TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/20 D11 258981-0/2008

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Veröffentlicht am 20.11.2008
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Spruch

D11 258981-0/2008/25E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter DDr. Markus GERHOLD als Vorsitzenden und den Richter MMag. Thomas E. SCHÄRF als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Andrea LECHNER über die Beschwerde des M.M., geb. am 00.00.1980, StA. Russland, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. März 2005, FZ. 04 09.356- BAG, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und M.M. gem. § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF. BGBl. I Nr. 126/2002 Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997 wird festgestellt, dass M.M. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Sachverhalt und Verfahrensgang

 

Der Beschwerdeführer gelangte am 28. April 2004 gemeinsam mit seiner Ehefrau und einer minderjährigen Tochter unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 1. März 2005 gab der Beschwerdeführer an, M.M. zu heißen, am 00.00.1980 in D., Russische Föderation, geboren, Moslem und der tschetschenischen Volksgruppe angehörig zu sein. Bezüglich seiner Fluchtgründe brachte der Beschwerdeführer dem Grunde nach vor, er sei am 3. Februar 2004 festgenommen und acht Tage später nach Bezahlung von 2.000 Dollar frei gelassen worden. Während der Inhaftierung sei er danach gefragt worden, ob er Kämpfer kenne und habe er deren Namen bekannt geben sollen. Im Falle der Rückkehr nach Tschetschenien befürchte er, abermals festgenommen zu werden.

 

Mit Bescheid vom 7. März 2005, FZ 04 09.356- BAG wies das Bundesasylamt unter Spruchpunkt I. den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr 76/ 1997 idF. BGBl I Nr. 126/2002 ab und stellte unter Spruchpunkt II. fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 8 Absatz 1 Asylgesetz 1997, BGBl I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF. zulässig sei. Unter Spruchpunkt III. wurde der Beschwerdeführer gem. § 8 Absatz 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

 

In der Begründung des Bescheides wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführer Tschetschenien wegen des Bürgerkriegs bzw. wegen der mit dem Bürgerkrieg im direkten Zusammenhang stehenden Folgen verlassen hätten. Andere Gründe hätten die Beschwerdeführer nicht plausibel zu machen vermocht und könne nicht festgestellt werden, dass die Antragsteller ihr Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten.

 

Bei fehlendem politischem Einsatz für die tschetschenischen Rebellen und bei Fehlen nachweisbarer Hinweise auf eine (drohende) gezielt individuelle Verfolgung durch russische Staatsorgane aus diesem Grund könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Teilen der russischen Föderation auch für ethnische Tschetschenen vorliegen. Dies sei im Einzelfall zu prüfen und könne nicht bloß auf Grund der Volksgruppenzugehörigkeit ausgeschlossen werden. Mögliche praktische Schwierigkeiten bei der Registrierung könnten oftmals überwunden werden, eine Generalisierung von bekannten Zugangsbeschränkungen im Einzelfall verbiete sich.

 

Eine landesweite oder regionale Gruppenverfolgung der Tschetschenen auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit könne nicht begründet werden.

 

Weiters lägen keine gesicherten Erkenntnisse vor, ob tschetschenische Volkszugehörige nach ihrer Rückführung Repressionen ausgesetzt seien. Bei abgeschobenen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben sei davon auszugehen, dass diesen Personen von den russischen Behörden besondere Aufmerksamkeit gewidmet werde und würden tschetschenische Rückkehrer im Allgemeinen in andere russische Regionen zur Registrierung als Binnenflüchtlinge verwiesen.

 

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Angaben des Beschwerdeführers, seine Heimat wegen der allgemeinen Folgen des Bürgerkrieges verlassen zu haben, seien glaubhaft.

 

Zusammenfassend sei festzustellen, dass es in Tschetschenien nach wie vor zu Menschenrechtsverletzungen komme und seien die Einwohner dort, wie in anderen Bürgerkriegsregionen dieser Welt somit potentiell Problemen von Seite der staatlichen als auch der nichtstaatlichen Akteure ausgesetzt. Die im Heimatstaat eines Antragstellers allgemein herrschenden politischen und sozialen Verhältnisse rechtfertigten jedoch für sich alleine nicht die Gewährung von Asyl, da diesen allgemeinen Gegebenheiten grundsätzlich alle Einwohner der betreffenden Region gleichermaßen ausgesetzt seien. Umstände, dass die Vertreter staatlicher bzw. quasi-staatlich agierender Autoritäten als bürgerkriegsführende Gruppe ein individuelles, sich gegen die Person der Beschwerdeführers richtendes Interesse an einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe gehabt hätten, habe nicht festgestellt werden können.

 

Überdies sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit habe, eine innerstaatliche Fluchtalternative außerhalb Tschetscheniens in Anspruch zu nehmen, eine legale Niederlassung von rückgeführten Asylwerbern in andere Teile Russlands sei trotz allen bestehenden Schwierigkeiten möglich. Angesichts der Größe und des Volkreichtums des Landes bestehe eine reale und zumutbare Möglichkeit innerhalb Russlands Zuflucht zu finden.

 

Mit der gegenständlichen, gegen diesen Bescheid am 22. März 2005 (Datum der Faxübersendung) fristgerecht eingebrachten Berufung hat der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und unrichtiger rechtlicher Beurteilung geltend gemacht. Schon kurze Recherche in Länderberichten lasse erkennen, dass Tschetschenen immer wieder schwersten Repressionen ausgesetzt seien. Evidentermaßen sei er verhaftet und misshandelt worden und sei dies von der belangten Behörde mit der falschen Begründung, jeder Tschetschene sei diesen Repressionen ausgesetzt, ignoriert worden.

 

Die (damalige) Berufungsbehörde, der unabhängige Bundesasylsenat, führte auf Weisung des für das Verfahren zuständigen Mitgliedes das Gutachten von Univ. Prof. Dr. H.G. H. zum Thema "Die Situation von tschetschenischen Vertriebenen (IDPs) in Russland", erstellt am 24.11.2005, in gegenständliches Verfahren ein. In weiterer Folge führte die Berufungsbehörde am 15. Mai 2006 einen "selbständigen Augenschein" zwecks Überprüfung der regionalen Herkunft des Beschwerdeführers durch Kommunikation in tschetschenischer Sprache über die vom Sachverständigen angesprochenen Themen durch. Dabei wurde unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprachen Russisch und Tschetschenisch sowie der länderkundlichen Sachverständigen Dr. L.L. erhoben, dass nach der genannten Sachverständigen keinerlei Zweifel bestehe, dass der Beschwerdeführer sowie dessen Ehefrau wie von ihnen angegeben, aus der Stadt G., Teilrepublik Tschetschenien, stammten.

 

Mit Schreiben vom 23. Mai 2006 wurden dem Bundesasylamt zwei landeskundliche Gutachten, verfasst von jeweils Dr. L.L. und Univ. Prof. Dr. H.G. H., übermittelt und Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen eingeräumt.

 

Zu den genannten Gutachten gab das Bundesasylamt, Grundsatz- und Dublinabteilung mit Schreiben vom 9. Juni 2006 eine Stellungnahme ab und verlangte die Abhaltung einer weiteren Berufungsverhandlung. Die Autoren der genannten Gutachten legten daraufhin die Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesasylamtes vom 18. Juli 2006 vor, worauf die belangte Behörde mit Schreiben vom 17. August erneut eine schriftliche Stellungnahme abgab und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Konkretisierung einiger Punkte verlangte, die von der belangten Behörde nicht nachvollzogen werden konnten.

 

Am 7. und 8. sowie am 11. und 12. September 2006 führte die Berufungsbehörde eine "einseitige Anhörung" mit Vertretern des Bundesasylamtes durch.

 

Mit "Erkenntnis" des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Oktober 2006, GZ 258.981/17-II/04/06, wurde der "Beschwerde" des M.M. vom 21. März 2005 (gemeint wohl 22. März 2005) gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. März 2005, FZ 04 09.356, stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gem. § 12 leg.cit. wurde festgestellt, dass M.M. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

 

In der Begründung setzte sich die Berufungsbehörde im Wesentlichen mit den Sachverständigengutachten und den hiezu ergangenen Einwendungen des Bundesasylamtes auseinander und kam zu dem Schluss, dass mit der regionalen Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur tschetschenischen Volksgruppe im Laufe einer mittelfristigen Periode eine "mehr als 50%ige Wahrscheinlichkeit bestehe", in Tschetschenien Opfer von Misshandlungen, Repressalien der Behörden oder von Entführungen zu werden bzw. den Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten zu können. Sohin liege die Voraussetzung für die Annahme einer ausreichend intensiven Verfolgung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe vor und stehe eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in einem anderen Teil Russlands nicht zur Verfügung.

 

Gegen diesen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates erhob die Bundesministerin für Inneres mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2006 Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 26. Juni 2008 wurde der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof dazu aus, die belangte Behörde gehe - gestützt auf die bereits im Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, Zl. 2006/20/0771, dargestellten gutachterlichen Äußerungen - von einer asylrelevanten Verfolgung grundsätzlicher aller (jedes beliebigen) Bewohner(s) Tschetscheniens tschetschenischer Ethnie aus. Auf die von den Mitbeteiligten vorgebrachten individuellen Verfolgungsbehauptungen gehe die belangte Behörde nicht ein. Wie vom Verwaltungsgerichtshof bereits im genannten Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werde, dargelegt, seien die gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen nicht nachvollziehbar. Sie seien in sich widersprüchlich und insgesamt nicht geeignet, die zusammenfassende Behauptung der Sachverständigen hinsichtlich der Verfolgungswahrscheinlichkeit eines beliebigen Tschetschenen zu tragen. Da die Feststellungen der belangten Behörde ausschließlich auf diese mangelhaften gutachterlichen Äußerungen gestützt wurden, seien die angefochtenen Bescheide schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß §42 Abs.2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

 

II.1. Beweisaufnahme und Ermittlungsverfahren:

 

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde in dem seitens des Gerichtshofes angestrengten Ermittlungsverfahren Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den die Person des Beschwerdeführers betreffenden Verwaltungsakt des Bundesasylamtes und des unabhängigen Bundesasylsenates sowie in vorgelegte Dokumente und Erörterung der unten angeführten Länderfeststellungen. Auf Grund des Ermittlungsverfahrens und der vorgenommenen Beweisaufnahme steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

 

II.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Die Identität des Beschwerdeführers ist als M.M. geboren am 00.00.1980 in D., Russland, erwiesen. Der Beschwerdeführer ist russischer Staatsangehöriger und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, moslemischen Glaubens und mit der am 00.00.1986 geborenen C.S. verheiratet. Der Ehe entstammen drei Kinder: S.M., geboren am 00.00.2003, sowie die in Österreich nachgeborenen Kinder A.M., geboren am 00.00.2004 und R.M., geboren am 00.00.2008.

 

Der Vater des Beschwerdeführers, V.M., geboren 1954 und die Mutter, As.M., geboren 1960, leben in D., Bezirk G., Russland.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 3. März 2004 von maskierten Personen festgenommen und konnte gegen Bezahlung von 2.000 Dollar freigekauft werden.

 

Nicht festgestellt werden konnte, dass die Beschwerdeführerin über nahe Angehörige außerhalb Tschetscheniens verfügt.

 

Aus Angst vor weiteren Übergriffen auf den Beschwerdeführer beschloss das Ehepaar, zu flüchten.

 

II.3. Zur Lage in Tschetschenien und der Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe:

 

Auch wenn von offizieller russischer Seite betont wird, dass es in Tschetschenien zu einem "politischen Prozess" gekommen ist, finden laut Lagebericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 in Tschetschenien weiterhin die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Diese Einschätzung wird von einer großen Anzahl von Klagen von Tschetschenen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestützt (20.350 anhängige Klagen gegen Russland insgesamt zum Zeitpunkt Februar 2008, bisher 24 Verurteilungen der Russischen Föderation wegen Tschetschenien).

 

Durch vielerlei Umstände kann es heute möglich sein, ins Fadenkreuz der prorussischen Kräfte zu gelangen. Der russische Geheimdienst verfügt weiterhin über zahlreiche Informationsquellen.

 

Nichtregierungsorganisationen, internationale Organisationen und die Presse berichten, dass sich auch nach Beginn des von offizieller Seite festgestellten "politischen Prozesses" erhebliche Menschenrechtsverletzungen durch russische und pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung fortgesetzt haben.

 

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend, sodass nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen ein "Klima der Straflosigkeit" entstanden sei. Bisher gibt es nur sehr wenige Fälle von Verurteilungen. Im April 2006 verurteilte ein Gericht in Rostow den Vertragssoldaten Kriwoschenok zu 18 Jahren Haft wegen der Erschießung dreier tschetschenischer Zivilisten im November 2005. Im Juni 2007 verurteilte dasselbe Gericht vier Offiziere in der "Sache Ulman" zu 9, 11, 12 und 14 Jahren Haft wegen Erschießung von sechs tschetschenischen Zivilisten im Dezember 2002. Drei der Verurteilten sind allerdings untergetaucht. Personen, die den Staat wegen Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung ziehen wollten, wurden weiterhin belästigt. Kläger vor dem EGMR verschwanden spurlos bzw. wurden getötet, was den EGMR zu einer kritischen Äußerung in seiner Entscheidung im Fall Alikhadzhiyeva gg. Russland vom 5.7.2007 veranlasste.

 

Nach wie vor sind die Rebellen bzw. Personen, die für Rebellen oder deren Sympathisanten gehalten werden, einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, in bewaffnete Auseinandersetzungen zu geraten, festgenommen, verschleppt, verhört, gefoltert und ermordet zu werden.

 

Die Rebellen und ihre Unterstützer werden im Zuge von Spezialoperationen "neutralisiert", die von den unter direktem Befehl von Ramzan Kadyrow stehenden Sicherheitskräften sowohl in den Bergregionen, als auch in städtischen Gebieten durchgeführt werden. In der Zeit um den Jahreswechsel 2007-2008 wurden bei solchen Operationen mindestens 16 Rebellen und Sicherheitskräfte getötet, mindestens 49 Personen in Grosny verhaftet, zwei sind verschwunden. Es kam zu sechs bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Sicherheitskräften, sowie zu Anschlägen auf letztere.

 

Nach Beobachtungen des Berichterstatters der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist die Geiselnahme von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen, um sie zur Aufgabe zu zwingen, eine neue besorgniserregende Entwicklung.

 

Am 22.September 2006 beschloss die Duma eine neue Amnestieverordnung. Sie erfasst Vergehen, die zwischen dem 13.12.1999 und dem 23.09.2006 im Nordkaukasus (Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Tschetschenien, Nordossetien, Karatschajewo-Tscherkessien, Gebiet Stawropol) begangen wurden. De facto wurde die Amnestie jedoch durch Präsident Kadyrow bis zum 15.06.2007 verlängert. "Memorial" kritisierte jedoch, dass wegen der zahlreichen Ausschlussgründe nur diejenigen in den Genuss der Amnestiebestimmungen kommen werden, die "in den Bergen Herbarien angelegt oder Grütze gekocht haben".

 

Die Arbeitslosigkeit in Tschetschenien ist trotz des anhaltenden Wiederaufbaues hoch (70-80%). Die Bautätigkeiten werden nämlich oft ohne schriftliche Verträge mit den Arbeitern durchgeführt. Dies führt dazu, dass Löhne nicht ausbezahlt und Sicherheitsvorkehrungen missachtet werden, und dass bei Unfällen keine medizinische Versorgung vorhanden ist. Wiederholt kam es deswegen zu Protesten der Arbeiter, z. B. im Juni 2007.

 

Weitere Jobs finden sich im Bereich des Handels (vor allem des Kleinsthandels am Markt) und der öffentlichen Verwaltung, wobei diese Positionen oft nur gegen Schmiergeldzahlungen erreicht werden können. Eine der stabilsten Arten, sein Einkommen zu verdienen, wenn gleich auch sehr unsicher, ist es, einen Job in den pro-russischen, bewaffneten Formationen anzunehmen.

 

Löhne und Pensionszahlungen sind auch kaum ausreichend, um davon zu leben. Entgegen offiziellen Berichten unterhalten die Arbeitslosen auch kaum Unterstützung vom Staat.

 

Im Dezember 2007 wandte sich Präsident Kadyrow mit einer Ansprache an die im Ausland lebenden Tschetschenen und rief sie zur Achtung ihrer eigenen Gesetze und Kultur, aber auch zu Toleranz gegenüber anderen Nationalitäten auf. Zur Ergänzung wurden an Dutzende tschetschenische Gemeinschaften inner- und außerhalb der Russischen Föderation DVDs, Videos, Fotos und ähnliche Materialien verschickt, die über die positiven Entwicklungen der letzten Jahre informieren sollten. Um seine Landsleute zu einer Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen, verspricht der Präsident, alles in seiner Macht stehende zu tun, um ihnen akzeptable Lebensbedingungen zu bieten. Er hebt besonders die fortgeschrittenen Renovierungen der Städte und Dörfer, den Bau von Moscheen, die Einrichtung von Krankenhäusern und die Wiederbelebung des Bildungssektors hervor.

 

Tatsächlich ist eine Rückkehr nach Tschetschenien aber mit ernsthaften Problemen verbunden. Neben Personen, die beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt haben, ziehen nach Informationen von UNHCR vor allem Rückkehrende aus dem Ausland bei ihrer Wiedereinreise an der Grenze automatisch die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes FSB auf sich. Sie werden oft verdächtigt, während ihrer Abwesenheit die Rebellen unterstützt oder im Ausland ein Vermögen angehäuft zu haben, wodurch sie zu Opfern von Erpressung werden.

 

Durch die Tschetschenisierung des Konflikts, d. h. die Übertragung der Macht auf Präsident Kadyrow und sein Regime, geht die Gewalt weniger von föderativen, sondern überwiegend von den tschetschenischen Behörden aus. Diese stehen mit dem russischen Verteidigungs- und Innenministerium, inklusive FSB, in Verbindung und haben Zugang zu deren Daten, kennen aber auch die relativ kleine Bevölkerung Tschetscheniens sehr gut. Somit ist es deutlich schwieriger geworden, den Machthabenden zu entrinnen.

 

Außerhalb der tschetschenischen Republik ist die Registrierung von Tschetschenen (noch) immer ein großes Problem. Die Lebensbedingungen für tschetschenische Flüchtlinge in den Übergangsunterkünften in der russischen Teilrepublik Inguschetien sind unter allen Aspekten schwierig. Inguschetien und das russische Katastrophenschutzministerium können nur ein Mindestmaß an humanitärer Hilfe leisten und sind mit der Versorgung der Flüchtlinge überfordert. Hinzu kommt die sich in Inguschetien im Vergleich zu den letzten Jahren rapide verschlechternde Sicherheitslage. Zwar richten sich die meisten Angriffe auf Sicherheitskräfte, doch berichtet UNHCR von Übergriffen auf Arbeitsmigranten in Inguschetien. Die Situation in Dagestan ist ebenso schlimm, sodass in diesen beiden Nachbarrepubliken nach Einschätzung des UNHCR nicht vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gesprochen werden kann.

 

Die Lage der Tschetschenen in der übrigen Russischen Föderation hat sich nicht verbessert. Die Russische Regierung benützt nach wie vor ihre eigene Definition der "Zwangsmigranten", anstelle des UNO-Begriffs IDP. Ersterer muss von einer Region der Föderation in eine andere migriert sein, womit alle innerhalb von Tschetschenien Vertriebenen ausgeschlossen sind. Außerdem gehören Opfer von Menschenrechtsverletzungen, von Übergriffen durch Sicherheitskräfte, etc. nicht zu den "Zwangsmigranten". Russland hat bisher 13.000 ethnische Russen, Armenier und Juden aus Tschetschenien als "Zwangsmigranten" anerkannt. Ethnischen Tschetschenen wird dieser Status jedoch systematisch verweigert. Nur "Zwangsmigranten" können jedoch legal arbeiten oder Grundstücke erwerben und nur sie haben Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen, sowie zu Altersrenten.

 

Artikel 27 der russischen Verfassung garantiert jedem Bürger zwar das Recht auf Bewegungsfreiheit und das Recht seinen Wohnort zu wählen. Dieses Recht kann jedoch durch einfache Gesetze gemäß Art 55 der Verfassung beschränkt werden. Das aus Sowjetzeiten stammende sogenannte "Propiska"-System, nachdem an jedem neuen Wohnort ein Registrierungsgesuch eingereicht werden musste, ist offiziell abgeschafft worden. Faktisch wird jedoch das Propiska System, entgegen den Entscheidungen des russischen Verfassungsgerichtshofes, weiterhin angewendet bzw. die Registrierung eines vorübergehenden Wohnsitzes verweigert. Grundsätzlich betrifft dies zwar alle Einwohner, Tschetschenen sind jedoch überproportional stark diskriminiert, indem ihnen oft die Niederlassung verweigert wird. Die Anmeldung ist jedoch Voraussetzung für Zugang zum Arbeitsmarkt, Schulbildung, Gesundheitsversorgung und anderen sozialen Rechten. Menschen, die sich illegal aufhalten haben auch ein größeres Risiko, bei Ausweiskontrollen belästigt zu werden.

 

Svetlana Gannuskina, die Leiterin der Organisation "Migration und Recht" und Mitglied von "Memorial", kommt deshalb in ihrem jüngsten Bericht wiederholt zum Schluss: "In der Tschetschenischen Republik gibt es keinen minimalen Schutz für die Bewohner. Für aus Tschetschenien stammende Menschen gibt es in Russland keine inländische Fluchtalternative. [...] Ich bin davon überzeugt, dass jeder aus Russland kommende Tschetschene die Voraussetzung zur Gewährung des Flüchtlingsstatus nach Artikel 1 der Konvention der UNO von 1951 hat, da er in Russland nicht vor Diskriminierung und Willkür geschützt wird".

 

Die Bevölkerung begegnet Tschetschenen größtenteils mit Misstrauen. Hier wirken sich latenter Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Teilen der russischen Bevölkerung und insbesondere die negative Wahrnehmung der Tschetschenen aus. Berichte über Kontakte der tschetschenischen Rebellen zu den Taliban und Osama Bin Laden, die Geiselnahme 2002 in Moskau und die Anschläge 2004 haben dies noch verstärkt.

 

Zusammenfassend kann somit gesagt werden, dass ob eine Ansiedlung in anderen Teilen der Russischen Föderation möglich ist, bei Fehlen staatlicher Verfolgung im Einzelfall zu prüfen ist. Dabei spielen angesichts von möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten sowie die Möglichkeit der Kontaktierung von NGOs eine Rolle. Nicht registrierte Tschetschenen können allenfalls in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands überleben, wobei wiederum Faktoren wie Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse relevant sein können.

 

Die Feststellungen zur Lage in Tschetschenien bzw. zur Situation von Tschetschenen vermag der Asylgerichtshof auf folgende Quellen zu stützen:

 

Accord und UNHCR, Summary of the Accord-UNHCR country of origin information seminar, 18.10.2007

 

Accord Auskunft vom 30.08.2007 zu Frage, ob es staatliche Unterstützungen für Halbwaisen und Witwen und Notstandshilfe oder vergleichbare Sozialleistungen in der RF gibt und ob die Ausbezahlung auch in Tschetschenien erfolgt

 

Accord Auskunft vom 13.09.2005 zur Situation von Tschetschenen außerhalb des Nordkaukasus

 

Accord Auskunft vom 05.09.2007 zur Situation von geschiedenen und vom Ehemann getrennten Frauen; mögliche Reaktionen seitens des Mannes, der Familie, der Gesellschaft; Gewalt gegen Frauen und Schutzmöglichkeiten

 

Accord, Auskunft vom 13.05.2008 zur medizinischen Versorgung und Grundversorgung in Tschetschenien

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Asylländerbericht Russland, 04.09.2007

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, 13.01.2008

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Russische Föderation Menschenrechtslage und Politik, Tschetschenienkonflikt, Juli 2008

 

US State Department, Russia, Country Reports on Human Rights Practices 2007, 11.03.2008

 

Die herangezogenen Berichte und Informationsquellen stammen Großteils von staatlichen Institutionen oder diesen nahestehenden Einrichtungen und sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, die Zweifel an deren Objektivität und Unparteilichkeit entstehen lassen. Da die Berichte zudem auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht für den erkennenden Senat kein Grund, an der Richtigkeit der Situationsdarstellungen zu zweifeln.

 

III. Beweiswürdigung

 

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu den Fluchtgründen beruhen auf den im erstinstanzlichen Verwaltungsakt einliegenden, unbedenklichen Dokumenten, aus dem am 15. Mai 2006 abgehaltenen "selbständigen Augenschein" sowie dem glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau in deren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt.

 

Die Identität des Beschwerdeführers ist für den Gerichtshof auf Grund des Inlandspasses, ausgestellt am 00.00.2003 in G., Russland, sowie durch die Heiratsurkunde, ausgestellt am 00.00.2004 vom Standesamt in G., Russland, erwiesen. Seine Herkunft aus Tschetschenien und die Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe ergeben sich insbesondere aus den Ausführungen der länderkundlichen Sachverständigen sowie der Dolmetscherin im "selbständigen Augenschein" vor dem Unabhängigen Bundsasylsenat.

 

Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist klar und konkret, zentrales Thema ist die Sorge vor einer neuerlichen Entführung oder weiteren Übergriffen auf Grund des Umstandes, dass er bereits einmal entführt wurde. Hinzu tritt die Besorgnis des Beschwerdeführers, im Falle einer Rückkehr in die Teilrepublik Tschetschenien mit seiner Ehefrau und den nunmehr drei Kindern in eine aussichtslose Situation zu geraten und der Willkür der russischen Behörden ausgeliefert zu sein.

 

Die Ausführungen des Beschwerdeführers und dessen Ehefrau sind mit den politischen Geschehnissen und den unten angeführten Quellen zur Lage in Tschetschenien in Einklang zu bringen und erscheinen somit mit den allgemeinen Verhältnissen in Tschetschenien vereinbar.

 

Nachdem das Vorbringen des Beschwerdeführers insgesamt glaubwürdig war, mit dem vorliegenden Länderdokumentationsmaterial und den Aussagen der Ehefrau übereinstimmte und keine groben Ungereimtheiten aufwies, waren die Angaben des Beschwerdeführers vom zur Entscheidung berufenen Senat des Asylgerichtshofes als glaubwürdig zu werten.

 

Im vorliegenden Fall ist es dem Beschwerdeführer daher gelungen, die konkrete, individuelle Bedrohung, die ihm im Rahmen seiner Festnahme widerfahren ist, glaubhaft zu machen.

 

IV. Rechtlich folgt daraus:

 

Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen, weshalb das durch die von der Beschwerdeführerin gegen den angefochtenen Bescheid fristgerecht eingebrachte, am 21. März 2005 eingelangte, Berufung beim Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS) eingeleitete Berufungsverfahren, welches am 1. Juli 2008 als unerledigt aushaftete, vom Asylgerichtshof weiterzuführen war.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG), BGBl I 2008/4, sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. Es gilt § 44 AsylG 1997.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003, werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

 

Daraus folgt, dass der am 22. April 2004 gestellte, gegenständliche Antrag auf Gewährung von Asyl nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 zu führen ist.

 

Die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 sind gemäß § 44 Abs. 3 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 auch auf Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, anzuwenden.

 

Die gegenständliche Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelangt, die Beschwerdeführerin legitimiert. Auf die Beschwerde war mithin einzutreten.

 

Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), BGBl. Nr. 55/1955, droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK iVm Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs bildet die "begründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262). Die aus objektiver Sicht begründete Furcht muss einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich erscheinen lassen.

 

Glaubhaftmachung bedeutet im Gegensatz zum strikten Beweis ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel an dem Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

 

Trotz der äußerst problematischen Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, insbesondere in Tschetschenien, kann aus Sicht des erkennenden Senates des Asylgerichtshofes nicht von einer generellen Verfolgung alleine wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Ethnie ("Gruppenverfolgung") gesprochen werden, sondern ist weiterhin jeder konkrete Einzelfall umfassend anhand der in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe zu prüfen (vgl. das im Gegenstande ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, 2006/20/0724-8, sowie das diesem Erkenntnis zu Grunde liegende Erkenntnis vom 19.12.2007).

 

Im vorliegenden Fall besteht für den Beschwerdeführer angesichts des zu ihren Asylgründen festgestellten Sachverhalts eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr.

 

Die Ansicht des Bundesasylamtes, wonach der Beschwerdeführer Tschetschenien wegen des Bürgerkriegs bzw. wegen der mit dem Bürgerkrieg im direkten Zusammenhang stehenden Folgen verlassen hätte, er andere Gründe jedoch nicht plausibel zu machen vermocht hätte, kann vom Asylgerichtshof rechtlich nicht nachvollzogen werden. Der Beschwerdeführer wurde individuell verfolgt, in dem er von maskierten Personen entführt wurde.

 

Selbst wenn nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass diese Übergriffe von staatlicher Seite erfolgten, ist nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine Verfolgungsgefahr nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Stellen ausgehen - asylrelevant wären ( vgl. VwGH vom 28.03.1995, Zl. 95/19/0041; VwGH vom 27.06.1995, Zl. 94/20/0836; VwGH vom 23.07.1999, Zl. 99/20/0280, VwGH vom 21.09.2000, Zl. 99/20/0373; VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN; VwGH vom 12.09.2002, Zl. 99/20/0505 sowie VwGH vom 17.09.2003, Zl. 2001/20/0177). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, Zl.99/01/0256 mwN).

 

Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht- unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256)- , kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatliche, Schutz einen- asylrechtliche Intesität erreichenden Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat ( vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, "The Refugee in International Law (1996) 73; weiters VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN sowie VwGH vom 20.09.2004, Zl. 2001/20/0430). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendetet Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (vg. VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. in Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Herkunftslandes zu bedienen (vg. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/0ß1/0256).

 

Der Beschwerdeführer ist alleine schon durch seine Abwesenheit konkret in das Blickfeld der russischen und tschetschenischen Behörden gelangt. Es ist daher in concreto nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer als nicht greifbare Person bei der Rückkehr in seine Heimatregion Repressionen der tschetschenischen Behörden bzw. russischen Einheiten ausgesetzt wäre.

 

Vor diesem Hintergrund ist die Furcht des Beschwerdeführers in der Gesamtschau der persönlichen Umstände begründet und die erforderliche Intensität der Verfolgung jedenfalls aufgrund (drohender) Eingriffe in die physische Integrität durch staatliche Stellen bzw. der herrschenden Macht zurechenbare Formationen gegeben. Es ist daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen bzw. mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Georgien asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt ist und ihm ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in ihre zu schützende persönliche Sphäre droht.

 

Zur Frage der innerstaatlichen Schutzalternative bleibt festzustellen, dass entsprechend deren "Ausschlusscharakter" es Sache der Behörde (hier: des Gerichtshofes) sein muss, die Existenz einer internen Schutzalternative aufzuzeigen und nicht umgekehrt Sache des Asylwerbers, die Annahme einer theoretisch-möglichen derartigen Alternative zu widerlegen. Zudem ist auch auf Zumutbarkeitskriterien abzustellen. (Vgl. hiezu E VwGH 9.9.2003, 2002/01/0497 sowie E VwGH 28.6.2005, 2002/01/0141). In diesem Zusammenhang ist auf die Richtlinie des UNHCR über die "Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative" vom 23. Juli 2003 zu verweisen, in der die Frage erhoben wird, ob ein relativ normales Leben ohne besondere Hindernisse geführt werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage müssen nach dem Hüter der Konvention die persönlichen Umstände der Asylwerber, frühere Verfolgung, die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben beurteilt werden. Laut UNHCR sind maßgebliche Faktoren der persönlichen Umstände Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale oder andere Schwächen, ethnische und kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische oder soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten sowie gegebenenfalls erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen. So könne insbesondere das Fehlen ethnischer oder anderer kultureller Verbindungen eine Person in die Isolation drängen, ja sogar zu ihrer Diskriminierung führen, wenn enge Beziehungen dieser Art das tägliche Leben in der betreffenden Gemeinschaft bestimmen.

 

Wie aus den oben getroffenen Feststellungen abzuleiten ist, haben insbesondere tschetschenische Volksangehörige besondere Schwierigkeiten, sich innerhalb der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien registrieren zu lassen und führt die mangelnde Registrierung zu einer Beschneidung der meisten zivilen, sozialen und ökonomischen Rechte. In casu sind im Verfahren keinerlei Umstände zu Tage getreten, die die Annahme rechtfertigen würden, der Beschwerdeführer verfüge über ein Netz von Verwandten und Unterstützern in übrigen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens oder habe in anderen Teilen der Russischen Föderation gelebt. Es liegen somit aus der Sicht des erkennenden Senates keine hinreichenden Indizien für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative vor, wie dies im Übrigen von UNHCR bei Tschetschenen generell verneint wird.

 

Der Beschwerdeführer hat somit glaubhaft machen können, dass ihm in seinem Herkunftssaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK aktuell und intensiv droht. Es sind keinerlei Hinweise hervorgekommen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigung- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte und war dieser daher unter besonderer Berücksichtigung der dargelegten individuellen Gründe Asyl zu gewähren

 

Gemäß § 12 AsylG 1997 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen, auf Grund Asylantrages Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Der angefochtene Bescheid war sohin ersatzlos zu beheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

Gegen dieses Erkenntnis ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Schlagworte
Familienverfahren, gesamte Staatsgebiet, politische Gesinnung, Sicherheitslage, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
13.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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