verbesserungen festgestellt, ohne dass dabei aber das Tempo der anderen gesetzgeberischen Reformen erreicht werden konnte. Bei allen Mängeln, die der türkischen Justiz noch anhaften (z.B. lange Verfahrensdauer), sind Bestrebungen unverkennbar, rechtstaatliches Handeln durchzusetzen. Einzelne Vorkommnisse und Entscheidungen von Justizorganen lassen bisweilen an dieser Einschätzung zweifeln. Es zeigt sich jedoch, dass sich im Gegensatz zu früher staatsanwaltliches Unrecht nicht halten lässt, sondern revidiert wird. Dies erfordert bisweilen jedoch beträchtliche Gegenwehr der Betroffenen.

 

Bereits seit Inkrafttreten des neuen tStGB und der tStPO am 01.06.2005 wurden einige für Inhaftierte, Angeklagte und Beschuldigte günstigere Vorschriften beim Vergleich zwischen altem und neuem tStGB angewendet, auch beim Strafmaß. Dies hatte u.a. bereits zur Folge, dass Ende 2004/Anfang 2005 über 12.000 Straftäter aus der Haft entlassen wurden (Aussetzung der Haftvollstreckung), weil die über sie verhängten Strafen höher waren als die Höchststrafe nach dem neuen tStGB. Entsprechende Vergünstigungen gelten für Angeklagte und Beschuldigte. Verurteilungen bei Meinungsdelikten haben deutlich abgenommen.

 

Durch Gesetz vom 07.05.2004 wurde die Auflösung der Staatssicherheitsgerichte (SSG) beschlossen. Die Aufgabe, über Taten zu urteilen, die früher in die Zuständigkeit der SSG fielen, haben die "Gerichte für schwere Straftaten" (vergleichbar Große Strafkammer beim LG) übernommen. Die Zahl der entsprechenden Kammern wurde erhöht. Viele Richter der SSG wurden an "Gerichte für schwere Straftaten" versetzt. Eine Neuerung ist, dass das bisher bestehende System spezieller "Staatsanwaltschaften bei den SSG" - früher berüchtigt als harte Ermittler und Ankläger nach dem Grundsatz: "im Zweifel gegen den Beschuldigten" - nicht auf die neuen Gerichte übertragen wurde. Es gibt nur noch eine einheitliche Staatsanwaltschaft. Sonderzuständigkeiten für bestimmte Delikte sind jedoch weiterhin möglich. Die Rechte der Verteidigung wurden dadurch gestärkt, dass bisher bestehende Sonderregelungen für eingeschränkte Akteneinsicht aufgehoben wurden. Bei der Bewertung der SSG ist zu berücksichtigen, dass diese aufgrund von Gesetzesänderungen bereits 2002 bis 2004 nahezu identische strafprozessuale Vorschriften wie die ordentlichen Strafkammern angewandt haben.

 

Todesstrafe:

 

Das türkische Parlament hat mit Wirkung vom 09.08.2002 die Todesstrafe (außer im Kriegsfall und bei unmittelbarer Kriegsbedrohung, s.u.) abgeschafft und beschlossen, bestehende Todesurteile in (schwere) lebenslange Freiheitsstrafen umzuwandeln. Am 07.05.2004 hat das türkische Parlament auch in der Verfassung alle Bezüge auf die Todesstrafe, die zuvor bereits völkerrechtlich und einfachgesetzlich abgeschafft worden war, gestrichen.

 

Sippenhaft:

 

In der Türkei gibt es keine "Sippenhaft" in dem Sinne, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Die nach türkischem Recht aussagepflichtigen Familienangehörigen - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder Sympathisanten - werden allerdings zu Vernehmungen geladen, z.B. um über den Aufenthalt von Verdächtigen befragt zu werden. Werden Ladungen nicht befolgt, kann es zur zwangsweisen Vorführung kommen.

 

Haftbedingungen:

 

Die materiellen Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen älterer Bauart (Unterbringungskapazität von bis zu 100 Häftlingen in Massenzellen) entsprechen bei weitem nicht internationalen Standards. Es existieren noch zwei Gefängnisse älterer Bauart mit Massenzellen - Bayrampasa in Istanbul und ein Gefängnis in Izmir (Stand: August 2006). 22 neue Gefängnisse waren 2006 im Bau, von denen einige inzwischen eröffnet wurden (E-Typ in Usak, demnächst eines in Antalya). Ziel der Justizverwaltung ist es, die Zahl der Haftanstalten in den nächsten Jahren auf 250 zu reduzieren.

 

Die neuen sog. F-Typ-Gefängnisse haben einen mitteleuropäischen Standard und können in vielerlei Hinsicht als vorbildlich bezeichnet werden (Zellengröße, Hygiene, Betätigungsmöglichkeiten für Gefangene, ärztliche Betreuung). Die Kritik auch türkischer Menschenrechtsorganisationen wegen der Gefahr einer Isolationshaft kann vom Auswärtigen Amt nach einer eingehenden Untersuchung von F-Typ-Gefängnissen und den Haftbedingungen nicht nachvollzogen werden. Der Anti-Folter-Ausschuss des Europarates hat die Türkei mehrfach besucht. In seinen veröffentlichten Berichten kommt das Komitee - wie auch eine Ad-hoc-Delegation des Europaparlaments - zu dem Ergebnis, dass die Haftbedingungen in den F-Typ Gefängnissen europäischen Standards genügen. Ende Januar 2007 hat das Justizministerium die Änderung der Strafvollzugsordnung für die F-Typ-Gefängnisse angeordnet. Danach sollen die Gefangenen in 10er-Gruppen 10 Stunden pro Woche Gelegenheit haben, zusammen zu kommen. Die Zusammenstellung der Gruppen erfolge durch die Gefängnisleitung. Für jeden Gefangenen werde unter Hinzuziehung eines Psychologen ein eigener Strafvollzugsplan aufgestellt.

 

Rückkehrer:

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte.

 

Besteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Wehrdienstflüchtige haben damit zu rechnen, gemustert und ggf. einberufen zu werden (u.U. nach Durchführung eines Strafverfahrens). Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte.

 

Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit vier Jahren kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, schließt das Auswärtige Amt aus.

 

Diese Feststellungen beruhen auf folgenden Quellen:

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 25.10.2007

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 11.01.2007

 

Fortschrittsbericht Türkei der EU-Kommission vom 06.11.2007

 

U.S. Department of State, Turkey, International Religious Freedom Report 2008, 19.09.2008

 

Home Office, Country of Origin Information Report, Turkey, 31.12.2007

 

Home Office, Operational Guidance Note, Turkey, 02.10.2008

 

3. Beweiswürdigung:

 

3.1. Den vom BF geschilderten Fluchtgründen war aus folgenden Erwägungen jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen:

 

3.1.1. Bereits die zeitliche Einordnung der (Partei-)Veranstaltung bzw. Demonstration, nach der der BF für einen Tag inhaftiert worden sei und welche letztlich ausschlaggebend für die Ausreise des BF gewesen sei, nahm der BF vor dem BAA und in der Beschwerdeverhandlung höchst unterschiedlich vor. So gab der BF vor dem BAA an, am 09.09.2002 habe die Veranstaltung der HADEP in C. stattgefunden und er sei am 25.10.2002 aus der Türkei ausgereist (AS. 31). In der Beschwerdeverhandlung hingegen gab der BF an, die Veranstaltung bzw. Demonstration habe sich "7 bis 8 Monate, vielleicht auch 9 Monate" vor seiner Ausreise ereignet (Verhandlungsschrift Seite 3). Auf Vorhalt dieses gravierenden Widerspruchs in der Beschwerdeverhandlung gab der BF an, er könne sich an keine zeitlichen Daten erinnern, da er seit dem Tod seines Cousins - welcher während des Aufenthalts des BF in Österreich eingetreten sei - an psychischen Problemen leide. Abgesehen davon, dass der BF in der Beschwerdeverhandlung auf den vorsitzenden sowie den beisitzenden Richter keinesfalls einen psychisch angeschlagenen Eindruck machte und sich auch sonst klar auszudrücken und den Fragen zu Folgen vermochte, ist diesem Einwand auch aus einem anderen Grund kein Glauben zu schenken: Vor dem BAA berichtete der BF hinsichtlich der Zeit vom 09.09.2002 bis zu seiner Ausreise von keinen weiteren Vorfällen, sondern gab lediglich an, dass er letztlich ausgereist sei, da ihm seine Eltern gesagt hätten, "dass die kommen könnten" und ihn "holen könnten" (AS. 33). Von "Besuchen" der Sicherheitsorgane in diesem Zeitraum berichtete der BF vor dem BAA nicht. In der Beschwerdeverhandlung hingegen gab der BF an, die Soldaten seien zwischen der Veranstaltung bzw. Demonstration und seiner Ausreise derart häufig gekommen, dass er sich an die genaue Anzahl nicht mehr erinnern könne; manchmal seien sie pro Woche einmal, manchmal auch zweimal gekommen und er habe stets vor den "Besuchen" Bücher verbrennen müssen (Verhandlungsschrift S. 4). Auch diesbezüglich werden ganz klar die Widersprüche im Vorbringen des BF deutlich, zumal er laut seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung im fraglichen Zeitraum unzählige Male, zumindest wöchentlich von Soldaten aufgesucht worden sei, während dieser Zeitraum laut seinen Angaben vor dem BAA - wobei er diesbezüglich von keinerlei Vorfällen berichtete - lediglich 1 1/2 Monate betrug. Im Übrigen ist auch davon auszugehen, dass der BF von den erwähnten "Besuchen" durch Soldaten auch bereits vor dem BAA oder zumindest in seiner Beschwerde berichtet hätte, wenn diese tatsächlich stattgefunden hätten.

 

3.1.2. Ebenso schilderte der BF die Umstände der (Partei-)Veranstaltung bzw. Demonstration, welche ihn letztlich zur Ausreise bewogen hätte, höchst widersprüchlich. So sprach der BF vor dem BAA von einer Veranstaltung der HADEP. In der Beschwerdeverhandlung konnte der BF dies zunächst trotz beinahe suggestiven Nachfragens des vorsitzenden Richters nicht angeben (Verhandlungsschrift S. 3/4):

 

VR: Waren diese Organisatoren der Demonstration auch politisch aktiv bzw. haben sie sich politisch betätigt?

 

BF: Es waren alles Schüler des Gymnasiums, die Probleme mit den Lehrern und mit den türkischen Mitschülern hatten.

 

VR: Aber Mitglieder einer bestimmten Partei waren diese Personen nicht?

 

BF: Ob sie Mitglied waren, weiß ich nicht, aber es waren Kurden, die mit der PKK sympathisiert haben.

 

Erst auf den ausdrücklichen Vorhalt des vorsitzenden Richters, dass er vor dem BAA angegeben habe, dass es sich um eine Demonstration der HADEP gehandelt habe, bejahte dies der BF und versuchte sich damit zu rechtfertigen, dass er Angst gehabt habe, HADEP zu erwähnen, da ihm gesagt worden sei, dass in Österreich die PKK und HADEP verboten seien (Verhandlungsschrift Seite 5). Nach Ansicht des Asylgerichtshofes handelt es sich dabei jedoch um eine bloße Schutzbehauptung des BF, der seit seiner erstinstanzlichen Einvernahme offenbar einen wichtigen Teil seines Konstruktes vergessen hatte. Insbesondere hatte der BF in der Beschwerdeverhandlung ja auch keine Bedenken, die angebliche Zugehörigkeit bestimmter Verwandter zur PKK ausdrücklich zu erwähnen, wobei sich der BF diesbezüglich in der Beschwerdeverhandlung in nicht nachvollziehbarer Weise damit zu rechtfertigen versuchte, dass er doch habe sagen müssen, dass seine Verwandten für die PKK gestorben sind (Verhandlungsschrift Seite 5).

 

Auch die näheren Angaben des BF zur erwähnten (Partei-)Veranstaltung bzw. Demonstration in der Beschwerdeverhandlung wichen erheblich von seinen Angaben vor dem BAA ab. So wurde der BF vor dem BAA gefragt, wer an dieser Demonstration teilgenommen habe, woraufhin der BF wörtlich angab: "Die kenne ich nicht. Das waren Kurden" (AS. 33). In der Beschwerdeverhandlung hingegen gab der BF konkret die Namen der angeblichen Veranstalter der Demonstration an, darunter seinen angeblichen Cousin Y.E.. Als bloße Schutzbehauptung stellt sich nach Ansicht des Asylgerichtshofes diesbezüglich der Einwand des BF dar, wonach er vor dem BAA die Personen nicht namentlich genannt hat, da er diese - welche damals noch am Leben gewesen seien - nicht gefährden habe wollen; mittlerweile seien diese tot und er könne darüber sprechen (Verhandlungsschrift S. 5). Auch aus einem anderen Grund vermag dieser Rechtfertigungsversuch den Asylgerichtshof nicht zu überzeugen. So sei insbesondere angemerkt, dass der BF vor dem BAA auf die Frage, wie er davon Kenntnis erlangt habe, dass eine Demonstration stattfindet, wörtlich angab (AS. 33): "Jemand ging herum und sagte das. Die Werber für die Veranstaltung gingen umher und sagten das." Nach Ansicht des Asylgerichtshofes hätte der BF selbst dann, wenn er die ihm bekannten Namen nicht hätte nennen wollen, doch angeben können, dass er die Veranstalter der Demonstration kenne bzw. sich unter den Veranstaltern auch Angehörige des BF befinden, zumal dies ein wesentlicher Aspekt für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr des BF gewesen wäre. Aus den Angaben des BF vor dem BAA geht hingegen klar hervor, dass es sich bei den Veranstaltern der Demonstration um Personen handelte, die dem BF völlig fremd waren.

 

3.1.3. Dass der BF in der Türkei keinerlei Verfolgungsgefahr seitens der türkischen Behörden unterliegt, zeigte sich auch klar in dem Umstand, dass dem BF am 00.00.2002 - somit nach der angeblich die Verfolgung auslösenden Demonstration vom 09.09.2002 - ein Reisepass ausgestellt wurde. Auf Nachfragen des vorsitzenden Richters gab der BF selbst an, dass er den Reisepass ohne Probleme erhielt (Verhandlungsschrift S. 6). Ebenfalls am 00.00.2002 wurde dem BF ein Personalausweis ausgestellt. Weiters ist auch zu betonen, dass der BF am 25.10.2002 legal unter Verwendung seines Reisepasses - wobei er einen Tag zuvor ein österreichisches Visum erlangte - die Türkei verließ. Auch dies ist ein klares Indiz dafür, dass die türkischen Behörden am BF in keiner Weise interessiert waren.

 

3.1.4. Kein Glauben kann dem BF weiters geschenkt werden, wenn er - erstmals in der Beschwerdeverhandlung - angibt, er habe Verfolgung wegen seines mittlerweile ums Leben gekommenen (angeblichen) Onkels (wegen des gleichen Nachnamens) und ebenso verstorbenen (angeblichen) Cousins (wegen des Verwandtschaftsverhältnisses), welche beide Mitglieder der PKK gewesen seien, zu befürchten bzw. würde er selbst der PKK zugerechnet werden. Auch in dieser Hinsicht entstand in der Beschwerdeverhandlung der Eindruck, als wollte der BF diese Gründe "nachschieben", um seiner konstruierten Geschichte mehr Substanz zu verleihen. Diesbezüglich ist zu betonen, dass die einzige in dieser Hinsicht vor dem BAA getätigte Angabe des BF dahingehend lautete, dass er "im Jahre 1991 einen entfernten Verwandten hatte, der bei der PKK war" (AS. 31), wobei dies der BF auf Nachfragen nach seinen Rückkehrbefürchtungen nicht weiter thematisierte. Auch diesbezüglich ist dem vor dem Asylgerichtshof getätigten Einwand des BF, er habe es seinerzeit vor dem BAA nicht gewagt, konkrete Namen bzw. Verwandtschaftsverhältnisse zu nennen, kein Glauben zu schenken, wobei insbesondere auch betont sei, dass der angebliche Onkel A.C. nach dem vom BF vorgelegten Internetausdruck bereits im Jahre 1995 ums Leben gekommen ist, sodass der Rechtfertigungsversuch des BF, er habe die seinerzeit noch lebenden Personen durch seine Aussagen nicht gefährden wollen, jedenfalls im Hinblick auf seinen Onkel nicht greifen kann. Selbst wenn es sich bei Y.E. um den Cousin und bei A.C. um den Onkel des BF gehandelt haben sollte und diese tatsächlich Mitglieder der PKK waren, ist es nicht glaubwürdig, dass der BF aus diesem Grunde subjektiv Furcht vor Verfolgung hat. Aber auch in objektiver Hinsicht hätte der BF nach Ansicht des Asylgerichtshofes keine Verfolgung zu befürchten: So geht aus dem in der Beschwerdeverhandlung vorgehaltenen Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes (Verhandlungsschrift S. 11) klar hervor, dass es in der Türkei keine "Sippenhaft" in dem Sinne, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden, gibt. Die nach türkischem Recht aussagepflichtigen Familienangehörigen - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder Sympathisanten - werden laut Berichtsmaterial allenfalls zu Vernehmungen geladen, z.B. um über den Aufenthalt von Verdächtigen befragt zu werden. Diesbezüglich ist aber auch zu betonen, dass die beiden vom BF erwähnten Verwandten seinen eigenen Angaben zufolge seit 14 Monaten (Cousin) bzw. seit 13 Jahren (Onkel) tot sind. Aus all diesen Gründen schenkt der Asylgerichtshof auch der vom BF in der Beschwerdeverhandlung (Verhandlungsschrift S. 7) getätigten, unbescheinigten Angabe, wonach vor etwa 2 oder 3 Wochen vor der Beschwerdeverhandlung Soldaten zu seinen Eltern gekommen seien und gedroht hätten, dass der BF das gleiche Ende wie sein Onkel nehmen werde, keinen Glauben.

 

3.1.5. Was schließlich die vom BF am Ende der Beschwerdeverhandlung vorgelegte Bestätigung, wonach er Mitglied in einem kurdischen Verein sei sowie den behaupteten Umstand, dass der BF sich in Österreich für die Rechte seines Volkes einsetze und an Demonstrationen teilnehme, anbelangt, so kann der Asylgerichtshof auch darin keine Gefahr für den BF im Falle seiner Rückkehr in die Türkei erblicken. Zunächst ist zu betonen, dass der BF die erwähnte Bestätigung vorlegte, ohne diesbezüglich von sich aus eine Verfolgungsgefahr vorzubringen. Erst auf Nachfragen des beisitzenden Richters gab der BF an, in der Türkei seien kurdische Vereine verboten und er fügte weiters sehr vage und ohne dies näher zu konkretisieren hinzu, wenn hervorkäme, dass er Mitglied sei, so könne dies Konsequenzen haben (Verhandlungsschrift S. 13). In dieser Hinsicht hegt der Asylgerichtshof keine Bedenken an dem in der Verhandlung erörterten Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes, wonach nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen (Verhandlungsschrift S. 9). Im Fall des BF ist jedoch keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt; insbesondere hat sich der BF auch nicht in herausgehobener Position (exil-)politisch betätigt (Verhandlungsschrift S. 13: "VR: Was machen Sie in dem Verein genau? BF: Ich nehme an Demonstrationen teil, ich zahle meinen Mitgliedsbeitrag und manchmal spende ich für den Verein, das ist es.")

 

3.2. Die Feststellungen zur Lage in der Türkei beruhen auf den angeführten Quellen, an deren Seriosität und Plausibilität der Asylgerichtshof keine Bedenken hegt. Der BF trat den Feststellungen nicht substantiiert entgegen, sondern merkte lediglich ohne nähere Begründung an, es könne wegen Sippenhaft sehr wohl zu Folterungen kommen, da die Sicherheitskräfte freie Hand hätten.

 

III. Rechtlich folgt daraus:

 

1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 werden alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende geführt. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. In analoger Anwendung dieser Bestimmung tritt an die Stelle des Begriffes "Berufungswerber" der Begriff "Beschwerdeführer".

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat das erkennende Gericht, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2. Nichtgewährung von Asyl gem. § 7 AsylG

 

2.1. Gemäß § 7 AsylG 1997 hat der Asylgerichtshof Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sei, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

2.2. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, ist das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen unglaubwürdig und somit nicht der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen. Eine Asylgewährung aus den vom BF geschilderten Fluchtgründen kommt folglich nicht in Betracht.

 

Weiters sei angemerkt, dass die Asylantragstellung im Ausland nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu Verfolgungshandlungen seitens der türkischen Behörden führt (vgl. dazu Verhandlungsschrift S. 12). Im Übrigen wurde bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, dass dem BF ebenso wenig wegen seiner Mitgliedschaft im Verein Kurdistan Informationszentrum sowie wegen der Teilnahme an Demonstrationen in Österreich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht.

 

Folglich ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids abzuweisen.

 

3. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei

 

3.1. § 124 Abs. 2 FPG 2005 besagt, dass - soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des Fremdengesetztes 1997 verwiesen wird, - die entsprechenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes and deren Stelle treten.

 

Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (vormals § 57 FrG 1997, nunmehr § 50 FPG 2005); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 1997 ist Fremden, deren Asylantrag aus anderen Gründen als den Asylausschlussgründen (§ 13) abgewiesen wurde, von jener Asylbehörde mit Bescheid eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, von der erstmals festgestellt wurde, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung unzulässig ist.

 

Gemäß § 50 Abs. 1 FPG 2005 ist die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

 

Gemäß § 50 Abs. 2 FPG 2005 ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Gemäß Art 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Die bloße Möglichkeit, einer dem Art 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG 1997 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH E vom 27.02.1997, Zl. 98/21/0427).

 

Der Fremde hat das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG 1997 glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH E vom 02.08.2000, Zl. 98/21/0461; VwGH E vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

3.2. Wie bereits bezüglich der Abweisung des Asylantrages ausgeführt, bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des BF aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten aktuell bedroht wäre, weshalb kein Fall des § 50 Abs. 2 FPG 2005 vorliegt.

 

3.3. Zu prüfen bleibt, ob es begründete Anhaltspunkte dafür gibt, dass durch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in dessen Herkunftsstaat Artikel 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes gegeben ist (§ 50 Absatz 1 Fremdenpolizeigesetz).

 

Diesbezüglich ist wiederum festzuhalten, dass das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen der rechtlichen Beurteilung mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde zu legen ist.

 

Im Übrigen stellt sich die Situation laut einschlägigem Berichtsmaterial nicht dermaßen dar, dass quasi jeder, der in die Türkei abgeschoben wird, dort mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer dem Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre.

 

Aufgrund der getroffenen Feststellungen deutet bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Umstände auch nichts darauf hin, dass der BF im Falle einer Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt wäre, zumal dort solche Konflikte nicht bestehen.

 

3.4. Darüber hinaus ist anzumerken, dass es sich beim BF um einen arbeitsfähigen jungen Mann handelt, der in der Türkei in der Viehzucht seiner Eltern gearbeitet hat, welche seine Eltern auch aktuell noch betreiben. In der Türkei verfügt er über ein Netz von Angehörigen, darunter seine Eltern, einen Bruder und mehrere Schwestern. Es bestehen keinerlei Hinweise darauf, dass der BF in eine Notlage geraten würde, die seine Verbringung in die Türkei im Sinne des Art 3 EMRK unzulässig machen würde.

 

Der BF hat schließlich auch weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnte. Die vom BF angeführten psychischen Probleme, einschließlich Schlafstörungen, welche der Tod seines Cousins (als sich der BF bereits in Österreich befand) bei ihm ausgelöst habe und die er durch Sport zu lindern versuche (Verhandlungsschrift S. 3 bzw. 7), erreichen nicht die Schwelle einer dermaßen schwerwiegenden Erkrankung, dass dadurch die Rückverbringung des BF in die Türkei im Lichte des Art 3 EMRK unzulässig sein könnte. Angemerkt sei auch, dass der BF diesbezüglich bislang nie in ärztlicher Behandlung war, sondern lediglich in der Beschwerdeverhandlung ankündigte, er werde einen Arzt aufsuchen.

 

Die Rückverbringung des BF in die Türkei stellt somit keine Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK dar und ist folglich die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

 

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Glaubwürdigkeit, non refoulement, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
06.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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