TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/12 A5 239159-0/2008

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Veröffentlicht am 12.11.2008
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Spruch

A5 239.159-0/2008/6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SCHREFLER-KÖNIG als Vorsitzende und die Richterin Mag. UNTERER als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin

 

VB KUBJACEK über die Beschwerde der Y.E., geb. 00.00.1985, Staatsangehörige von Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.6.2003,

 

Zl. 03 16.438-BAE, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde der Y.E. wird gemäß §§ 7, 8 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin vom 4.6.2003 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 leg.cit. für zulässig erklärt.

 

I.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Berufung (ab 1.7.2008: Beschwerde).

 

I.3. Mit Einrichtung des Asylgerichthofes am 1.7.2008 ging gegenständliche Angelegenheit in die Zuständigkeit des nunmehr erkennenden Senates über.

 

I.5. Der Asylgerichtshof führte am 6.11.2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung in der Beschwerdeangelegenheit durch, zu der die Beschwerdeführerin ordnungsgemäß geladen wurde und persönlich, in Begleitung eines rechtsfreundlichen Vertreters, erschienen ist.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

II.1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Nigeria. Ihre Identität konnte nicht festgestellt werden. Die Genannte reiste am 4.6.2003 illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Bei der schriftlichen Antragstellung gab die nunmehrige Beschwerdeführerin als letzte Adresse in ihrer Heimat I. im Delta State an, wo sie von Geburt an bis zu ihrer Ausreise im Februar 2003 gelebt habe. Den Aufenthalt ihrer Eltern bezeichnete die Beschwerdeführerin als unbekannt und gab weiters an, zwei Brüder und eine Schwester zu haben, wobei der ältere Bruder im Jahr 2003 verstorben sei. Sie habe sechs Jahre die Grundschule und zwei Jahre, von 1995 bis 1997, die höhere Schule in ihrem Heimatort besucht und danach gemeinsam mit ihrer Mutter als Händlerin am Markt gearbeitet.

 

II.1.2. Am 25.6 .2003 wurde die nunmehrige Beschwerdeführerin von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen und gab zu ihrem Reiseweg zu Protokoll, am 25.2 .2003 ihr Heimatdorf I. verlassen und mehrere Tage im Busch verbracht zu haben. Dort habe sie einen Mann getroffen, der sie zu einem großen Haus am Fluss gebracht habe, sie könne allerdings nicht angeben, wie lange sie zu diesem Haus gebraucht hätten bzw. wie sie von dort wieder weg gekommen sei. An einem ihr unbekannten Ort hätten sich zahlreiche Menschen befunden und habe sie einen LKW- Fahrer angesprochen, der sie letztlich nach Österreich gebracht habe. Über Nachfrage der belangten Behörde bekräftigte die nunmehrige Beschwerdeführerin, für ihre Reise nichts bezahlt zu haben und auch keine Dokumente besessen zu haben. Als Fluchtgrund führte die Genannte ins Treffen, zu befürchten, von den Dorfbewohnern I. umgebracht zu werden. Die Dorfbewohner hätten mit ihrem Vater wegen dessen Grundbesitzes gestritten. Angeblich hätte es auf einem Teil des Grundstückes Erdölvorkommnisse gegeben und hätten die Dorfbewohner aus diesem Grund vom Vater der nunmehrigen Beschwerdeführerin ein Stück Land gefordert. Nachdem ihr Vater dies aber abgelehnt hätte, sei es zu einem Streit gekommen und habe die Beschwerdeführerin das Haus verlassen. Ihr Vater sei mit Stöcken geschlagen worden und auch die Mutter, die ihrem Mann zu Hilfe habe kommen wollen, sei verprügelt worden. Ihr Vater habe entkommen können, danach sei das Haus niedergebrannt worden. In weiterer Folge hätten die Dorfbewohner die Mutter und Geschwister sowie die Beschwerdeführerin eingesperrt und nach dem Verbleib des Vaters befragt. Ihr Bruder habe angegeben, dies nicht zu wissen, woraufhin er mitgenommen und auf einer Schnur aufgehängt worden sei. Die Dorfbewohner seien dann zur Beschwerdeführerin gekommen und hätten ihr angedroht, sie sei die Nächste, die umgebracht würde. Eines Nachts sei die Familie dann von einem Mitglied der Kirchengemeinde befreit worden und die Beschwerdeführerin habe sich in den Busch geflüchtet. Im Fall ihrer Rückkehr befürchte die nunmehrige Beschwerdeführerin, von den Dorfbewohnern umgebracht zu werden. Die Polizei könne ihr nicht helfen, da diese von den Dorfbewohnern bestochen worden sei; dies habe ihr ihr Vater erzählt. Über Vorhalt, dass sich die nunmehrige Beschwerdeführerin etwa in einen anderen Landesteil Nigeria, etwa nach Lagos, hätte begeben können, meinte die Genannte, sie sei dort noch nie gewesen und hätte auch gar nicht gewusst, wie sie dort hinkäme.

 

II.1.3. Die belangte Behörde wies den Asylantrag der nunmehrigen Beschwerdeführerin ab und erklärte die Rückführung der Genannten nach Nigeria für zulässig. Begründend qualifizierte die belangte Behörde die Angaben der Beschwerdeführerin als unglaubwürdig. Unabhängig davon verwies die belangte Behörde auf die Möglichkeit, allfälligen Schwierigkeiten durch Vornahme eines Ortswechsels zu entgehen und stellte weiters fest, dass es der Betreffenden möglich gewesen wäre, sich mit ihren Problemen an die Polizei zu wenden.

 

II.1.4. Die Beschwerdeführerin bekämpfte die Entscheidung der belangten Behörde fristgerecht mittels Berufung (ab 1.7.2008: Beschwerde).

 

II.2. Zur Lage in Nigeria

 

Nigeria ist eine föderale Republik in Westafrika, bestehend aus 36 Bundesstaaten und mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 140 Millionen Menschen. 1960 wurde in Nigeria die Unabhängigkeit von Großbritannien proklamiert. Die nachfolgenden Jahre waren von interkulturellen sowie politischen Unruhen und Gewaltausbrüchen geprägt, als schließlich das Militär (durch Igbo- Offiziere) 1966 die Macht übernahm und die erste Republik beendete. Die ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen - abgesehen von 1979 bis 1983, als Shehu Shagari mit der Hilfe von General Obasanjo die zivile Regierungsmacht übertragen bekam - fanden erst wieder im Jahr 1999 statt, bei denen Olusegun Obasanjo als Sieger hervorging und anlässlich der Wahlen 2003 als solcher bestätigt wurde. (1+2)

 

Gemäß der nach amerikanischem Vorbild entworfenen Verfassung von 1999, die am

 

29. Mai 1999 in Kraft trat, verfügt Nigeria über ein präsidiales Regierungssystem mit einem Senat (109 Abgeordnete) und einem Repräsentantenhaus (360 Abgeordnete). Darüber hinaus gewährleistet die Verfassung ein Mehrparteiensystem und alle 4 Jahre stattfindende Wahlen. Der Präsident verfügt generell über weit reichende Vollmachten und ist sowohl Staatsoberhaupt, Regierungschef als auch Oberbefehlshaber der Armee. (3)

 

Am 14. und 21. April 2007 fanden die letzten Wahlen statt, bei denen die amtierende

 

"People's Democratic Party (PDP)" überlegen als Sieger hervorging, und Umaru Yar'Adua zum Präsidenten gewählt wurde. Damit erfolgte erstmals seit der Unabhängigkeit Nigerias die Machtübergabe von einer zivilen Regierung auf die nächste. (4)

 

(1) USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 1, von 11.03.2008 (www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100498.htm).

 

(2) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 10-19, von 13.11.2007 (www.homeoffice.gov.uk/rds/country-report.html).

 

(3) IDMC, "Nigeria: Institutional mechanisms fail to address recurrent violence and displacement",

 

S. 1-4, von 29.10.2007 (www.internal-displacement.org).

 

(4) Dt. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, tand September 2007, S. 5-7, von 06.11.2007

 

Generelle Menschenrechtslage

 

Die Menschen- und Bürgerrechte sind im Grundrechtskatalog der Verfassung gewährleistet. Die Realität sieht allerdings anders aus; schlechte Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit, Korruption sowie die größtenteils mangelnde Ausbildung, Ausrüstung und Bezahlung der staatlichen Organe führen zu regelmäßigen Verletzungen der verfassungsrechtlich garantierten Rechte. (1)

 

In der nigerianischen Gesellschaft ist Gewalt ein alltägliches Phänomen, welche zumeist auch von Politikern zur Zielerreichung bewusst eingesetzt wird. Willkürliche Verhaftungen und Folter sowie politisch motivierte Auftragsmorde durch Polizei und Militär sind keine Seltenheit. Die harschen Haftbedingungen und die schlechten Zustände in den Gefängnissen können lebensbedrohende Ausmaße annehmen. Selbstjustiz stellt daher in verschiedenen Landesteilen ein gravierendes Problem dar. Zu diesem Zweck wird hauptsächlich auf sog. "Vigilante Groups" (private Milizen, oft auch ethnisch motiviert) zurückgegriffen, welche durch die Regierungen einiger Bundesstaaten toleriert oder sogar aktiv unterstützt werden.

 

Obwohl eine Verbesserung der Menschenrechtslage hinsichtlich ziviler und politischer Rechte seit 1999 festzustellen ist, wird nach wie vor von willkürlichen Ausschreitungen und Gesetzesverletzungen ausgehend von den nigerianischen Sicherheitskräften berichtet. Die Beschneidung essentieller Grundrechte, häusliche Gewalt, Diskriminierung der Frauen, Kindesmissbrauch sowie ethnisch, regionale und religiöse Diskriminierungen stellen in Nigeria wohl die signifikantesten und bislang sanktionslosen Rechtsverletzungen dar.

 

Zur Situation von Frauen ist festzuhalten, dass im angesprochenen Grundrechtskatalog der nigerianischen Verfassung die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festgeschrieben ist, diese aber im täglichen Leben nicht in allen Bereichen umgesetzt wird. So werden Frauen häufig Opfer von häuslicher Gewalt und Diskriminierung und werden etwa Vergewaltigungen zwar von Gesetzeswegen kriminalisiert, jedoch werden sie aufgrund des sozialen Drucks von den Betroffenen nur selten zur Anzeige gebracht. Nach dem Bericht von Dr. Peter Gottschligg über die "Erwerbsmöglichkeiten wirtschaftlich und sozial schwacher Frauen in Nigeria"

 

(Dezember 2006) ist es zumindest in den größeren Städten des Landes auch weniger gut ausgebildeten, allein stehenden Frauen möglich, sich durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit, etwa als Telefonistin oder Verkäuferin, eine Existenz aufzubauen. Zudem unterstützen zahlreiche nichtstaatliche Organisationen in Nigeria sozial schwache und von familiären Problemen betroffene Frauen im Aufbau einer Existenz.

 

II.3. Rechtliche Beurteilung

 

II.3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 AsylGHG, BGBl.I Nr. 2008/4 nimmt der Asylgerichtshof mit 01.07.2008 seine Tätigkeit auf. Das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, tritt mit 01.07.2008 außer Kraft.

 

II.3.2. Gemäß § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, sofern sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005,

 

BGBl. Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

II.3.3. Gemäß § 9 leg.cit. entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

 

II.3.4. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes. Gemäß Abs. 3 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4, wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 und wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowie über die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

II.3.5. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

II.3.6. Gemäß § 66 Abs.4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

II.3.7. Auf die oben zitierte Bestimmung des § 23 AsylGHG, derzufolge die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, wird hingewiesen.

 

II.3.8. Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 in Kraft getreten. Gemäß § 75 Abs.1 erster Satz AsylG 2005 sind alle am 31. 12. 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Die letztgenannte Übergangsbestimmung normiert in ihrem Absatz 1, dass Verfahren zur Entscheidung von Asylanträgen, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt werden.

 

II.3.9. Gemäß § 124 Abs.2 des ebenfalls mit 1.1.2006 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 verwiesen wird, an deren Stelle die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

 

II.3.10. Gegenständlicher Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz wurde am 4.6.2003 gestellt, so dass die Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl. Nr. 126/2002 vollinhaltlich zur Anwendung gelangen.

 

II.3.11. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge GFK) droht und keiner der in Art.1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK idF des Art. 1 Abs.2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974 ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht

 

(VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4. 1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr -Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse

 

(vgl VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu

 

VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl.

 

VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Gemäß § 8 Abs.1 AsylG hat die Behörde, im Fall einer Abweisung des Asylantrages von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist.

 

II.3.12. § 8 AsylG verweist durch die Übergangsbestimmung des § 124 Abs.2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) auf § 50 FPG.

 

Gemäß § 50 Abs.1 FPG ist die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK, BGBl. Nr. 210/1958 oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

 

Gemäß Abs.2 leg.cit. ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppen oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative

 

(§ 11 AsylG 2005).

 

Gemäß § 50 Abs.3 FPG dürfen Fremde, die sich auf eine der in Abs.1 oder Abs.2 genannten Gefahren berufen, erst zurückgewiesen oder zurückgeschoben werden, nachdem sie Gelegenheit hatten, entgegenstehende Gründe darzulegen. Die Fremdenpolizeibehörde ist in diesen Fällen vor der Zurückweisung vom Sachverhalt in Kenntnis zu setzen und hat dann über die Zurückweisung zu entscheiden.

 

Der Prüfungsrahmen des § 50 Abs.1 FPG wurde durch § 8 AsylG auf den Herkunftsstaat des Fremden beschränkt.

 

Der Asylgerichtshof hat somit zu klären, ob im Falle der Verbringung der Beschwerdeführerin in ihr Heimatland Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 (Verbot der Folter) oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtssprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen Bedrohung der relevanten Rechtsgüter, hinsichtlich derer der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu bieten, glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist

 

(VwGH 26.6.1997, 95/18/1291; 17.7.1997, 97/18/0336).

 

Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.9.1993, 93/18/0214).

 

II.4. Beweiswürdigung

 

Der Asylgerichtshof gelangt nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zum Ergebnis, dass dem Vorbringen der Beschwerdeführerin keine Asylrelevanz zukommt.

 

Anders als die belangte Behörde, geht der Asylgerichtshof allerdings von der Glaubwürdigkeit der Angaben der nunmehrigen Beschwerdeführerin aus. Die Beschwerdeführerin machte in der mündlichen Verhandlung zu ihrem Fluchtvorbringen widerspruchsfreie und detailreiche Angaben und war auch in der Lage, die an sie gerichteten ergänzenden Fragen weitgehend schlüssig und nachvollziehbar zu beantworten. In diesem Punkte vermag der Asylgerichtshof der Beurteilung der belangten Behörde auch deshalb nicht zu folgen, da die (einzige) niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesasylamt , wie vom Rechtsvertreter in der mündlichen Verhandlung zu Recht gerügt, lediglich eine halbe Stunde gedauert hat und das Protokoll tatsächlich eine Detailbefragung gänzlich vermissen lässt. Ebenso hat die belangte Behörde im Zusammenhang mit der Beurteilung der Glaubwürdigkeit die (damalige) Minderjährigkeit der Beschwerdeführerin völlig außer Acht gelassen.

 

Der Asylgerichtshof hält es nicht zuletzt im Lichte der bekannten, teilweise auch ethnisch motivierten, Auseinandersetzungen im Delta State rund um die dortigen Ölvorkommnisse für nicht ausgeschlossen, dass es zu dem von der Beschwerdeführerin beschriebenen Konflikt zwischen ihrem Vater und der Dorfgemeinschaft und in weiterer Folge zu den behaupteten Übergriffen auf die Beschwerdeführerin und ihre Familie gekommen ist.

 

Der als glaubhaft qualifizierte Sachverhalt vermag jedoch insofern keine Asylrelevanz zu erhalten, als die angenommene Bedrohung von Mitgliedern der Dorfgemeinschaft und somit von Privatpersonen ausgeht. Verfolgungshandlungen durch Private können jedoch nur dann Asylrelevanz entfalten, wenn gleichzeitig eine staatliche Schutzunfähigkeit und Schutzunwilligkeit angenommen werden kann. Dies ist im gegenständlichen Fall zu verneinen. Soweit die Beschwerdeführerin meint, sie habe sich nicht an die Polizei gewandt, weil ihr der Vater erzählt hätte, dass die Dorfgemeinschaft mit der Polizei zusammenarbeite und diese zuvor bereits bestochen worden wäre, so handelt es sich dabei, wie eine nähere Befragung der Beschwerdeführerin zu diesem Punkt gezeigt hat, um reine Spekulation. Die Beschwerdeführerin konnte diese Behauptung nicht schlüssig untermauern und insbesondere nicht aufklären, wieso die Dorfbewohner die Polizei bereits zu einem Zeitpunkt bestochen haben sollte, zu dem noch gar nicht bekannt gewesen sein konnte, dass der Vater der Beschwerdeführerin auf das Kaufanbot ablehnend reagieren würde. Es ergeben sich im gegenständlichen Fall keine glaubhaften Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Einschaltung der zuständigen nigerianischen Behörden aussichtslos gewesen wäre.

 

Weiters hat die belangte Behörde die Asylrelevanz zutreffend auch deshalb verneint, weil es sich bei der von der Beschwerdeführerin geschilderten Verfolgungsgefahr um eine regional auf das Dorf I. bzw. auf Delta State begrenzte handelt und der Genannten somit die Möglichkeit offen gestanden wäre, sich zum Schutz in einem anderen Landesteil Nigerias niederzulassen. Wenn die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung über Vorhalt der innerstaatlichen Fluchtalternative angibt, in Nigeria sonst niemanden zu kennen, so muss ihr entgegnet werden, dass sie ihren eigenen Angaben nach auch in Österreich zum Zeitpunkt ihrer Einreise im Jahr 2003 niemanden kannte und ihr die hier herrschenden Lebensumstände nicht ansatzweise vertraut waren. Es wäre diesfalls wohl nahe liegender gewesen, wenn sie in ihrer eigenen Heimat und ihrem ursprünglichen Kulturkreis versucht hätte, sich eine neue Existenz aufzubauen, anstatt als unbegleitete Minderjährige in das ihr gänzlich unbekannte Europa zu reisen.

 

Zur Frage des Refoulementschutzes wird auf die Judikatur des EGMR und des darauf seiner Rechtssprechung Bezug nehmenden VwGH - vgl. etwa VwGH vom 23.9.2004,

 

Zl. 2004/21/0134 mit weiteren Nachweisen - hingewiesen. Demnach hat die entsprechende Prüfung dahin gehend zu erfolgen, ob im Herkunftsstaat des Antragstellers eine derart extreme Gefahrensituation herrscht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße droht, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den der Fremde abgeschoben werden soll, genügt nach der ständigen Rechtssprechung des VwGH (vgl. E. vom 1.7.1999, Zl. 97/21/0804, E. vom 9.5. 2003, Zl. 1998/18/0317) nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde.

 

Im Fall der Beschwerdeführerin haben sich insgesamt keine Anhaltspunkte ergeben, die einer Rückführung aus oben genannten Gründen entgegen stehen. Der Umstand, dass die Betreffende weiblichen Geschlechts ist, führt nicht alleine deshalb zur Annahme, sie sei in Nigeria unmenschlicher Behandlung ausgesetzt oder laufe Gefahr, einer solchen ausgesetzt zu sein. Es konnte im Einklang mit den Länderberichten nicht festgestellt werden, dass Frauen per se einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen sind.

 

Daran vermögen auch die in der mündlichen Verhandlung seitens des Rechtsvertreters vorgelegten Berichte und Artikel nichts zu ändern, zumal der Asylgerichtshof nicht ausschließt, dass es in Nigeria zu den darin beschriebenen Übergriffen auf Frauen kommt. Es konnte allerdings nicht festgestellt werden, dass eine derart extreme Gefahrensituation herrscht, dass praktisch jeder Frau, die nach Nigeria abgeschoben wird, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße droht, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.

 

Zudem wurde die Beschwerdeführerin auch in der mündlichen Verhandlung auf die Existenz diverser Hilfsorganisationen in Nigeria hingewiesen, die jungen, allein stehenden Frauen entsprechende Hilfe beim Aufbau einer eigenen Existenz anbieten.

 

Der Vollständigkeit halber wird abschließend angemerkt, dass die vom Rechtsvertreter ins Treffen geführte, auch dem Asylgerichtshof deutlich erkennbare, Integration der Beschwerdeführerin in Österreich (sie verfügt über gute Deutschkenntnisse und hat während ihres fünfjährigen Aufenthaltes in Österreich eine Ausbildung zur Altenpflegerin gemacht) im gegenständlichen Verfahren aufgrund der anzuwendenden Rechtslage nicht vom Prüfungsumfang des Asylgerichtshofes umfasst ist. Der Asylgerichtshof hat im Fall der Beschwerdeführerin nicht über die Zulässigkeit der Ausweisung abzusprechen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
innerstaatliche Fluchtalternative, mangelnde Asylrelevanz, non refoulement, private Verfolgung, staatlicher Schutz
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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