E12 221.958-0/2008-20E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Sovka über die Beschwerde des P.O., geb. 00.00.1979, StA ungeklärt, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.3.2001, FZ. 01 00.869-BAW in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. VERFAHRENSGANG:
1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF) stellte am 15.1.2001 einen Asylantrag und wurde am 9.3.2001 niederschriftlich dazu einvernommen. 2. Mit Bescheid vom 23.3.2001, FZ 01 00.869-BAW, wies das Bundesasylamt den Asylantrag gem. § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde im Spruchpunkt II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997 in den Herkunftsstaat Aserbaidschan für zulässig erklärt.
3. Dagegen wurde am 7.4.2001 fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben.
4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E12 zugeteilt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Am 01. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl I. Nr. 4/2008 weiterzuführen.
Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof BGBl I. Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) sind, soweit sich aus dem Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl I. Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985- VwGG, BGBl Nr. 10 nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG BGBl Nr. 51 mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang auch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBL Nr. 51 zur Anwendung gelangt.
Gemäß § 66 Abs. 4 hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzten und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen) so der hier vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückzuweisen.
Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315, und 2000/20/0084 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren, im allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (nunmehr Asylgerichtshof) im besonderen getätigt. Dabei hat er im zuletzt genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:
"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Artikel 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen".
Im Erkenntnis vom 17.10.2006, 2005/20/0459, hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung / Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche, detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden und zwar aus folgenden Erwägungen:
Im angefochtenen Bescheid wurde als Herkunftsstaat des BF Aserbaidschan festgestellt. Eine Begründung oder beweiswürdigende Ausführungen zu dieser Feststellung sind dem angefochtenen Bescheid jedoch nicht zu entnehmen. Der BF hat allerdings im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am 9.3.2001 einige Angaben getätigt, aus denen nicht zweifelsfrei gefolgt werden kann, dass sein Herkunftsland tatsächlich Aserbaidschan ist. So gab er an, der Volksgruppe der Ukrainer anzugehören. Obwohl er immer in B. gelebt und zur Schule gegangen sein will, kann er nicht einmal die letzte Schule angeben, in die er dort gegangen sein will. Weiters kennt der BF nach 10-jähriger Schulausbildung nicht alle Bezirke B.. Zweifelhaft erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass der BF, obwohl er immer in B. gelebt habe, dort 10 Jahre zur Schule gegangen sei und dann 5 Jahre als Bauhilfsarbeiter gearbeitet habe, kein Azeri spricht. Obwohl der BF angab, seine Mutter sei Armenierin gewesen, spricht er auch kein armenisch. Da aufgrund dieser Aussagen massive Zweifel bestehen, ob das Herkunftsland des BF tatsächlich Aserbaidschan ist, hätte der Asylgerichtshof im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die Durchführung einer Herkunfts- und Sprachanalyse im Wege des BAA gem. § 66 (1) AVG beabsichtigt. Dies wurde allerdings vom BAA Wien wegen der derzeitigen angespannten Auslastungslage mit Schreiben vom 30.10.2008 abgelehnt.
Der angefochtene Bescheid ist aber nicht nur in diesem Punkt mangelhaft. So wurde auch unterlassen, die Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation des BF und die dabei aufgetretenen Ungereimtheiten - z.B. Widersprüche, fehlendes Detailwissen- in Hinblick auf den Einklang dieser Schilderungen mit der Tatsachenwelt zu beurteilen. So hätte beispielsweise erhoben werden können, ob es die angegebene Schule in B. tatsächlich gibt, ob bei der Schulanmeldung Urkunden und wenn ja, welche vorgelegt werden müssen.
Der VwGH erläutert in seinem Erkenntnis vom 6.3.2001, 2000/01/0402, dass die Angabe des Herkunftsstaates im Rahmen der Erfüllung der den Asylwerber treffenden Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes zu erfolgen hat und es im Falle einer zunächst wahrheitswidrigen Angabe bei "Vorliegen sonstiger Hinweise" auch die Pflicht der Behörde sein kann, auf die Gefahr der Verfolgung in einem anderen - tatsächlichen-Herkunftsstaat einzugehen. Aus der zitierten Judikatur geht zweifelsfrei hervor, dass die Behörde -entsprechende Hinweise vorausgesetzt, welche wie oben ausgeführt im gegenständlichen Fall zweifelsfrei vorliegen, nicht nur den tatsächlichen Herkunftsstaat des Asylwerbers zu ermitteln, sondern darüber hinaus nach dessen Feststellung diesen zum Gegenstand von Ermittlungen bezüglich der Gewährung von Asyl zu machen hat. Im gegenständlichen Fall liegen mehrere Hinweise darauf vor, dass der behauptete Herkunftsstaat nicht mit dem tatsächlichen übereinstimmt, weshalb seitens des BAA eine Sprach- und Herkunftsanalyse zu tätigen sein wird, die auch eine weitere Befragung des BF miteinzuschliessen haben wird.
Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtssprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, 2003/20/03-89). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit, mangelnde Aufklärung des zugrundeliegenden Sachverhaltes etc. - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret, entscheidungsrelevanten Situation gewürdigt hat.
Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt dass Procedere der Erstbehörde somit gegen die im Asylverfahren speziell determinierten Ermittlungspflichten. Demnach haben nämlich das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von Amtswegen darauf hinzuwirken , dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet, oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amtswegen beizuschaffen. Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren bedacht zu nehmen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amtswegen zu ermitteln und festzustellen, ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet. Es hätten jedenfalls Widersprüche aufgeklärt, Behauptungen hinterfragt und vollständige Länderinformationen beigeschafft werden müssen.
4. Zusammenfassend ist daher der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit dem unter Punkt drei dargestellten Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen bzw. Befragungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen. Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten war von § 66 Abs. 3 AVG kein Gebrauch zu machen. Ergänzend sei dazu bemerkt, dass der Asylgerichtshof nicht verkennt, dass das gegenständliche Verfahren bereits seit April 2001 bei der Berufungsbehörde anhängig war; aufgrund der Mangelhaftigkeit ist jedoch die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG gerechtfertigt.
5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern bzw. aufzuklären haben.