TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/11 S12 402328-1/2008

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Veröffentlicht am 11.11.2008
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Spruch

S12 402.328-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde des M. alias I. alias S.K. alias O. alias W., geb. 00.00.1976 alias 00.00.1980, StA. Irak, vertreten durch: Mag. Mirjami Ritzschke, Diakonie Flüchtlingsdienst, Steinergasse 3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.10.2008, FZ. 08 05.547, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Kurden, ist illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und stellte am 27.06.2008 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.2. Bei der Erstbefragung am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen East, in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Kurdisch gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe sein Heimatland Anfang Dezember 2007 illegal und ohne Reisedokument verlassen und sei über Syrien, wo er sich ca. eine Woche lang aufgehalten habe, in die Türkei gereist. Bis Juni 2008 habe er sich in Istanbul aufgehalten und habe dann mit einem Schlepper vereinbart, dass ihn dieser nach Deutschland bringen solle. Mit LKWs sei er dann nach Österreich gebracht worden, wobei er nicht wisse, durch welche Länder er gereist sei. Die Reise habe sein Onkel organisiert und bezahlt. Genaueres darüber wisse er nicht. Er sei in keinem anderen Land von den Behörden angehalten und untergebracht worden. Sein Heimatland habe er verlassen, da er wegen seiner politischen Einstellung mehrmals verhaftet worden sei. Ferner sei er von einer terroristischen Organisation erpresst worden.

 

1.3. Eine Eurodac-Anfrage vom 07.07.2008 ergab, dass der Beschwerdeführer bereits am 28.06.2007 in Mytilini (Griechenland) erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 04.01.2008 in Göteborg (Schweden) einen Asylantrag gestellt hatte.

 

1.4. Am 09.07.2008 erfolgte eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Kurdisch, im Rahmen derer der Beschwerdeführer zunächst seinen Reiseweg nahezu gleichlautend wie bei der Erstbefragung am 27.06.2008 angab. Auf Vorhalt des Ergebnisses der Eurodac-Anfrage gab der Beschwerdeführer zu, dass dies so stimme. Er sei von Schweden aus direkt nach Österreich gefahren. In Griechenland sei er zuvor festgenommen und in die Türkei abgeschoben worden. Die Türkei habe ihn in den Irak abgeschoben und in der Folge sei er im Dezember 2007 erneut in die Türkei und von dort aus nach Schweden gefahren. Von Juli bis Dezember 2007 habe er sich im Irak aufgehalten. Zur geplanten Vorgehensweise, ihn nach Schweden zu überstellen, gab er an, er habe nichts dagegen einzuwenden. Er wolle nur nicht, dass ihn Schweden in den Irak abschiebe. In Schweden sei er die ganze Zeit in der Grundversorgung untergebracht gewesen und auch befragt worden.

 

1.5. Am 10.07.2008 richtete das Bundesasylamt ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) an die zuständige schwedische Behörde.

 

Am 11.07.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5, 68 Abs. 1 AVG, § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG), da Dublin Konsultationen mit Schweden seit dem 10.07.2008 geführt werden (vgl. AS 61f).

 

Mit Schreiben vom 14.07.2008 gaben die schwedischen Behörden bekannt, dass Schweden einer Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nicht zustimme, da aufgrund der am 28.06.2007 erfolgten illegalen Einreise nach Griechenland die griechischen Behörden aufgrund Verfristung mit 01.04.2008 zur Führung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers zuständig wurden. Mit Schreiben vom 30.04.2008, gerichtet an die schwedischen Behörden, habe Griechenland nachträglich der Aufnahme des Beschwerdeführers zugestimmt.

 

1.6. Am 15.07.2008 richtete das Bundesasylamt ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c. Dublin II-VO an die zuständige griechische Behörde.

 

Mit Schreiben vom 01.08.2008 informierte das Bundesasylamt die zuständige griechische Behörde, dass aufgrund des Fristablaufes die Zuständigkeit zur Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO auf Griechenland übergangen sei.

 

1.7. Am 06.08.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, nach erfolgter Rechtsberatung und in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Kurdisch einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, er sei nicht von Griechenland in die Türkei abgeschoben worden. Dies habe er nur angegeben, da er Angst vor einer Ausweisung nach Griechenland gehabt habe. Auf Vorhalt der Antwort der schwedischen Behörden betreffend die Zuständigkeit Griechenlands gab der Beschwerdeführer an, dass es stimme, dass er in Griechenland gewesen sei. Dort habe er versucht, einen Asylantrag zu stellen, sei jedoch rausgeworfen worden. Zur geplanten Vorgehensweise des Bundesasylamtes, ihn nach Griechenland zu überstellen, brachte er vor, dass er ja dort einen Asylantrag habe stellen wollen, der jedoch nicht entgegen genommen worden sei. Er habe gesehen, dass Leute, die nach Griechenland zurückgeschoben worden seien, monatelang ins Gefängnis müssten und dann eine Ausreiseaufforderung bekämen. In Griechenland sei er ignoriert worden und in Schweden hätte er nach Griechenland abgeschoben werden sollen. Daher sei er nach Österreich gekommen, weil es hier Menschenrechte gebe. Von Juli bis Dezember 2007 habe er sich in Griechenland aufgehalten. Er habe dort falsche Angaben über seine Identität getätigt, da er befürchtet habe, er werde andernfalls in die Türkei abgeschoben. Von Griechenland sei er über Italien und Deutschland direkt nach Schweden gereist.

 

Im Rahmen dieser Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5, 68 Abs. 1 AVG, § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG), da Dublin Konsultationen mit Griechenland seit 14.07.2008 geführt werden (vgl. AS 89f).

 

1.8. Am 26.08.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, nach erfolgter Rechtsberatung und in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Arabisch erneut einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, in Österreich würde ein Stiefbruder mütterlicherseits von ihm leben. Trotzdem sei er nach Schweden gereist, weil er dort ebenfalls Verwandte habe. Sein Stiefbruder lebe seit fünf oder sechs Jahren in Österreich und zu diesem habe er einen guten Kontakt. Im gemeinsamen Haushalt mit diesem Stiefbruder lebe er nicht. Einer Ausweisung nach Griechenland stehe entgegen, dass er dort versucht habe, einen Asylantrag zu stellen. Als er Griechenland habe verlassen wollen, sei er festgenommen und geschlagen worden. Er habe in Griechenland nur auf der Straße gelebt. Zu den vom Bundesasylamt vorgehaltenen aktuellen Länderberichten zu Griechenland brachte er vor, er selbst sei in Griechenland geschlagen worden. Asylwerber seien dort in einer derart schwachen Lage, dass man keine Anzeige machen könne. Er könne sich nicht vorstellen, dass diese Situation verbessert werde.

 

Der Rechtsberater legte im Rahmen dieser Einvernahme einen Bericht vom 16.04.2008 betreffend die UNHCR Forderung nach einem Stopp für Dublin Transfers nach Griechenland, das Petitionsschreiben von Pro Asyl an den Deutschen Bundestag betreffend Abschiebungen von Flüchtlingen nach Griechenland vom 21.02.2008 und einen Auszug aus einem Beschluss des VG Gießen bezüglich die Aussetzung der Überstellung einer afghanischen Familie nach Griechenland vom 15.05.2008 vor.

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 27.06.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 18 Abs. 7 iVm Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Griechenland zuständig sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

 

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die durch die ausgewiesene Vertreterin fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher das erstinstanzliche Vorbringen zum Teil wiederholt und zum Teil ergänzt wurde. Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass Misshandlungen, unmenschliche und erniedrigende Behandlung von Asylwerbern in Griechenland keine Ausnahmeerscheinung seien. Diesbezüglich wurde der Bericht des Antifolterkomitees vom 08.02.2008 zitiert, demzufolge in Griechenland für Personen in Polizeigewahrsam ein reales Risiko bestehe, misshandelt zu werden. Weiters wurde auf einen Bericht von Amnesty International vom 28.05.2008 verwiesen, nachdem sich die Lage in letzter Zeit noch verschlechtert habe. Betreffend das griechische Asylverfahren wurde auf das UNHCR Positionspapier vom 15.04.2008 verwiesen, welches Mängel im griechischen Asylverfahren aufzeige. Aus diesem Grund sei - nach dem Beschwerdevorbringen - das Asylverfahren in Griechenland nicht als rechtstaatliches Verfahren zu bezeichnen und sei nicht geeignet Flüchtlinge bzw. schutzbedürftige Personen zu identifizieren. Zu den Länderfeststellungen im erstinstanzlichen Bescheid wurde - unter Zitierung von Quellen - ausgeführt, dass die Entscheidung des norwegischen zuständigen Ministeriums, wieder Abschiebungen nach Griechenland durchzuführen, keine Auswirkungen auf die norwegische Berufungsinstanz habe. Ferner gebe es vermehrt Entscheidungen von Asylgerichten in europäischen Ländern, die eine Ausweisung und Überstellung von Asylwerbern nach Griechenland derzeit als menschenrechtswidrig ansehen würden. Verwiesen wurde diesbezüglich auf einige Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte, insbesondere auf jene des Bayrischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23.09.2008, AN 14 E 08.30321, AN 14 S 08.30354. In der Folge wurde auf Berichte von Pro Asyl vom Oktober 2007 und April 2008, das UNHCR Positionspapier vom 15.04.2008 und den Bericht in einem Ö1 Journal Panorama vom 10.06.2008, denenzufolge die Aufnahmebedingungen und Aufnahmekapazitäten Griechenlands unzureichend seien, verwiesen. Ferner wurde angeführt, dass das Bundesasylamt die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinem Stiefbruder nicht berücksichtigt habe und sohin eine Verletzung von Art. 8 EMRK vorliege. Zur Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die Mitteilung über das Führen von Konsultationen mit Griechenland erst 23 Tage nachdem diese Konsultationen begonnen hätten, erhalten habe und sohin die Zwanzigtagesfrist überschritten sei.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem, dem Asylgerichtshof vorliegenden, Verwaltungsakt des Beschwerdeführers.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist gemäß Abs. 1 auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG ist die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz mit einer Ausweisung zu verbinden. Diese gilt gemäß § 10 Abs. 4 AsylG stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den bezeichneten Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen. Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würden und diese nicht von Dauer sind, ist gemäß § 10 Abs. 3 AsylG gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt, von jenem (einzigen) Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Gemäß Abs. 2 leg. cit. kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Gemäß dem Zuständigkeitskriterium des Art. 13 Dublin II-VO ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig, wenn sich anhand der Kriterien dieser Verordnung nicht bestimmen lässt, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt.

 

In den Art. 5 ff Dublin-VO werden die Kriterien aufgezählt, nach denen der zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ist der Antrag zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin II-VO oder einem entsprechenden Vertrag geführt. Dass solche Verhandlungen geführt werden, ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen.

 

§ 41 Abs. 3 AsylG lautet: "In einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung ist § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

 

2.2. Es ist daher zunächst zu überprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach Kriterien der Art. 6 bis 12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II-VO zuständig ist oder die Zuständigkeit bei ihm selbst nach dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II-VO (erste Asylantragstellung) liegt.

 

Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt dahingehend zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit Griechenlands gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO besteht. Da Griechenland nicht binnen der vorgegebenen Frist geantwortet hat, besteht eine Zustimmung durch Zeitablauf gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO und ist daher die Zuständigkeit auf Griechenland übergegangen.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte.

 

Dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen betreffend die Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG ist entgegenzuhalten, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes das Bundesasylamt lediglich dazu verpflichtet ist, innerhalb von 20 Tagen nach Asylantragstellung mitzuteilen, dass Konsultationen geführt werden. Dieser Verpflichtung ist das Bundesasylamt mit der Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG vom 11.07.2008 innerhalb der 20-Tages-Frist seit der Antragstellung am 27.06.2008, nachgekommen. Eine weiterreichende Verpflichtung - wie offenbar in der Beschwerde gemeint - jedes einzelne Konsultationsverfahren mit unterschiedlichen Ländern dem Beschwerdeführer jedes Mal explizit mitzuteilen, ist aus dem Gesetzestext nicht herauszulesen und würde dem Sinn der Bestimmung - dass die 20-Tages-Frist für die Zulassung des Verfahrens im Fall der Führung von Konsultationen nicht gelte - zuwiderlaufen. Nach Ansicht des Asylgerichtshofes besteht aufgrund dieser gesetzlichen Bestimmung lediglich die einmalige Verpflichtung des Bundesasylamtes, binnen 20 Tagen ab Antragstellung mitzuteilen, dass Konsultationen geführt werden. Dies ist im gegenständlichen Fall erfüllt und liegt daher kein Verfahrensmangel vor.

 

2.3. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher - entsprechend den Ausführungen in der Beschwerde - noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten nicht kraft Gemeinschaftsrecht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei. Er hat dabei aber gleichzeitig ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Bei einer entsprechender Häufung von Fällen, in denen aufgrund der Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO geht davon aus, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung von einem in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO). Er hat dabei keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen. Diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der EMRK-konformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus der Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei einer Verletzung der EMRK durch die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat keine Überstellung stattfinden darf. Auch der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entsprechen muss (30.06.2005, Bosphorus Airlines / Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer, vom Antragsteller bescheinigter, außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können.

 

2.3.1. Im gegenständlichen Verfahren ist nicht abschließend geklärt, ob Österreich verpflichtet wäre, von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen und erweist sich das Verfahren daher aus folgenden Gründen mangelhaft:

 

Der Beschwerdeführer hat im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, dass er von der Polizei misshandelt und an der Stellung eines Asylantrags gehindert worden sei sowie dass er keine Unterbringung erhalten hätte. Vor dem Hintergrund der dem Bundesasylamt bekannten Berichten (z.B NOAS vom 9.4.2008), in denen die relativ häufige Misshandlung von Fremden durch griechische Staatsorgane und der nach wie vor gültigen Aufforderung des UNHCR vom 15.4.2008, auch angesichts der Versorgungsprobleme von einer Überstellung von Asylwerbern nach Griechenland abzusehen, kommt diesem Vorbringen des Beschwerdeführers allerdings erhöhte Relevanz zu. Eine adäquate beweiswürdigende Auseinandersetzung mit diesem daher nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Darlegungen des Beschwerdeführers hat nicht in ausreichendem Maße stattgefunden. Dabei sind auch die jüngsten Pressetexte (etwa der Ausführungen eines UNHCR-Vertreters in Athen) zu beachten, die von einer Verweigerung der Entgegennahme von Asylanträgen und einer völligen Überlastung des Aufnahmesystems berichten, und in die beweiswürdigende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers mit einzubeziehen. In diesem Rahmen wird eine aktuelle Prüfung der tatsächlichen Situation hinsichtlich einer Vorgabenkonformität der Asylverfahren in Griechenland in entscheidungsrelevanten Punkten unter Vornahme geeigneter weiterer Erhebungen zu erfolgen haben, wozu auch eine Stellungnahme der griechischen Behörden, allenfalls auch Zusicherungen im konkreten Fall, zweckmäßig erscheinen könnte. Es mag durch eine solche Anfrage auch möglich sein, die Glaubwürdigkeit der Behauptungen des Beschwerdeführers zu seinen tatsächlichen Erfahrungen in Griechenland zu überprüfen, die diesbezügliche Anführung einer Unplausibilität in den Ausführungen des Beschwerdeführers greift mangels Eindeutigkeit und näherer Befragung zu kurz.

 

Ferner ist darauf zu verweisen, dass es die Aufgabe des Bundesasylamtes ist, sich ein ständig aktualisiertes Bild der Situation für Asylwerber in Griechenland zu machen, wobei anzumerken ist, dass die letzte Aktualisierung der Länderfeststellungen offensichtlich aus Juli/August 2008 stammt. Dies kann jedoch im Falle Griechenlands - ein substantiiertes Vorbringen des Beschwerdeführers vorausgesetzt - nicht als ausreichend erachtet werden, da beispielsweise in - dem Asylgerichtshof vorliegenden - aktuellen Pressetexten von einer Verweigerung der Entgegennahme von Asylanträgen gesprochen wurde, was zumindest einer näheren Prüfung in Hinblick auf die Relevanz in Verfahren nach der Dublin II-VO bedarf.

 

2.3.2. Die notwendige Einzelfallprüfung macht es daher im gegenständlichen Fall erforderlich, das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Situation in Griechenland schlüssig und nachvollziehbar auf die Glaubwürdigkeit zu prüfen und das Verfahren diesbezüglich zu ergänzen. Dabei wird sich das Bundesasylamt insbesondere mit dem Bericht von NOAS, Norvegian Helsinki Committee und Greek Helsinki Monitor vom 09.04.2008 ("A gamble with the rights of asylum-seekers in Europe, Greek asylum-policy and the Dublin II regulation"), des Norwegian Helsinki Commitee (NHC), des Greek Helsinki Monitor (GHM) und den Richtlinien des Generaldirektors betreffend die Anwendung der Dublin II-VO im Verhältnis zu Griechenland vom 07.05.2008 des Schwedischen Migrationsamtes (Fact Finding Mission des Schwedischen Migrationsamtes im April 2008) sowie dem UNHCR Positionspapier vom 15.04.2008 "UNHCR Position on the return of asylum seekers to Greece under the ¿Dublin Regulation'" und mit den in der Beschwerde zitierten Berichten und Quellen - wie z.B. die genannten Entscheidungen der deutschen Verwaltungsgerichte - beweiswürdigend auseinanderzusetzen haben. Die Ermittlungsergebnisse sind sodann mit dem Beschwerdeführer zu erörtern.

 

3. Der Sachverhalt, welcher dem Asylgerichtshof vorliegt, ist daher so mangelhaft, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unerlässlich ist. Der Gesetzgeber hat für das Verfahren über Berufungen (bzw. Beschwerden i.S. der Anordnung des § 23 AsylGHG) gegen zurückweisende Bescheide sehr kurze Fristen gesetzt (§ 41 Abs. 2, § 37 Abs. 3 AsylG 2005). Andererseits ist aber der Asylgerichtshof dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Beschwerde stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (§ 41 Abs. 3 AsylG 2005). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG dem Asylgerichtshof einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Materialien (EB zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängel die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Beschwerdebehörde im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung im dritten Satz des § 41 Abs. 3 AsylG 2005 ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn dem Asylgerichtshof - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Beschwerde unmöglich ist.

 

4. Gemäß § 41 Abs. 7 AsylG idF BGBl. I Nr. 2008/4 konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

5. Auf den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, war aufgrund gegenständlicher Entscheidung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht einzugehen.

 

6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
13.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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