TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/19 E7 402015-1/2008

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Veröffentlicht am 19.11.2008
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Spruch

E7 402.015-1/2008-8E ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Vorsitzenden und Dr. Martin DIEHSBACHER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Daniela BÖHM über die Beschwerde des D.A., geb. am 00.00.1981, StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.09.2008, FZ. 92 12.811-BAT, in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Durchführung eines Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch: BF), ein Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und aus Dohuk im Nordirak stammend, reiste am 01.07.1992 gemeinsam mit seiner Mutter H. auch D.F., geb.00.00.1949, und seinen Geschwistern legal unter Verwendung eines Visums der ÖB Teheran über den Flughafen Wien-Schwechat in das Bundesgebiet ein. Sein Vater D.T., geb. 1945, war bereits zuvor nach Österreich eingereist und wurde diesem im Gefolge dessen mit Bescheid des Bundesministeriums f. Inneres vom 19.03.1991 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

 

Der Mutter des BF sowie ihren Kindern, u .a. dem BF, wurde im Weiteren ebenso mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.07.1992 gemäß § 3 AsylG 1991 Asyl gewährt.

 

2. Am 08.11.2007 wurde der BF wegen des Verdachts der Begehung der Delikte nach §§ 127, 143, 15 und 269 StGB, § 27 Abs. 1 SMG und § 50 WaffenG festgenommen.

 

Mit Urteil des LG für Strafsachen vom 00.00.2007 wurde er wegen der versuchten Vergehen nach § 27 Abs. 1 6.Fall, Abs. 2 Z. 2 1.Fall SMG iVm § 15 StGB, des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 1 StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB, des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, und des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z. 2 WaffenG rechtskräftig zu einer bedingten Haftstrafe von 10 Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

 

Mit Urteil des LG für Strafsachen vom 00.00.2008 wurde er vom Geschworenengericht wegen der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1 und 143 2.Fall StGB unter Bedachtnahme auf das oben genannte Urteil des LG f. Strafsachen vom 14.12.2007 zu einer zusätzlichen unbedingten Haftstrafe von acht Jahren verurteilt.

 

3. Mit 12.09.2008 wurde dem BF seitens des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, zur Kenntnis gebracht, dass aufgrund der oben genannten strafrechtlichen Verurteilung beabsichtigt sei ihm den Status des Asylberechtigten abzuerkennen und festzustellen, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme, und wurde er unter einem aufgefordert hierzu Stellung zu nehmen.

 

Mit Schreiben vom 18.09.2008 erstattete RA Dr. Andreas Duensing, 1010 Wien, eine Vollmachtsbekanntgabe an das BAA. Zugleich nahm dieser zur beabsichtigten Vorgangsweise des BAA insoweit Stellung, als er - zusammengefasst dargestellt - vorbrachte, daß das Strafverfahren, dem die Verurteilung vom 00.00.2008 folgte, wesentlich mangelhaft gewesen sei, zumal der BF aufgrund von Kriegsereignissen traumatisiert, deshalb suchtmittelabhängig und daher im Hinblick auf die ihm vorgeworfenen Straftaten zurechnungsunfähig gewesen sei. Auf der Grundlage eines ergänzenden psychologischen Gutachtens werde daher auch die Wiederaufnahme des Strafverfahrens angestrebt. Darüber hinaus sei unabhängig von dieser Frage die Schwere der strafrechtlichen Verurteilung des BF nicht ausreichend für eine Asylaberkennung. Schließlich würde dem BF im Falle einer Abschiebung in den Irak zum einen aus politischen Gründen und zum anderen wegen der inländischen strafrechtlichen Verurteilung im Zusammenhang mit Drogenvergehen die Todesstrafe drohen.

 

4. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.09.2008 unter oben genannter Zahl wurde dem BF in Spruchpunkt I gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 der mit Bescheid des BAA vom 07.07.1992 zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt. Unter einem wurde dem BF in Spruchpunkt II gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm zugleich in Spruchpunkt III eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis 30.09.2009 erteilt.

 

Im Gefolge der Wiedergabe des oben angeführten Verfahrensgangs sowohl im Asyl- als auch im Strafverfahren und unter Bezugnahme auf die Beweismittel der Unterlagen des Asylverfahrens, der Stellungnahme des Vertreters vom 19.09.2008 und der beiden Urteilausfertigungen des LG f. Strafsachen sowie des Tagesberichts der Gen.dir. f. öffentl. Sicherheit vom 00.00.2008 gelangte die belangte Behörde in ihrer Entscheidungsbegründung zur Feststellung, dass der BF die oben angeführte Identität besitze, er irakischer Staatsbürger kurdischer Abstammung und Moslem sei, dass er in oben dargestellter Form strafrechtlich verurteilt worden und im Gefolge dessen nunmehr in der JA in Strafhaft sei. Die aktuelle allgemeine Lage im Irak lasse demgegenüber die Feststellung eines realen Risikos einer unmenschlichen Behandlung (erg.: des BF) im Falle der Rückkehr in den Irak zu.

 

Im Weiteren traf die belangte Behörde - unter Bezugnahme auf eine Darstellung durch die Staatendokumentation auf der Grundlage verschiedener Informationsquellen - Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak, wobei sie u. a. zur Feststellung gelangte, dass es auch in der autonomen Region Kurdistan-Irak derzeit zu Auseinandersetzungen und Terroranschlägen komme.

 

In ihren rechtlichen Schlussfolgerungen führte die Behörde zu Spruchpunkt I unter Verweis auf § 7 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z. 4 AsylG 2005, die ihrerseits auf den Art. 33 Z. 2 GFK abstellen, aus, dass im Lichte der höchstgerichtlichen Judikatur folgende Kriterien als Voraussetzungen für eine Asylaberkennung in dieser Form anzusehen seien: Der Betroffene müsse wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden und zudem gemeingefährlich sein, und es müssten die öffentlichen Interessen an der Asylaberkennung das individuelle Interesse am Fortbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Ergänzend wurde ausgeführt, dass der dem § 6 Abs. 1 Z. 4 AsylG zugrunde liegende Begriff des "schweren Verbrechens" nicht jenem des österr. Strafgesetzes entspreche, sondern der Definition des Art. 33 Z. 2 GFK folge. Typischer Weise seien als solche die der Tötung, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, des Drogenhandels und bewaffneten Raubes anzusehen. Als "besonders schwere Verbrechen" wiederum seien strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, schwerste Eingriffe in die persönliche Freiheit sowie qualifizierte Formen der Schlepperei, die zu einer erheblichen Gefährdung, nicht unbedeutenden Verletzung oder gar Tötung oder zu erheblichen, mit Folter vergleichbaren Eingriffen in die Rechte des Geschleppten komme, schwerste Eingriffe in fremdes Vermögen, bedeutende gemeingefährliche Handlungen, schwerste Handlungen gegen die sexuelle Integrität eines Betroffenen und besonders schwere Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz anzusehen. Vor diesem Hintergrund sei nicht die Verwirklichung des vorgesehenen Straftatbestandes an sich, sondern der jeweilige Unwert einer Tat maßgeblich, und sei eine entsprechende Güterabwägung vorzunehmen.

 

Weiters setze die Feststellung, dass der Täter eine Gefahr für die Allgemeinheit des Aufenthaltslandes darstelle, eine Zukunftsprognose voraus, der wiederum das Gesamtverhalten des Täters zugrunde zu legen sei. Eine Gefahr für die Allgemeinheit impliziere wiederum eine Wiederholungsgefahr im Hinblick auf geschützte Rechtsgüter eines weiten Personenkreises.

 

Insgesamt müsse sich eine Straftat, die als "besonders schweres Verbrechen" zu qualifizieren sei, im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, dies unter Berücksichtigung besonderer Umstände, die ihr erst diese außerordentliche Schwere zukommen lassen. In diesem Zusammenhang sind zum einen auch etwaige Milderungsgründe einzubeziehen, zum anderen können auch im Hinblick auf die Beurteilung der Gefährlichkeit eines Täters Ereignisse miteinbezogen werden, die vor Verhängung der Haft gelegen sind, sodass es im Hinblick darauf zu einer umfassenden Zukunftsprognose kommen kann.

 

Vor diesem Hintergrund ist schließlich zuletzt eine Güterabwägung in dem Sinne durchzuführen, ob die Interessen des Zufluchtsstaates (erg.: an der Entziehung des individuellen Schutzes) jene des Betroffenen an der Beibehaltung dieses Schutzes überwiegen, was regelmäßig eine Klärung der eventuell drohenden individuellen Rückkehrgefährdung im Herkunftsstaat voraussetzt (vgl. VwGH v. 05.10.2007, 2007/20/0416).

 

Im Hinblick auf diese allgemeinen Ausführungen gelangte die Behörde im Weiteren zum Schluss, dass die oben zitierten Verurteilungen des BF die Feststellung rechtfertigen, dass der BF eine Gefahr für die Gemeinschaft iSd § 7 Abs. 1 Z. 1 AsylG bedeute. Sie stütze sich dabei auf die "wiederkehrend ausgeführten und von ihrer Intensität her sich steigernden und zunehmend gewalttätigen Straftaten" des BF, die die Annahme rechtfertigen, dass er derartige Delikte neuerlich begehen werde. Insbesondere stelle die einer früheren Verurteilung wegen Suchtmittel- und Eigentumsdelikten folgende weitere Verurteilung wegen "schweren (bewaffneten) Raubs" gem. § 143 2. Fall StGB ein entsprechend "besonders schweres Verbrechen" im oben dargestellten Sinne dar. Die im Zuge dessen verhängte Strafe von 8 Jahren Haft liege auch deutlich über der Mindeststrafe von 5 Jahren und wurde diese auch zur Gänze unbedingt ausgesprochen. Eine positive Zukunftsprognose sei in Anbetracht dessen nicht gerechtfertigt.

 

Aus diesen Erwägungen sei daher der Tatbestand des § 7 Abs. 1 Z. 1 AsylG als erfüllt anzusehen.

 

Im Hinblick auf Spruchpunkt II, mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, führte die Behörde aus, dass die derzeitige allgemeine Sicherheitslage im Irak die reale Gefahr einer Bedrohung im Sinne der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 AsylG rechtfertige, woraus die Zuerkennung dieses Status gem. § 8 Abs. 1 Z. 2 AsylG folge.

 

Die Zustellung des Bescheides erfolgte am 01.10.2008 zu Handen des Vertreters des BF.

 

5. Gegen diesen Bescheid erhob der rechtsfreundliche Vertreter des BF fristgerecht mit Schriftsatz vom 08.10.2008, zur Post gegeben am 14.10.2008, die Beschwerde an den Asylgerichtshof, mit der Spruchpunkt I des Bescheides bekämpft wurde, welche an die erstinstanzliche Behörde weitergeleitet und diese zugleich um Aktenvorlage ersucht wurde.

 

Neuerlich monierte im Zuge dessen der Vertreter des BF die Mangelhaftigkeit des Strafverfahrens gegen den BF aufgrund unzureichender Begutachtung des BF im Hinblick auf seine Zurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt. Ersterer habe deshalb zwischenzeitig ein privates Gutachten eines klinischen Psychologen in Auftrag gegeben und komme dieses, im Gegensatz zum neurologisch-psychiatrischen Gutachten im Strafverfahren, gerade zum Ergebnis, dass eine Zurechnungsfähigkeit des BF zum Tatzeitpunkt nicht gegeben gewesen sei. Ein darauf gestütztes Wiederaufnahmeverfahren sei bereits anhängig gemacht worden. Nachdem der BF seine Delikte wegen seiner Suchtmittelabhängigkeit begangen habe und bei entsprechender Abstinenz ein weiteres strafbares Verhalten wie in der vergangenen Form nicht mehr zu erwarten sei, sei auch die Prognose einer fortbestehenden Gefahr für die Allgemeinheit ausgehend vom BF nicht zutreffend. Die erstinstanzliche Behörde habe diese Umstände außer Acht gelassen und sich keinen persönlichen Eindruck vom BF gemacht um eine zutreffende Prognose erstellen können. Der BF sei daher auch in seinem Recht auf Parteigehör verletzt worden.

 

Die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wurde beantragt.

 

Eine Kopie des erwähnten psychologischen Gutachtens wurde beigelegt. Dieses kommt im Ergebnis zum Schluss, dass der BF vor dem Hintergrund der vom Gutachter explorierten Erfahrungen des BF an einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung in Folge von Folterung und Kriegsereignissen, andauernder Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung und psychischen sowie Verhaltensstörungen durch Abhängigkeit von Seditiva und Hypnotika leide, weshalb ein Schuldausschließungsgrund zur Tatzeit gem. § 11 StGB aus klinisch-psychologischer Sicht als begründet anzusehen sei.

 

II. Der Asylgerichtshof hat wie folgt erwogen:

 

1. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 tritt dieses mit 1. Jänner 2006 in Kraft, es ist damit auf alle Verfahren anzuwenden, die nach dem 31.12.2005 anhängig wurden, weshalb für das gg. Verfahren das AsylG 2005 maßgeblich ist.

 

Gemäß § 75 Abs. 5 AsylG 2005 gilt einem Fremden, dem am 31.12.2005 die Flüchtlingseigenschaft zukam, soweit es zu keiner Aberkennung oder keinem Verlust der Flüchtlingseigenschaft gekommen ist, der Status des Asylberechtigten als zuerkannt.

 

2. Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Der § 18 AsylG gibt vor, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm stellt eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung einer Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, dar.

 

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002). Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten der Asylgerichtshof das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062).

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann (nunmehr:) der Asylgerichtshof, sofern der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Absatz 3 dieser Bestimmung kann er jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbarer Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2002/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von ihm nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei (nunmehr) dem Asylgerichtshof die Rolle der Beschwerdeinstanz zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Diese Anordnungen des Gesetzgeber würden aber unterlaufen, wenn es wegen des weit reichenden Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor den Asylgerichtshof käme, weil das Bundesasylamt keine hinreichende Ermittlungstätigkeit führt und auch keine nachvollziehbaren Entscheidungen trifft. Die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen würde damit zur bloßen Formsache degradiert. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn der Asylgerichtshof, statt seine "umfassende" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Instanz ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies spricht insbesondere bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei ihm beginnen und zugleich - abgesehen von der beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch (im Wesentlichen nunmehr) den Verfassungsgerichtshof - bei ihm enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG (vgl. VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315).

 

3. Die belangte Behörde hat das erstinstanzliche Verfahren im vorliegenden Fall mit Mängeln belastet, die den Asylgerichtshof im Rahmen des gem. § 66 Abs. 2 AVG eingeräumten Ermessens zu einer kassatorischen Entscheidung veranlassten, wie im Folgenden darzulegen ist.

 

3.1. Vor dem Hintergrund des erstinstanzlichen Ermittlungsergebnisses führte die belangte Behörde im Rahmen ihrer Entscheidungsbegründung aus, dass unter Bedachtnahme auf die hierfür als relevant anzusehenden rechtlichen Maßstäbe im gg. Fall davon auszugehen sei, dass die Verurteilungen des BF die Feststellung rechtfertigen, dass dieser eine Gefahr für die Gemeinschaft iSd § 7 Abs. 1 Z. 1 AsylG bedeute. Sie stütze sich dabei auf die "wiederkehrend ausgeführten und von ihrer Intensität her sich steigernden und zunehmend gewalttätigen Straftaten" des BF, die die Annahme rechtfertigen, dass er derartige Delikte neuerlich begehen werde. Insbesondere stelle die einer früheren Verurteilung wegen Suchtmittel- und Eigentumsdelikten folgende weitere Verurteilung wegen "schweren (bewaffneten) Raubs" gem. § 143 2. Fall StGB ein entsprechend "besonders schweres Verbrechen" im oben dargestellten Sinne dar. Die im Zuge dessen verhängte Strafe von 8 Jahren Haft liege auch deutlich über der Mindeststrafe von 5 Jahren und wurde diese auch zur Gänze unbedingt ausgesprochen. Eine positive Zukunftsprognose sei in Anbetracht dessen nicht gerechtfertigt. Aus diesen Erwägungen sei daher der Tatbestand des § 7 Abs. 1 Z. 1 AsylG als erfüllt anzusehen, was zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten zu führen habe.

 

3.2. Vorweg ist im Hinblick darauf aus Sicht des Asylgerichtshofs festzustellen, dass diesen Erwägungen zwar in Anbetracht der Ausführungen der belangten Behörde auf S. 19 bis 20 ihres Bescheides eine nicht von vornherein als unrichtig anmutende, aber doch sehr verkürzte Beurteilung des Gesamtverhaltens des BF im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur, auf die zuvor ausführlich verwiesen wurde, zugrunde liegt (vgl. oben). Über die Bewertung der beiden Strafverfahren des BF, insbesondere das verhängte Strafmaß sowie die evidente Steigerung im Deliktverhalten des BF, hinaus findet sich nämlich in diesen Ausführungen keine Bezugnahme auf andere Umstände im persönlichen Bereich des BF, die im Sinne einer Gesamtbeurteilung mit einzubeziehen wären. Auffällig ist hierbei etwa der Umstand, dass der BF bereits 1992 in das Bundesgebiet einreiste und erste Straftaten erst 2007 gesetzt hat, wobei sich keinerlei Feststellungen zum Verlauf des dazwischen liegenden Aufenthalts des BF finden. Es ist zweifelhaft, inwieweit sich auf dieser Grundlage eine zutreffende Gesamtbeurteilung des BF und im Weiteren eine schlüssige Zukunftsprognose das weitere Verhalten des BF betreffend erstellen lässt. Das im Rahmen der Beschwerde vorgelegte klinisch-psychologische Gutachten enthält hierzu verschiedene Hinweise, die diese Überlegung unterstützen.

 

3.3. Besonders wesentlich ist aber aus Sicht des Asylgerichtshofs, dass vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Feststellungen zur Gefahr für die Allgemeinheit, die vom BF ausgehe, die auch aus Sicht der belangten Behörde letztlich erforderliche Güterabwägung in dem Sinne, ob die Interessen des Zufluchtsstaates (erg.: an der Entziehung des individuellen Schutzes) jene des Betroffenen an der Beibehaltung dieses Schutzes überwiegen, überhaupt nicht getroffen wurde, welche ihrerseits wiederum eine Klärung der Frage einer eventuell drohenden individuellen Rückkehrgefährdung im Herkunftsstaat voraussetzt (vgl. VwGH v. 05.10.2007, 2007/20/0416). Hier ist ebenso auf den Inhalt des psychologischen Gutachtens zu den persönlichen Schilderungen des BF in Verbindung mit den länderkundlichen Feststellungen der Erstbehörde zu verweisen.

 

In Anbetracht dessen, dass dieses Verfahrenselement also gänzlich fehlt, war das erstinstanzliche Verfahren mit einem entscheidungswesentlichen Mangel behaftet.

 

3.4. Wie oben dargestellt kann es nicht Sache der Beschwerdeinstanz sein - wie im gg. Fall - wesentlich mangelhaft gebliebene Ermittlungen nachzuholen und darauf aufbauende Feststellungen zu treffen um dadurch erst zu den erforderlichen Entscheidungsgrundlagen zu gelangen, und würde es darüber hinaus, sofern der Asylgerichtshof diese Vorgangsweise wählen würde, (mindestens) einer mündlichen Verhandlung nur zur Erörterung der Ermittlungsergebnisse bedürfen.

 

In Entsprechung der hg. Judikatur war daher in Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG die erstinstanzliche Entscheidung zu beheben und das Verfahren zur entsprechenden Ergänzung bzw. Korrektur des Ermittlungsverfahrens wie oben dargestellt an die erstinstanzliche Behörde zurückzuverweisen.

 

3.5. Im weiteren Verfahrensverlauf wird die erstinstanzliche Behörde darüber hinaus auch zu berücksichtigen haben, welchen Verlauf das vom Vertreter des BF angestrengte Wiederaufnahmeverfahren genommen hat und ob sich daraus abweichende Überlegungen für eine Beurteilung iSd § 7 AsylG 2005 aufdrängen. Auf das erwähnte psychologische Gutachten sowie das Beschwerdevorbringen in diesem Zusammenhang ist wiederum zu verweisen.

 

4. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs 7 AsylG iVm § 67d Abs 4 AVG unterbleiben.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
12.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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