TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/17 S4 402630-1/2008

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Veröffentlicht am 17.11.2008
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Spruch

S4 402.630-1/2008/3E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde des M. V., 00.00.1983 geb., StA. von Georgien, vertreten durch G. G., pA. Asyl in Not, Währingerstraße 59/2, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.10.2008, Zahl: 08 08.763-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 AsylG abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Asylwerber ist Staatsangehöriger von Georgien und eigenen Angaben zufolge am 16.9.2008 von Georgien über Weißrussland nach Polen (Terespol), wo er am 17.9.2008 in Lublin einen Asylantrag gestellt hat (vgl. Eurodac-Treffer AS 5, 11 und 47, sowie eigene Angaben des Asylwerbers AS 19, 21) gereist. Noch am selben Tag begab sich der Asylwerber schließlich Richtung Österreich, reiste am 18.9.2008 ins Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Mit E-Mail vom 24.9.2008 (Aktenseite 77 des Verwaltungsaktes) ersuchte Österreich Polen um Rückübernahme des Asylwerbers. Polen hat mit Fax vom 25.9.2008 (AS 15 des Dublin Aktes) gem. Art. 16 Abs. 1 lit. c Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) die Aufnahme des Asylwerbers akzeptiert.

 

Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 23.10.2008 erklärte der Antragsteller nach Vorhalt der Zuständigkeit Polens zur Prüfung seines Asylantrages, dass er in Polen nicht werde leben können, er dort nicht bleiben werde und überhaupt nichts mit Polen zu tun haben wolle. Er habe eine Verlobte in Österreich, es gefalle ihm Polen nicht, er sei dort gezwungen worden einen Asylantrag zu stellen. Es gefalle ihm nicht, wie man dort mit ihm umgegangen sei, nämlich, dass er 7 bis 8 Stunden in einem kleinen Raum angehalten worden sei, ohne dass er hätte rauchen oder hinausgehen dürfen. Er habe auch nichts zu essen bekommen. Weiters sei er dem Schlepper noch 500,-- Euro schuldig, er wisse nicht, ob dies eine Bande sei, im Falle seiner Rückkehr nach Polen werde er mit diesen Leuten Probleme haben.

 

Mit Bescheid vom 23.10.2008, Zahl: 08 08.763-EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und wurde Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) für zuständig erklärt. Gleichzeitig wurde der Asylwerber aus dem Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern und zieht daraus sinngemäß den Schluss, dass dem Beschwerdeführer der volle Zugang zum Asylverfahren offen stehe, die Grundversorgung gewährleistet sei und keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit bestehe, dass er im Falle seiner Überstellung nach Polen dort eine Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zu gewärtigen hätte. Im Hinblick auf Art. 8 EMRK erkannte das Bundesasylamt zum einen aufgrund des erst sehr kurzen Zeitraumes, in dem der Antragsteller in Österreich aufhältig ist, und zum anderen, dass seine im Bundesgebiet aufhältige Verlobte ebenfalls potenziell von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen ist, dass kein schützenswertes Privat- und Familienleben des Antragstellers vorliegt.

 

Gegen diesen Bescheid hat der Asylwerber fristgerecht Beschwerde erhoben.

 

Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am 3.10.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

In casu liegt aufgrund der bereits erfolgten Asylantragstellung in Polen ein "Wiederaufnahmeverfahren" vor, sodass sich die Zuständigkeit Polens zur Prüfung des Asylantrages aus Art. 16 Abs. 1 lit. c ergibt, was Polen auch ausdrücklich anerkannt hat. Polen hat akzeptiert, den Asylwerber im Rahmen der Verpflichtungen aus dem Dubliner Übereinkommen zur Prüfung seines Asylantrages zu übernehmen, und war es ihm bereits am 17.9.2008 möglich in Polen einen Asylantrag zu stellen. Zweifel am Zugang des Antragstellers zu einem Verfahren, in dem er die behauptete Bedrohung würde geltend machen können, liegen daher nicht vor.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Akzeptanz Polens zur Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären. Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

Sohin ist zu prüfen, ob der Asylwerber im Falle der Zurückweisung seines Asylantrages und seiner Ausweisung nach Griechenland gem. §§ 5 und 10 AsylG - unter Bezugnahme auf seine persönliche Situation - in seinen Rechten gem. Art. 3 und/oder 8 EMRK verletzt werden würde, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist.

 

Umstände, die darauf schließen ließen, dass der Antragsteller in Polen selbst einer unmenschlichen Behandlung iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sind letztlich nicht vorhanden. Soweit er vermutet, dass er in Polen seitens der Schlepper, welchen er noch 500,-- Euro schuldig geblieben sei, "Probleme" bekommen könnte, ist ihm entgegenzuhalten, dass derartige Vermutungen zum einen viel zu wenig konkret sind, um daraus eine drohende Verletzung seiner Rechte gem. art. 3 EMRK abzuleiten, und zum anderen, dass Polen im Falle einer Bedrohung des Asylwerbers durch diesen Personenkreis als Mitgliedstaat der EU selbstverständlich in der Lage und willens wäre, vor allfälligen Übergriffen Privater effektiv Schutz zu bieten.

 

Eine Verletzung seiner Rechte gem. Art. 3 EMRK könnte somit lediglich dann erfolgen, wenn ihm Polen, etwa im Wege einer Abschiebung in seinen Heimatstaat, sofern ihm dort unmenschliche Behandlung drohen würde, entsprechenden Schutz versagen würde. Umstände, die darauf schließen ließen, dass Polen dem Antragsteller, wenn er das von ihm behauptete Bedrohungsbild glaubhaft geltend machen würde, nicht Asyl oder zumindest eine humanitäre Aufenthaltsberechtigung oder anderweitigen Schutz vor einer Abschiebung in den Heimatstaat gewähren würde, sind vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Feststellungen zum polnischen Asylverfahren nicht erkennbar.

 

Soweit er im Hinblick auf Art. 8 EMRK geltend macht, dass seine Verlobte in Österreich aufhältig sei, ist Folgendes auszuführen:

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (IGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hiefür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Die Verlobte des Antragstellers ist nicht zum dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt, sondern ist, da ihr Asylverfahren rechtskräftig negativ beendet sowie ihre Ausweisung verfügt worden ist, und lediglich ihrer Bescheidbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zukommt, potenziell ebenfalls von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Es liegt aktuell auch kein gemeinsamer Haushalt vor, da der Antragsteller in der Betreuungsstelle Ost in Traiskirchen aufhältig ist und in seiner Beschwerde selbst ausführt, dass er die Absicht habe, einen gemeinsamen Haushalt (wieder-)herzustellen. Zudem befindet sich der Antragsteller erst seit weniger als 2 Monaten im Bundesgebiet, während hingegen seine Verlobte bereits seit September 2007 in Österreich ist, sodass der allfällige Kontakt zu seiner Verlobten im Bundesgebiet als sehr kurz zu qualifizieren ist und er jedenfalls bereits ein Jahr vor seiner Ausreise aus dem Heimatland keinen gemeinsamen Haushalt mit seiner Verlobten geführt hat. Es liegen auch keine Hinweise dafür vor, dass zwischen dem Asylwerber und seiner Verlobten ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis gegeben wäre. Das Vorliegen eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK kann somit nicht erkannt werden.

 

Zudem würden in casu - selbst wenn ein Familienleben in Österreich entstanden wäre - die öffentlichen Interessen am Vollzug der Zuständigkeitsnormen der Dublin II-VO die privaten Interessen des Asylwerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, da ein Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden wäre, in dem sich beide ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten.

 

Ein iSd Art. 8 EMRK schützenswertes Privatleben des Asylwerbers liegt schon allein aufgrund der Kürze seines Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht vor, und sind demgegenüber Umstände, die eine besondere Integration des Asylwerbers in Österreich indizieren, nicht vorhanden.

 

Zu Recht hat daher bereits das Bundesasylamt erkannt, dass die Ausweisung des Asylwerbers aus dem Bundesgebiet gem. § 10 AsylG zulässig ist.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, Familienbegriff, real risk, Rechtsschutzstandard
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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