TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/13 B3 314544-1/2008

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Veröffentlicht am 13.11.2008
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Spruch

B3 314.544-1/2008/7E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Karin WINTER als Vorsitzende und den Richter Mag. Florian NEWALD als Beisitzer über die Beschwerde des K.F., geboren am 00.00.1978, kosovarischer Staatsangehöriger, gegen Spruchteil III. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 21. August 2007, Zl. 07 06.868-EAST Ost, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchteil III. des angefochtenen Bescheides wird der Bescheid hinsichtlich dieses Spruchpunktes behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein kosovarischer Staatsbürger und Angehöriger der albanischen Volksgruppe muslimischen Glaubens, reiste nach seinen Angaben am 29. Juli 2007 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt diesen Antrag gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) ab, und erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten nicht zu (Spruchteil I.); gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG erkannte es ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat "Serbien" nicht zu (Spruchteil II.) und wies ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet "nach Serbien, Provinz Kosovo" aus (Spruchteil III.).

 

3. Gegen alle drei Spruchteile dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung.

 

4. Am 13. März 2008 langte beim unabhängigen Bundesasylsenat ein Schreiben des Beschwerdeführers ein. Aus diesem geht hervor, dass er seine Berufung gegen Spruchteile I. und II. des angefochtenen Bescheides zurückziehe und zu Spruchteil III. des Bescheides mitteile, dass der Beschwerdeführer am 1. Dezember 2007 die polnische Staatsbürgerin K.J., geborene M., geehelicht habe, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht und im Bundesgebiet einen Hauptwohnsitz habe. Mit dieser lebe er in aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft. Er beabsichtige die Ausreise "nach Mazedonien" und die Beantragung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger"; die Ausweisung gemäß § 10 AsylG sei allerdings für die Dauer von einem Jahr ein Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Eine Ausweisung greife in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers ein, weshalb "höflichst gebeten" werde, auf die Sachverhaltsänderung Bedacht zu nehmen, zumal der Beschwerdeführer nunmehr ein begünstigter Drittstaatsangehöriger sei. Weiters legte der Beschwerdeführer seine Heiratsurkunde vom 1. Dezember 2007 vor.

 

5. Mit Aktenvermerk vom 28. Mai 2008, GZ. 314.544-1/4E-XII/38/07, stellte der unabhängige Bundesasylsenat das Berufungsverfahren zu den Spruchteilen I. und II. des angefochtenen Bescheides ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat über die hinsichtlich Spruchteil III. des angefochtenen Bescheides noch unerledigte Berufung, die nunmehr als Beschwerde zu werten ist (vgl. dazu weiter unten), erwogen:

 

1.1. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 erster Satz B-VG sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig waren, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG ist das AsylG am 1. Jänner 2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31. Dezember 2005 noch nicht anhängig waren.

 

1.2. Das vorliegende Verfahren war am 31. Dezember 2005 nicht anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG zu führen. Da es am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig war, ist es vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

2.1. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz BGBl. I 4/2008) ist auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof grundsätzlich das AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 23 AsylGHG hat der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener des Bundesasylamtes zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2.2. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG ist eine Entscheidung nach dem AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag abgewiesen und dem Fremden weder Asyl noch subsidiärer Schutz gewährt wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG ist eine Ausweisung unzulässig, wenn sie Art. 8 EMRK verletzen würde oder wenn dem Fremden ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt. Würde ihre Durchführung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen und die nicht von Dauer sind, Art. 3 EMRK verletzen, so ist gemäß § 10 Abs. 3 AsylG die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

 

2.3.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).

 

2.3.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.

 

Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

2.3.3. Im vorliegenden Fall ist auf die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigte Fassungen: ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28, - im Folgenden: FreizügigkeitsRL) Bedacht zu nehmen:

 

Da eine Ausweisung des Beschwerdeführers nur dann in Betracht kommt, wenn ihm kein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt, fehlen im vorliegenden Fall Feststellungen zur Frage, ob der Beschwerdeführer aufgrund einer der FreizügigkeitsRL - allenfalls nach richtlinienkonformer Auslegung - entsprechenden österreichischen Rechtsvorschrift oder (hilfsweise) der unmittelbaren Anwendung der FreizügigkeitsRL zum Aufenthalt in Österreich berechtigt ist:

 

Zunächst sind Feststellungen dahingehend zu treffen, ob K.J. als polnische Staatsbürgerin ein Recht auf Freizügigkeit iSd der FreizügigkeitsRL zukommt und - gegebenenfalls - ob sie von diesem auch Gebrauch gemacht hat.

 

Sollte dies der Fall sein, sind weitere Ermittlungen erforderlich, um beurteilen zu können, ob der Beschwerdeführer aus einem K.J. zukommenden Recht auf Freizügigkeit ein Aufenthaltsrecht ableiten kann. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass der Annahme eines solchen Rechtes nicht grundsätzlich entgegensteht, dass der Beschwerdeführer die genannte polnische Staatsangehörige erst nach deren Aufenthaltnahme in Österreich geehelicht hat und dass er illegal ins Bundesgebiet eingereist ist; denn der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 25. Juli 2008, Metock (C-127/08, Slg. 2008, I-0000), ausgesprochen, Art. 3 Abs. 1 FreizügigkeitsRL ist so auszulegen, dass irrelevant ist, wann und wo die Ehe geschlossen wurde und wie der Drittstaatsangehörige in den Aufnahmestaat eingereist ist. Andererseits hat der Europäische Gerichtshof in diesem Urteil zum einen festgehalten, dass nicht alle Drittstaatsangehörigen aus der FreizügigkeitsRL das Recht ableiten, in einen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, sondern nur diejenigen, die im Sinne von Art. 2 Nr. 2 FreizügigkeitsRL Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, niedergelassen hat. Zum anderen nimmt die FreizügigkeitsRL den Mitgliedstaaten nicht jegliche Möglichkeit, die Einreise der drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgern in ihr Hoheitsgebiet zu kontrollieren. Denn aufgrund von Kapitel VI. dieser Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten, wenn dies gerechtfertigt ist, die Einreise und den Aufenthalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit verweigern. Es ist zunächst darauf Bedacht zu nehmen, dass nach der ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofes Ausnahmen eng auszulegen sind. Eine solche Weigerung muss weiters auf eine individuelle Prüfung des Einzelfalls gestützt werden. Zudem dürfen die Mitgliedstaaten nach Art. 35 FreizügigkeitsRL die Maßnahmen erlassen, die notwendig sind, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug - wie z.B. durch Eingehung von Scheinehen - zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen, vorausgesetzt, dass solche Maßnahmen verhältnismäßig sind und den Verfahrensgarantien dieser Richtlinie unterliegen (vgl. Rdnrn. 73 bis 75 des zitierten Urteils; zur individuellen Prüfung des Einzelfalls siehe insbes. auch EuGH 8.4.1976, Royer, 48/75, Slg. 1976, 497, Rdnrn. 47 und 48, sowie EuGH 25.7.2002, MRAX, C-459/99, Slg. 2002, I-6591, Rdnrn. 71 und 79). Daraus wird einerseits ersichtlich, dass nur echte Familienangehörige eines Unionsbürgers den Tatbestand des Art. 2 Nr. 2 FreizügigkeitsRL erfüllen, nicht aber etwa Personen, die die Ehe - rechtsmissbräuchlich - nur deshalb eingegangen sind, um dadurch ein Aufenthaltsrecht zu erlangen (zum Recht der Mitgliedstaaten, Rechtsmissbrauch oder Betrug zu verhindern siehe auch EuGH 9.3.1999, Centros, C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rdnr. 24, und EuGH 11.6.2002, Carpenter, C-60/00, Slg. 2002, I-6279, Rdnrn. 42 bis 44). Dies wird das Bundesasylamt im fortgesetzten Verfahren zu berücksichtigen haben.

 

2.3.4. Da dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Stellungnahme zu den Ermittlungsergebnissen einzuräumen ist und allenfalls eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers zu den oben angeführten Fragestellungen erforderlich ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.

 

2.3.5. Auf Grund der unter Punkt 2.3.2. angestellten Erwägung kann nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.

 

3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Aufenthaltsrecht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Recht auf Freizügigkeit
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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