TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/13 A11 252593-0/2008

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Veröffentlicht am 13.11.2008
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Spruch

A11 252.593-0/2008/10E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Huber als Vorsitzenden und den Richter Mag. Benda als Beisitzer über die Beschwerde des E. E., 00. 00.1972 geb., StA. von Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.8.2004, 04 15.144-EAST-Ost, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.11.2008 zu Recht erkannt:

 

Spruchteil III des Bescheides des Bundesasylamtes betreffend die Ausweisung des E. E. aus dem Bundesgebiet gem. § 8 Abs. 2 AsylG 1997 wird ersatzlos behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Asylwerber ist Staatsangehöriger von Nigeria und am 25.7.2004 ins Bundesgebiet eingereist. Am 26.7.2004 hat er einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.8.2004, Zahl 04 15.144-EAST-Ost, abgewiesen und unter einem festgestellt wurde, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Weiters wurde der Asylwerber aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

 

Begründend führte das Bundesasylamt unter Darlegung näherer Erwägungen aus, dass es dem Asylwerber nicht gelungen sei, sein Vorbringen glaubhaft zu machen.

 

Gegen diesen Bescheid hat der Asylwerber fristgerecht Beschwerde erhoben.

 

Am 10.11.2008 wurde vor dem Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in welcher der Beschwerdeführer seine Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides ausdrücklich zurückzog und hinsichtlich des 3. Spruchpunktes (Ausweisung aus dem Bundesgebiet nach Nigeria) im Wesentlichen vorbrachte, dass er mittlerweile im Bundesgebiet mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet sei und mit dieser, sowie mit deren 3 minderjährigen Kindern ein schützenswertes Familienleben führe.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gem. § 75 Abs. 1, erster Satz, AsylG 2005 (Übergangsbestimmung) sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.

 

Aufgrund der Zurückziehung der Beschwerde betreffend die ersten beiden Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides, sind diese in Rechtskraft erwachsen und beschränkt sich der Abspruch des Asylgerichtshofes auf die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der Ausweisung des Antragstellers aus dem Bundesgebiet:

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBL. I Nr. 101/2003 hat die Behörde den Bescheid mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag abgewiesen ist und die Überprüfung gem. § 8 Abs. 1 AsylG ergeben hat, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig ist.

 

Das Asylverfahren ist für den Antragsteller aufgrund seiner Beschwerdezurückziehung rechtskräftig negativ entschieden worden; seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat ist zulässig, sodass - falls damit kein unzulässiger Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der beschwerdeführenden Partei vorliegt (Art. 8 Abs. 1 EMRK) - die Entscheidung mit einer Ausweisung zu verbinden ist.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (IGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hiefür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Die Regelung erfordert daher eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen (vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; und jüngst das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 2007, B 2126/06, mit Verweis auf die vom EGMR entwickelten Kriterien im Fall Boultif und im Fall Üner). In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden und seiner Familienangehörigen sowie die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen zu berücksichtigen (VwGH vom 26.6.2007, Zahl: 2007/01/0479).

 

Bezüglich der Aspekte des "Privatlebens" spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - erst nach einigen Jahren eine Integration im Aufenthaltsstaat anzunehmen sein wird, die von Art. 8 EMRK geschützt ist, wobei die Aufenthaltsdauer allein für sich genommen nicht schon den Ausschlag geben kann. Aspekte zu Gunsten des Fremden können neben Verwandten und Freunden im Inland auch Sprachkenntnisse, ausreichender Wohnraum und die Teilnahme am sozialen Leben sein. In Anbetracht der meistens nicht sehr langen Aufenthaltsdauer und des "abgeschwächten" (regelmäßig nur vorläufigen) Aufenthaltsrechtes von Asylwerbern werden strafgerichtliche Verurteilungen die Interessensabwägung erheblich zu Ungunsten der privaten Interessen verschieben. Weitgehende Unbescholtenheit gilt hingegen als wichtiges Element für die Annahme sozialer Integration.

 

Ausgehend von oben wiedergegebener Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes sowie des EGMR ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung im vorliegenden Fall, dass bei einer Interessensabwägung die öffentlichen Interessen gegenüber dem Interesse des Asylwerbers und seiner Familie am Verbleib im Bundesgebiet zurückzutreten haben.

 

Zugunsten der Asylwerbers fällt ins Gewicht, dass er seit dem Jahr 2005 eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen unterhält, mit der er in der Folge seit etwa 3 Jahren im gemeinsamen Haushalt lebt, und die er letztlich im Februar 2007 geheiratet hat. Im gemeinsamen Haushalt leben auch 3 minderjährige Kinder seiner Ehegattin, hinsichtlich derer der Antragsteller eine Art Vaterrolle übernommen hat, so bringt er diese beispielhaft immer zur Schule, da seine Ehegattin beruflich tätig ist. Auch die Kinder akzeptieren den Antragsteller, insbesondere die jüngste Tochter, die zu ihrem leiblichen Vater keinen Kontakt hat. Weiters besucht er nachweislich einen Deutschkurs an der Volkshochschule und nimmt auch am sozialen Leben durch volle Integration in den Bekannten- und Verwandtenkreis seiner Ehegattin teil. So ist er etwa auch als Taufpate für die Nichte seiner Ehegattin vorgesehen. Schließlich ist der Asylwerber auch unbescholten.

 

Dem steht schwerwiegend gegenüber, dass der Asylwerber noch keine als lange zu qualifizierende Zeit, konkret knapp über 4 Jahre im Bundesgebiet aufhältig ist und seine Beziehung zu seiner Ehegattin und deren Kindern zu einem Zeitpunkt entstanden ist, indem dem Asylwerber sein unsicherer Aufenthaltsstatus bewusst war.

 

Bei einer Abwägung all dieser Umstände ergibt sich nach Ansicht des Asylgerichtshofes, dass im konkreten Fall die Ausweisung des Antragstellers jedenfalls in sein Familienleben eingreifen würde und sein Interesse an einem weiteren Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einer möglichen Aufenthaltsbeendigung im Bundesgebiet (zwar nur) knapp, aber doch überwiegt.

 

Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides war daher ersatzlos zu beheben.

 

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
bestehendes Familienleben, Ehe, Integration, Interessensabwägung, Privatleben, soziale Verhältnisse, Spruchpunktbehebung-Ausweisung
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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