TE AsylGH Bescheid 2008/11/11 C6 203834-9/2008

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Veröffentlicht am 11.11.2008
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Spruch

C6 203.834-9/2008/21E

 

K.I.; geb. 00.00.1967

 

StA: Türkei

 

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG

 

DES VOM UNABHÄNGIGEN BUNDESASYLSENAT IN DER MÜNDLICHEN VERHANDLUNG

AM 2.7.2007 VERKÜNDETEN BESCHEIDS

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Judith PUTZER gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm § 38 Abs 1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idgF entschieden.

 

Der Berufung von K.I. vom 5.4.2000 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.3.2000, Zahl 98 00.215-BAG, wird stattgegeben und K.I. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg cit wird festgestellt, dass K.I. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Bisheriger Verfahrensgang:

 

Am 9.1.1998 stellte die Berufungswerberin, ihren Angaben zu Folge türkische Staatsbürgerin und Angehörige der kurdischen Volksgruppe, in Österreich einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.6.1998, Zahl 98 00.215-BAG, wurde der Asylantrag gemäß § 6 Ziffer 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Weiters stellte das Bundesasylamt fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Berufungswerberin in die Türkei zulässig ist.

 

Der gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.6.1998, Zahl 98 00.215-BAG, erhobenen Berufung gab der unabhängige Bundesasylsenates mit Bescheid vom 31.7.1998, Zahl 203.84/0-II/28/98, statt und behob den bekämpften Bescheid ersatzlos.

 

Die gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31.7.1998, Zahl 203.84/0-II/28/98, erhobene Amtsbeschwerde vom 14.10.1998 wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25.11.1999, Zlen. 98/20/0447, 0448-7, als unbegründet angewiesen.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.3.2000, Zahl 98 00.215-BAG, wurde der Asylantrag vom 9.1.1999 gem. § 7 AsylG, BGBl I 1997/76 (AsylG) idgF abgewiesen. Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Das Bundesasylamt beurteilte das Vorbringen der Berufungswerberin nicht als glaubwürdig und begründete dies näher. Weiters verneinte das Bundesasylamt, dass die Berufungswerber i.S.d. § 8 AsylG i.V.m. § 57 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz 1997 BGBl. I 75 (in der Folge: FrG) bedroht oder gefährdet sei.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Berufung.

 

Der unabhängige Bundesasylsenat erhob Beweis durch Einsicht in die folgenden Dokumente:

 

Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei (Stand Jänner 2007);

 

Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei (Stand Juni 2006);

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei. Zur aktuellen Situation - Mai 2006;

 

Home Office, Operational Guidance Note Turkey, 11 July 2006;

 

Schweizerisches Bundesamt für Migration, Focus Türkei - Folter und Misshandlung, 8. März 2007

 

und führte am 21.9.2004 und am 2.2.2007 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung gemäß § 67d AVG unter Beiziehung eines Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in der Türkei durch, an der das Bundesasylamt nicht teilgenommen hat.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt steht fest:

 

1.1. Zur Person der Berufungswerberin:

 

1.1.1. Die Berufungswerberin ist türkische Staatsangehörige, gehört der türkischen Minderheit und stammt aus dem "türkischen" Dorf A., Provinz U., Kreisstadt H.. Ihre Mutter ist Türkin und ihr Vater Kurde. Die Berufungswerberin war mit K.M., einem Angehörigen der kurdischen Volksgruppe, vom 00.00.2003 bis zu dessen Tod am 00.00.2004 verheiratet. Aufgrund ihrer Heirat wurde sie immer wieder unter Druck gesetzt ihren Mann zu verlassen; im Zuge dessen ist es auch zu Gewaltakten gegen die Berufungswerberin gekommen.

 

Der Ehegatte der Berufungswerberin wurde in der Heimat zu neun Monaten Haft verurteilt und auch gefoltert; er war bis zu seinem Tod politisch tätig. Er hat an Newroz-Veranstaltungen, sonstigen Veranstaltungen sowie Demonstrationen und Vereinstreffen teilgenommen; auch hat er Zeitungen und Zeitschriften verteilt. Die türkische Versicherung - bei der eine Lebensversicherung auf den Ehegatten abgeschlossen wurde - weigert sich nunmehr diese an die Berufungswerberin auszuzahlen. Auch andere Verwandte der Berufungswerberin sind politisch tätig.

 

1.2. Zum Herkunftsstaat des Berufungswerbers:

 

1.2.1. Zur hier relevanten Minderheitensituation:

 

Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der "türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur "Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung" zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der in Art. 37 bis 44 des Lausanner Vertrages niedergelegte, aber nicht auf bestimmte Gruppen festgeschriebene Schutz allerdings nur auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe und die armenisch-apostolische Kirche sowie die jüdische Gemeinschaft...

 

Ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei (72 Millionen) - also ca. 14 Millionen Menschen - ist zumindest teilweise kurdischstämmig. Im Westen der Türkei und an der Südküste lebt die Hälfte bis annähernd zwei Drittel dieser Kurden: ca. drei Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Rund sechs Millionen kurdischstämmige Türken leben in der Ost- und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig.

 

Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus... (Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 11. Jänner 2007, S 15).

 

1.2.2. Mit dem Wiedererstarken des PKK-Terrorismus wurde seit Mitte 2005 der Ruf nach einschneidenden Maßnahmen zur Terrorbekämpfung lauter. Am 29.06.2006 hat das Parlament zahlreiche Verschärfungen im Anti-Terror-Gesetz verabschiedet (das Gesetz ist am 18.7.2006 in Kraft getreten). Die von Menschenrechts-Organisationen und den Medien stark kritisierten Änderungen sehen ua eine Rückkehr des abgeschafften Art. 8 Anti-Terror-Gesetz ("separatistische Propaganda"), eine sehr offen formulierte Terror-Definition, eine Ausweitung von Straftatbeständen, die Schwächung der Rechte von Verhafteten und eine Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitskräfte vor. Das Anti-Terror-Gesetz in seiner veränderten Form droht die Meinungsfreiheit weiter zu beschneiden und ermöglicht für viele Handlungen, die nicht in Zusammenhang mit Gewaltakten stehen, die Verurteilung als Beteiligung an Terrordelikten. Das veränderte Anti-Terrorgesetz, wird allgemein als Konzession an die türkischen Sicherheitskräfte angesehen (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand Juni 2006, S. 14, 15).

 

1.2.3. Sippenhaft:

 

Auch in den letzten Monaten wurden Familienangehörige von staatskritischen AktivistInnen (Reflexverfolgung, Sippenhaft) bedroht. In einem Fall wurden Verwandte von Führungskräften eines kurdischen Vereins festgenommen, in einem anderen Fall wurden die Söhne eines Klägers im Semdinli-Fall festgenommen und gefoltert. Ebenso wurde der Vater eines führenden PKK-Mitglieds vermutlich Opfer einer extra-legalen Hinrichtung; in einem weiteren Fall wurden die Eltern eines in Belgien lebenden kurdischen Aktivisten nach monatelangen Drohungen durch türkische Behörden von Dorfschützern umgebracht. Auch die Angehörigen eines Militärdienstverweigerers wurden Opfer von Drohungen und Demütigungen durch die Gendarmerie (siehe hierzu ua Türkei Zur aktuellen Situation - Mai 2006, 12).

 

1.2.4. Gutachten des Sachverständigen (= SV), Herrn M.O., im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung vom 2.7.2007, dessen Inhalt als Sachverhalt festgestellt wird:

 

Durch exilpolitische Tätigkeit des Mannes der BW sind dem türkischen Staat die Informationen zugegangen, dass ihr Mann exilpolitisch tätig bzw. aktiv gewesen ist. Ich nehme an, die sind auch davon ausgegangen, dass die BW genauso wir Ihr Mann exilpolitisch tätig ist. Deshalb hat die Versicherung sich verweigert, das Geld für die Lebensversicherung ihres Mannes auszubezahlen. Es ist auch sehr typisch für den türkischen Staat, der Staat ist beteiligt an Versicherungen oder sonstigen Institutionen, dass dafür gesorgt wird, dass diejenigen, die gegen den türkischen Staat aktiv sind, bestraft werden. Da die BW nicht in der Türkei lebt und ihr Mann nicht mehr am Leben ist, hat man versucht auf diese Art und Weise sie zu bestrafen. Ich gehe davon aus, dass die türkischen Behörden auch über die BW durch die Tätigkeit ihres Mannes Informationen erhalten haben, dass sie auch politisch aktiv ist. Alleine, wenn sie verweigert hat, ihre Kinder im türkischen Standesregister eintragen zu lassen, ist schon eine politische Aktivität, da die BW dadurch die Existenz des türkischen Staates nicht anerkennt und sich gegen die kemalistische Ideologie gestellt. Bei ihrer Rückkehr wird man sie festnehmen und versuchen, die Kinder an der Einreise zu hindern, da die Kinder weder türkische Staatsbürger sind noch im türkischen Personenstandsregister eingetragen sind. Dadurch wird die BW gedemütigt und verhört und wahrscheinlich auch misshandelt. Eine allein stehende Frau mit kurdischen Kinder wird weder wegen vom Staat noch von der türkischen Bevölkerung anerkannt und die BW wird immer wieder auf dieses Problem hingewiesen und es werden ihr Schwierigkeiten bereitet.

 

Insgesamt ist der Umstand, dass die BW Türkin und nicht Kurdin noch erschwerend gewertet, sie würde als Verräterin bezeichnet und wahrscheinlich auch als solche vor Gericht gestellt, dabei käme die Verurteilung ihres Mannes zum Tragen.

 

...

 

Diese Verbindungen kommen eher in Türkengebieten vor, in Dörfern oder Kreisstädten, die sehr nationalistisch angehaucht sind. Diese Mischehen werden nicht akzeptiert, die Kinder als Bastarde bezeichnet. Es hat auch Fälle gegeben, dass Rassisten oder Nationalisten die kurdischstämmigen von der Frau bzw. dem Mann getrennt haben und auf der Straße in der Öffentlichkeit Lynchjustiz geübt haben. Die Polizei hat so lange es gedauert hat, nicht eingegriffen und zugeschaut, bis der Geschlagene tot war, dann hat die Polizei die Massen auseinadergetrieben und die Leiche in Verwahrung genommen. Die Leiche wurde dem Ehepartner nicht mehr gegeben. Man hat die Ursprungsfamilie verständigt und ihr die Leiche gegeben."

 

1.2.5. Behandlung Abgeschobener nach ihrer Rückkehr in die Türkei:

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat.

 

Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte (so die vom BT-Petitionsausschuss übermittelte Falldarstellung nach freiwilliger Ausreise einer kurdischstämmigen Familie, die kurz vor Abschiebung stand und wiederholt über mehrere Tage befragt wurde).

 

Besteht der Verdacht einer Straftat (z.B. Passvergehen, illegale Ausreise), werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand Juni 2006, S. 42, 43).

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die zur Person der Berufungswerberin und zu ihren familiären und politischen Hintergrund getroffenen Feststellungen basieren auf ihrem Vorbringen im Asylverfahren, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung. Es gab für die Berufungsbehörde keine Anhaltspunkte, an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu zweifeln.

 

2.2. Die zum Herkunftsstaat der Berufungswerberin getroffenen Feststellungen basieren auf den unter 1.2. jeweils genannte Quellen. Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für die Berufungsbehörde kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.

 

3. Rechtlich folgt:

 

3.1.1. Mit 1.7.2008 wurde der Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art 129c ff B-VG.

 

Gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG wird mit 1.7.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Gemäß Z 4 leg cit sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da die ausfertigende Richterin des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit o.a. Spruch am 2.2.2007 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005) sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG i.d.F. BGBl. I Nr. 129/2004 (im Folgenden: AsylG) gilt. Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG sind Asylanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 16/2002 zu führen.

 

Gemäß § 38 Abs. 1 AsylG entscheidet der unabhängige Bundesasylsenat über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes.

 

3.1.2. Gem § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH E vom 19.10.2000, Zl 98/20/0233).

 

Im gegenständlichen Fall ist bei der Beurteilung der Frage einer gegebenen begründeten Furcht vor Verfolgung darauf abzustellen, dass der Ehemann der Berufungswerberin wegen seiner politischen Gesinnung, insbesondere wegen des Vorwurfes der Unterstützung und Hilfeleistung einer illegalen terroristischen Organisation in das Blickfeld der türkischen Behörden geraten ist.

 

Dem Ehegatten der Berufungswerberin wird - wie ausgeführt - vorgeworfen eine illegale terroristische Organisation zu unterstützen. Aus den oben getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sind auch Familienangehörige von politischen Aktivisten gefährdet, Repressalien erleiden zu müssen.

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Dezember 2001, Zl. 98/20/0312, zur Gefahr einer "Sippenhaftung" ausführte, entspräche diese Form der "stellvertretenden" (oder - in anderen Fällen - zusätzlichen) Inanspruchnahme eines Familienmitgliedes dem Modell des - oft als "Sippenhaftung" bezeichneten - "Durchschlagens" der Verfolgung eines Angehörigen auf den Asylwerber, wobei in den hier in der Praxis im Vordergrund stehenden Fällen eine Verfolgung des Angehörigen wegen politische Aktivitäten für die Asylrelevanz dieses "Durchschlagens" nicht gefordert wird, dass der potentielle Verfolger auch dem Asylwerber eine entsprechende politische Gesinnung unterstellt. Die Rechtsgrundlage für das Absehen vom Erfordernis einer dem Asylwerber selbst zumindest unterstellten politischen Gesinnung in den Fällen der "Sippenhaftung" ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in der Anerkennung des Familienverbandes als "soziale Gruppe" gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK in Verbindung mit § 7 AsylG zu sehen.

 

Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen ist festzuhalten, dass die Berufungswerberin wegen den dem Ehegatten unterstellten Aktivitäten ebenso in das Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte geraten wird, sodass bei der Berufungswerberin eine als asylrelevant zu qualifizierende Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Familienverband als soziale Gruppe) vorliegt.

 

Gemäß § 12 AsylG ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen, auf Grund eines Asylantrages oder auf Grund eines Asylerstreckungsantrages Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
ethnische Verfolgung, Folter, Mischehen, politische Aktivität, Sippenhaftung, soziale Gruppe, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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