TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/17 E3 315535-1/2008

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Veröffentlicht am 17.11.2008
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Spruch

E3 315.535-1/2008-4E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. HERZOG-LIEBMINGER als Vorsitzende und die Richterin Mag. GABRIEL als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Fr. MITTERMAYR über die Beschwerde des B.S., geb. 00.00.1981, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.10.2007, FZ. 06 03.227-BAW, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 Z 1 und 10 Abs 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei sowie Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, reiste laut eigenen Angaben am 14.02.2006 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Nach einem stationären Aufenthalt in einem Wiener Krankenhaus vom 15.02. bis 02.03.2006 stellte er am 21.03.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz iSd § 2 Abs 1 Z 13 AsylG.

 

Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung sowie bei den niederschriftlichen Einvernahmen am 24.03.2006 sowie 11.10.2007 brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst zu seinem Fluchtgrund vor, dass sein Vater, welcher vor vielen Jahren wegen Grenzstreitigkeiten das Mitglied einer anderen Familie getötet habe, am 14.10.2000 seinerseits getötet worden sei, was die Gendarmerie als Unfall abgetan hätte. Daraufhin hätten ihn (den Beschwerdeführer) seine Onkeln väterlicherseits zwingen wollen ein Mitglied der verfeindeten Familie aus Blutrache zu töten. Da er dies nicht habe machen wollen, sei er- nach Absolvierung seines Wehrdienstes - nach Istanbul geflohen, wo er von August / September 2004 bis zu seiner Ausreise nach Österreich im Februar 2006 gelebt habe.

 

An die türkischen Behörden habe er sich deswegen nicht gewandt. Für den Fall seiner Rückkehr fürchte er sich vor seiner Familie.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.10.2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 AsylG abgewiesen und diesem der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und jener aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

Die Erstbehörde traf darin hinreichend aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben zu den Themen Allgemeines, Lage der Kurden, Menschenrechte, Rechtsschutz, Wehrdienst, Rückkehr, Versorgungslage, medizinische Versorgung sowie Blutrache.

 

Im Rahmen ihrer Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen als unglaubwürdig.

 

Insbesondere habe der Beschwerdeführer in seinen einzelnen Einvernahmen divergierende Aussagen gemacht, vor allem zum Thema, ob der Todesfall seines Vaters überhaupt von der Polizei untersucht worden sei, sowie zu den näheren Umständen der Bedrohungen durch seinen Onkel. Überdies habe sich der Beschwerdeführer auch noch längere Zeit in Istanbul aufgehalten und sei auch der Onkel, welcher ihn unter Druck gesetzt habe, zwischenzeitig verstorben.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist "Berufung" (nunmehr: "Beschwerde") erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen. In der Beschwerde wurde jedoch kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet welches geeignet wäre der Beweiswürdigung sowie der schlüssigen rechtlichen Würdigung der Erstbehörde entgegen zu treten.

 

4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E3 zugeteilt.

 

5. Hinsichtlich des Verfahrensherganges und Parteienvorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

6. Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verwaltungsakt unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor der Erstbehörde, des bekämpften Bescheides sowie des Beschwerdeschriftsatzes.

 

II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:

 

1. Am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 61 AsylG 2005 idgF entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes.

 

Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Anzuwenden waren das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung, und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung. Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2. Das Bundesasylamt hat ein mängelfreies ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Die Erstbehörde hat sich mit dem individuellen Vorbringen auseinander gesetzt und in zutreffenden Zusammenhang mit der Situation des Beschwerdeführers gebracht. Auch die rechtliche Beurteilung begegnet keinen Bedenken.

 

3. Der Asylgerichtshof schließt sich diesen Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid an und erhebt sie zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses (vgl. VwGH 25.03.1999, Zahl 98/20/0559; VwGH 30.11.2000, Zahl 2000/20/0356).

 

3.1. Zu Spruchpunkt I:

 

3.1.1. Wie die Erstbehörde zutreffend dargelegt hat, war der Beschwerdeführer nicht in der Lage, widerspruchsfreie Angaben zu den Todesumständen seines Vaters zu machen. Während er bei seiner ersten Einvernahme anführte, die Gendarmerie hätte den Tod seines Vaters als Unfall abgetan, gab er bei der zweiten Einvernahme an, dass die Gendarmerie gar nicht zum Unfallort gekommen sei und es keine staatliche Untersuchung des Vorfalls gegeben habe.

 

3.1.2. Weiters hat die Erstbehörde auch die Widersprüche hinsichtlich der Bedrohung des Beschwerdeführers durch seine Onkel aufgezeigt. Zunächst gab der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vom 24.03.2006 an, bereits unmittelbar nach dem Tod seines Vaters (14.10.2000) von seinen Onkel gezwungen worden zu sein, ein Mitglied der verfeindeten Familie zu töten. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vom 11.10.2007 führte der Beschwerdeführer aus, erst im Sommer 2004, nach Beendigung seines Wehrdienstes, erfahren zu haben, dass er jemanden umbringen solle.

 

3.1.3. Der Beschwerdeführer hat diese Beweiswürdigung der Erstbehörde auch nicht substantiiert bekämpft. Alleine durch den Hinweis auf die im angefochtenen Bescheid enthaltene Feststellung, dass es in der Türkei tatsächlich Blutrache und Ehrenmorde gibt, können die Widersprüche nicht aufgeklärt werden. Vielmehr findet sich in der Beschwerdeschrift eine weitere Divergenz zum bisherigen Vorbringen, indem angeführt wird, dass der Vater des Beschwerdeführers "neben seinem Traktor auf einem Feld erschossen aufgefunden" worden sei. Davon, dass sein Vater erschossen worden sei, war in den Einvernahmen des Beschwerdeführers jedoch an keiner Stelle die Rede.

 

3.1.4. Weiters hat die Erstbehörde bereits in ihrer Beweiswürdigung darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer auch nach der Beendigung seines Wehrdienstes im Sommer 2004 noch längere Zeit in Istanbul aufhältig war und dort einer Beschäftigung nachgegangen ist, und wurde dies als weiteres Argument für seine Unglaubwürdigkeit herangezogen.

 

Ferner ist auch festzustellen, dass selbst dann, wenn man hypothetisch vom Vorbringen des Beschwerdeführers ausgehen würde, eine innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative vorliegen würde, welche gemäß § 3 Abs 3 iVm § 11 AsylG zur Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten führen muss.

 

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine so genannte innerstaatliche Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.03.1999, Zl. 98/01/0352). Nach der Rechtsprechung des VwGHs muss sich die Verfolgungsgefahr auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Nach einer in der ältren Rechtssprechung verwendeten Formulierung darf in keinem Teil des Herkunftsstaates Verfolgungssicherheit bestehen (VwGH 10.3.1993, Zl. 03/01/002). Nach der jüngeren Rechtsprechung ist mit dieser Formulierung jedoch nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, die Formulierung sei dahingehend zu verstehen, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen -mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeiten innerhalb des Herkunftsstaates- im gesamten Herkunftsstaat auswirken müsse (VwGH 9.11.2004, Zl 2003/01/0534; VwGH 24.11.2005, 2003/20/0109).

 

Nur im Hinblick auf nichtstaatliche Verfolgung ist das Bestehen einer innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht zu ziehen und ist von der Behörde stets zu prüfen, ob die verfolgende Organisation als mächtig eingestuft werden könne beziehungsweise ob eine lokale Begrenztheit des Wirkungskreises dieser Organisation angenommen werden könne (VwGH 15.05.2003, 2002/01/0560).

 

Um vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, müssen die Asylbehörden über Ermittlungsergebnisse verfügen, die die Sicherheit der Asylwerber dartun (vgl. etwa VwGH 8.9.1999, Zl. 99/01/0126; VwGH 16.2.2000, Zl 99/01/0149). Es muss konkret ausgeführt werden, wo der Beschwerdeführer tatsächlich Schutz vor der von ihm geltend gemachten Bedrohung finden könnte. Entsprechend dem "Ausschlusscharakter" der internen Schutzalternative müsse es Sache der Behörde sein, die Existenz einer internen Schutzalternative aufzuzeigen und nicht umgekehrt Sache des Asylwerbers, die Annahme einer theoretisch möglichen derartigen Alternative zu widerlegen und nimmt der Verwaltungsgerichtshof mit dieser Rechtsprechung jedenfalls eine Beweislast der Asylbehörden an (VwGH 09.09.2003, 2002/01/0497 und 08.04.2003, 2002/01/0318 sowie zur Ermittlungspflicht VfGH 02.10.2001, B 2136/00).

 

Aufgrund des sich Versteckthaltens kann noch nicht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative gesprochen werden (etwa VwGH 18.4.1996, Zl.95/20/0295; VwGH 20.3.1997, Zl 95/20/0606; in diesem Sinne ebenfalls VwGH 29.10.1998, Zl. 96/20/0069).

 

Ebenso darf der Betroffene im sicheren Landesteil nicht in eine aussichtslose Lage gelangen und jeglicher Existenzgrundlage beraubt werden. Solcherart wird dem Kriterium der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative Beachtung geschenkt (VwGH 8.9.1999, Zl. 98/01/0614, VwGH 6.10.1999, Zl. 98/01/0535, VwGH 8.6.2000, 99/20/0597; VwGH 19.10.2006, Zl. 2006/0297-6; VwGH 30.04.1997, 95/01/0529; VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; VwGH 24.1.2008, Zl. 2006/19/0985-10). Auch wirtschaftliche Benach-teiligungen können asylrelevant sein (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614; VwGH 30.04.1997, 95/01/0529; VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; VwGH 08.11.2007, 2006/19/0341). Dem gegenüber seien gemäß ständiger Rechtsprechung allfällige aus der Situation des Asylwerbers ableitbare wirtschaftliche beziehungsweise soziale Benachteiligungen nicht geeignet, zu einer Verneinung der inländischen Fluchtalternative zu führen, zumal alleine in allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen keine staatliche Verfolgung gesehen werden könne (VwGH 08.09.1999, 98/01/0620; VwGH 24.10.1996, 95/20/0321; VwGH 10.12.1996, 06/20/0753).

 

Maßgebliche Faktoren zur persönlichen Zumutbarkeit können das Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschafts-verhältnisse, soziale und andere Schwächen, ethnische, kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische und soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten, sowie gegebenenfalls bereits erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen sein. Es wird jedoch die Ansicht vertreten, dass schlechte soziale und wirtschaftliche Bedingungen in dem betreffenden Landesteil die innerstaatliche Fluchtalternative nicht grundsätzliche ausschließen (siehe VwGH 8.9.1999, 98/01/0620; VwGH 26.6.1996, 95/20/0427) Ein bloßes Absinken des Lebensstandards durch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative, welches jedoch noch über dem Niveau der aussichtslosen Lage ist daher bei Bestehen einer Existenzgrundlage hinzunehmen.

 

In der Regel wird eine innerstaatliche Fluchtalternative für unbegleitete Minderjährige zu verneinen sein, weil es vielfach nicht legal möglich ist oder zumutbar wäre, ohne Eltern und gesetzlichen Vertreter in einem Teil des Landes den Wohnsitz zu nehmen, in dem der Minderjährige einer individuellen Verfolgung nicht ausgesetzt gewesen wäre (VwGH 26.06.1996, 95/20/0427). Im Falle der Annahme einer innerstaatliche Fluchtalternative müsse aber jedenfalls auf das Zumutbarkeitskalkül besonders Bedacht genommen werden und seien konkrete Feststellungen über die im Fall eines solchen Ortswechsels zu erwartende konkrete Lage des Minderjährigen zu treffen. (VwGH 19.10.2006, 2006/19/0297).

 

Zu den bereits getroffenen Ausführungen kommt noch hinzu, dass das verfolgungssichere Gebiet eine gewisse Beständigkeit in dem Sinne aufweisen muss, dass der Betroffene nicht damit rechnen muss, jederzeit auch in diesem Gebiet wieder die Verfolgung, vor der er flüchtete, erwarten zu müssen (VwGH 21.3.2002, Zl. 99/20/0401, in diesem Sinne auch VwGH 19.2.2004, Zl. 2002/20/0075; VwGH 24.6.2004, Zl. 2001/20/0420).

 

Ebenso muss das sichere Gebiet für den Betroffenen erreichbar sein, ohne jenes Gebiet betreten zu müssen, in welchem er Verfolgung befürchtet bzw. muss im Rahmen der Refoulementprüfung feststehen, dass eine Abschiebung in dieses sichere Gebiet möglich ist (VwGH 26.6.1997, Zl.95/21/0294; in diesem Sinne auch VwGH 11.6.1997, Zl. 95/21/0908, 6.11.1998, Zl. 95/21/1121; VwGH 21.11.2002, 2000/20/0185; VwGH 10.6.1999, 95/21/0945, ähnlich VwGH 17.2.2000, 9718/0562).

 

Darüber hinaus muss es dem Asylsuchenden auch möglich sein müsse, seine politischen oder religiösen Überzeugungen, sowie seine geschützten Merkmale beizubehalten (VwGH 19.12.2001, 98/20/0299).

 

Zum Wesen und den Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative siehe weiters: UNHCR, Richtlinie zum internationalen Schutz: "Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative" im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 23.07.2003, HCR/GIP/03/04; Artikel 8 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, Amtsblatt der Europäischen Union L 304 vom 30.09.2004 (Qualifikations- oder Statusrichtlinie) und § 11 AsylG 2005 (bei der Prüfung des "internen Schutzes" geht es nicht mehr um die Frage, ob im Zeitpunkt der Flucht innerhalb des Herkunftsstaates interne Schutzzonen als Alternative zur Flucht bestanden haben, sondern darum, ob im Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a) der Richtlinie) derartige Zonen, also interne Schutzzonen, nicht mehr als Alternative zur Flucht, sondern als Alternative zum internationalen Schutz bestehen), sowie Herzog-Liebminger, Die innerstaatliche Fluchtalternative, 69 bis

114.

 

Speziell zur Türkei führte der VwGH aus, dass für Kurden aus dem Osten der Türkei z. B. in Istanbul eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen kann (vgl. z. B. VwGH 5.6.1996, Z. 95/20/0394, 24.10.1996, 95/20/0560, 19.6.1997, 95/20/0782, siehe aber auch VwGH 21.11.1996, 95/20/0577).

 

Im gegenständlichen Fall liegt - bei hypothetischer Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers - eine Verfolgung durch nichtstaatliche Organe, nämlich durch die Familie des Beschwerdeführers, vor (dazu sogleich unten 3.1.5.). Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen Mann von knapp 27 Jahren, welcher mobil und arbeitsfähig ist sowie bereits in der Vergangenheit längere Zeit außerhalb seines Heimatortes (und zwar in Istanbul) lebte und in der Lage war, außerhalb seines Heimatortes sein Leben zu meistern. Auch geht aus dem Akteninhalt (mangels eines gegenteiligen, konkreten Vorbringens) hervor, dass der Beschwerdeführer dort unbehelligt lebte. Weder aus dem Vorbringen noch aus den sonstigen Ermittlungen ergeben sich irgendwelche Hinweise, dass der Beschwerdeführer beispielsweise in Istanbul nicht dauerhaft sicher wäre. Weder stellt der Beschwerdeführer eine dort eine besonders exponierte Persönlichkeit dar, noch liegen hinweise vor, dass dessen Onkel über irgendwelche qualifizierte logistische Instrumentarien verfügen würde, den Beschwerdeführer etwa in Istanbul, einer Stadt mit mehr als 10 Mio. Einwohnern, ausfindig zu machen. Aufgrund der Vielzahl der Einreisemöglichkeiten in die Türkei auf dem Land-, Wasser- und Luftweg ist es dem Beschwerdeführer ebenfalls möglich etwa nach Istanbul einzureisen, ohne jenes Gebiet betreten zu müssen, in dem er befürchtete Verfolgung behauptet.

 

3.1.5. Wiederum - unter hypothetischer Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens - läge - wie bereits erwähnt - eine Verfolgung durch nichtstaatliche Organe vor.

 

Auch eine nichtstaatliche Verfolgung kann unter gewissen Voraussetzungen asylrelevant sein, nämlich dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Mit der Frage der Schutzfähigkeit hat sich der VwGH im Erkenntnis vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, beschäftigt. Er hat dort ausgesprochen, dass es im Ergebnis letztlich darauf ankommt, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichende - Nachteils aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH E vom 06.03.2001, Zl. 2000/01/0056, vgl. auch VwGH E vom 04.04.2001, Zl. 2000/01/0301).

 

Das Erfordernis des kausalen Zusammenhangs mit einem Konventionsgrund ist dann erfüllt, (1) wenn entweder eine echte Gefahr von Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur aus Motiven, die in Beziehung zu einem der Konventionsgründe stehen, gegeben ist, gleichgültig, ob die Unterlassung von Schutz durch den Staat mit dem Abkommen in Verbindung steht oder nicht, oder (2) wenn das Verfolgungsrisiko durch einen nichtstaatlichen Akteur in keiner Beziehung zu einem Konventionsgrund steht, der Staat jedoch aus einem Konventionsgrund außerstande oder nicht bereit ist, Schutz zu bieten (vgl. UNHCR, RICHTLINIEN ZUM INTERNATIONALEN SCHUTZ:

"Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge).

 

Im gegenständlichen Fall könnte dem Beschwerdeführer laut seinen Angaben (bei hypothetischer Wahrunterstellung des Vorbringens) Verfolgung durch Private wegen der "Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe", hier namentlich seiner Familie im Konnex mit Blutrache, drohen, sodass grundsätzlich der notwendige Zusammenhang mit einem Konventionsgrund gegeben erscheint.

 

Im vorliegenden Fall wurde jedoch vom Beschwerdeführer nicht konkret und substantiiert dargetan, dass ihn die Polizei im Falle seiner Rückkehr in die Türkei nicht schützen würde, und entspricht es auch nicht dem Amtswissen bzw. geht aus den seitens der Erstbehörde getroffenen Länderfeststellungen nicht hervor, dass dem Beschwerdeführer polizeilicher Schutz verweigert werden würde.

 

Die Aussage des Beschwerdeführers, sich deshalb nicht an die Polizei oder andere Behörden gewandt zu haben, weil seine Onkeln nie zugeben würden, dass sie Blutrache fordern, kann dies nicht entkräften, zumal er sich ja auch wegen der allgemeinen Furcht vor seinen Onkeln - ohne deren Motiv zu erwähnen - an die Behörden hätte wenden können. Es wäre dem Beschwerdeführer daher zumutbar gewesen, sich an die staatlichen Behörden zu wenden.

 

Rein hypothetisch betrachtet - ohne hierdurch den behaupteten ausreiskausalen Sachverhalt als glaubwürdig werten zu wollen - wäre es sohin dem Beschwerdeführer auch möglich und zumutbar, sich im Falle der behaupteten Bedrohungen an die türkischen Sicherheitsbehörden zu wenden, welche willens und fähig wären, ihm Schutz zu gewähren.

 

Auch wenn ein solcher Schutz (so wie in keinem Staat auf der Erde) nicht lückenlos möglich ist, stellen die vom Beschwerdeführer befürchteten Übergriffe in der Türkei offensichtlich amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und andererseits existieren in der Türkei Behörden welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben (vgl. hierzu auch die Ausführungen des VwGH im Erk. vom 8.6.2000, Zahl 2000/20/0141 zu den Voraussetzungen der Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des türkischen Staates; Im soeben zitierten Erk. führte dieser weiter aus: "Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem die Gewährung von Asyl an einen algerischen Staatsangehörigen betreffenden Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256, ausgesprochen, dass mangelnde Schutzfähigkeit des Staates nicht bedeute, dass der Staat nicht mehr in der Lage sei, seine Bürger gegen jedwede Art von Übergriffen durch Dritte präventiv zu schützen, sondern dass mangelnde Schutzfähigkeit erst dann vorliege, wenn eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung "infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt" nicht abgewendet werden könne (wobei auf die hg. Erkenntnisse vom 7. Juli 1999, Zl. 98/18/0037, und vom 6. Oktober 1999, Zl. 98/01/0311, Bezug genommen wird). Dies sei dann der Fall, wenn für einen von dritter Seite Verfolgten trotz des staatlichen Schutzes der Eintritt eines - entsprechende Intensität erreichenden - Nachteiles mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei.

 

Die belangte Behörde leitete aus dem Umstand, dass der türkische Staat bereits die Androhung einer schweren und rechtswidrigen Schadenszufügung strafgerichtlich verpöne, jedenfalls aber eine mit dem Motiv der Blutrache begangene Tötung mit der [Anm: nunmehr in der Türkei nicht mehr angewandten] Todesstrafe bedrohe, die nicht unschlüssige Folgerung ab, dass der türkische Staat gewillt sei, den erforderlichen Schutz zu gewähren. Nach den Feststellungen der belangten Behörde hat der türkische Staat sowohl den Willen als auch die Fähigkeit, den Beschwerdeführer vor den Gefahren einer befürchteten Blutrache ausreichend zu schützen. Die Beschwerde hält dem Argument, der Beschwerdeführer hätte bei staatlichen Stellen Schutz vor Verfolgung finden können, lediglich entgegen, dass ein einmal gegebenes Versprechen, für eine getötete, nahe stehende Person Blutrache zu verüben, nicht einfach wieder zurückgenommen werden könne. Das Versprechen, Blutrache zu üben, binde - nach islamischer Weltanschauung - jene Person, die das Versprechen abgegeben habe, und keine wie auch immer geartete Strafdrohung könne eine die Vollziehung der Blutrache versprechende Person von der Ausübung ihrer nunmehrigen "Pflicht" abschrecken. Der Vollzug der versprochenen Blutrache werde zur Lebensaufgabe des Versprechenden. Es erscheine nicht möglich, sich unter den Schutz des türkischen Staates zu stellen, weil der Beschwerdeführer rund um die Uhr bis zu seinem Lebensende vom türkischen Staat beschützt werden müsste. Der türkische Staat habe weder die finanziellen Mitteln noch ein Interesse an einem solchen Personenschutz.

 

... Die belangte Behörde hat ...klar zum Ausdruck gebracht, dass sie von einer ausreichenden Schutzgewährung durch den türkischen Staat ausgehe und sie hat den Beschwerdeführer erfolglos aufgefordert, Beweismittel vorzulegen, die diese Annahme erschüttern könnten .... Staatliche Schutzgewährung ist um so eher zu erwarten, als es sich bei den mutmaßlichen Verfolgern um verhältnismäßig leicht auszuforschende Verwandte des vom Beschwerdeführer widerrechtlich Getöteten handeln würde. Der Beschwerdeführer hat überdies nicht einmal den Versuch unternommen, etwa durch Anzeige im Sinne des Art. 191 des türkischen Strafgesetzbuches staatlichen Schutz vor möglicher Blutrache in Anspruch zu nehmen. Es ist auch nicht offenkundig, dass der Beschwerdeführer der von ihm behaupteten Gefahr in der gesamten Türkei ausgesetzt wäre und ihm daher keine Möglichkeit offen stünde, innerhalb seines Heimatstaates einen sicheren Aufenthaltsort zu finden.").

 

Die bloße Möglichkeit, dass staatlicher Schutz nicht rechtzeitig gewährt werden kann, vermag eine gegenteilige Feststellung nicht zu begründen, solange nicht von der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit der Nichtgewährung staatlichen Schutzes auszugehen ist. Dass dem Beschwerdeführer staatlicher Schutz verweigert werden würde, kann unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände sohin nicht festgestellt werden.

 

3.1.6. Weiters festzuhalten ist, dass die Asylentscheidung ihrem Wesen nach eine Prognoseentscheidung ist und auf eine in der Zukunft (für den Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat) bestehende Verfolgungsgefahr (Furcht vor Verfolgung) gerichtet ist (vgl. Putzer/Rohrböck, Leitfaden Asylrecht, Rz 28).

 

Nachdem der Beschwerdeführer selbst vorgebracht hat, dass der Onkel, welcher ihn unter Druck gesetzt habe, mittlerweile verstorben sei und er daher nicht genau wisse, was er befürchte, kann ebenfalls nicht von einer Glaubhaftmachung einer Verfolgungsgefahr ausgegangen werden. Dass ihm auch seitens anderer Verwandter Gefahr drohe, wurde lediglich unsubstantiiert behauptet. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren eine Abschrift aus dem Einwohnerregister vorlegt hat, welche am 07.06.2006 ausgestellt sowie vom Bruder des Beschwerdeführers, also einem Mitglied der von ihm angeblich gefürchteten eigenen Familie, beantragt worden ist.

 

3.1.7. Es haben sich somit in einer Gesamtschau aus dem erstinstanzlichen Vorbringen des Beschwerdeführers und auch aus der gesamten Beschwerdeschrift keine substantiierten und konkreten Ausführungen ergeben, welche die schlüssige Beweiswürdigung der Erstbehörde entkräften oder in Zweifel ziehen hätten können, weshalb sich der Asylgerichtshof dadurch nicht zu weiteren Erhebungsschritten und insbesondere auch nicht zur Abhaltung einer mündlichen Verhandlung veranlasst sieht; dies insbesondere auch unter dem Aspekt des insgesamt mängelfreien und umfassenden Verfahrens des Bundesasylamtes.

 

3.1.8. Der Beschwerdeführer war in der Vergangenheit auch keinen wie immer gearteten eingriffsintensiven Verfolgungshandlungen ausgesetzt und ist er überdies vor seiner Ausreise aus der Türkei nicht aus politischen oder ethnischen, rassischen oder religiösen Gründen ins Blickfeld der Behörden geraten ist. Dass der Antragsteller auf Grund seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu befürchten hat, wurde nicht vorgebracht.

 

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Zugehörigkeit eines Asylwerbers zu einer ethnischen oder religiösen Volksgruppe allein sowie deren schlechte allgemeine Situation nicht geeignet ist, eine Asylgewährung zu rechtfertigen (vgl. VwGH 23.05.1995, 94/20/0816). Das Asylgesetz verlangt vielmehr die begründete Furcht vor einer konkret gegen den Asylwerber selbst gerichteten Verfolgungshandlung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen. Nachteile, welche auf die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Lebensbedingungen in einem Staat zurückzuführen sind, und jeden treffen können, der dort lebt, stellen keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes dar.

 

3.1.9. Auch das Vorliegen eines Nachfluchtgrundes ist im gegenständlichen Fall zu verneinen. Nach den seitens der Erstbehörde getroffenen Feststellungen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass türkische Staatsangehörige kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären.

 

Der Asylgerichtshof gelangt daher - wie schon das Bundesasylamt - zur Ansicht, dass der Beschwerdeführer keine konkret gegen ihn selbst gerichteten oder von ihm zu befürchtenden asylrelevanten Verfolgungshandlungen glaubhaft vorzubringen vermochte und war ihm daher kein Asyl zu gewähren war.

 

3.2. Zu Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides ist wie folgt auszuführen:

 

3.2.1. Zunächst ist auf die Erkrankung des Beschwerdeführers einzugehen (laut seinen Angaben ein Leistenbruch), bezüglich welcher er sich unmittelbar nach seiner Einreise nach Österreich einer Operation unterzogen hat.

 

Laut seinen eigenen Angaben anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 11.10.2007 fühle er sich gesund, sei jedoch - aufgrund einer schlechten Heilung - noch ein kleinerer operativer Eingriff wegen einer Lymphfistel erforderlich, welcher laut vorgelegten Dokumenten für den 23.10.2007 terminisiert war.

 

Mangels eines gegenteiligen Vorbringens bzw. gegenteiliger nachgereichter ärztlicher Befundberichte ist davon auszugehen, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers wieder hergestellt ist bzw. er jedenfalls keiner akuten Behandlungsbedürftigkeit in Österreich bedarf und auch keine schwere, lebensbedrohende Erkrankung gegeben ist. Würde beim Beschwerdeführer nämlich tatsächlich in Österreich einer dringenden Behandlungs-bedürftigkeit wegen einer schweren Erkrankung bestehen, so könnte wohl davon ausgegangen werden, dass er diese im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht dem Asylgerichtshof mitgeteilt bzw. entsprechende ärztliche Befundberichte in Vorlage gebracht hätte.

 

Wie die Erstbehörde weiters zutreffend dargelegt hat, ist auch die medizinische Grundversorgung in der Türkei garantiert, wenngleich die öffentlichen Krankenhäuser - in Gegensatz zu privaten Einrichtungen - westliche Standards nicht erreichen.

 

Dass der Beschwerdeführer an einer schweren Erkrankung leidet, welche der Türkei nicht behandelbar ist oder dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im Falle einer Abschiebung in die Türkei in signifikanter Weise eine Verschlechterung erfahren würde, kann nicht festgestellt werden.

 

Der Beschwerdeführer leidet sohin unter keiner Erkrankung, welche ein Abschiebehindernis im Sinne von Artikel 3 EMRK darstellen würde.

 

Darüber hinaus ist auszuführen:

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung in den Iran nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohte.

 

Hiezu ist zunächst klarzustellen, dass eine schwere Krankheit des Beschwerdeführers im Verfahren keinesfalls hervorgekommen ist.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf die jüngste diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR zur Frage einer ausreichenden medizinischen Behandlung in Zusammenhang mit Art. 3 EMRK zu verweisen:

 

AYEGH v Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05

 

KARIM v Schweden, 04.07.2006, Rs 24171/05

 

PARAMASOTHY v NIEDERLANDE, 10.11.2005, Rs 14492/03

 

RAMADAN & AHJREDINI v Niederlande, 10.11.2005, Rs 35989/03

 

HUKIC v Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05

 

OVDIENKO v Finnland, 31.05.2005, Rs 1383/04

 

AMEGNIGAN v Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04

 

NDANGOYA v Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03

 

Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich folgende Judikaturlinien:

 

Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland, und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. In der Entscheidung HUKIC v Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05 wurde die Abschiebung des am Down-Syndrom leidenden Beschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina für zulässig erklärt und wurde ausgeführt, dass die Möglichkeit der medizinischen Versorgung in Bosnien-Herzegowina gegeben sei. Dass die Behandlung in Bosnien-Herzegowina nicht den gleichen Standard wie in Schweden aufweise und unter Umständen auch kostenintensiver sei, sei nicht relevant. Notwendige Behandlungsmöglichkeiten wären gegeben und dies sei jedenfalls ausreichend.

 

Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. Auch Selbstmordabsichten hindern eine Abschiebung für sich genommen nicht. In der Beschwerdesache OVDIENKO v Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und der selbstmordgefährdet ist, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes ¿real risk'. In AYEGH v Schweden vom 07.11.2006 betonte der EGMR auch den Umstand, dass ein schlechter Gesundheitszustand durch die unsichere Lage im Aufenthaltsstaat und die Angst vor Abschiebung in den Iran bedingt sei; die (damit in Zusammenhang stehende) erklärte Selbstmordabsicht hindert die Abschiebung nicht, anderes kann gelten, wenn der/die Betreffende bereits längerer Zeit in stationärer psychiatrischer Behandlung ist. Die zuständigen Behörden müssen sich vor dem unmittelbaren Vollzug noch einmal von der Überstellungsfähigkeit überzeugen und geeignete Maßnahmen treffen, um einen Suizid zu verhindern (siehe auch KARIM v Schweden).

 

Auch Abschiebungen psychisch kranker Personen nach mehreren Jahren des Aufenthalts im Aufenthaltsstaat können in Einzelfällen aus öffentlichen Interessen zulässig sein (vgl PARAMSOTHY v Niederlande, 10.11.2005, Rs 14492/05; Mit diesem Judikat des EGMR wurde präzisiert, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach 9jährigem Aufenthalt in den Niederlanden, welcher unter posttraumatischem Stresssyndrom leidet und bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hat, zulässig ist, da spezielle Programme für Behandlungen von traumatisierten Personen und verschiedene therapeutische Medizin in Sri Lanka verfügbar sind, auch wenn sie nicht den selben Standard haben sollten wie in den Niederlanden.)

 

In der Entscheidung RAMADAN & AHJREDINI v Niederlande vom 10.11.2005, Rs 35989/03 wurde die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Mazedonien für zulässig erklärt wurde, da Psychotherapie eine gängige Behandlungsform in Mazedonien ist und auch verschiedene therapeutische Medizin verfügbar ist, auch wenn sie nicht dem Standard in den Niederlanden entsprechen möge.

 

In KARIM v Schweden erkannte der EGMR, dass in Bangladesch ausreichende Behandlungsmöglichkeiten für traumatisierte Personen, respektive Opfer von Folter bestünden. Bei erheblichen finanziellen Kosten solcher Behandlungen kann es darauf ankommen, ob diesbezüglich Unterstützung durch den Familienverband möglich ist.

 

In der Beschwerdesache AMEGNIGAN v Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04, stellte der EGMR fest, dass in Togo eine grundsätzliche adäquate Behandlung der noch nicht ausgebrochenen AIDS-Erkrankung gegeben ist und erklärte die Abschiebung des Beschwerdeführers für zulässig.

 

Schließlich sprach der EGMR in der Beschwerdesache NDANGOYA v Schweden, 22.06.2004, Nr. 17868/03, aus, dass in Tansania Behandlungsmöglichkeiten auch unter erheblichen Kosten für die in 1-2 Jahren ausbrechende AIDS-Erkrankung des Beschwerdeführers möglich ist; es sind auch familiäre Bezüge gegeben, weshalb die Abschiebung für zulässig erklärt wurde.

 

Die beiden letztgenannten Entscheidungen beinhalten somit, dass bei körperlichen Erkrankungen im allgemeinen (sofern grundsätzliche Behandlungsmöglichkeiten bestehen; bejaht zB für AIDS in Tansania sowie Togo und für Down-Syndrom in Bosnien-Herzegowina) nur Krankheiten im lebensbedrohlichen Zustand relevant sind.

 

Die soeben dargestellten Judikaturlinie des EGMR hat seitens des Verfassungsgerichtshofes erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 06.03.2008, B 2400/07- 9 Bestätigung gefunden und hat dieser daraus abgeleitet, dass "im allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist."

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes kann es sohin nur bei Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK kommen, wogegen es unerheblich ist, dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich, oder kostenintensiver ist. (Mit Erkenntnis des VfGH vom 06.03.2008, B 2400/07-9 hat dieser die Beschwerde hinsichtlich der Überstellung eines Russischen Staatsangehörigen nach Polen mit Traumavorbringen samt psychiatrischen Gutachten abgelehnt. Begründung: UBAS habe klare Feststellungen zur medizinischen Behandlung von Traumatisierten in Polen getroffen, auf die Aufnahmerichtlinie verwiesen, welche auch Polen anzuwenden hat und welche für die Mitgliedstaaten die Pflicht der ausreichenden medizinischen Versorgung statuiert.)

 

Im Lichte dieser Rechtsprechung des EGMR (siehe auch jüngst in einer teilweise vergleichbaren Konstellation wie im vorliegenden Fall EGMR GONCHAROVA/ALEKSEYTSEV v Schweden vom 03.05.2007, Rs 31246/&06) ist zusammenfassend festzuhalten, dass es nicht erforderlich ist, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in der Türkei denselben Standard haben müssen wie etwa in Deutschland bzw. Österreich.

 

Durch eine Abschiebung des Beschwerdeführers wird Art. 3 EMRK nicht verletzt und reicht es jedenfalls aus, wenn medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Land der Abschiebung verfügbar sind, was in der Türkei jedenfalls der Fall ist. Dass die Behandlung in der Türkei den gleichen Standard wie in Österreich aufweist oder unter Umständen auch kostenintensiver ist, ist nicht relevant.

 

Selbst wenn der Beschwerdeführer aufgrund einer allfälligen Behandlung aufgrund der Ausgestaltung des Gesundheitswesens in der Türkei mit erheblichen finanziellen Belastungen zu rechnen hätte - was im gegenständlichen Fall grundsätzlich nicht anzunehmen ist -, kann unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK kein wesentlicher Aspekt erblickt werden.

 

Im gegenständlichen Fall mag es zwar sein, dass die Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat hinter denen in Österreich zurückbleiben, aufgrund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens ist jedoch bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen festzustellen, dass hierdurch im gegenständlichen Fall die vom EGMR verlangten außerordentlichen Umstände nicht gegeben sind (vgl. hierzu insbesondere auch weiters Urteil des EGMR vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599, Case of Bensaid v. The United Kingdom oder auch VwGH v. 7.10.2003, 2002/01/0379).

 

Aus dem Umstand, dass sich der Beschwerdeführer in den Jahren 2006 und 2007 in Österreich zwei Operationen unterzogen hat und womöglich auch eine medikamentöse Behandlung bzw. eventuell auch eine abermalige Operation in Zukunft wieder erforderlich sein könnte, ergibt sich sohin kein Abschiebehindernis.

 

3.2.2. Schließlich ist noch auszuführen, dass in der Türkei weder grobe, massenhafte Menschenrechtsverletzungen unsanktioniert erfolgen, noch nach den seitens der Erstbehörde getroffenen Feststellungen von einer völligen behördlichen Willkür auszugehen ist, ist auch kein "real Risk" (dazu jüngst VwGH vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582) einer unmenschlichen Behandlung festzustellen. Daher ist es auch dem Beschwerdeführer als jungen gesunden und arbeitsfähigen Mann zuzumuten zurückzukehren, ohne dass ein reales Risiko einer Verletzung von Art. 3 EMRK bestünde. Besondere Umstände (zB schwere Krankheit, entsprechend der Judikatur des EGMR), die ausnahmsweise gegen eine Rückkehr sprechen würden, sind im vorliegenden Verfahren nicht hervorgekommen. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung in die Türkei dort die notdürftigste Lebensgrundlage fehlte. Zudem leben auch noch seine Mutter und einige seiner Geschwister in der Türkei und ist sohin auch ein soziales Netz gegeben. Aus den seitens der Erstbehörde getroffenen Länderfeststellungen ergibt sich auch, dass die Grundversorgung der Bevölkerung in der Türkei sehr wohl gesichert ist. Der Beschwerdeführer war - laut seinen eigenen Angaben - vor seiner Ausreise aus der Türkei in der Lage, seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu bestreiten und ist nicht ersichtlich, warum ihm eine Existenzsicherung in seinem Heimatland nicht zumutbar sein sollte, wie es auch vor der Ausreise möglich war.

 

Er ist gesund und arbeitsfähig und ist daher davon auszugehen, dass er ohne jedes substantiierte Vorbringen nicht als im Sinne der EMRK gefährdet anzusehen ist.

 

Darüber hinaus ist noch festzuhalten, dass er in Österreich von seinen beiden Schwestern finanziell unterstützt wird und nicht ersichtlich ist, warum eine derartige Unterstützung nicht auch nach seiner Rückkehr in die Türkei möglich sein sollte.

 

Wiederum ist festzuhalten, dass zum Entscheidungszeitpunkt keine Umstände notorisch sind, aus denen sich eine ernste Verschlechterung der allgemeinen (alle unterschiedslos treffenden) Sicherheitslage oder der wirtschaftlich-sozialen Lage in der Türkei ergeben würde; auch hiezu ist seitens des Beschwerdeführers in der Beschwerde kein konkretes Vorbringen erfolgt.

 

Ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG liegt somit nicht vor und war daher auch die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II abzuweisen.

 

3.3. Zu Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides:

 

3.3.1. Gemäß § 10 Abs.1 Ziffer 2 AsylG ist die Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Der Gesetzgeber beabsichtigt durch die zwingend vorgesehen Ausweisung von Asylwerbern eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung im Inland von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern (VfGH 17.03.2005, G 78/04 ua.).

 

Nach Abs. 2 dieser Bestimmung sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt - Anhaltspunkte dafür sind jedoch im bisherigen Verfahren nicht hervorgekommen - oder diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würde.

 

Nach Abs. 3 dieser Bestimmung idF BGBl I Nr. 75/2007 ist dann, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

 

Nach Abs. 4 dieser Bestimmung gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

 

Ob ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung ("the real existence in practice of close personal ties") gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind (vgl. VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423, sowie Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 2005³, S. 282ff). Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen: die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07; 12.06.2007, B 2126/06; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423; 17.12.2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention², 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 2005³, S. 282ff).

 

Während das Recht auf Achtung des Privatlebens die gesamte individuelle Persönlichkeitssphäre des Betroffenen, also auch die Gesamtheit seiner äußeren privaten und geschäftlichen Beziehungen umfasst, schützt das Recht auf Achtung des Familienlebens die Beziehungen von Familienmitgliedern untereinander. Der Begriff der Familie wird in der Rechtsprechung weit verstanden, und geht über den Begriff der Kernfamilie (Eltern-Kind) hinaus, wobei als maßgebliches Kriterium die Beziehungsintensität bzw. die Intensität des Zusammenlebens oder der gegenseitigen Unterstützung erachtet wird, sodass u.U. auch die Beziehungen zwischen Geschwistern, zwischen Großeltern und deren Enkeln, zu Onkel und Tanten, etc. umfasst sein können. Eingriffe in das Recht auf Familienleben erfolgen u.U. (auch) durch aufenthaltsbeendende Maßnahmen, sofern "familiäre" Beziehungen, die im Inland bestehen, durch diese Maßnahmen dauerhaft unterbrochen werden.

 

Eingriffe in die durch Art. 8 EMRK zu schützenden Rechte von Betroffenen sind iSd Judikatur des VfGH rechtswidrig, wenn u.a. eine Vollzugsbehörde bei Erlassung des Bescheides, mit dem ein solcher Eingriff bewirkt wird, eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat. Dies ist etwa der Fall, wenn die Behörde der angewendeten Norm fälschlicher Weise einen dem Art. 8 Abs. 1 EMRK widersprechenden und durch dessen Abs. 2 nicht gedeckten, somit verfassungswidrigen Inhalt unterstellt.

 

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen in diesem Sinne ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls im Detail einzugehen, wobei eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vor allem im Bereich der fremdenrechtlichen bzw. aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorzunehmen ist.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. hierzu zuletzt: Chvosta, in ÖJZ 2007/74, und die dort zitierte Judikatur).

Dabei sind maßgeblich u.a. zu berücksichtigen: Beginn, Dauer und Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden; Art und Intensität der familiären Bindungen und die Folgen ihrer Beeinträchtigung, in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit der Fortführung des Familienlebens im Herkunftsstaat bzw. demgegenüber rechtliche Hindernisse dafür oder die Unzumutbarkeit dessen für die Betroffenen; Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung o.ä. manifestiert; Bindungen zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung / Resozialisierung des Betroffenen bzw. die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht;

Erwägungen hinsichtlich dessen, ob das Privat- und Familienleben des Betroffenen im Inland zu einem Zeitpunkt entstand, an dem sich dieser seines unsicheren / ungewissen Aufenthaltsstatus bewusst war;

(sonstige) Erfordernisse der öffentlichen Ordnung.

 

Der Asylgerichtshof hat daher eine Abwägung der betroffenen individuellen Interessen des Beschwerdeführers sowie der betroffenen öffentlichen Interessen zueinander iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK zu treffen, wobei vorauszuschicken ist, dass die Ausweisung jedenfalls der innerstaatlichen Rechtslage nach einen gesetzlich zulässigen Eingriff darstellt.

 

3.3.2. Die Erstbehörde ist zwar davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer über kein schützenswertes Familienleben in Österreich verfügt, zumal er lediglich abwechselnd mit einer seiner beiden erwachsenen Schwestern zusammenlebt.

 

Dies ist zwar insofern zu relativieren, als auch Beziehungen zwischen erwachsenen Geschwistern (vgl. VwGH 22.08.2006, 2004/01/0220, mwN; 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723-8), Cousinen (VwGH 15.01.1999, 97/21/0778; 26.6.2007, 2007/01/0479), Onkeln bzw. Tanten und Neffen bzw. Nichten dann als Familienleben geschützt sind, wenn eine "hinreichend starke Nahebeziehung" besteht. Nach Ansicht der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist für diese Wertung insbesondere die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung (vgl. VfSlg 17.457/2005). Dabei werden vor allem das Zusammenleben und die gegenseitige Unterhaltsgewährung zur Annahme eines Familienlebens iSd Art 8 EMRK führen, soweit nicht besondere Abhängigkeitsverhältnisse, wie die Pflege eines behinderten oder kranken Verwandten, vorliegen.

 

Der Beschwerdeführer lebte in Österreich zunächst im gemeinsamen Haushalt mit einer seiner beiden Schwestern zusammen. Laut ZMR-Auskunft lebt er seit einigen Monaten im gleichen Haushalt wie seine andere Schwester. Beide Schwestern verfügen über Aufenthaltstitel in Österreich. Der Beschwerdeführer wird laut eigenen Angaben neben Kost und Logis auch mit Taschengeld von seinen Schwestern unterstützt. Eine darüber hinausgehende besondere Beziehungsintensität oder ein sonstiges besonderes Abhängigkeitsverhältnis wurden nicht vorgebracht. Auch handelt es sich beim Beschwerdeführer nicht um eine Person von erhöhter Vulnerabilität, sodass eine Abhängigkeit, bspw. durch Pflege und Betreuung, seitens der Schwestern gegeben wäre. Die Ausweisung des Beschwerdeführers stellt im gegen-ständlichen Fall keine Verletzung des Familienlebens im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellt. Dies umso mehr, als enge Mitglieder seiner Familie (Mutter, zwei Schwestern) nach wie vor in der Türkei leben.

 

Darüber hinaus gelangt man auch im Rahmen einer Abwägung iSd Art 8 Abs 2 EMRK (siehe unten Punkt 3.3.4.) zur Zulässigkeit der Ausweisung, wobei vorauszuschicken ist, dass die Ausweisung jedenfalls der innerstaatlichen Rechtslage nach einen gesetzlich zulässigen Eingriff darstellt.

 

3.3.3. Der Beschwerdeführer hat auch ein zu schützendes Privatleben in Form einer besonderen Integration zum Entscheidungszeitpunkt nicht behauptet, was aber jedenfalls - bei Änderung entscheidungsrelevanter Tatsachen - im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht im Verfahren erwartet werden kann. Denn gerade, wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt, besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 14.02.2002, 99/18/0199; VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279). Auch sonst ist kein relevantes Privatleben hervorgekommen.

 

Selbst wenn man aufgrund der Aufenthaltsdauer von (zum Entscheidungszeitpunkt) rund zwei Jahren und neun Monaten und allfälliger Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich zu seinen Gunsten ein schützenswertes Privatleben annehmen würde, käme man auch hier im Rahmen einer Abwägung iSd Art 8 Abs 2 EMRK (siehe sogleich unten Punkt 3.3.4.) zu einer Zulässigkeit der Ausweisung.

 

3.3.4. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle illegal nach Österreich ein. Er stellte hier einen unbegründeten Asylantrag, der vom Bundesasylamt nach rund 19 Monaten abgewiesen wurde. Zum Entscheidungszeitpunkt hält sich der Beschwerdeführer insgesamt circa zwei Jahre und neun Monate in Österreich auf. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang zentral auf VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger, auf die Stellung eines Asylantrages gestützter Aufenthalt im Bundesgebiet (regelmäßig) noch keine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat begründet. Zentral ist auch auf das jüngste Urteil des EGMR vom 8. April 2008, Nr. 21878/06 (NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich) zu verweisen, in welchem der EGMR im Rahmen der Interessensabwägung zum Ergebnis gelangt, dass grundsätzlich das öffentliche Interesse an einer effektiven Zuwanderungskontrolle bei erfolglosen Asylanträgen höher wiegen muss als ein während des Asylverfahrens begründetes Privatleben. Auch hat der Beschwerdeführer ein sonstiges besonderes Ausmaß an Integration im bisherigen Verfahren nicht dargetan.

 

Hinsichtlich des oben (3.3.2.) angeführten Familienlebens ist festzuhalten, dass es sich dabei n

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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