B3 402497-1/2008/2Z
BESCHLUSS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Karin WINTER als Einzelrichterin über die Beschwerde des R.R., geboren am 00.00.1968, kosovarischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Oktober 2008, Zl. 08 10.300 - EAST OST, beschlossen:
Der Beschwerde wird gemäß § 37 Abs. 1 AsylG BGBL. I Nr. 100/2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 (AsylG) hinsichtlich des Spruchteiles II. die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein kosovarischer Staatsangehöriger albanischer Volksgruppenzugehörigkeit muslimischen Glaubens, stellte am 25. Juni 2008 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.
Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 29. September 2008, Zl. 08 05.491, gemäß §§ 3 und 8 AsylG ab und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Republik Kosovo aus. Dagegen wurde kein Rechtsmittel erhoben.
2. Am 20. Oktober 2008 stellte der Beschwerdeführer einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt diesen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchteil I.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Kosovo aus (Spruchteil II.).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde.
3. Am 3. November 2008 brachte der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zum unter Punkt 1. angeführten Bescheid ein; über diesen Antrag wurde vom Bundesasylamt bislang nicht entschieden.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz BGBl. I 4/2008) ist auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof grundsätzlich das AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 61 Abs. 3 Z 1 lit c und Z 2 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG und die mit dieser Entscheidung verbundenen Ausweisung. Gemäß § 61 Abs. 4 AsylG entscheidet über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde der für die Behandlung dieser Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende. Gemäß § 22 Abs. 1 AsylG ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofs in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses.
2.1. Gemäß § 36 Abs. 1 AsylG kommt einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag zurückgewiesen wird, keine aufschiebende Wirkung zu. Einer Beschwerde gegen eine Ausweisung, die mit einer solchen Entscheidung verbunden ist, kommt die aufschiebende Wirkung nur zu, wenn sie "vom unabhängigen Bundesasylsenat" (gemeint nunmehr: vom Asylgerichtshof) zuerkannt wird.
§ 37 Abs. 1 AsylG lautet:
"(1) Wird gegen eine mit einer zurückweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundene Ausweisung Beschwerde ergriffen, hat der Asylgerichtshof dieser binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die Ausweisung lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."
2.2.1. § 37 AsylG hat die Fälle einer Zurückweisung des Asylantrages im Auge, dabei ist jedenfalls an die Fälle der §§ 4 und 5 AsylG und des § 68 AVG zu denken (vgl. § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG). Zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in Verfahren nach § 5 AsylG 1997 - der Vorgängerbestimmung des § 5 AsylG - hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 Stellung genommen. Er hatte keine Bedenken dagegen, der Berufung gegen den bloßen Ausspruch über die Unzuständigkeit Österreichs die aufschiebende Wirkung generell zu versagen, wohl aber hinsichtlich der damit verbundenen Ausweisung. Dazu führte er aus:
"Den öffentlichen Interessen an der Raschheit der Durchführung der Ausweisung können mögliche Nachteile des Berufungswerbers entgegen stehen, wie etwa die faktische Schwierigkeit, vom Ausland aus ein Berufungsverfahren zu führen, oder Beeinträchtigungen, die sogar in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK (zB Durchführung der Ausweisung von schwangeren oder kranken Personen) oder Art. 8 EMRK fallen können. Eine solche Interessenabwägung kann aber nur im Einzelfall vorgenommen werden. Der ausnahmslose Ausschluss der aufschiebenden Wirkung würde selbst in jenen besonderen Fällen eine Interessenabwägung zu Gunsten des Asylwerbers unmöglich machen und damit den Berufungswerber in verfassungsrechtlich verbotener Weise einseitig mit den Folgen einer potentiell unrichtigen Entscheidung belasten. [...]
Zum Vorbringen der Bundesregierung, der Asylwerber könne - gegen Vorlage der stattgebenden Berufungsentscheidung - gemäß § 19 Abs. 3 AsylG wieder einreisen, genügt der Hinweis, dass der Verfassungsgerichtshof bereits im Erk. VfSlg. 14.374/1995 ausgesprochen hat, dass die faktische Möglichkeit der Rückkehr nicht die effektive Rechtsschutzgewähr substituieren kann."
2.2.2. Bei der Neuregelung der Materie im Rahmen des AsylG wollte der Gesetzgeber dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Rechnung tragen (wie dies in den Erläut. zur RV hinsichtlich des Fremdenpolizeigesetzes auch ausdrücklich festgehalten wird: 952 BlgNR 22. GP, 8, 97). So heißt es in den Erläut. zur RV (952 BlgNR 22. GP, 55): "Die Zuerkennung ist Angelegenheit des unabhängigen Bundesasylsenates, womit ein System vorgeschlagen wird, dass den Rechtsschutzwerber nicht mit allen Folgen einer potentiell negativen Entscheidung belastet" (sic). Die Neuregelung ist also - schon nach dem Willen des historischen Gesetzgebers - verfassungskonform, mithin im Lichte dieses Erkenntnisses auszulegen. Dies kann nicht nur für die Frage der Zuständigkeit gelten, wie es der Wortlaut der Materialien nahezulegen scheint, sondern auch für die Kriterien für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, die in § 37 Abs. 1 AsylG geregelt sind. Diese Kriterien - aus der Sicht der Bundesverfassung - zählt der Verfassungsgerichtshof beispielhaft auf: "etwa die faktische Schwierigkeit, vom Ausland aus ein Berufungsverfahren zu führen, oder Beeinträchtigungen, die sogar in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK [...] oder Art. 8 EMRK fallen können".
Verfassungskonform ausgelegt, sind bei der Entscheidung über die Frage der aufschiebenden Wirkung daher nicht nur jene Grundrechte zu beachten, die Leib und Leben des Asylwerbers schützen (wie die Art. 2 und 3 MRK oder die Protokolle Nr. 6 und 13 zur MRK), sondern auch andere Grundrechte und Interessen des Asylwerbers.
Das Verfahren über die Frage der Gewährung der aufschiebenden Wirkung ist nur ein Provisorialverfahren, für das grundsätzlich nur eine Woche zur Verfügung steht. Daher ist auch davon auszugehen, dass die Formulierung in § 37 Abs. 1 AsylG: "wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung [...] eine reale Gefahr" einer Grundrechtsverletzung bedeuten würde, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung schon dann ermöglicht, wenn es (bloß) Hinweise darauf gibt, dass Grundrechte oder sonstige massive Interessen des Beschwerdeführers beeinträchtigt werden könnten. Gewissheit kann in diesem Stadium des Verfahrens nicht vorausgesetzt werden, weil damit das Schicksal der Beschwerde schon entschieden wäre.
Dass der Maßstab kein allzu enger sein darf, ergibt sich auch aus der Praxis des Verwaltungsgerichtshofes, der bei der Bekämpfung verfahrensbeendender Bescheide in Asylsachen regelmäßig die aufschiebende Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG zuerkennt, obwohl dem bereits die (negativen) Entscheidungen zweier Instanzen vorausgegangen sind. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof - in einem Verfahren nach § 5 AsylG 1997 - ausgesprochen, es sei, um Grundrechtswidrigkeiten zu vermeiden, "erforderlich, dass das Verfahren, in dem in Österreich geprüft wird, ob die Aufenthaltsbeendigung mit Art. 3 EMRK im Einklang steht, den Anforderungen des Art. 13 EMRK entspricht. Wird vertretbar behauptet, die Aufenthaltsbeendigung verstoße gegen Art. 3 EMRK, so muss dem Betroffenen ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen, der zu einer unabhängigen und gründlichen Prüfung führt. Für die Wirksamkeit der Beschwerde im Sinne der Anforderungen des Art. 13 EMRK bedarf es auch der Möglichkeit einer Aussetzung der Vollziehung [...]" (VwGH 31.3.2005, 2002/20/0582). Weiters erkennt der Verwaltungsgerichtshof Beschwerden gegen Bescheide, die nach § 5 AsylG 2005 ergangen sind, regelmäßig die aufschiebende Wirkung zu. Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof zB mit Beschluss 12.5.2005, AW 2005/01/0087-3, einer Beschwerde gegen einen nach § 5 AsylG 1997 ergangenen Bescheid die aufschiebende Wirkung mit dem Effekt zuerkannt, "dass dem Antragsteller die Rechtsstellung zukommt, die er als Asylwerber vor Erlassung des angefochtenen Bescheides hatte, wobei damit im Besonderen jede Zurück- oder Abschiebung der antragstellenden Partei aus Österreich für die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unzulässig ist" (vgl. VwGH 30.8.2005, 2005/01/0140).
2.2.3. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass diese Überlegungen nicht auch für Ausweisungen gelten sollten, die mit Zurückweisungen gemäß § 68 AVG verbunden werden. § 32 Abs. 8 AsylG 1997 - der unter bestimmten Voraussetzungen einen generellen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bei Bescheiden gemäß § 68 Abs. 1 AVG vorgesehen hatte - war auch beim Verfassungsgerichtshof angefochten worden; hier war es aber zu keiner inhaltlichen Entscheidung gekommen, weil die Bedenken nicht ordnungsgemäß ausgeführt waren.
2.3. Der Asylgerichtshof geht aus verfahrensökonomischen Gründen davon aus, dass er über die gegenständliche Beschwerde nicht vor der Entscheidung des Bundesasylamtes über den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers vom 3. November 2008 gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist im Erstverfahren zu entscheiden hat; dies auch deswegen, weil die vom Bundesasylamt im Wiedereinsetzungsverfahren vorzunehmende Prüfung der Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Zustellung des Erstbescheides nicht durch den Asylgerichtshof als Rechtsmittelinstanz vorweggenommen werden soll. Darüber hinaus kann der Asylgerichtshof über die Beschwerde erst nach Einsichtnahme in den Akt des Bundesasylamtes, der das erste Verfahren betrifft, erkennen. Dieser wurde bislang (wegen des offenen Wiedereinsetzungsantrages) jedoch nicht vorgelegt. Um dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu geben, das Verfahren weiterhin vom Inland aus zu führen, ist seiner Beschwerde - im Sinne des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes - die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG unterbleiben.