D11 262002-0/2008/11E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter DDr. Markus GERHOLD als Vorsitzenden und den Richter MMag. Thomas E. SCHÄRF als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Andrea LECHNER über die Beschwerde der A.L., geb. am 00.00.1995, StA. Russland, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Juni 2005, FZ. 04 08.478- BAG, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und A.L. gem. § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF. BGBl. I Nr. 126/2002 Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997 wird festgestellt, dass A.L. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Sachverhalt und Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin gelangte am 22. April 2004 gemeinsam mit ihren Eltern und zwei Geschwistern unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet, die gesetzlichen Vertreter stellten für sie am selben Tag einen Asylantrag. Die Beschwerdeführerin gab an, J.L. zu heißen, russische Staatsangehörige, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig und am 00.00.1995 geboren zu sein. Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 28. April 2005 gab die Mutter der Beschwerdeführerin, A.M., im eigenen als auch im Namen ihrer drei minderjährigen Kindern an, sie sei herzkrank und stehe unter kontinuierlicher Medikation. Als Krankenschwester habe sie bis zum Jahr 2000 an der Frauenklinik in ihrem Heimatort N., Bezirk G., gearbeitet, seit damals sei sie wegen ihrer gesundheitlichen Probleme zu Hause gewesen. Zu ihren sowie den Fluchtgründen ihrer Kinder führte sie aus, im Jahr 2000 sei ihre Tochter I. während eines Bombenangriffes vor Angst in ihren Armen an einem Herzinfarkt gestorben. Die beiden Brüder ihres Mannes hätten sich am Krieg beteiligt, deshalb sei auch ihr Haus öfters durchsucht worden. A.V. sei im Mai 2001 gefallen, G.S. im Dezember 2002. Am 00.Februar 2003 sei ihr Mann verhaftet worden, nachdem jemand (heimlich) Waffen ins Haus gebracht habe und habe die Familie ihren Ehemann am nächsten Tag um 3.000 Dollar freikaufen können. Am 00.September 2003 sei ihr Mann abermals von russischen Soldaten festgenommen worden, nachdem er eine Woche in Haft war und über seine Verbindung zu den Kämpfern befragt worden war, konnte er für 1.000 Dollar freigekauft werden. Aus Angst, ihr Mann könne noch einmal verhaftet werden, habe sich die Mutter der Beschwerdeführerin mit ihren Kindern bei ihren Eltern und der Vater der Beschwerdeführerin bei einem Bekannten versteckt. Da die Familie nicht mehr zusammen sein konnte, habe sich das Ehepaar zur Flucht entschlossen. Überdies habe sie den Kämpfern bis zu ihrer Flucht als Krankenschwester geholfen und hätten die russischen Soldaten dies gewusst. Es seien Fälle bekannt, in denen Ärzte und Krankenschwestern mitgenommen und getötet wurden. Anfang 2004 sei auch ihr jüngster Brüder wegen ihrer Unterstützung der Kämpfer als Krankenschwester festgenommen worden. Zu den ihr vorgehaltenen Informationen zur Lage in Tschetschenien sagte die Mutter der Beschwerdeführerin, diese seien für sie unglaubwürdig.
Mit Bescheid vom 14. Juni 2005, FZ 04 08.478- BAG wies das Bundesasylamt unter Spruchpunkt I. den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr 76/ 1997 (AsylG) idgF. ab und stellte unter Spruchpunkt II. fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Unter Spruchpunkt III. wurde die Beschwerdeführerin gem. § 8 Absatz 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.
In der Begründung des Bescheides wurde festgehalten, dass die Antragsteller Tschetschenien wegen des Bürgerkriegs bzw. wegen der mit dem Bürgerkrieg im direkten Zusammenhang stehenden Folgen verlassen hätten. Andere Gründe, insbesondere aktuelle, individuelle, regional oder landesweit drohende Verfolgung in Russland hätten die Antragsteller nicht plausibel zu machen vermocht.
Gegen die Annahme, eine Wohnsitznahme in der russischen Förderation sei mit oder ohne amtliche Registrierung de facto nicht möglich, spreche die Tatsache, dass etwa zwei Drittel aller Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens wohnten. Vorliegende Erfahrungen aus der täglichen Praxis des Bundesasylamtes zeigten, dass der Großteil der tschetschenischen Asylwerber mit Dokumenten nach Österreich komme, es dürften also keine gravierenden Probleme bei der Erlangung von Dokumenten für Tschetschenen bestehen. Diese Tatsache widerspreche dem immer wieder ins Treffen geführten Argument der Unmöglichkeit der Erlangung von Dokumenten und damit der Unmöglichkeit der Wohnsitznahme in anderen Bereichen Russlands. Nach russischem Recht gebe es auch keine Sanktionen für die Stellung eines Asylantrages im Ausland. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei daher einzelfallbezogen zu prüfen und nicht bloß auf Grund der Volksgruppenzugehörigkeit auszuschließen.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Angaben über Verfolgung beinhalteten im Wesentlichen mit der Bürgerkriegssituation zusammenhängende Maßnahmen von staatlicher Seite, darüber hinausgehende Gründe habe die Beschwerdeführerin nicht plausibel machen können. Die Reise mit dem Bus bis Rostov auf Reisewegen, die jedenfalls staatliche Kontrolle umfassen, lasse jedenfalls auf nicht vorhandene individuelle Verfolgung schließen. Der Wunsch nach besseren Lebensverhältnissen sei auf Grund der tristen Situation in Tschetschenien durchaus verständlich, die Probleme, mit denen die Beschwerdeführerin konfrontiert war, seien jedoch offensichtlich auf Machtmissbrauch durch einzelne Militärangehörige aus Bereicherungsabsicht und die allgemeine Bürgerkriegssituation zurückzuführen, nicht jedoch auf gezielte und relevante, individuelle und landesweit vorliegende Verfolgung. Das Vorbringen sei nicht verifizierbar und hinsichtlich landesweiter Verfolgung als nicht plausibel zu bezeichnen.
Die Beschwerdeführerin gehöre nicht zu einer besonders gefährdeten Gruppe von Personen, die sich besonders in der Tschetschenienfrage engagiert haben bzw. werde ihr ein solches Engagement seitens der russischen Behörden nicht unterstellt. Nach der Rechtssprechung müsse die Verfolgung bzw. die objektiv begründete Furcht davor im gesamten Staatsgebiet für den Asylwerber bestanden haben. Es stehe der Beschwerdeführerin also eine zumutbare inländische Fluchtalternative offen, um den aktuell befürchteten Problemen auszuweichen.
Nicht bereits jede Hausdurchsuchung, Personenkontrolle und Verweigerung der Zuerkennung eines legalen Aufenthaltes erreiche die Schwelle asylrechtlicher Verfolgung und sei in einer Gesamtschau davon auszugehen, dass landesweit die Zahl der asylrelevanten Übergriffe nicht das Maß der überwiegenden Mehrheit erreiche.
Es sei weder eine landesweite noch regionale Verfolgung der Tschetschenen anknüpfend an die Volkszugehörigkeit durch den Staat oder Dritte, die dem Staat zurechenbar wären, festzustellen.
Mit der gegenständlichen, gegen diesen Bescheid am 24. Juni 2005 (Datum der Postaufgabe) fristgerecht eingebrachten Beschwerde hat die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und unrichtiger rechtlicher Beurteilung geltend gemacht. Hinsichtlich des genauen Inhaltes der Berufung wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. Dezember 2006, GZ 262.002/1-II/04/06, wurde "In Erledigung der Beschwerde" der A.L. vom 21. Juni 2005 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Juni 2005, FZ 04 08.478, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
In der Begründung setzte sich die Berufungsbehörde im Wesentlichen mit dem "umfänglichen Ermittlungsverfahren, das zu einer Vielzahl gleichartiger Verfahren durchgeführt wurde" auseinander. Die angesprochenen Ermittlungen bestanden aus Sachverständigengutachten und den hierzu ergangenen Einwendungen des Bundesasylamtes auf Grund derer die Berufungsbehörde zu dem Schluss kam, dass mit der regionalen Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit tschetschenischer Beschwerdeführerin zur tschetschenischen Volksgruppe im Laufe einer mittelfristigen Periode eine "mehr als 50%ige Wahrscheinlichkeit bestehe", in Tschetschenien Opfer von Misshandlungen, Repressalien der Behörden oder von Entführungen zu werden bzw. den Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten zu können. Sohin liege die Voraussetzung für die Annahme einer ausreichend intensiven Verfolgung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe vor und stehe eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in einem anderen Teil Russlands nicht zur Verfügung.
Dieses Ergebnis habe in all den angesprochenen Verfahren zur Asylgewährung durch die Berufungsinstanz geführt, so auch im Verfahren der Mutter der Beschwerdeführerin. Da die Ermittlungsergebnisse im angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes noch nicht berücksichtigt worden seien (und dies auch nicht sein konnten), eine Entscheidung über den Asylantrag jedoch nicht ohne Auseinandersetzung der Verfahrensparteien mit dem jüngsten Ermittlungsstand erfolgen solle, sei die Angelegenheit an das Bundesaylamt zurück zu verweisen. Bei einer unmittelbaren Asylgewährung an die Beschwerdeführerin auf der Grundlage der in anderen Verfahren erzielten Ermittlungsergebnisse komme es nach Ansicht der Berufungsbehörde zur Verletzung des rechtlichen Gehörs des Bundesasylamtes.
Gegen diesen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates erhob die Bundesministerin für Inneres mit Schriftsatz vom 16. Februar 2007 Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 26. Juni 2008 wurde der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof dazu aus, die belangte Behörde trage der erstinstanzlichen Behörde auf, sich mit "dem jüngsten Ermittlungsstand" auseinander zu setzen. Wie vom Verwaltungsgerichtshof bereits mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werde, dargelegt, seien die gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen nicht nachvollziehbar. Sie seien in sich widersprüchlich und insgesamt nicht geeignet, die zusammenfassende Behauptung der Sachverständigen hinsichtlich der Verfolgungswahrscheinlichkeit eines beliebigen Tschetschenen zu tragen. Mangelhafte Gutachten bildeten aber keinen "Ermittlungsstand", der vom Bundesasylamt zu beachten und zu dessen Behandlung eine mündliche Verhandlung unvermeidlich ist. Da die angefochtenen Bescheide keine anderen Gründe aufzeigten, aus denen die Behebung der erstinstanzlichen Bescheide gemäß § 66 Abs. 2 AVG gerechtfertigt gewesen wäre, seien sie gemäß §42 Abs.2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
II.1. Beweisaufnahme und Ermittlungsverfahren:
Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde in dem seitens des Gerichtshofes angestrengten Ermittlungsverfahren Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den die Person des Beschwerdeführerin betreffenden Verwaltungsakt des Bundesasylamtes und des unabhängigen Bundesasylsenates sowie in vorgelegte Dokumente und Erörterung der unten angeführten Länderfeststellungen. Auf Grund des Ermittlungsverfahrens und der vorgenommenen Beweisaufnahme steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:
II.2. Zur Person des Beschwerdeführerins:
Die Identität der Beschwerdeführerin ist als A.L., geboren am 00.00.1995 in N., Russland erwiesen. Die Beschwerdeführerin ist russische Staatsangehörige und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, moslemischen Glaubens, Tochter der A.M., geboren am 00.00.1966 und des A.S., geboren am 00.00.1966. Die Beschwerdeführerin hat drei Geschwister: A.A., geboren am 00.00.1990 und A.J., geboren am 00.00.1999 sowie die im Jahr 2000 verstorbene
A.I..
In Tschetschenien verfügt die Beschwerdeführerin über ihre Großeltern mütterlicherseits sowie die beiden in Tschetschenien lebenden Brüder ihrer Mutter.
Das Elternhaus der Beschwerdeführerin wurde mehrmals durchsucht, weil die beiden Brüder des Vaters des Beschwerdeführerin im Krieg gekämpft haben. Am 00.Februar 2003 wurde der Vaters des Beschwerdeführerin festgenommen, nachdem jemand heimlich eine Waffe im Haus versteckt hatte, und am nächsten Tag um 3.000 Dollar von seiner Familie freigekauft. Am 00.September 2003 wurde der Vater der Beschwerdeführerin abermals von russischen Soldaten festgenommen, befand sich eine Woche in Haft und wurde zu seiner Verbindung mit den Kämpfern befragt. Danach konnte er um 1000 Dollar freigekauft werden.
Die Mutter der Beschwerdeführerin half als Krankenschwester bis zu ihrer Ausreise tschetschenischen Kämpfern.
Aus Angst vor weiteren Übergriffen trennte sich die Familie, die Mutter des Beschwerdeführerin hielt sich mit den drei Kindern bei ihren Eltern auf, der Vater des Beschwerdeführerin tauchte bei einem Bekannten unter. Da die Familie nicht mehr zusammen leben konnte, beschlossen die Eltern der Beschwerdeführerin, zu flüchten.
II.3. Zur Lage in Tschetschenien und der Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe:
Auch wenn von offizieller russischer Seite betont wird, dass es in Tschetschenien zu einem "politischen Prozess" gekommen ist, finden laut Lagebericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 in Tschetschenien weiterhin die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Diese Einschätzung wird von einer großen Anzahl von Klagen von Tschetschenen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestützt (20.350 anhängige Klagen gegen Russland insgesamt zum Zeitpunkt Februar 2008, bisher 24 Verurteilungen der Russischen Föderation wegen Tschetschenien).
Durch vielerlei Umstände kann es heute möglich sein, ins Fadenkreuz der prorussischen Kräfte zu gelangen. Der russische Geheimdienst verfügt weiterhin über zahlreiche Informationsquellen.
Nichtregierungsorganisationen, internationale Organisationen und die Presse berichten, dass sich auch nach Beginn des von offizieller Seite festgestellten "politischen Prozesses" erhebliche Menschenrechtsverletzungen durch russische und pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung fortgesetzt haben.
Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend, sodass nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen ein "Klima der Straflosigkeit" entstanden sei. Bisher gibt es nur sehr wenige Fälle von Verurteilungen. Im April 2006 verurteilte ein Gericht in Rostow den Vertragssoldaten Kriwoschenok zu 18 Jahren Haft wegen der Erschießung dreier tschetschenischer Zivilisten im November 2005. Im Juni 2007 verurteilte dasselbe Gericht vier Offiziere in der "Sache Ulman" zu 9, 11, 12 und 14 Jahren Haft wegen Erschießung von sechs tschetschenischen Zivilisten im Dezember 2002. Drei der Verurteilten sind allerdings untergetaucht. Personen, die den Staat wegen Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung ziehen wollten, wurden weiterhin belästigt. Kläger vor dem EGMR verschwanden spurlos bzw. wurden getötet, was den EGMR zu einer kritischen Äußerung in seiner Entscheidung im Fall Alikhadzhiyeva gg. Russland vom 5.7.2007 veranlasste.
Nach wie vor sind die Rebellen bzw. Personen, die für Rebellen oder deren Sympathisanten gehalten werden, einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, in bewaffnete Auseinandersetzungen zu geraten, festgenommen, verschleppt, verhört, gefoltert und ermordet zu werden.
Die Rebellen und ihre Unterstützer werden im Zuge von Spezialoperationen "neutralisiert", die von den unter direktem Befehl von Ramzan Kadyrow stehenden Sicherheitskräften sowohl in den Bergregionen, als auch in städtischen Gebieten durchgeführt werden. In der Zeit um den Jahreswechsel 2007-2008 wurden bei solchen Operationen mindestens 16 Rebellen und Sicherheitskräfte getötet, mindestens 49 Personen in Grosny verhaftet, zwei sind verschwunden. Es kam zu sechs bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Sicherheitskräften, sowie zu Anschlägen auf letztere.
Nach Beobachtungen des Berichterstatters der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist die Geiselnahme von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen, um sie zur Aufgabe zu zwingen, eine neue besorgniserregende Entwicklung.
Am 22.September 2006 beschloss die Duma eine neue Amnestieverordnung. Sie erfasst Vergehen, die zwischen dem 13.12.1999 und dem 23.09.2006 im Nordkaukasus (Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Tschetschenien, Nordossetien, Karatschajewo-Tscherkessien, Gebiet Stawropol) begangen wurden. De facto wurde die Amnestie jedoch durch Präsident Kadyrow bis zum 15.06.2007 verlängert. "Memorial" kritisierte jedoch, dass wegen der zahlreichen Ausschlussgründe nur diejenigen in den Genuss der Amnestiebestimmungen kommen werden, die "in den Bergen Herbarien angelegt oder Grütze gekocht haben".
Die Arbeitslosigkeit in Tschetschenien ist trotz des anhaltenden Wiederaufbaues hoch (70-80%). Die Bautätigkeiten werden nämlich oft ohne schriftliche Verträge mit den Arbeitern durchgeführt. Dies führt dazu, dass Löhne nicht ausbezahlt und Sicherheitsvorkehrungen missachtet werden, und dass bei Unfällen keine medizinische Versorgung vorhanden ist. Wiederholt kam es deswegen zu Protesten der Arbeiter, z. B. im Juni 2007.
Weitere Jobs finden sich im Bereich des Handels (vor allem des Kleinsthandels am Markt) und der öffentlichen Verwaltung, wobei diese Positionen oft nur gegen Schmiergeldzahlungen erreicht werden können. Eine der stabilsten Arten, sein Einkommen zu verdienen, wenn gleich auch sehr unsicher, ist es, einen Job in den pro-russischen, bewaffneten Formationen anzunehmen.
Löhne und Pensionszahlungen sind auch kaum ausreichend, um davon zu leben. Entgegen offiziellen Berichten unterhalten die Arbeitslosen auch kaum Unterstützung vom Staat.
Im Dezember 2007 wandte sich Präsident Kadyrow mit einer Ansprache an die im Ausland lebenden Tschetschenen und rief sie zur Achtung ihrer eigenen Gesetze und Kultur, aber auch zu Toleranz gegenüber anderen Nationalitäten auf. Zur Ergänzung wurden an Dutzende tschetschenische Gemeinschaften inner- und außerhalb der Russischen Föderation DVDs, Videos, Fotos und ähnliche Materialien verschickt, die über die positiven Entwicklungen der letzten Jahre informieren sollten. Um seine Landsleute zu einer Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen, verspricht der Präsident, alles in seiner Macht stehende zu tun, um ihnen akzeptable Lebensbedingungen zu bieten. Er hebt besonders die fortgeschrittenen Renovierungen der Städte und Dörfer, den Bau von Moscheen, die Einrichtung von Krankenhäusern und die Wiederbelebung des Bildungssektors hervor.
Tatsächlich ist eine Rückkehr nach Tschetschenien aber mit ernsthaften Problemen verbunden. Neben Personen, die beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt haben, ziehen nach Informationen von UNHCR vor allem Rückkehrende aus dem Ausland bei ihrer Wiedereinreise an der Grenze automatisch die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes FSB auf sich. Sie werden oft verdächtigt, während ihrer Abwesenheit die Rebellen unterstützt oder im Ausland ein Vermögen angehäuft zu haben, wodurch sie zu Opfern von Erpressung werden.
Durch die Tschetschenisierung des Konflikts, d. h. die Übertragung der Macht auf Präsident Kadyrow und sein Regime, geht die Gewalt weniger von föderativen, sondern überwiegend von den tschetschenischen Behörden aus. Diese stehen mit dem russischen Verteidigungs- und Innenministerium, inklusive FSB, in Verbindung und haben Zugang zu deren Daten, kennen aber auch die relativ kleine Bevölkerung Tschetscheniens sehr gut. Somit ist es deutlich schwieriger geworden, den Machthabenden zu entrinnen.
Außerhalb der tschetschenischen Republik ist die Registrierung von Tschetschenen (noch) immer ein großes Problem. Die Lebensbedingungen für tschetschenische Flüchtlinge in den Übergangsunterkünften in der russischen Teilrepublik Inguschetien sind unter allen Aspekten schwierig. Inguschetien und das russische Katastrophenschutzministerium können nur ein Mindestmaß an humanitärer Hilfe leisten und sind mit der Versorgung der Flüchtlinge überfordert. Hinzu kommt die sich in Inguschetien im Vergleich zu den letzten Jahren rapide verschlechternde Sicherheitslage. Zwar richten sich die meisten Angriffe auf Sicherheitskräfte, doch berichtet UNHCR von Übergriffen auf Arbeitsmigranten in Inguschetien. Die Situation in Dagestan ist ebenso schlimm, sodass in diesen beiden Nachbarrepubliken nach Einschätzung des UNHCR nicht vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gesprochen werden kann.
Die Lage der Tschetschenen in der übrigen Russischen Föderation hat sich nicht verbessert. Die Russische Regierung benützt nach wie vor ihre eigene Definition der "Zwangsmigranten", anstelle des UNO-Begriffs IDP. Ersterer muss von einer Region der Föderation in eine andere migriert sein, womit alle innerhalb von Tschetschenien Vertriebenen ausgeschlossen sind. Außerdem gehören Opfer von Menschenrechtsverletzungen, von Übergriffen durch Sicherheitskräfte, etc. nicht zu den "Zwangsmigranten". Russland hat bisher 13.000 ethnische Russen, Armenier und Juden aus Tschetschenien als "Zwangsmigranten" anerkannt. Ethnischen Tschetschenen wird dieser Status jedoch systematisch verweigert. Nur "Zwangsmigranten" können jedoch legal arbeiten oder Grundstücke erwerben und nur sie haben Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen, sowie zu Altersrenten.
Artikel 27 der russischen Verfassung garantiert jedem Bürger zwar das Recht auf Bewegungsfreiheit und das Recht seinen Wohnort zu wählen. Dieses Recht kann jedoch durch einfache Gesetze gemäß Art 55 der Verfassung beschränkt werden. Das aus Sowjetzeiten stammende sogenannte "Propiska"-System, nachdem an jedem neuen Wohnort ein Registrierungsgesuch eingereicht werden musste, ist offiziell abgeschafft worden. Faktisch wird jedoch das Propiska System, entgegen den Entscheidungen des russischen Verfassungsgerichtshofes, weiterhin angewendet bzw. die Registrierung eines vorübergehenden Wohnsitzes verweigert. Grundsätzlich betrifft dies zwar alle Einwohner, Tschetschenen sind jedoch überproportional stark diskriminiert, indem ihnen oft die Niederlassung verweigert wird. Die Anmeldung ist jedoch Voraussetzung für Zugang zum Arbeitsmarkt, Schulbildung, Gesundheitsversorgung und anderen sozialen Rechten. Menschen, die sich illegal aufhalten haben auch ein größeres Risiko, bei Ausweiskontrollen belästigt zu werden.
Svetlana Gannuskina, die Leiterin der Organisation "Migration und Recht" und Mitglied von "Memorial", kommt deshalb in ihrem jüngsten Bericht wiederholt zum Schluss: "In der Tschetschenischen Republik gibt es keinen minimalen Schutz für die Bewohner. Für aus Tschetschenien stammende Menschen gibt es in Russland keine inländische Fluchtalternative. [...] Ich bin davon überzeugt, dass jeder aus Russland kommende Tschetschene die Voraussetzung zur Gewährung des Flüchtlingsstatus nach Artikel 1 der Konvention der UNO von 1951 hat, da er in Russland nicht vor Diskriminierung und Willkür geschützt wird".
Die Bevölkerung begegnet Tschetschenen größtenteils mit Misstrauen. Hier wirken sich latenter Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Teilen der russischen Bevölkerung und insbesondere die negative Wahrnehmung der Tschetschenen aus. Berichte über Kontakte der tschetschenischen Rebellen zu den Taliban und Osama Bin Laden, die Geiselnahme 2002 in Moskau und die Anschläge 2004 haben dies noch verstärkt.
Zusammenfassend kann somit gesagt werden, dass ob eine Ansiedlung in anderen Teilen der Russischen Föderation möglich ist, bei Fehlen staatlicher Verfolgung im Einzelfall zu prüfen ist. Dabei spielen angesichts von möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten sowie die Möglichkeit der Kontaktierung von NGOs eine Rolle. Nicht registrierte Tschetschenen können allenfalls in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands überleben, wobei wiederum Faktoren wie Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse relevant sein können.
III. Beweiswürdigung
Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und zu den Fluchtgründen beruhen auf den im erstinstanzlichen Verwaltungsakt einliegenden, unbedenklichen Dokumenten, aus dem am 18. Mai 2006 abgehaltenen "selbständigen Augenschein" sowie dem glaubhaften Vorbringen der Mutter der Beschwerdeführerin in deren Einvernahme am 28. April 2005.
Die Identität des Beschwerdeführerin ist für den Gerichtshof auf Grund der Geburtsurkunde, ausgestellt vom Standesamt N. am 00.00.1995, erwiesen. Ihre Herkunft aus Tschetschenien und die Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe sowie zum moslemischen Glauben ergeben sich insbesondere aus den Ausführungen der länderkundlichen Sachverständigen sowie der Dolmetscherin im "selbständigen Augenschein" zu den Berufungsverfahren der Eltern vor dem Unabhängigen Bundsasylsenat.
Die Mutter der Beschwerdeführerin war in der Lage, die Lebensumstände der Familie vor der Flucht sowie die zentralen fluchtauslösenden Ereignisse engagiert und anschaulich zu schildern und die an sie herangetragenen Fragen auf gleiche Art und Weise zu beantworten.
Das Vorbringen der Mutter der Beschwerdeführerin ist klar und konkret, zentrales Thema ist die Sorge von russischen Behörden aufgrund des Umstandes, dass die Brüder des Vaters der Beschwerdeführerin am Tschetschenienkrieg teilgenommen haben und deren aus dieser Tatsache hervorgehendem Engagement für die Unabhängigkeitsbestrebungen Tschetscheniens sowie der Hilfstätigkeit der Mutter der Beschwerdeführerin, die als Krankenschwester den Kämpfern bis zu ihrer Ausreise geholfen hatte, verfolgt zu werden. Hinzu tritt die Besorgnis der Mutter der Beschwerdeführerin, im Falle einer Rückkehr in die Teilrepublik Tschetschenien mit ihrem Ehemann und den drei Kindern in eine aussichtslose Situation zu geraten und der Willkür der Behörden ausgeliefert zu sein.
Die Ausführungen der Mutter der Beschwerdeführerin sind mit den politischen Geschehnissen und den durch die unten angeführten Quellen zur Lage in Tschetschenien in Einklang zu bringen und erscheinen somit mit den allgemeinen Verhältnissen in Tschetschenien vereinbar.
Nachdem das Vorbringen der Mutter der Beschwerdeführerin somit insgesamt glaubwürdig war, mit dem vorliegenden Länderdokumentationsmaterial übereinstimmte und keine groben Ungereimtheiten aufwies, waren die Angaben der Mutter der Beschwerdeführerin vom zur Entscheidung berufenen Senat des Asylgerichtshofes als glaubwürdig zu werten.
Im vorliegenden Fall ist es der Mutter der Beschwerdeführerin in deren Vertretung daher gelungen, die seiner Person aufgrund der den Eltern des Beschwerdeführerin (unterstellten) politischen Gesinnung und ethnischen Herkunft (drohende) Verfolgung glaubhaft zu machen.
Die Feststellungen zur Lage in Tschetschenien bzw. zur Situation von Tschetschenen vermag der Asylgerichtshof auf folgende Quellen zu stützen:
Accord und UNHCR, Summary of the Accord-UNHCR country of origin information seminar, 18.10.2007
Accord Auskunft vom 30.08.2007 zu Frage, ob es staatliche Unterstützungen für Halbwaisen und Witwen und Notstandshilfe oder vergleichbare Sozialleistungen in der RF gibt und ob die Ausbezahlung auch in Tschetschenien erfolgt
Accord Auskunft vom 13.09.2005 zur Situation von Tschetschenen außerhalb des Nordkaukasus
Accord Auskunft vom 05.09.2007 zur Situation von geschiedenen und vom Ehemann getrennten Frauen; mögliche Reaktionen seitens des Mannes, der Familie, der Gesellschaft; Gewalt gegen Frauen und Schutzmöglichkeiten
Accord, Auskunft vom 13.05.2008 zur medizinischen Versorgung und Grundversorgung in Tschetschenien
Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008
Asylländerbericht Russland, 04.09.2007
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, 13.01.2008
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Russische Föderation Menschenrechtslage und Politik, Tschetschenienkonflikt, Juli 2008
US State Department, Russia, Country Reports on Human Rights Practices 2007, 11.03.2008
Die herangezogenen Berichte und Informationsquellen stammen Großteils von staatlichen Institutionen oder diesen nahestehenden Einrichtungen und sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, die Zweifel an deren Objektivität und Unparteilichkeit entstehen lassen. Da die Berichte zudem auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht für den erkennenden Senat kein Grund, an der Richtigkeit der Situationsdarstellungen zu zweifeln.
IV. Rechtlich folgt daraus:
Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen, weshalb das durch die von der Beschwerdeführerin gegen den angefochtenen Bescheid fristgerecht eingebrachte, am 29. Dezember 2004 eingelangte, Berufung beim Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS) eingeleitete Berufungsverfahren, welches am 1. Juli 2008 als unerledigt aushaftete, vom Asylgerichtshof weiterzuführen war.
Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG), BGBl I 2008/4, sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. Es gilt § 44 AsylG 1997.
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003, werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.
Daraus folgt, dass der am 22. April 2004 gestellte, gegenständliche Antrag auf Gewährung von Asyl nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 zu führen ist.
Die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 sind gemäß § 44 Abs. 3 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 auch auf Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, anzuwenden.
Die gegenständliche Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelangt, die Beschwerdeführerin ist legitimiert. Auf die Beschwerde war mithin einzutreten.
Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), BGBl. Nr. 55/1955, droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK iVm Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs bildet die "begründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262). Die aus objektiver Sicht begründete Furcht muss einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich erscheinen lassen.
Glaubhaftmachung bedeutet im Gegensatz zum strikten Beweis ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel an dem Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.
Trotz der äußerst problematischen Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, insbesondere in Tschetschenien, kann aus Sicht des erkennenden Senates des Asylgerichtshofes nicht von einer generellen Verfolgung alleine wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Ethnie ("Gruppenverfolgung") gesprochen werden, sondern ist weiterhin jeder konkrete Einzelfall umfassend anhand der in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe zu prüfen (vgl. das im Gegenstande ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, 2006/20/0724-8, sowie das diesem Erkenntnis zu Grunde liegende Erkenntnis vom 19.12.2007).
Im vorliegenden Fall besteht für die Beschwerdeführerin angesichts des zu ihren Asylgründen festgestellten Sachverhalts eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr.
Die Ansicht des Bundesasylamtes, der Antragsteller gehöre nicht zu einer besonders gefährdeten Gruppe von Personen, weil er im Tschetschenienkrieg weder an Kampfhandlungen beteiligt war noch sich in exponierter Stellung in der Tschetschenienfrage engagiert hat, kann vom Asylgerichtshof rechtlich nicht nachvollzogen werden. Der Vater der Beschwerdeführerin wurde auf Grund der ihm wegen der Teilnahme seiner beiden Brüder am Krieg unterstellten politischen Gesinnung individuell verfolgt, in dem er zweimal von russischen Soldaten festgenommen und inhaftiert wurde.
Der Auffassung des Bundesasylamtes, wonach diese Übergriffe nicht dem Staat sondern einzelnen Militärangehörigen zuzurechnen seien, die aus Bereicherungsabsicht (Gelderpressung durch Inhaftierung) Machtmissbrauch ausübten, ist die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach eine Verfolgungsgefahr nicht nur dann relevant ist, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Stellen ausgehen - asylrelevant wären ( vgl. VwGH vom 28.03.1995, Zl. 95/19/0041; VwGH vom 27.06.1995, Zl. 94/20/0836; VwGH vom 23.07.1999, Zl. 99/20/0280, VwGH vom 21.09.2000, Zl. 99/20/0373; VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN; VwGH vom 12.09.2002, Zl. 99/20/0505 sowie VwGH vom 17.09.2003, Zl. 2001/20/0177). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, Zl.99/01/0256 mwN).
Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht- unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256)- , kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen- asylrechtliche Intensität erreichenden Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat ( vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, "The Refugee in International Law (1996) 73; weiters VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN sowie VwGH vom 20.09.2004, Zl. 2001/20/0430). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendetet Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (vg. VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. in Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Herkunftslandes zu bedienen (vg. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/0ß1/0256).
Vor diesem Hintergrund ist die Furcht des Beschwerdeführerins in der Gesamtschau der persönlichen Umstände begründet und die erforderliche Intensität der Verfolgung jedenfalls aufgrund (drohender) Eingriffe in die physische Integrität durch staatliche Stellen bzw. der herrschenden Macht zurechenbare Formationen gegeben:
Die Beschwerdeführerin ist alleine schon durch ihre Abwesenheit konkret in das Blickfeld der russischen und tschetschenischen Behörden gelangt. Nach der gängigen Form der Druckausübung würde ihr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit unterstellt werden, einer Familie anzugehören, die sich Widerstandskämpfern angeschlossen hat bzw. diese unterstützt. Dies umso mehr, als die beiden Brüder des Vaters der Beschwerdeführerin im Krieg gefallen sind und der jüngste Bruder ihrer Mutter auf Grund deren Hilfstätigkeit als Krankenschwester für tschetschenische Kämpfer inhaftiert wurde. Es ist daher in concreto nicht auszuschließen, dass die Beschwerdeführerin - angesichts dieser Mutmaßungen der tschetschenischen Behörden bzw. der russischen Einheiten - als nicht greifbare Person bei der Rückkehr in seine Heimatregion gefoltert und sogar als Widerstandkämpferin gegen die russisch freundlichen tschetschenischen Behörden getötet werden würde, wenn die Beschwerdeführerin nicht die erforderlichen Angaben bei diesen Behörden (Namen, Örtlichkeiten etwaiger Terroristen) tätigt.
Der erkennende Senat geht daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die Beschwerdeführerin bei ihrer Rückführung Opfer von Gewalt oder Verfolgung durch die russischen Sondereinheiten bzw. russlandfreundlichen tschetschenischen Behörden wäre, da ihr unterstellt werden würde, mit der Seite des Feindes zusammenzuarbeiten und somit gegen die tschetschenische bzw. russische Sache tätig gewesen zu sein.
Zur Frage der innerstaatlichen Schutzalternative bleibt festzustellen, dass entsprechend deren "Ausschlusscharakter" es Sache der Behörde (hier: des Gerichtshofes) sein muss, die Existenz einer internen Schutzalternative aufzuzeigen und nicht umgekehrt Sache des Asylwerbers, die Annahme einer theoretisch-möglichen derartigen Alternative zu widerlegen. Zudem ist auch auf Zumutbarkeitskriterien abzustellen. (Vgl. hiezu E VwGH 9.9.2003, 2002/01/0497 sowie E VwGH 28.6.2005, 2002/01/0141). In diesem Zusammenhang ist auf die Richtlinie des UNHCR über die "Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative" vom 23. Juli 2003 zu verweisen, in der die Frage erhoben wird, ob ein relativ normales Leben ohne besondere Hindernisse geführt werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage müssen nach dem Hüter der Konvention die persönlichen Umstände der Asylwerber, frühere Verfolgung, die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben beurteilt werden. Laut UNHCR sind maßgebliche Faktoren der persönlichen Umstände Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale oder andere Schwächen, ethnische und kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische oder soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten sowie gegebenenfalls erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen. So könne insbesondere das Fehlen ethnischer oder anderer kultureller Verbindungen eine Person in die Isolation drängen, ja sogar zu ihrer Diskriminierung führen, wenn enge Beziehungen dieser Art das tägliche Leben in der betreffenden Gemeinschaft bestimmen.
Wie aus den oben getroffenen Feststellungen abzuleiten ist, haben insbesondere tschetschenische Volksangehörige besondere Schwierigkeiten, sich innerhalb der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien registrieren zu lassen und führt die mangelnde Registrierung zu einer Beschneidung der meisten zivilen, sozialen und ökonomischen Rechte. In casu sind im Verfahren keinerlei Umstände zu Tage getreten, die die Annahme rechtfertigen würden, die Beschwerdeführerin verfüge über ein Netz von Verwandten und Unterstützern in übrigen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens oder habe in anderen Teilen der Russischen Föderation gelebt. Es liegen somit aus der Sicht des erkennenden Senates keine hinreichenden Indizien für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative vor, wie dies im Übrigen von UNHCR bei Tschetschenen generell verneint wird.
Sofern das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid in Hinblick auf die Plausibilität ausführt, das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei nicht verifizierbar und deuteten die Probleme, mit denen die Beschwerdeführerin in Tschetschenien konfrontiert war nicht auf gezielte und relevante, individuelle, insbesondere nicht auf landesweit vorliegende Verfolgung hin, sei an dieser Stelle erwidert, dass diese Feststellungen jeglicher (seriösen) Grundlage entbehren und es sich bei denselben um Mutmaßungen handelt, denen das Bundesasylamt naturgemäß den Beweis schuldig bleiben muss.
So hat das Bundesasylamt festgestellt, es sei nicht plausibel, dass die Soldaten zwar gewusst hätten, dass die Mutter der Beschwerdeführerin als Krankenschwester auch den Kämpfern geholfen habe und sie deswegen befürchten müsse, verfolgt zu werden, die Mutter der Beschwerdeführerin aber keine konkreten Probleme deswegen bezeichnet hätte. Dies ist unzutreffend, hat die Mutter der Beschwerdeführerin doch glaubwürdig und nachvollziehbar ausgeführt, dass ihr jüngster Bruder nach ihrer Ausreise deshalb festgenommen und inhaftiert wurde.
Aus dem Umstand, dass die letzte Inhaftierung des Vaters des Beschwerdeführerin am 00.September 2003 stattgefunden hat, die Familie aber erst im April 2004 geflüchtet ist, kann aus Sicht des Asylgerichtshofes nicht geschlossen werden, dass zwischen der Inhaftierung des Vaters der Beschwerdeführerin und der Flucht kein Bezug vorliegt. Die Mutter der Beschwerdeführerin hat nachvollziehbar angegeben, dass die Familie nach der zweiten Inhaftierung ihres Mannes zunächst getrennt gelebt habe. Auf Grund dieses Umstandes ("Wir konnten nicht mehr zusammen sein und hat man uns geraten, auszureisen.") haben sich die Eltern dann zur Flucht entschlossen. Dass eine Familie mit drei Kindern zunächst nach anderen Alternativen sucht und das Heimatland erst verlässt, wenn sich keine andere Lösung findet, sich weiterer Verfolgung zu entziehen, ist nachvollziehbar und entspricht dies durchaus der allgemeinen Lebenserfahrung.
Die Beschwerdeführerin hat somit glaubhaft machen können, dass ihr in ihren Herkunftssaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK aktuell und intensiv droht. Es sind keinerlei Hinweise hervorgekommen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigung- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte und war dieser daher unter besonderer Berücksichtigung der dargelegten individuellen Gründe Asyl zu gewähren
Gemäß § 12 AsylG 1997 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen, auf Grund Asylantrages Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der angefochtene Bescheid war sohin ersatzlos zu beheben und spruchgemäß zu entscheiden.
Gegen dieses Erkenntnis ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.