TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/13 S5 401722-1/2008

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Veröffentlicht am 13.11.2008
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Spruch

S5 401.722-1/2008/3E

 

S5 401.720-1/2008/3E

 

S5 401.721-1/2008/3E

 

S5 402.467-1/2008/2E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Harald Benda als Einzelrichter über die Beschwerde 1. des N.D., 00.00.1982 geb., 2. der R.F., 00.00.1984 geb., 3. des N.I., 00.00.2006 geb., 4. des N.E., 00.00.2008 geb., alle StA. von Afghanistan und vertreten durch RA Dr. Herbert Pochieser, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, 1070 Wien, gegen die Bescheide des Bundesasylamtes jeweils vom 3.9.2008, Zlen. 08 05.346-EAST-Ost (ad 1.), 08 05.348-EAST-Ost (ad 2.), 08 05.347-EAST-Ost (ad 3.), vom 20.10.2008, Zahl: 08 09.664-EAST-Ost (ad. 4.), gem. § 66 Abs. 4 AVG iVm § 61 Abs. 3 Z 1 lit b des Asylgesetzes 2005 idgF (AsylG) zu Recht erkannt:

 

Den Beschwerden wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG stattgegeben, der Asylantrag jeweils zugelassen und die bekämpften Bescheide behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und sind zusammen über die Türkei am 3.9.2007 illegal in Griechenland (Mytilini) eingereist, wo sie sodann erkennungsdienstlich behandelt wurden (vgl. Eurodac-Treffer Aktenseite 23 Verwaltungsaktes des Erstbeschwerdeführers bzw. Aktenseite 27 des Verwaltungsaktes der Zweitbeschwerdeführerin) und von dort im Juni 2008 illegal ins Bundesgebiet einreisten. Am 20.6.2008 stellten die Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin für sich bzw. letztere als gesetzliche Vertreterin für den Drittbeschwerdeführer Anträge auf internationalen Schutz (Aktenseite 9 f. des Verwaltungsaktes des Erstbeschwerdeführers).

 

Mit E-mail jeweils vom 25.6.2008 ersuchte Österreich Griechenland um Aufnahme der Asylwerber. Griechenland hat (durch Unterlassen einer fristgerechten Antwort) gem. Art. 18 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) den Aufnahmegesuchen stattgegeben.

 

Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 5.8.2008 erklärte der Erstbeschwerdeführer nach Vorhalt, dass Griechenland zur Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, dass er bzw. seine Familie nicht nach Griechenland gewollt habe. Sie wären in Griechenland von der Polizei schlecht behandelt, aufgegriffen und in ein Lager gebracht worden. Beim Essen habe es Streit gegeben. Als sein Sohn krank gewesen sei, seien er und seine Frau mit diesem ins Spital gefahren, jedoch habe man sie wieder weggeschickt (Aktenseite 87 des Verwaltungsaktes des Erstbeschwerdeführers).

 

Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am selben Tag machte die Zweibeschwerdeführerin nach Vorhalt, dass Griechenland zur Prüfung ihres Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, geltend, dass sie und ihre Familie dort schlecht behandelt worden seien. Ihr Mann sei im Lager geschlagen worden. Ihr Kind sei krank gewesen, jedoch habe man sie "aus dem Krankenhaus geworfen". Sie und ihre Familie hätten Asylanträge stellen wollen, seien jedoch, als sie sich in der Warteschlange befunden hätten, geschlagen worden (Aktenseite 81 des Verwaltungsaktes der Zweibeschwerdeführerin)

 

Die Anträge auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes jeweils vom 3.9.2008, Zlen. 08 05.346-EAST-Ost (ad 1.), 08 05.348-EAST-Ost (ad 2.), 08 05.347-EAST-Ost (ad 3.), gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und die Antragsteller gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen. Der Antrag des Viertbeschwerdeführers, der am 00.00.2008 im österreichischen Bundesgebiet geboren wurde, wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.10.2008, Zahl: 08 09.664-EAST Ost, gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und die Antragstellerin gem. § 10 Abs. 1 Z 1 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen.

 

Die Erstbehörde traf in den in Beschwerde gezogenen Bescheiden Feststellungen zur Versorgung von Asylwerbern und zum Zugang zum Asylverfahren nach einer "Dublin Überstellung", die sich zum Teil auf das Ergebnis einer Fact Finding Mission der schwedischen Migrationsbehörde von April 2008 und einem diesbezüglichen Bericht vom 7.5.2008 stützen. In ihrer Beweiswürdigung stützt sich die Erstbehörde auch auf diese Quellen und zieht daraus sinngemäß den Schluss, dass dem Beschwerdeführer jedenfalls der Zugang zum Asylverfahren offen stehe, die Grundversorgung gewährleistet sei und keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Asylwerber im Falle der Überstellung nach Griechenland dort eine Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zu gewärtigen hätten.

 

Gegen diese Bescheide haben die Asylwerber fristgerecht Beschwerde erhoben und hiebei insbesondere geltend gemacht, dass sie in Griechenland weder ein faires Asylverfahren noch Grundversorgung erhalten hätten und auf einer Parkbank schlafen hätten müssen. Der Erstbeschwerdeführer sei geschlagen worden, der Drittbeschwerdeführer trotz hohen Fiebers ohne Untersuchung aus dem Krankenhaus "geworfen" worden. Weiters würde eine Ausweisung die Zweitbeschwerdeführerin und ihr ungeborenes Kind aufgrund der damit verbundenen massiven psychischen und physischen Belastung in ihren Rechten gemäß Art. 3 EMRK verletzen. Weiters wären die Beschwerdeführer im Falle ihrer Ausweisung in ihrem Recht auf Achtung des Familienlebens gem. Art. 8 EMRK verletzt, da die Tante der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich lebe. Letztlich wurde in der Beschwerde unter Bezugnahme auf diverse Berichte, so u. a. den Bericht des UNHCR vom 15.4.2008 zum griechischen Asylverfahren und der dortigen Versorgungslage von Asylwerbern, im Wesentlichen geltend gemacht, dass Asylwerber generell nicht nach Griechenland überstellt werden dürften.

 

Des Weiteren wurde auf die Tatsache der Schwangerschaft der Zweitbeschwerdeführerin mit voraussichtlichem Geburtstermin 04.10.2008 und die sich daraus ergebende Problematik hinsichtlich der mangelnden Versorgung Bezug genommen. Hinsichtlich des Viertbeschwerdeführers wurde darauf verwiesen, dass für die Kindesmutter und das neugeborene Kind eine Verbringung nach Griechenland eine psychische und physische Belastung mit massivem nachhaltigen Schädigungspotential darstelle bzw. jedenfalls eine adäquate Grundversorgung gegebenenfalls in Griechenland nicht erreichbar wäre.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Zunächst ist auszuführen, dass eine Zuständigkeit Griechenlands gemäß Art. 10 Abs. 1 erster Satz Dublin II VO kraft Ersteinreise in der Europäischen Union besteht. Lediglich der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass selbst für den Fall, dass die sich aus Art. 10 Abs. 1 erster Satz Dublin II VO ergebende Zuständigkeit Griechenlands für die Prüfung des Asylantrages nicht bestünde, letztlich Art. 13 Dublin II VO doch wieder die Zuständigkeit Griechenlands zur Prüfung des Asylantrages begründen würde, da der Beschwerdeführer zuerst in Griechenland einen Asylantrag gestellt hat. Griechenland hat seine Zuständigkeit letztlich mangels fristgerechter Antwort auf das Wiederaufnahmeersuchen akzeptiert. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.

 

Ebenso unbestrittenermaßen ist im Asylverfahren des Beschwerdeführers noch keine Sachentscheidung in Griechenland gefallen.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Gemäß der - mittlerweile ständigen - Rechtssprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes (VfGH vom 8.3.2001, G 117/00 u. a., VfSlG 16.122; VwGH vom 23.1.2003, Zl. 2000/01/0498) ist auf Kriterien der Art. 3 und 8 EMRK bei Entscheidungen gemäß § 5 AsylG, ungeachtet des Fehlens einer diesbezüglichen Anordnung in der Bestimmung selbst, Bedacht zu nehmen.

 

Sohin ist zu prüfen, ob der Asylwerber im Falle der Zurückweisung seines Asylantrages und seiner Ausweisung nach Griechenland gem. §§ 5 und 10 AsylG - unter Bezugnahme auf seine persönliche Situation - in seinen Rechten gem. Art. 3 und/oder 8 EMRK verletzt werden würde, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist.

 

Es wird nicht verkannt, dass der Asylgerichtshof zum Entscheidungszeitpunkt und im Einklang mit der Ansicht der Europäischen Kommission (siehe Pressemitteilung vom 09.04.2008) und dem englischen Court of Appeal (EWCA Civ 464) zwar weiterhin nicht die Ansicht vertritt, dass die derzeitige Erkenntnislage den Schluss rechtfertigt, dass in allen Dublin II-Fällen in Bezug auf Griechenland pauschal das Selbsteintrittsrecht ausgeübt werden muss. Jedoch ist es Aufgabe des Bundesasylamtes, sich ein ständig aktualisiertes Bild von der Situation zu machen, wobei in concreto die letzte Aktualisierung der Berichtslage offenbar aus Juli 2008 stammt (vgl. Seite 8 ff. des angefochtenen Bescheides). Dies kann jedoch im Fall Griechenlands nicht genügen, als etwa in aktuellen dem AsylGH notorischen Pressetexten (Bezug nehmend auf Ausführungen eines UNHCR-Vertreters in Athen) von einer Verweigerung der Entgegennahme von Asylanträgen die Rede ist, was zumindest einer näheren Prüfung in Hinblick auf Relevanz in Verfahren nach der Dublin II VO bedarf.

 

Insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen Gelagertheit des vorliegenden Falles, nämlich der Tatsache der Geburt eines Kindes am 00.00.2008 und der sich damit ergebenden besonderen Obsorgeverpflichtung bzw. faktischen Notwendigkeiten zur Versorgung eines Neugeborenen ist dem Faktum der allenfalls vorliegenden mangelnden Erreichbarkeit einer adäquaten Sozial- und Gesundheitsversorgung besondere Relevanz beizumessen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, Lagerbedingungen, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, medizinische Versorgung, soziale Verhältnisse
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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